Aug. 07 - Aug. 09: Amerikanische Frauen (Chopin, Jewett, Cather und Wharton)


  • ... sehr deutliche sexuelle Anspielungen.


    Oho, die sind mir beim schnellen Überfliegen des englischen Originaltexts glatt entgangen ... :breitgrins:


    Ansonsten gebe ich Dir Recht. Die Keyserling-Figuren (z.B. Doralice in "Wellen") handeln sehr viel bewusster als die Edna von Kate Chopin. Vielleicht sollte ich doch noch einmal intensiver einsteigen ...


    Liebe Grüße


    Sir Thomas

  • Hallo zusammen,


    Zitat

    Ich glaube, das große Thema bei "Das Erwachen" ist nicht nur die Abkehr und damit den Untergang bzw. die Änderung der Gesellschaft, wie bei Keyserling und auch oft bei Fontane, sondern das Bewusstsein einer persönlichen und individuellen Persönlichkeit und deren Stellung zur Welt.


    seh ich auch so.


    mich faszinieren die "Bilder" die Kate Chopin heraufbeschwört. Dieses "Erwachen" hat auch etwas erschreckend animales in Edna geweckt. Als sie in Madame Antoines Hütte erwacht, da überkommt sie ein Hunger:

    Edna riß mit ihren kräftigen weißen Zähnen ein Stück von dem braunen Laib ab.


    sie aß nicht, sie "riß". So reißt sie vielleicht auch später Konventionen nieder, ohne an Konventionen zu denken, sondern einfach deswegen, weil sie einen "Hunger" verspürt. Man merkt die Krise bereits darin, wie sie ihrem Mann begegnet. Mit einer erschreckenden Kälte, würde ich mal sagen. Sie verwehrt ihm anscheinend das "gemeinsame Bett", denn Mr Pontellier spricht mit seinem Arzt über seine Frau und bemerkt, dass er seiner Frau erst am Frühstückstisch begegnet.


    Fazit des Arztes:
    Die Frau, mein lieber Freund, ist ein höchst eigentümlicher und empfindlicher Organismus .... Man müßte ein begabter Psychologe sein, um richtig mit ihnen umgehen zu können. Und wenn normale Männer wie Sie und ich versuchen, es mit ihren Eigenheiten aufzunehmen, kann das nur schiefgehen. Die meisten Frauen sind launisch und wunderlich.


    Edna ist ja eine imposante Erscheinung, doch nun glüht sie regelrecht, betrachtet andere Männer (z.B. bei dem soirées musicale), hört sich Jacob Lebruns frivole Erlebnisse an.


    und Mademoiselle Reisz spielt das Chopin-Impromptu, geht aber über in "Isoldes Liebestod", dann wieder das Chopin-Impromptu.


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

    Einmal editiert, zuletzt von JMaria ()


  • Hallo !



    Wasser und Mond - könnte auch ein Melusine-Motiv sein ! Robert spricht ja auch einmal von einem Geist.


    Hallo zusammen,
    hab ich ganz übersehen, Steffi.
    Ein guter Gedanke. Es ist ja auffallend, dass sie zuanfangs Angst vor dem Wasser hat, später das Wasser sie anzieht. Dann noch diese Legende - das passt doch sehr gut zusammen.


    Wolf:
    es gibt eine französische Comic-Reihe die heißt 'Melusine' - handelt aber von einer kleinen Hexe:


    http://www.dupuis.com/servlet/…SERIE&lang=UK&SERIE_ID=83


    (das nur nebenbei, weil ich darauf gestoßen bin)


    Mir fehlen noch ein paar Seiten, doch frage ich mich, ob es besser gewesen wäre, wenn dieser Robert dageblieben wäre. Die Affäre hätte sich vielleicht ausgelebt, wie ihre Schwärmerei als junges Mädchen für einen Filmstar. So steigert sie sich immer mehr rein und wirkt in ihrem Handeln zerstörerisch. Erwachen kann ja positiv und auch negativ verlaufen. Was meint ihr zu diesem Erwachen?


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo zusammen,


    ich habe jetzt gut zwei Drittel des Romanes gelesen.


    Zitat von "JMaria"

    mich faszinieren die "Bilder" die Kate Chopin heraufbeschwört. Dieses "Erwachen" hat auch etwas erschreckend animales in Edna geweckt.


