Juni 2008 / Lampedusa - DER LEOPARD


  • Ganz und gar nicht. Du hattest ja auch irgendwo schon erwähnt, daß du keine "professionellen" Kenntnisse hast. Du bist da quasi ein Naturtalent :smile:. Meiner Meinung nach sind keine akademischen Kenntnisse vonnöten, um ein Buch zu analysieren und zu interpretieren. Das kann man durchaus auch so lernen...


    :winken:
    thopas


  • Meiner Meinung nach sind keine akademischen Kenntnisse vonnöten, um ein Buch zu analysieren und zu interpretieren. Das kann man durchaus auch so lernen...


    Das glaube ich auch - und: Danke für die "Blumen"! :winken:


    Liebe Grüße


    Sir Thomas

  • Dein Eindruck trügt nicht. Dieser Auftritt von Angelica war sehr sorgfältig inszeniert und hat ja auch seine Wirkung nicht verfehlt....


    In dem Buch von Colm Tóibín über Henry James (The master) ist eine sehr schöne Szene enthalten: bei einem Ball sind nach einiger Zeit nach wie vor nur die Herren schon im Ballsaal versammelt, die Damen lassen auf sich warten. Jede ist in ihrem Zimmer und schickt immer wieder ihre Zofe hinunter, um zu sehen, wann endlich alle da sind, da jede als letzte ankommen und einen großen Auftritt haben möchte. Zuletzt werden dann alle Damen überredet, gleichzeitig herunterzukommen, denn sonst würde der Ball nie anfangen...


    Als letztes anzukommen verspricht ja immer einen großen Auftritt und die Aufmerksamkeit aller Anwesenden, das wissen auch Angelica und don Calogero.


    :breitgrins: sehr lustig, wobei ich dieses Aufmerksamkeitsgehabe ja auch irgendwie verstehen kann :breitgrins:


    Danke für den Buchtipp, thopas, wieder ein Buch mehr auf meiner Wunschliste.


    Katrin

  • Hallo thopas,


    bist Du sehr enttäuscht, wenn ich Dir verrate, dass ich mich mit Literaturwissenschaft oder angrenzenden Sachgebieten zu keiner Zeit ernsthaft beschäftigt habe?


    Viele Grüße


    Sir Thomas




    Wie mein Lateinprofessor schon immer sagte: Entweder hat man es oder man hat es nicht.


    Und mich tröstet es, dass auch studierte Literaturwissenschaftler, wie thopas, mit dem Studium nicht gleichzeitig auch die Gabe der Interpretation erhalten haben.
    Sonst würde ich auf meine alten Tage nochmal zu studieren beginnen.


    Liebe Grüße, Madeleine.


  • Ich will Euch ja nicht widersprechen, Ihr Lieben, aber wie kommt Ihr darauf, dass man das Rosenkranzgebet am Beginn mit den kommenden Ereignissen in Verbindung bringen muss?
    In katholischen Fürstenhäusern wurde eben viel gebetet und anschließend widmeten sich die Herren ihren Mätressen. So war auch der Beichtvater immer beschäftigt.
    Ich hätte in diesem Einstieg noch keine Symbolik vermutet. Muss man das wirklich so interpretieren?


    Warum sollte man auch nicht einen Roman als eine Geschichte lesen dürfen. Symbolik kann auch eine Mauer sein, die den Zauber von Sprache und Handlung verstellt. Dürfen wir nicht auch Musik hören, ohne Harmonielehre und den Kontrapunkt zu verstehen? Literatur ist doch mehr als ein Rätselspiel.

  • Warum sollte man auch nicht einen Roman als eine Geschichte lesen dürfen. Symbolik kann auch eine Mauer sein, die den Zauber von Sprache und Handlung verstellt. Dürfen wir nicht auch Musik hören, ohne Harmonielehre und den Kontrapunkt zu verstehen? Literatur ist doch mehr als ein Rätselspiel.


