E.T.A. Hoffmann

  • Hallo zusammen,


    sollte es tatsächlich noch keinen Thread zu E.T.A. Hoffmann geben? Dem muß schnellstens abgeholfen werden...


    Ich habe gestern die Lektüre der Elixiere des Teufels beendet und habe mir dazu gerade die Beiträge dieser sehr interessanten [url=http://www.klassikerforum.de/index.php/topic,835.0.html]Leserunde[/url] durchgelesen. Dort waren die Mitlesenden offensichtlich nicht so begeistert nach Beenden des Buches, obwohl sich die Lektüre ganz gut angelassen hatte. Mir ging es da gerade andersherum. Ich fand den ersten Band zwar nicht schlecht, aber noch vergleichsweise "zahm". Im zweiten Band zieht Hoffmann dann aber sämtliche Register des Schauerromans bzw. der gothic novel. Die meisten dieser Elemente (Wiedergänger, Doppelgänger, Kerker, Verließe, Klöster, gebrochene Gelübde, geheime Abstammung der Protagonisten, irre oder lüsterne Mönche etc.) sind zwar ziemlich trivial, aber der Schauerroman war auch nicht gerade eine hochgeistige und intellektuell anspruchsvolle Gattung... Da mich dieses Genre sehr interessiert, habe ich schon einige, v.a. englische gothic novels gelesen. In vielen davon wird noch dicker aufgetragen als hier bei Hoffmann; außerdem schafft es Hoffmann, nicht ewig auszuschweifen, sodaß eigentlich keine Langeweile entsteht (durch andere Romane wie z.B. The Monk von Matthew Lewis, Melmoth the Wanderer von Charles Maturin oder The Mysteries of Udolpho von Ann Radcliffe habe ich mich schon eher durchbeißen müssen).


    Was die Elixiere aber meiner Meinung nach über die Masse der Unterhaltungs-Schauerromane heraushebt, ist die psychologische Komponente. Das Doppelgängermotiv ist sehr zentral; als Leser fragt man sich immer wieder, ob Medardus einen echten Doppelgänger hat (wohl schon, denn Viktorin ist ja sein Halbbruder), oder ob Medardus nicht einfach eine gespaltene Persönlichkeit hat. Vermutlich ist es beides. Viktorin ist zwar eine real extistierende Person in dieser Geschichte, wirkt aber trotzdem wie eine zweite Persönlichkeit von Medardus.


    Ein nicht unwichtiges Thema in der Romantik war, daß ein Künstler selten einfach nur ein Künstler sein konnte. Er mußte meist auch Teil der Gesellschaft sein, einer Erwerbsarbeit nachgehen (wie man so schön sagt), um sein Auskommen zu sichern; und viele Künstler mußten neben ihrer normalen (oft langweiligen) Arbeit Zeit finden, um sich der Kunst widmen zu können. Somit empfand sich manch einer auch schon fast als gespaltene Persönlichkeit. Und E.T.A. Hoffmann hat dies wohl ziemlich belastet. In den Elixieren wird diese Spaltung zwischen Kunst und "Leben" durch die Spaltung zwischen Kloster/religiösem Leben und dem wirklichen Leben repräsentiert, welche Medardus zu schaffen macht. Im Endeffekt kann er soviel Buße tun, wie er will, ganz wird er die gespaltene Persönlichkeit nicht los. Noch kurz vor Medardus' Tod hört ein Mitbrüder die Stimme des Doppelgängers in Medardus' Zelle flüstern. Das ist schon fast wie in Horrorfilmen à la Halloween, wo in der Schlußsequenz der irre Mörder doch nicht tot ist, sondern wieder verschwunden...


    Ich glaube, ich muß über dieses Buch noch länger nachdenken; und bestimmt noch mehr von Hoffmann lesen :smile:.


    Viele Grüße
    thopas

  • Hallo thopas,


    "Die Elixiere des Teufels" sind Teil meiner Jugendlektüre und ich war damals schier begeistert. Vor einigen Jahren habe ich das Buch noch einmal in die Hand genommen - und nach rund 50 Seiten in das Regal zurückgestellt. "Trivial" ist wohl der treffendste Ausdruck für das Stück. Mein Verständnis für die Aufnahme der "Elixiere ..." in Marcel Reich-Ranickis deutschsprachigen Romankanon hält sich dementsprechend in Grenzen.


