Juni 2008 / Lampedusa - DER LEOPARD

  • Liebe Freunde der gepflegten Lampedusa-Pardelkatze!


    Hier ist er nun - der offizielle Ordner für unsere am 1. Juni startende Leserunde. Ich war einfach mal so frei, ihn zu eröffnen. Mal sehen, wann ich mit der Lektüre starten kann (ich verwende übrigens die neue Übersetzung).


    Ich freue mich schon, mit Euch zu palavern und von Euch zu hören!


    So long ...


    Sir Thomas


    PS: Auf den üblichen Materialordner mit den wikipedia-Links können wir m.E. verzichten. Wer Interessantes zu bieten hat, möge entsprechend verfahren ...

  • PS: Auf den üblichen Materialordner mit den wikipedia-Links können wir m.E. verzichten. Wer Interessantes zu bieten hat, möge entsprechend verfahren ...


    Ach nö ... bitte, bitte - das ist eines der Dinge, auf die wir hier Wert legen ... :winken:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Guten Morgen


    Ich bin mittlerweile in Donnafugata angekommen und habe mich einmal mehr erfreut an der Melancholie, mit der im ersten Kapitel die Dekadenz des Zeitalters im allgemeinen und des Fürstenhauses Salina im besonderen beschrieben wird.


    Die Einführung der Familie im vorübergehend zur Kapelle umfunktionierten Salon ist einfach herrlich: die Hauptdarsteller werden vorgestellt mitten in einem gewaltigen Aufeinanderprallen von Lebensfreude - verkörpert durch die "mythologischen Nackedeis" und die "Heerscharen von Tritonen und Driaden" - und strengem, aber immer wieder unterliegendem Katholizismus - in der Person des Jesuitenpaters Pirrone und auch der Fürstin (die sich bedauernd daran erinnert, dass die Finger des Fürsten "beim Betasten und Liebkosen unendlich zart sein" konnten und die ... ; bitte selbst lesen, ich will nicht schon einen ersten Spoiler setzen).


    Vom ersten Lesen her wieder erinnert habe ich mich an die zum Teil eigenwillige Kommagebung in der neuen Übersetzung. Ich kann mich manchmal des Eindrucks nicht erwehren, der Übersetzer hätte am Schluss seiner Arbeit einen Sack Kommata über das Werk geschüttet und nicht so recht geschaut, wohin sie zu liegen kommen. Statt den Leser zu führen, behindern die Satzzeichen ihn eher. Das ist etwas gewöhnungsbedürftig.


    Schönen Sonntag!


    Uhu

    Das Universum, das andere die Bibliothek nennen [...] (J.L. Borges, Die Bibliothek von Babel)

    Einmal editiert, zuletzt von uhu ()

  • Hallo zusammen,


    ich bin mittlerweile auch auf Donnafugata angelangt. Sehr beeindrucken fand ich bis jetzt die Beschreibung des wüsten-ähnlichen Landes, der staubtrockenen Ebenen, über die sie tagelang fahren müssen, um zu ihrem Landsitz zu kommen. Ich war einst mal, vor vielen Jahren, in Sizilien, allerdings im Frühling; da hat sich mir eine ganz andere Landschaft geboten. Momentan entstehen bei mir im Kopf eher Bilder einer spanischen Missionssiedlung in der mexikanischen oder kalifornischen Wüste :roll:.



    Vom ersten Lesen her wieder erinnert habe ich mich an die zum Teil eigenwillige Kommagebung in der neuen Übersetzung. Ich kann mich manchmal des Eindrucks nicht erwehren, der Übersetzer hätte am Schluss seiner Arbeit einen Sack Kommata über das Werk geschüttet und nicht so recht geschaut, wo sie zu liegen kommen. Statt den Leser zu führen, behindern die Satzzeichen ihn eher. Das ist etwas gewöhnungsbedürftig.


    Hallo uhu,
    wenn du die Taschenbuchausgabe hast, findest du auf Seite 326 einen Hinweis auf Lampedusas eigenwillige Interpunktion, die in dieser Übersetzung beibehalten werden sollte.


    Was mich etwas irritiert, ist, daß die italienischen oder französischen Sätzchen, die im Text vorkommen, nicht unbedingt im Glossar erläutert werden. Es kann doch nicht davon ausgegangen werden, daß jeder italienisch und französisch versteht, oder mit Wörterbüchern hantieren möchte...


