Arthur Schopenhauer

  • Ich zitiere mal meinen eigenen Beitrag vom 19. 09. 2003 aus dem Literatur-Café

    .


    Ich sehe ein, mir meine Haffmans-Ausgabe und die ergänzende Biographie von Rüdiger Safranski wieder einmal zu Gemüte führen zu müssen!


    Grüße, FA

    Daß man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! daß man sie nicht hinterdrein im Stiche läßt! - Der Gewissensbiß ist unanständig. - Friedrich Nietzsche - Götzen-Dämmerung, Spruch 10

  • Ich zitiere mal Eduard von Hartmann:


    Zitat

    Darum ist es auch charakteristisch, dass gerade der dilettantischeste aller namhaften Philosophen, Schopenhauer, sich über diese Anforderung des strengen Denkens hinwegsetzend, den Willen als Kern des eigenen Wesens unmittelbar im Bewusstsein zu finden behauptet.


    :smile:

  • Ich zitiere mal nicht.



    Wenn Schopenhauer den "Willen" als Kern des eigenen Wesens nennt, so hat er bis zu diesem Punkt eigentlich nur dem Ding an sich einen Namen (und natürlich eine Eigenschaft) verpasst, nicht der erste Versuch dieser Art in der Geschichte der Philosophie. Soweit noch kein Anlaß für Herrn von Hartmanns Denkkritik.
    Daß Sch. jedoch behaupten würde den Willen unmittelbar im Bewußtsein zu finden, wäre mir aber sowas von neu - allerdings spricht aus mir der unmittelbare philosophische Dilettant, ich mag mich völlig irren.
    Umgekehrt wird aber m.E. eher ein Schopenhauer passenderer Schuh draus: Das Bewußtsein kann sich gerade seiner Bedingtheit u.a. in philosophischer Reflexion selbst bewußt werden, nämlich, Produkt und Instrument einer transzendenten Kraft zu sein, die Schopenhauer Wille nennt, als dessen "Opfer"er die Menschheit sieht.


    Eine begründbare Annahme, die sich bester, moderner Gesellschaft erfreut - von Freud "Nicht Herr im eigenen Haus", bis zur heutigen Neurobiologie (Damasio/ Singer / Roth/ Changeux/ Ledoux).


    Daß Sch. den Willen nicht mittelbar über das Bewußtsein wirken sähe, sondern sozusagen als unmittelbaren Kern und Ausdruck des bewußten Wesens, wie Hartmann behauptet (der seinerseits ja eine Art spekulativen Erlösungs-Hegelianismus betrieb), hat sich mir jedenfalls an keiner Stelle seines Werks erschlossen, obgleich ich mich immer strebend mühte und noch mühe.


    Da es Schopenhauer aber nicht verdient hat, von Laienanwälten meines Potentials verteidigt zu werden, werde ich das fürderhin zu unterlassen versuchen und in der gleichen Zeit besser Schopenhauer lesen :breitgrins:


    Gruß
    g.


    2x Tippfehler editiert, alle weiteren belasse ich jetzt


  • Ich sehe ein, mir meine Haffmans-Ausgabe und die ergänzende Biographie von Rüdiger Safranski wieder einmal zu Gemüte führen zu müssen!


    Das nehme ich mir auch schon seit Jahren vor, die fast komplette Lektüre des Gesamtwerks (nur die Schrift zur Farbenlehre hatte ich weggelassen) ist entschieden zu lange her.


    gantenbeinin:


    Du hast sowas von recht. :klatschen:
    Kennst du "Nichts" von Ludger Lütkehaus ?


    Gruß
    Leibgeber

    Ich vergesse das meiste, was ich gelesen habe, so wie das, was ich gegessen habe; ich weiß aber soviel, beides trägt nichtsdestoweniger zu Erhaltung meines Geistes und meines Leibes bei. (G. C. Lichtenberg)


  • Ich zitiere mal nicht.


    Ich auch mal nicht.