    Wesentlich interessanter finde ich Hoffmanns Erzählungen (z.B. das Märchen "Der Sandmann"). Einige davon sind unter dem Titel "Nachtstücke" erschienen.


    Was die englischen "gothic novels" anbelangt, so erinnere ich mich dunkel an Ann Radcliffes "The Italian", dessen Strickmuster Hoffmann in seinen "Elixieren ..." aufnimmt. Ich glaube, er war stark beeinflusst von den englischen Schauergeschichten.



    Ein nicht unwichtiges Thema in der Romantik war, daß ein Künstler selten einfach nur ein Künstler sein konnte. Er mußte meist auch Teil der Gesellschaft sein, einer Erwerbsarbeit nachgehen (wie man so schön sagt), um sein Auskommen zu sichern;


    Dies ist, wenn ich nicht irre, weniger ein "Problem" der Romantik. Ein Künstler wie Mozart hat stets versucht, sich von den "höfischen" Zuwendungen für seine Kompositionen freizuschwimmen und als "Freiberufler" zu etablieren (was Beethoven später weitaus besser gelang, wenn ich mich recht erinnere). Mozart und Beethoven gingen allerdings, im Gegensatz zu Hoffmann, keinem "bürgerlichen" Beruf nach. Hoffmann ist der einzige Autor seiner Zeit, von dem ich weiß, dass er nebenberuflicher Autor war. Kennst Du weitere "Romantiker", die neben der Schriftstellerei ihr Einkommen durch "normale" Tätigkeiten aufbessern mussten?


    Viele Grüße


    Tom

  • Hallo Tom,


    Schauerromane und gothic novels sind vermutlich bei Jugendlichen sehr beliebt. Ich habe damals Dracula immer wieder gerne gelesen (ist allerdings kein klassischer Schauerroman). Ich hatte die Elixiere schon vor Jahren mal begonnen, aber dann nach ca. 100 Seiten abgebrochen, weil es mich nicht fesseln konnte. Diesmal ging es mir nicht so, und da ich weiß, was Schauerromane so bieten, haben mich die trivialen Handlungselemente nicht abschrecken können.



    Dies ist, wenn ich nicht irre, weniger ein "Problem" der Romantik. Ein Künstler wie Mozart hat stets versucht, sich von den "höfischen" Zuwendungen für seine Kompositionen freizuschwimmen und als "Freiberufler" zu etablieren (was Beethoven später weitaus besser gelang, wenn ich mich recht erinnere). Mozart und Beethoven gingen allerdings, im Gegensatz zu Hoffmann, keinem "bürgerlichen" Beruf nach. Hoffmann ist der einzige Autor seiner Zeit, von dem ich weiß, dass er nebenberuflicher Autor war. Kennst Du weitere "Romantiker", die neben der Schriftstellerei ihr Einkommen durch "normale" Tätigkeiten aufbessern mussten?


    Stimmt, es ist bestimmt kein Problem, das nur in der Romantik auftaucht. Ich war bei dieser Aussage von meiner Lektüre des Safranski-Buches Romantik beeinflußt. Da wird des öfteren dieses Thema angesprochen. Da das Buch aber leider kein Stichwortverzeichnis hat, ist es schwer, die Stellen jetzt wiederzufinden. Es haben aber wohl nicht wenige der Dichter/Schriftsteller einen Beruf ausgeübt, meist eine Beamten- oder Verwaltungstätigkeit. Sei es, weil sie Geld verdienen mußten, z.B. Eichendorff, der nach einem Jurastudium im Staatsdienst war, sei es, weil die Familie das Künstlertum als etwas Nichtsnutziges ansah, so bei Novalis, der an der Bergakademie und danach als Salinenassessor tätig war. Safranski bietet allerdings meist nur kurze Abrisse der Lebensläufe, sodaß ich nicht beurteilen kann, wieviel Zeit so ein Beruf einnahm, und wieviel Zeit für die künstlerische Tätigkeit blieb. Hoffmann hat wohl meist nachts geschrieben oder komponiert, oder auch während langweiligen Kammergerichtssitzungen...