    Es sind wahrscheinlich einfach nur mehrere Ebenen/Schichten. Je nachdem, wie man mag, kann man tiefer eindringen oder auch nicht. Und wer bei der obersten Schicht verweilt, kann trotzdem gut unterhalten werden. Hier wären wir wieder bei Der Name der Rose: es ist ein unterhaltsamer Mittelalterkrimi, auch ohne daß man da tiefer eindringen müßte...




    Und mich tröstet es, dass auch studierte Literaturwissenschaftler, wie thopas, mit dem Studium nicht gleichzeitig auch die Gabe der Interpretation erhalten haben.
    Sonst würde ich auf meine alten Tage nochmal zu studieren beginnen.


    Man lernt allerdings im Studium das "Handwerkszeug", auch wenn man dann nicht meisterhaft damit umzugehen weiß. Aber das wußte ich schon vor dem Studium, daß mir das Interpretieren nicht so liegt. Die Literaturwissenschaft bietet Gott sei Dank noch andere Bereiche, mit denen man sich beschäftigen kann :smile:


  • Warum sollte man auch nicht einen Roman als eine Geschichte lesen dürfen. Symbolik kann auch eine Mauer sein, die den Zauber von Sprache und Handlung verstellt. Dürfen wir nicht auch Musik hören, ohne Harmonielehre und den Kontrapunkt zu verstehen? Literatur ist doch mehr als ein Rätselspiel.


    Das eine (das "reine Lesen" der Geschichte) schließt das andere (die Beschäftigung mit Symbolen, Metaphern, möglichen Deutungen etc.) nicht aus - zumal es bei mir getrennt erfolgt (erst genussvoll lesen, später bei Bedarf tiefer einsteigen).


    Viele Grüße


    Sir Thomas

  • Das eine (das "reine Lesen" der Geschichte) schließt das andere (die Beschäftigung mit Symbolen, Metaphern, möglichen Deutungen etc.) nicht aus - zumal es bei mir getrennt erfolgt (erst genussvoll lesen, später bei Bedarf tiefer einsteigen).


    Viele Grüße


    Sir Thomas




    Durchaus einverstanden !


    Beim Geopardo drängt sich die Symbolik ja regelrecht auf und er ist auch ein Beispiel für einen guten Historienroman.


    Es braucht sich aber niemand dafür zu schämen, wenn er einfach nur die Geschichte mag. Bei den Lieder von Kate Bush komme ich mit dem Text auch nicht klar, kann mir aber zeitweise nicht verkneifen einige Platten rauf und runter zu hören.


  • Der Name der Rose


    ... ist ein gutes Beispiel dafür, wie ein Autor (aus Eitelkeit?) zuviel des Guten in sein Werk hineinpackt. Ich habe den "Namen ..." deshalb als unterhaltsamen Krimi gelesen und mich allenfalls am Rande mit Symbolen etc. beschäftigt.


    "Der Leopard" und dessen Autor sind jedoch m.M.n. nicht vom Eco-"Virus" der Eitelkeit infiziert. Lampedusa geht zwar auch nicht gerade sparsam um mit symbolschwangeren Bildern etc., aber er macht es sehr sehr meisterhaft! Er war halt in erster Linie Literat, und nicht Professor ...


    Viele Grüße


    Sir Thomas


  • Es braucht sich aber niemand dafür zu schämen, wenn er einfach nur die Geschichte mag.


    Natürlich. Und den Eindruck, man müsse immer hinter jede Kulisse etc. schauen, möchte hier (glaube ich zumindest) auch niemand erwecken.


    Viele Grüße


    Sir Thomas

  • Ich finde es schon sehr schön, wenn man auch etwas geleitet wird (was die Symbolik betrifft oder den historischen Hintergrund).
    Deswegen genieße ich das Buch ja trotzdem.


    Danke für Deine ausführlichen Erklärungen, Sir Thomas. Ich habe mir diese Zeit der Vereinigung Italiens viel dramatischer vorgestellt und dachte, dass der Adel sich heftig dagegen gewehrt hat. Deshalb habe ich mich auch sehr über die Toleranz des Fürsten seinem Neffen gegenüber gewundert. Jetzt sehe ich darin fast mehr ein Zerbröckeln oder Zerbröseln (würden wir in Österreich sagen) der Strukturen.