    Als der Doktor die Pontelliers besucht, erinnert ihn Edna auch an ein Tier: <i>She reminded him of some beautiful, sleek animal waking up in the sun.</i> Außerdem ist da - wie so oft - vom "Erwachen" die Rede. Dabei sollte der Roman ursprünglich gar nicht "Awakening" heißen, sondern "Solitary Soul" (Einsame Seele), wie ich in Kindlers Literaturlexikon gelesen habe.


    Zitat von "JMaria"

    Man merkt die Krise bereits darin, wie sie ihrem Mann begegnet. Mit einer erschreckenden Kälte, würde ich mal sagen. Sie verwehrt ihm anscheinend das "gemeinsame Bett", denn Mr Pontellier spricht mit seinem Arzt über seine Frau und bemerkt, dass er seiner Frau erst am Frühstückstisch begegnet.


    Richtig, Mr. Pontellier offenbart sich hier seinem Arzt in einer etwas verschlüsselten Form. Wirklich nützlich war der Besuch beim Arzt allerdings nicht, denn der Doktor schlägt ja eigentlich nur vor, die Sache auf sich beruhen zu lassen, weil sich das nach einiger Zeit wohl wieder von selbst einrenken wird. Sehr optimistisch. ;-) Die beiden Eheleute haben offenbar keine gemeinsamen Interessen mehr, sie gehen ihre eigenen Wege, und Edna sagt im Gespräch mit Madame Ratignolle ganz offenherzig, daß sie froh ist, daß ihr Mann abends meist im Klub ist, weil sie gar nicht wüßte, was sie mit ihm reden sollte, wenn er zuhause wäre.


    Edna macht sich aber gar nicht bewußt, daß ihre Ehe in einer tiefen Krise steckt. Als ihr Mann eine längere Reise unternimmt, heißt es: <i>She cried when he went away, calling him her dear, good friend, and she was quite certain she would grow lonely before very long and go to join him in New York.</i> Dabei verstellt sie sich nicht etwa, sondern das sind offenbar ihre wahren Gefühle in diesem Augenblick. Kurz nach dem Abschied fühlt sie sich aber erleichtert: <i>When Edna was at last alone, she breathed a big, genuine sigh of relief. A feeling that was unfamiliar but very delicious came over her.</i> Das "Erwachen" von Edna geht nicht so weit, daß sie mit jemandem über diese neuen, ihr bislang unbekannten Gefühle sprechen kann, noch nicht einmal mit sich selbst. Sie setzt sich nicht mit ihren Gefühlen auseinander, sie macht sich nicht bewußt, was dies alles für ihr Leben bedeutet, sondern sie nimmt das einfach alles so hin und läßt es auf sich zukommen. Das kann nicht gutgehen.


    Schöne Grüße,
    Wolf

  • Hallo zusammen !


    Ich habe heute das Buch beendet. Ich habe zwiespältige Gefühle, weil ich die Persönlichkeit Ednas und das "Erwachen" nicht komplett nachvollziehen kann.


    JMaria schrieb:

    Zitat

    auch etwas erschreckend animales in Edna geweckt.


    Wie ich es verstehe, wird ja die Sinnlichkeit in ihr geweckt, das wäre ein sozusagen animalischer Trieb, oder ? Trotzdem kommt sie damit nicht zurecht und richtig, sie kann nicht mit ihrer Umgebung kommunizieren. Die Gründe dafür sind mir jedoch nicht klar.


    Edna verändert also ihr Leben, sie trennt sich von ihrem Mann, um ins Taubenhaus (steht die Taube für Keuschheit?) zu ziehen. Sie versucht, sich mit der Malerei selbstständig zu machen, es wirkt aber wie eine Ersatzhandlung für die Sinnlichkeit - bis zu einem gewissen Grad könnte ja auch malen sinnlich sein, aber Edna malt Skizzen und Porträits.
    Sie erwehrt sich der Avancen von Arobin und später auch von Robert, denn auch diese haben einen konventionellen Hintergrund, einmal Geliebte und einmal wieder Ehefrau zu werden, also quasi wieder in den "Besitz" eines Mannes überzugehen. Auch Mlle Reizs ist als Vorbild nicht hilfreich, denn sie ist nicht sinnlich, wenn man z.B. an den falschen Veilchenstrauß denkt und wird allgemein abgelehnt. Sinnlich ist zwar Mme Ratignolle, aber in einer mütterlichen Weise, die Edna ebenfalls ablehnt.