    Zitat


    Wenn Schopenhauer den "Willen" als Kern des eigenen Wesens nennt, so hat er bis zu diesem Punkt eigentlich nur dem Ding an sich einen Namen (und natürlich eine Eigenschaft) verpasst, nicht der erste Versuch dieser Art in der Geschichte der Philosophie. Soweit noch kein Anlaß für Herrn von Hartmanns Denkkritik.
    Daß Sch. jedoch behaupten würde den Willen unmittelbar im Bewußtsein zu finden, wäre mir aber sowas von neu - allerdings spricht aus mir der unmittelbare philosophische Dilettant, ich mag mich völlig irren.


    Keineswegs.
    Inwieweit er den Willen mit dem Kant'schen Ding an sich identifiziert, inwieweit er da Modifizierungen vorgenommen hat, das weiß ich nicht mehr. Müsste ich nachlesen. Aber der Wille findet sich natürlich nicht im Bewusstsein, er steht ja außerhalb aller Vorstellung, er ist, wie das Ding an sich, transzendental.

    Ich vergesse das meiste, was ich gelesen habe, so wie das, was ich gegessen habe; ich weiß aber soviel, beides trägt nichtsdestoweniger zu Erhaltung meines Geistes und meines Leibes bei. (G. C. Lichtenberg)

  • Ich bleibe vorerst beim Zitieren. :smile:



    Keineswegs.
    Inwieweit er den Willen mit dem Kant'schen Ding an sich identifiziert, inwieweit er da Modifizierungen vorgenommen hat, das weiß ich nicht mehr. Müsste ich nachlesen. Aber der Wille findet sich natürlich nicht im Bewusstsein, er steht ja außerhalb aller Vorstellung, er ist, wie das Ding an sich, transzendental.


    Zitat

    Nun aber habe ich, als Gegengewicht dieser Wahrheit, jene andere hervorgehoben, daß wir nicht bloß das erkennende Subjekt sind, sondern andererseits auch selbst zu den zu erkennenden Wesen gehören, selbst das Ding an sich sind; daß mithin zu jenem selbsteigenen und inneren Wesen der Dinge, bis zu welchem wir von Außen nicht dringen können, uns ein Weg von Innen offen steht, gleichsam ein unterirdischer Gang, eine geheime Verbindung, die uns, wie durch Verrath, mit Einem Male in die Festung versetzt, welche durch Angriff von außen zu nehmen unmöglich war. – Das Ding an sich kann, eben als solches, nur ganz unmittelbar ins Bewußtseyn kommen, nämlich dadurch, daß es selbst sich seiner bewußt wird: es objektiv erkennen wollen, heißt etwas Widersprechendes verlangen. Alles Objektive ist Vorstellung, mithin Erscheinung, ja bloßes Gehirnphänomen.


    Arthur Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung. Bd. 2. Ergänzungen zum zweiten Buch. Kap. 18. Von der Erkennbarkeit des Dinges an sich. [Halbfett ausgezeichnete Stellen sind im Original gesperrt. Rote Textauszeichnung nicht im Original.]


    Viel Spaß beim Widerlegen!

    Einmal editiert, zuletzt von bonaventura ()


  • Viel Spaß beim Widerlegen!


    :breitgrins: I stand corrected.
    Ich will gar nicht davon anfangen, wie anders ich, beim fortlaufenden lesen, diesen Satz verstanden hatte - so eine Art dualistisches Bewußtsein konstruiert habend...hie-Ich-Bewußtsein, da-Wille- ......etc. blabla.
    Ich werde den mir gewünschten Spaß hoffentlich bei erneutem Lesen und Nachdenken haben und Danke für die Veranlassung meinem Enthusiasmus endlich wieder die Quellen aufzufrischen.


    Gruß
    g.


  • Kennst du "Nichts" von Ludger Lütkehaus ?


    Ja, habe ich und da ist mir z.B.unter anderem erstmals der Knopf aufgegangen (Groupies sind per se unkritisch), daß Sch. das Nichts nicht nichts sein lassen konnte (das sälige Nichts).