    Und eine Frage an thopas hätte ich noch: Ich hatte immer die (zugegebenermaßen naive) Vorstellung, dass ein Literaturwissenschaftler sich mit der Analyse und Interpretation von Texten befasst und zwar ziemlich ausschließlich. Was macht ein solcher denn sonst noch?


    Liebe Grüße, Madeleine


  • ... Ich habe mir diese Zeit der Vereinigung Italiens viel dramatischer vorgestellt und dachte, dass der Adel sich heftig dagegen gewehrt hat. ... Jetzt sehe ich darin fast mehr ein Zerbröckeln oder Zerbröseln (würden wir in Österreich sagen) der Strukturen.


    Nun ja, ich war auch nicht "live" dabei, aber so in etwa können wir uns das vorstellen - bröckelnd und bröselnd eben.


    Grüße


    Tom


  • [quote='Madeleine','http://klassikerforum.de/forum/index.php?thread/&postID=31876#post31876']
    ... Ich habe mir diese Zeit der Vereinigung Italiens viel dramatischer vorgestellt und dachte, dass der Adel sich heftig dagegen gewehrt hat. ... Jetzt sehe ich darin fast mehr ein Zerbröckeln oder Zerbröseln (würden wir in Österreich sagen) der Strukturen.


    Nun ja, ich war auch nicht "live" dabei, aber so in etwa können wir uns das vorstellen - bröckelnd und bröselnd eben.


    Grüße


    Tom



    So habe ich mir auch immer den Untergang unserer schönen alten Monarchie vorgestellt, bis es zum großen Knall kam.
    Der ist in Sizilien wohl ausgeblieben.


    Jetzt muss ich aber zurück zur gepflegten Pardelkatze (hast Du die eingangs nicht so genannt, Sir Thomas?) um weitere ihrer Geheimnisse zu entdecken.


    Liebe Grüße


    Madeleine.


  • So habe ich mir auch immer den Untergang unserer schönen alten Monarchie vorgestellt, bis es zum großen Knall kam.


    Liebe Madeleine,


    höre ich da ein wenig Habsburger-Seligkeit heraus? So a bissl monarchische Trauer? :breitgrins:


    Was sollen wir denn sagen? Unsere deutschen Hohenzollern sind mit Schimpf und Schande aus dem Land gehetzt worden - und dann ausgerechnet nach Belgien! :grmpf: Den bayerischen König Ludwig hat´s beim Baden im See erwischt (Mord?) - welche Dramatik!


    Bevor ich mich jetzt zu der These versteife, dass solche Dinge in Österreich wohl immer noch im Kaffeehaus besprochen werden, widme ich mich lieber der Pardelkatze ...


    Auf den weiteren deutsch-österreichischen Austausch!


    Cheerio!


    Sir Thomas


  • Bevor ich mich jetzt zu der These versteife, dass solche Dinge in Österreich wohl immer noch im Kaffeehaus besprochen werden, widme ich mich lieber der Pardelkatze ...


    :breitgrins: Das ist durchaus möglich, wobei ich über unsere tollen, vor allem Wiener Kaffeehäuser, nichts kommen lasse. Wer nicht einmal die Griesgrämigkeit eines richtigen Wiener Ober miterlebt hat, kennt das Wiener Kaffeehaus Leben nicht :breitgrins:


    Katrin

  • :breitgrins: Das ist durchaus möglich, wobei ich über unsere tollen, vor allem Wiener Kaffeehäuser, nichts kommen lasse. Wer nicht einmal die Griesgrämigkeit eines richtigen Wiener Ober miterlebt hat, kennt das Wiener Kaffeehaus Leben nicht :breitgrins:


    Hi Katrin,


    ich lasse auf Eure Kaffeehäuser auch nichts kommen. Das "Café Central" war vor genau zwei Jahren (ich war anerkannter Fußball-WM-Asylant) für eine Woche meine zweite Heimat. Die Kellner waren aber eigentlich ganz nett, was vielleicht daran lag, dass die Österreicher alle in Deutschland waren (mal richtig guten Fußball live erleben, ist in Österreich ja nicht so einfach :breitgrins:).