    Edna weiss aber gar nicht, welchen Weg sie einschlagen will, ihr fehlt ein Halt oder ein Vorbild, doch diese gibt es nicht, zumindest nicht in ihrer gesellschaftlichen Klasse. Ich frage mich, ob die eingestreuten Bilder der unteren Schicht einen Hinweis geben sollen ?


    Fazit ist, dass es für Edna keine Lösung gibt, dass sie aber auch nicht bewusst nach einer Lösung sucht. Ob sie dazu nicht in der Lage ist ?


    Mir bleibt ihre Persönlichkeit ein bißchen fremd, ein bißchen eher wie ein Muster, eingebettet in die sinnliche Welt der Südstaaten.


    Gruß von Steffi

  • Hallo zusammen,


    mir geht’s gerade nicht so gut, doch hier mein kurzer Abschlußbericht:


    Zitat von “Steffi“

    Fazit ist, dass es für Edna keine Lösung gibt, dass sie aber auch nicht bewusst nach einer Lösung sucht. Ob sie dazu nicht in der Lage ist ?


    Mir bleibt ihre Persönlichkeit ein bißchen fremd, ein bißchen eher wie ein Muster, eingebettet in die sinnliche Welt der Südstaaten.


    Zitat von “Wolf“

    Das "Erwachen" von Edna geht nicht so weit, daß sie mit jemandem über diese neuen, ihr bislang unbekannten Gefühle sprechen kann, noch nicht einmal mit sich selbst. Sie setzt sich nicht mit ihren Gefühlen auseinander, sie macht sich nicht bewußt, was dies alles für ihr Leben bedeutet, sondern sie nimmt das einfach alles so hin und läßt es auf sich zukommen. Das kann nicht gutgehen.


    euren Eindrücken kann ich nur zustimmen.


    Mein Fazit ergänzend wäre noch, dass einige Metapher in der Natur zu finden waren, auch die Musikstücken und die Literatur, die erwähnt wurde, fügte sich perfekt ins Bild. Es beginnt eigentlich schon im ersten Satz als von dem eingesperrten Papagei die Rede ist und draußen in Freiheit die Spottdrossel trällert... Das Meer haben wir bereits erwähnt ... usw.
    Musik: Liebestod der Isolde, Chopin .....Auch las Edna Ralph Waldo Emerson. Im Wikipedia heißt es zu ihm auszugsweise:


    „Sein erstes Buch, Nature, veröffentlichte er im Alter von 33 Jahren. In dieser Sammlung von Essays tritt er für seinen Glauben ein, dass Menschen in einfacher Art und Weise mit der Natur und natürlich mit sich selbst leben sollen.“ [http://de.wikipedia.org/wiki/Ralph_Waldo_Emerson]



    Harte Kritik bekam die Autorin von der Presse. Die harmloseste war noch im The Mirror zu lesen, der abschließend schrieb “cui bono“ (Wem nützt es? Wem dient es zum Guten?). Der St. Louis Daily Globe-Democrat schrieb, dass es „kein gesundes Buch“ sei.


    Interessant ist was Kate Chopin über die Protagonistin schrieb, als sie der Presse eine Antwort lieferte:


    „Ich hatte eine Gruppe von Leuten zu meiner Verfügung und dachte, es könnte (für mich selbst) unterhaltsam sein, sie zusammenzuwürfeln und zu sehen, was geschehen würde. Ich hätte mir nie träumen lassen, dass Mrs Pontellier das Spiel derart verderben und so auf ihren eigenen Untergang hinarbeiten würde, wie sie es schließlich tat. Hätte ich auch nur die leiseste Ahnung davon gehabt, dann hätte ich sie aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Aber als ich herausfand, was sie vorhatte, war das Spiel halb vorbei, es war schon zu spät.“ St. Louis, Mo., 28. Mai 1899 Kate Chopin


    Gruß
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo zusammen,


    im nachhinein merke ich, dass mich der Roman immer noch gedanklich beschäftigt. Wir wissen zwar, dass Frauen in diesem Jahrhundert schwer hatten sich außerhalb der Ehefrau- und Mutterrolle sich selbst zu verwirklichen, wenn der dringende Wunsch "erwacht" wäre. Richtig aussichtslos. Die eindringlichen Worte von Mdm Ratignolle "Denken Sie an die Kinder, Edna, denken sie an die Kinder! Vergessen Sie sie nicht!" , was meint ihr, hat sie damit Edna's Kinder gemeint, oder die noch kommenden Kinder, die aus einer Affäre entstanden wären?