    Viele Grüße und viel Spaß beim Lesen!
    thopas


  • Was mich etwas irritiert, ist, daß die italienischen oder französischen Sätzchen, die im Text vorkommen, nicht unbedingt im Glossar erläutert werden. Es kann doch nicht davon ausgegangen werden, daß jeder italienisch und französisch versteht, oder mit Wörterbüchern hantieren möchte...


    Das war auch mein erster Gedanke.


    Was mich aber noch mehr stört, sind die ganzen * in der Geschichte. Ich bin gerade auf Seite 22 und innerhalb der letzten beiden Seiten musste ich dreimal im Glossar nachschauen wer denn die Personen sein sollen. Das behindert mich ungemein beim Lesen, da ich immer wieder rauskomme.


    In der damaligen Zeit hat man die Personen sicher unter diesen Namen gekannt, ich kann mit diesen "Spitznamen" leider gar nichts anfangen und bin gezwungen nachzuschlagen.


    Trotz dieser Hindernisse finde ich die Geschichte bisher ganz nett zu lesen und ich bin mal gespannt ob man noch mehr über diese Zeit erfährt.


    Katrin

  • ich bin mittlerweile auch auf Donnafugata angelangt. Sehr beeindrucken fand ich bis jetzt die Beschreibung des wüsten-ähnlichen Landes, der staubtrockenen Ebenen, über die sie tagelang fahren müssen, um zu ihrem Landsitz zu kommen.


    wenn du die Taschenbuchausgabe hast, findest du auf Seite 326 einen Hinweis auf Lampedusas eigenwillige Interpunktion, die in dieser Übersetzung beibehalten werden sollte.


    Hallo Thopas


    Die Schilderung der mehrtägigen Wagenreise fand ich ebenfalls sehr eindrücklich. Man meint, den Staub auf der eigenen Zunge zu spüren!


    Danke für den Hinweis betr. Interpunktion. Für Leser der gebundenen Ausgabe: dieser findet sich dort auf S. 356f.


    Gruss


    Uhu

    Das Universum, das andere die Bibliothek nennen [...] (J.L. Borges, Die Bibliothek von Babel)


  • Was mich aber noch mehr stört, sind die ganzen * in der Geschichte. Ich bin gerade auf Seite 22 und innerhalb der letzten beiden Seiten musste ich dreimal im Glossar nachschauen wer denn die Personen sein sollen. Das behindert mich ungemein beim Lesen, da ich immer wieder rauskomme.


    In der damaligen Zeit hat man die Personen sicher unter diesen Namen gekannt, ich kann mit diesen "Spitznamen" leider gar nichts anfangen und bin gezwungen nachzuschlagen.


    Hallo Katrin,
    ja, das nervt mich auch ein bißchen. Aber immerhin gibt es ein Glossar, sonst hätten wir überhaupt keine Ahnung, um wen es sich da handelt. Ob Fußnoten besser gewesen wären? Das ist ja immer eher unschön in einem nicht-wissenschaftlichen Text.
    Ich habe auch erstmal in einem historischen Atlas nachgeschlagen, da ich von italienischer bzw. sizilianischer Geschichte überhaupt keine Ahnung habe.



    Noch etwas, das mir aufgefallen ist, das ich mir aber nicht erklären kann: warum wird der Herr (also Gott) immer "der HErr" geschrieben?


    Fragende Grüße
    thopas

  • Hallo Katrin,
    ja, das nervt mich auch ein bißchen. Aber immerhin gibt es ein Glossar, sonst hätten wir überhaupt keine Ahnung, um wen es sich da handelt. Ob Fußnoten besser gewesen wären? Das ist ja immer eher unschön in einem nicht-wissenschaftlichen Text.
    Ich habe auch erstmal in einem historischen Atlas nachgeschlagen, da ich von italienischer bzw. sizilianischer Geschichte überhaupt keine Ahnung habe.


    Stimmt, ein Glossar ist besser als nichts.


    Ich habe mir gestern den wikipedia Link über die damalige Zeit ausgedruckt und werde mir diesen Text heute mal durchlesen.


    Katrin

  • Die Beschreibungen der äußeren und inneren Örtlichkeiten sind sprachlich ja wirklich wunderschön; der fürstliche Haushalt bzw. die darin vorkommenden Personen hingegen sind mir noch nicht sehr nahe gerückt.

    Einmal editiert, zuletzt von Madeleine ()

  • Ihr Lieben,


    mit ein wenig Verspätung (ich musste zunächst Hans Leberts "Die Wolfshaut" beenden - ein sehr beeindruckender Roman!) schließe ich mich Euch an. Weit bin ich noch nicht. Das macht aber nichts, denn ich las den "Leoparden" vor vielen Jahren schon einmal und kann mich daher an die Handlung noch erinnern und auf andere Dinge konzentrieren.