    Auf eine Wiener Melange!


    Sir Thomas


  • Und eine Frage an thopas hätte ich noch: Ich hatte immer die (zugegebenermaßen naive) Vorstellung, dass ein Literaturwissenschaftler sich mit der Analyse und Interpretation von Texten befasst und zwar ziemlich ausschließlich. Was macht ein solcher denn sonst noch?


    Kleiner Exkurs für Madeleine:
    Nun ja, es gibt ja verschiedene Ansätze, Texte zu interpretieren. Entweder nur aus dem Text heraus, oder indem man das Leben des Autors mit einbezieht, oder indem man den historischen Kontext mit einbezieht etc. Man kann auch die Sprache sehr genau untersuchen (Stichwort: Strukturalismus). Da muß man halt herausfinden, was einem so liegt.
    Dann kann man sich noch mit Editionswissenschaften beschäftigen, oder mit alten Handschriften. Je älter die Texte sind, mit denen man sich auseinandersetzt, desto mehr spielt auch immer der historische Kontext eine Rolle und man lernt auch viel Geschichte und Kultur aus früheren Zeiten.
    An der Münchner Uni hat die englischen Literaturwissenschaft einen eigenen Lehrstuhl nur für Shakespeare-Wissenschaften. Da liest und interpretiert man nicht nur seine Stücke, man beschäftigt sich auch viel mit Shakespeares Leben und Person, den Theatern in der elisabethanischen Zeit, Aufführungspraktiken damals, den verschiedenen Editionen, in denen uns seine Stücke überliefert worden sind.
    Nun ja. Letztendlich dreht es sich schon um Literatur, aber man zerfieselt halt nicht nur Texte, sondern taucht gewissermaßen auch in die Zeit der Entstehung dieser Texte ein. Und da ich eine Vorliebe für das Mittelalter und die Shakespeare-Zeit habe, gab es da viel für mich zu entdecken.


    Ich hoffe, ich konnte dir so in etwa die Vielfalt vermitteln, die dieses Studium bietet. Es kann sich ja jeder Student seine eigenen Schwerpunkte setzen. Wer viel Texte interpretieren will, kann das natürlich auch...


    Viele Grüße
    thopas


    Exkurs Ende


  • "Nunc et in hora mortis nostrae. Amen."


    (Nun und in der Stunde unseres Todes. Amen.)


    So beginnt Lampedusa seinen Roman, und schon sind wir mitten in der bigotten Welt des Barock-Katholizismus angekommen. Warum hat der Autor diese Gebetsformel an den Anfang gestellt? Um die Frömmigkeit des Hauses Salina zu demonstrieren?


    Hallo,


    ich bin nun auch dabei und habe gestern das erste Kapitel beendet. Von der Sprache und seinem Detail-Reichtum, mit dem er die Interieurs lebendig werden lässt, bin ich begeistert. Das erste Kapitel beginnt und endet mit dem Rosenkranzgebet. Meines Erachtens symbolisiert dies einfach die Tradition der Familie. Vermutlich betet man es täglich seit vielen Jahrzehnten, möglicherweise sogar seit Generationen. In diese heile Welt, die ja auch immer wieder durch die detaillierte Beschreibung der Salons noch mal gestaltet wird, treten nun politische Ereignisse, die einen Wandel andeuten. Da sticht vor allem der tote Soldat hervor und ganz am Ende des 1. Kapitels die Zeitungsnotiz über die Landung von Garibaldi. Man kann bereits erahnen, dass es mit dem Fürstengeschlecht zu Ende geht, auch wenn das nur eine Spekulation meinerseits ist.


    Spannend der Hinweis im Vorspann, dass der Hund der eigentliche Hauptdarsteller ist. Im ersten Kapitel tritt er ja häufiger "auf die Bühne" und wieder ab. Ist schon jemand dahinter gekommen, ob Lampedusa dass mit dem Hunde-Hauptdarsteller ernst gemeint hat?


    Schöne Grüße,
    Thomas