    Ich bin von den bereits vorhandenen Kinder ausgegangen, doch Edna dachte wohl eher an die kommende Mutterrolle. Sie war gefangen als Gebärmaschine, in der Ehe und auch in einer Affäre.


    Erschreckend deutlich hat Kate Chopin dieses Ende ausgearbeitet. Eigentlich faszinierend,


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo !


    Zitat

    Ich bin von den bereits vorhandenen Kinder ausgegangen, doch Edna dachte wohl eher an die kommende Mutterrolle.


    Ich dachte eigentlich auch an die Kinder Ednas, von der anderen Seite habe ich es noch gar nicht betrachtet.


    Obwohl es ja eher ein "Frauenbuch" ist, sehe ich die Problematik auch auf unsere Zeit bezogen. Wie schwierig ist es, wenn in einem Wünsche erwachen, die nicht gesellschaftskonform sind ? Vielleicht auch nicht so sehr für die Außenwelt, sondern eher für die Person selbst. Wie konsequent kann man seinen eigenen Weg gehen und wie viele Menschen erwachen tatsächlich ? Dadurch, dass bei Chopin die Gesellschaft, repräsentiert von Ednas Mann und Mme Ratignolle, durchaus sympathisch dargestellt ist, wird der Aspekt, finde ich, mehr auf die innere Welt eines Menschen fixiert.


    Gruß von Steffi

  • Hallo zusammen,
    Hallo Steffi,


    vermutlich ging es wirklich nur um die vorhandenen Kinder, Raoul und Etienne. Ich habe die letzten Absätze nochmals gelesen. Beim ersten Mal hatte ich irgendwie einen anderen Eindruck. Jedenfalls schien sie sich von den Kinder überwältigt. Doch am Ende blieb Edna konsequent, denn sie hat ja zu beginn der Geschichte zu Mdm Ratignolle behauptet, sie würde sich nicht den Kindern opfern und das tat sie auch nicht:


    Doch sie wusste einen Weg, ihnen zu entkommen.


    Sie ging nackt ins Meer.


    Im Anhang meiner Ausgabe wird das so interpretiert, dass sie symbolisch zurück in die Gebärmutter geht (das Meer).


    außerdem heißt es dort u.a.:


    Auch Ednas Entwicklung beginnt im Kontakt mit dem Meer, Sinnbild elementarer, noch nicht vergesellschafteter Natur. Doch gibt es für sie als Frau weder eine eindeutige Möglichkeit der Reise noch die einer Wiederkehr: die Selbstverwirklichung einer weiblichen Heldin nach dem Muster einer auf das männliche Individuum zugeschnittenen literarischen Tradition scheitert an ihrer gesellschaftlich determinierten, als biologische Unausweichliche firmierenden Mutterrolle.


    Zitat von “Steffi“

    Obwohl es ja eher ein "Frauenbuch" ist, sehe ich die Problematik auch auf unsere Zeit bezogen. Wie schwierig ist es, wenn in einem Wünsche erwachen, die nicht gesellschaftskonform sind ? Vielleicht auch nicht so sehr für die Außenwelt, sondern eher für die Person selbst. Wie konsequent kann man seinen eigenen Weg gehen und wie viele Menschen erwachen tatsächlich ? Dadurch, dass bei Chopin die Gesellschaft, repräsentiert von Ednas Mann und Mme Ratignolle, durchaus sympathisch dargestellt ist, wird der Aspekt, finde ich, mehr auf die innere Welt eines Menschen fixiert.


    Guter Gedanke. Gerade weil Kate Chopin sich auf die innere Welt des Menschen (hier Edna) konzentriert, wirkt es auch so konsequent, als ob sie in einem Hohlraum lebt.


    viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo JMaria,
    hallo Wolf,
    hallo alle anderen Interessierten !