    Ich habe gesehen, daß Safranski auch eine Hoffmann-Biographie geschrieben hat, die interessant sein könnte:


    [kaufen='978-3596143016'][/kaufen]


    Von Hoffmann werde ich bestimmt noch einige Erzählungen lesen. Den Sandmann und das Fräulein von Scuderi habe ich schon im Regal stehen...


    Viele Grüße
    thopas

  • Hoffmann lohnt immer. Und eigentlich auch alles. Von Kater Murr über Brambilla bis zum Meister Floh oder den Goldene Topf. Die Elixiere sind, wenn mich meine Erinnerung nicht trübt, eigentlich sein schwachstes Werk. Die klassischen Gothic Novels habe ich so mit 17, 18 gelesen. Selbst solche Schinken wie Maturins Melmoth und natürlich auch Lewis' Monk. Das würde ich heute gar nicht mehr schaffen 8-)

  • Hoffmann ist der einzige Autor seiner Zeit, von dem ich weiß, dass er nebenberuflicher Autor war. Kennst Du weitere "Romantiker", die neben der Schriftstellerei ihr Einkommen durch "normale" Tätigkeiten aufbessern mussten?


    Kennst Du welche, die das nicht tun mussten? Lessing war Bibliothekar. Wieland war Prinzenerzieher (a.D.). Schiller Professor der Geschichte. Herder pfarrerte. Hamann Packhofverwalter der preussischen Zollverwaltung. Goethe Minister in Weimar. Jean Pauls Leben war durch eine fürstliche Pension gesichert. Novalis arbeitete als Supernumerar-Amtshauptmann. Tieck arbeitete als Dramaturg, iirc, und erhielt in seinen letzten Jahren ein preussische Pension. A.W. Schlegel war Universitätsprofessor, sein Bruder Friedrich lebte vom Geld der Gemahlin Dorothea. Schleiermacher hat ebenfalls gepfarrert. Wilhelm von Humboldt war Diplomat in preussischen Diensten.


    Meines Wissens ist Wilhelm Raabe, eine Generation oder so später, der erste, dem es gelungen ist, zeit seines Lebens vom Ertrag seiner literarischen Werke zu leben. Jedenfalls im deutschen Sprachraum. :winken:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo giesbert,



    Die klassischen Gothic Novels habe ich so mit 17, 18 gelesen. Selbst solche Schinken wie Maturins Melmoth und natürlich auch Lewis' Monk. Das würde ich heute gar nicht mehr schaffen 8-)


    Meine Lektüre dieser Schinken war ziemlich zu Anfang meines Studiums. Heute hätte ich auch keine große Lust mehr, mich da nochmal durchzuquälen.



    "Scuderie" gilt - iirc - übrigens als erste Detektivgeschichte in der Literatur, noch vor EA Poe. Hat mal ein bekannter Germanist (dessen Name mir jetzt nicht einfällt) in einem pfiffigen Aufsatz nachgewiesen.


    Davon habe ich auch schon gehört. Da bin ich mal sehr gespannt...


    Viele Grüße
    thopas

  • Meines Wissens ist Wilhelm Raabe, eine Generation oder so später, der erste, dem es gelungen ist, zeit seines Lebens vom Ertrag seiner literarischen Werke zu leben. Jedenfalls im deutschen Sprachraum. :winken:


    Raabes (Spät)werk und seine Briefe sind übrigens voll davon, dass ein Autor von seinen Erträgen nur verhungern kann. Und es gibt immer wieder Passagen, à la "ich schreibe einen neuen Roman, meine Kinder brauchen neue Schuhe".

  • Da frag' ich mich schon, wovon, zum Henker, lebten denn all die anderen Romantiker? Die meisten waren ja, kurioserweise, adelig, haben sie einfach vom Vermögen der Familie gelebt? Brentano, Arnim, Kleist, Eichendorff, de la Motte-Fouque und Chamisso fallen mir von den hier Unerwähnten noch ein, die adlige Romantiker waren.


    Und lebte Klopstock nicht fünfzig Jahre vor Tieck schon sorgenlos genug, dank seiner literarischen Tätigkeit?