    Bspw. auf die Leitmotive und Metaphern des schleichenden Untergangs und der Dekadenz eines Adelsgeschlechts und einer ganzen Gesellschaftsordnung. Lampedusa spielt sehr gekonnt mit dem langsam wirkenden Gift des Verfalls: Die verblichene Pracht der Fresken im Lampedusa-Anwesen, der etwas verwilderte Garten mit seinen betörenden Blumen (die vor dem Verwelken bekanntlich oft ihre herrlichste Pracht zeigen), die Leiche des verendeten Soldaten, die daran erinnert, dass vor den Toren Palermos der Krieg begonnen hat ...


    Auch die Doppelmoral des Hauses Salina und der Katholischen Kirche (der Bordellbesuch des Fürsten mit jesuitischer Begleitung!) sowie die lächerlich wirkenden Audienzen des Fürsten im Königshaus passen in dieses dekadente Szenario. Neu ist für mich die Tatsache, dass die Bourbonen Sizilien damals in einen Polizeistaat umgebaut hatten (deshalb vielen Dank für den zusätzlichen Hinweis auf das Königreich beider Sizilien im Materialordner) und dabei tatkräftig vom Adel unterstützt wurden.


    Bis später, viele Grüße


    Sir Thomas


    PS: Ein wenig erinnert mich "Der Leopard" mittlerweile an "Die Buddenbrooks" von Thomas Mann (Stichwort "Dekadenz")

  • "Nunc et in hora mortis nostrae. Amen."


    (Nun und in der Stunde unseres Todes. Amen.)


    So beginnt Lampedusa seinen Roman, und schon sind wir mitten in der bigotten Welt des Barock-Katholizismus angekommen. Warum hat der Autor diese Gebetsformel an den Anfang gestellt? Um die Frömmigkeit des Hauses Salina zu demonstrieren? Vielleicht (obowohl diese äußere und formelhafte Frömmigkeit später konterkariert wird). Möglich ist aber auch, dass er den Abschluss des Rosenkranzes als übergeordnetes (Leit)Motiv versteht - ganz im Sinne des barocken "Memento mori" (Bedenke, dass Du sterblich bist).


    Ich bin gespannt, ob ich diese Arbeitshypothese im weiteren Verlauf erhärten kann ...


    Viele Grüße


    Sir Thomas



  • Beginnt nicht der Roman zu einem Zeitpunkt, als Garibaldi dem Königreich der beiden Sizilien und damit dem loyalen Adel den Gar ausmacht ?

  • Beginnt nicht der Roman zu einem Zeitpunkt, als Garibaldi dem Königreich der beiden Sizilien und damit dem loyalen Adel den Gar ausmacht ?


    Ja, Lost, so ist es. Einen Zusammenhang zwischen dem einleitenden "Rosenkranz" und den kommenden Ereignissen sehe ich nun auch. Danke für den Hinweis!


    Viele Grüße


    Sir Thomas

  • Ja, das ist mir auch aufgefallen, thopas. Noch habe ich keine Antwort darauf. Sobald ich etwas weiß, werde ich berichten.


    Ich werde auch mal etwas nachforschen. Vielleicht finden wir ja eine Erklärung...


    Ich bin mittlerweile schon etwas weitergekommen. Die Bevölkerung von Donnafugata wird anschaulich beschrieben. V.a. die Tatsache, daß Don Fabrizio in der Achtung der Leute sinkt, weil er plötzlich netter zu ihnen ist, finde ich sehr interessant. Er ist also auch irgendwie selbst daran schuld, daß es mit ihm bergab gehen wird. Er fügt sich ja auch viel zu einfach in die neuen Umstände, weil er glaubt, daß sein Besitz ihn noch lange ernähren wird können, auch wenn sich das Regime ändert.


    Auf der anderen Seite denkt er sehr praktisch und will seinen Neffen Tancredi mit der reichen Bürgermeistertochter Angelica verkuppeln, da er für den verarmten Tancredi nur so die Möglichkeit sieht, Macht und Einfluß zu bekommen. Er erkennt, daß der Adel sich an das reiche Bürgertum anbiedern muß, um überleben zu können. Wobei Angelicas Vorfahren mütterlicherseits ja eher noch niedrigeren Standes waren.


    Viele Grüße
    thopas