    Wie wäre es mit einer kurzfristigen Leserunde der zweiten amerikanischen Autorin: Sarah Orne Jewett "The Country of Pointed Firs" (Das Land der spitzen Tannen). Es ist ja nur ein dünnes Büchlein und sicher schnell zu schaffen. Den Text gibt es auch online bei bartleby.com


    Ich würde mich freuen, wenn wir recht bald eine Leserunde zu stande bringen könnten. Ich könnte sofort anfangen :zwinker:


    Gruß von Steffi


  • Hallo Steffi,


    ich bin dabei und kann ebenfalls sofort beginnen.


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo Steffi und Maria,


    sehr schön, dann brauche ich ja nicht mehr weiter nachzudenken, was ich heute abend lesen könnte. :-)
    Ich bin dann also ebenfalls dabei.


    Schöne Grüße,
    Wolf

  • Hallo zusammen !


    Ich hab also gestern bereits die ersten Kapitel gelesen. Der Stil ist sehr leicht und außerordentlich realistisch. Bilder kommen so gut wie nicht vor, an deren Stelle treten Beschreibungen der Landschaft und der Pflanzen. Alles wirkt sehr sympathisch und positiv. Wie mit kleinen Farbtupfern gemalt erscheinen winzige Beobachtungen, so konnte ich mir bei der Erwähung einer grauen Mauer sogleich die gesamte Umgebung samt Meeresrauschen und salziger Luft vorstellen.


    Außerdem ist mir noch der anfängliche Wechsel der Erzählperspektive aufgefallen, zuerst ein etwas lakonischer Anfang eines auktorialen Erzählers, dann ein wenig behutsamer übergehend bis zur Ich-Erzählerin.


    Wie sind eure ersten Eindrücke ?


    Gruß von Steffi

  • Hallo zusammen, hallo Steffi,


    den Wechsel der Erzählperspektive fand ich sehr auffallend, das hat mich etwas überrascht. Im Laufe des zweiten Kapitels geht das unvermutet in eine Ich-Perspektive über, wobei das zunächst noch ein bißchen hin und her schwankt (so heißt es in einem Satz "ich" und im folgendenen "die Untermieterin", womit aber dieselbe Person gemeint ist) bis sich dann endgültig das "Ich" durchsetzt.


    Bei der Beschreibung des Kräutergartens von Mrs. Todd spielen auch Düfte eine wichtige Rolle. Wenn Mrs. Todd (eine "recht umfangreiche Frau", wie es in der Übersetzung heißt ;-)) im Garten umherläuft, dabei auf Kräuter tritt und Kräuter pflückt, dann kann man mit etwas Erfahrung allein aus den dabei entstehenden Kräuterduftwolken erraten, an welcher Stelle im Garten sie sich gerade aufhält. :-)


    Ich habe gerade die Erzählung des Kapitän Littlepage fertiggelesen, der ein merkwürdiges Seemannsgarn spinnt: eine eisfreie Stadt in der Nordpolarregion, bewohnt von seltsamen Nebelwesen. Nachdem er das erzählt hat, starrt er geistesabwesend eine Wandkarte an und hat dann offenbar schon wieder vergessen, worüber er gerade geredet hat. Mrs. Todd sagt über den Kapitän:


    Zitat


    Und er war während all seiner Seemannszeit rein versessen aufs Lesen. Manche Leute meinen, er hätt's übertrieben und sein Kopf hätte Schaden genommen


    Ja, sowas gibt's tatsächlich. :breitgrins:


    Schöne Grüße,
    Wolf

  • Hallo zusammen,


    wir sind alle ungefähr gleich weit im Buch. Auffallend war für mich die Vielfalt an Düften. Der Erzählstil gefällt mir sehr gut.


    Heilen/Leben und Sterben/Tod/Vergänglichkeit spielen wohl auch eine große Rolle in der Geschichte:


    1) Mrs. Todd Kräuter zertritt auf ihrem Weg Kräuter. Das hat mich zuanfangs etwas entsetzt *grins*. Wolf du hast es oben bereits zitiert, ich übernehme das nochmals:


    (eine "recht umfangreiche Frau", wie es in der Übersetzung heißt ) im Garten umherläuft, dabei auf Kräuter tritt und Kräuter pflückt...



    ... zertreten und pflücken.


    2) Der Beerdigungszug.