    Gruß

  • Da frag' ich mich schon, wovon, zum Henker, lebten denn all die anderen Romantiker? Die meisten waren ja, kurioserweise, adelig, haben sie einfach vom Vermögen der Familie gelebt? Brentano, Arnim, Kleist, Eichendorff, de la Motte-Fouque und Chamisso fallen mir von den hier Unerwähnten noch ein, die adlige Romantiker waren.


    Brentano stammt aus einer wohlhabenden Familie. Der Zweig, dem er angehörte, war übrigens nicht adelig. Klopstock wurde vom dänischen König finanziell unterstützt. Wie überhaupt das Mäzenatentum zu jener Zeit noch eine bedeutende Rolle spielte ...

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Brentano stammt aus einer wohlhabenden Familie. Der Zweig, dem er angehörte, war übrigens nicht adelig. Klopstock wurde vom dänischen König finanziell unterstützt. Wie überhaupt das Mäzenatentum zu jener Zeit noch eine bedeutende Rolle spielte ...


    Armin hat sich um seine Güter gekümmert und ist auf denselben auch völlig verbauert - sprich: nix mehr mit Schreiben. (Sehr zum Leidwesen seiner Frau, die sich wohl etwas anderes vorgestellt hatte unter dem Gedanken "Ich heirate einen Romantiker" ... ) Eichendorff stand in preussischem Staatsdienst, in welchen auch Kleist mindestens zu kommen versuchte. Dass es ihm nicht gelang, hat wohl mit zu seinem Entschluss, sich umzubringen beigetragen, da er zum Ende nahezu mittellos dastand. De la Motte-Fouqué war zum Schluss Major in der preussischen Armee. Chamisso arbeitete ebenfalls im preussischen Staatsdienst.

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • ... ich hab gestern aus meiner Hörbuch-Sammlung "Meisterwerke der deutschen Literatur" von Argon "Der Sandmann" von E.T.A. Hoffman gehört. Der Titel war mir natürlich schon ewig ein Begriff, es wird ja auch immer mal wieder in Filmen und anderen Büchern darauf verwiesen, ich hatte aber immer nur unklare Vorstellungen vom Inhalt.
    Ehrlich gesagt.. ich hab mir was völlig anderes darunter vorgestellt. Ich kann jetzt nicht sagen daß ich enttäuscht bin, die Geschichte ist vor allem anfangs sehr spannend und man kann sich in das kleine Kind gut hineindenken und erkennt was Phantasie sich alles zusammenreimen kann. Mich hätte interessiert ob der Vater von Nathanael das alles freiwillig gemacht hat oder ob er in irgendeiner Weise gezwungen war. Der Advokat wurde auch wirklich gruslig beschrieben.
    Dann später die Story mit der Puppe und ständig die Wiederholung des Motivs der Augen. Schon gruslig, aber letzlich auch die Beschreibung eines traumatisierten Kindes das eine lebenslange Störung mit sich rumschleppt. Mir hat Nathanael ab einem bestimmten Zeitpunkt nur noch leid getan, war er doch offensichtlich krank und in einer psychischen Erkrankung gefangen, wie sonst konnte er die Puppe für echt halten . Am Ende dann noch der Kunstgriff, daß zu seinem ganzen Unglück auch nochmal der Advokat auftaucht, falls er es tatsächlich wirklich war und nicht nur eine Wahnvorstellung und ihn in den Tod treibt.
    Je länger ich darüber nachdenke, desto besser versteh ich warum diese Geschichte aus Grusel, übersteigerter Phantasie, Liebe, Halbwahrheiten und Wahnsinn für viele Literaten und Kunstschaffende so inspirierend war, aber es ist wirklich immer wieder überraschend und erhellend solche "legendären" , allgemein bekannten Geschichten dann doch endlich mal selbst zu lesen oder zu hören.


    Nur nebenbei: Der Sprecher Joachim Schönfeld hat seine Sache sehr gut gemacht, besonders bei diesem regelmäßig wiederholten Ausspruch "Holzpüppchen dreh dich" lief es mir regelmäßig kalt den Rücken runter.

    "Lesen stärkt die Seele" (Voltaire)