    3) Die Vergänglichkeit der Zeitabschnitte kam auch in dem Ausspruch zutage:
    "Vom sozialen Standpunkt aus ist das Ende der Schiffahrt ein schrecklicher Verlust für diesen Teil Neu-Englands, Ma'am." (Kapitel Kapitän Littlepage)


    4) am Ende von Kapitel Die geheimnisvolle Stadt schaut der Kapitän sich die Landkarte an die im Schulhaus hängt:

    Hinter mir hing eine Landkarte von Nordamerika, und als ich mich ein wenig umdrehte, konnte ich erkennen, daß er seinen Blick auf die nördlichsten Gebiete geheftet hatte und betroffen ihre ausführlichen, neuesten Umrisse betrachtete.


    Ich glaube Kapitän Littlepage hat erst hier zur Kenntnis genommen, dass seit seiner Zeit der Seefahrt, das nördliche Gebiet keine Geheimnisse mehr birgt, sondern neu vermessen war. So habe ich das mal interpretiert.


    Zitat von "Steffi"

    den Wechsel der Erzählperspektive fand ich sehr auffallend, das hat mich etwas überrascht. Im Laufe des zweiten Kapitels geht das unvermutet in eine Ich-Perspektive über, wobei das zunächst noch ein bißchen hin und her schwankt (so heißt es in einem Satz "ich" und im folgendenen "die Untermieterin", womit aber dieselbe Person gemeint ist) bis sich dann endgültig das "Ich" durchsetzt.


    peinlich, das ist mir nicht aufgefallen. Natürlich fiel mir auf, dass es in der Ich-Perspektive erzählt wird, doch am Anfang war ich wohl zu unaufmerksam. Wenn ich euch nicht hätte :winken:


    Die Zeichnungen von Hanny Fries gefallen mir besonders gut. Sind das Tusche- oder Bleistiftzeichnungen?


    Die Malerin lebte in Zürich und ist 1999 verstorben.
    http://www.kunsthaus.ch/ausste…999/fries/fries_home.html


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

    Einmal editiert, zuletzt von JMaria ()

  • Hallo !


    Das ist ja witzig, dass euch das Kräuterzertreten so wichtig erschien. Es ist ja so, dass die meisten Kräuter normalerweise erst durch zerquetschen ihren Duft freigeben und aus diesem Grund kann man sich einen Duftrasen z.B. aus kriechendem Thymian pflanzen, auf den man da extra treten kann. Kam mir jetzt gar nicht besonders vor.


    "Vergänglichkeit" - das ist ein gutes Stichwort. Die Ich-Erzählerin plant ja auch, nur vorübergehend in dem beschaulichen Örtchen zu bleiben.


    Gruß von Steffi


  • Hallo Steffi,


    Duftrasen pflanzen - was für eine schöne Idee. Manche Kräuter wachsen ja wirklich wie Bodendecker.


    Vergänglichkeit und Neubeginn. Obwohl ich jetzt mit dem Wort "Neubeginn" noch nicht zufrieden bin, mir fällt nur gerade kein passender Begriff ein, der mir diesen Rhythmus, das mir das Buch vermittelt, ausdrückt.


    Spürt ihr auch diesen Lebensrhythmus?


    Ich glaube, das mach die Atmosphäre auch heimelig, wie man es sich für eine kleine Gemeinde vorstellt.


    Mrs Fosdick ist gerade zu Besuch, die gerne über alte Zeiten plaudert, aber Weisheit und Wärme finde ich bei Mrs. Todd.
    Besonders erkennbar in diesem Dialog:


    Ein fremdes Segel


    Mrs. Fosdick:
    "...Heutzutage begegnet man so vielen Menschen, die anscheinend weder Vergangenheit noch Zukunft haben. Die Unterhaltung muß Wurzeln in der Vergangenheit haben, sonst muß man jede Bemerkung umständlich erklären, und das macht einen ganz kaputt."


    Mrs. Todd:
    "Ja, alte Freunde sind immer am besten, falls man nicht auf einen neuen stößt, der dafür geeignet ist, daß man einen alten aus ihm macht!"


    ------------------


    Das Buch ist gespickt mit einfachen, aber doch eindringlichen Weisheiten:


    Green Island
    ..."Manche Leute waschen montags und bügeln dienstags, jahraus, jahrein, selbst wenn draußen vor ihren Fenstern der Zirkus vorbeizieht!"


    Schöne Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)