    Mit dem mir, eben von Bonaventura, vor den Bug geknalltem Zitat, werde ich länger kämpfen - hoffentlich finden sich dem Dilettanten gewogene Diskutanten.
    Ich sehe da (leider sehr unklar) nach wie vor einen Unterschied zwischen dem sich in uns (dem Objekt) - wohl doch leider unmittelbar :breitgrins: - selbst bewußt werdendem Willen und einem Bewußtsein des Ich (auf das ich mich bezogen hatte). Ich bekomme diese (von mir angenommene und auch für plausibel gehaltene) Dichotomie aber leider sprachlich und/oder gedanklich nicht geordnet- ich wollte ich könnte zuversichtlich sagen:"noch nicht" und "wegen der späten Stunde"; fürchte aber, dass es daran nicht liegt :redface:


    Gruß
    g.

  • @bonaventura


    Nachtwachen sind ja Deine Domäne und bei mir leider nicht sonderlich produktiv.
    Aber, Kapitel 18, aus dem Dein Zitat stammt und Kapitel 30 haben mich, wenigstens in meinen eigenen Irrungen und Wirrungen, wieder etwas Land sehen lassen. Natürlich! - zwei Ebenen: Vorstellung und Wille.


    Sch. verwendet seine gesamte Sprachgewalt und ungeheuer viel Raum darauf (weshalb mir, bei dieser Problematik, herausgebrochene Zitate wenig hilfreich erscheinen, eher im Gegentum), um im Kontext immer wieder akribisch zu trennen. Dennoch kann der Trigger eines multipotenten Begriffes zu einem, gänzlich unbemerkten, Wechsel der Ebenen führen.
    So bei mir, die ich, weil auf die falsche Spur geraten, das "unmittelbar" meinte attackieren zu müssen. Und so (erkühne ich mich zu spekulieren) vielleicht bei v.Hartmann, der seine Kritik möglicherweise u.a. daran festmachte, daß ein "Bewußtwerden" des Ding an sich scheinbar gleich mit "Erkenntnis" ist und damit dieses in den Objektbereich verschieben würde.
    Das unmittelbare Bewußtwerden des Willen ist aber etwas qualitativ ganz anderes, als das Bewußtwerden der Vorstellung. Unsere Sprache leiht sich dem dazu eigentlich notwendigem, ganz anderen Begriff nicht. Alles natürlich "m.E.", so, wie ich Sch. "verstehe".
    Ich halte das, in der irritierenden Problematik, für einen ähnlichen Fall, wie den Versuch, sich bei der Lösung der Frage: Willensfreiheit vs kausale Determiniertheit, klar und logisch jemals auf eine Seite schlagen zu können. Denken und Sprache sträuben sich gegen die, in beiden Fällen, einfach nicht zu gewinnende Präzision. Hier jetzt: sobald es um das Ding an sich geht, nolens volens nur ausgestattet mit dem Werkzeug eines Sprachschatzes der ausschließlich aus der Welt der Vorstellung stammt, ist die Verwirrung programmiert. Und das abendländische Hirn ist nicht für veritable Koans strukturiert (meines jedenfalls sicher nicht ), die die Untauglichkeit sprachlicher Logik für derlei Klärungsversuche wohl demonstrieren können/sollen. Schopenhauer versucht mit unermüdlich, repetitiver Präzision das Nichtformulierbare zu formulieren. Weshalb ich ihn, nach vielen Jahren, endlich wieder genau und langsam lesen muß.


    In der Diskussion insgesamt (deren eigentliches Thema mir nächtens immer wieder abhanden kam
    :breitgrins:) habe ich nicht viel gewonnen :sauer: - aber wenigstens sind mir meine persönlich- speziellen, sowie die grundsätzlichen Unklarheiten wieder etwas deutlicher geworden - ein Akt also der Selbstbefriedigung. Besten Dank für die Gelegenheit!


    Liebe Grüße
    g.

  • Hallo gantenbeinin,


    ich bin mir nicht sicher, ob ich alles, was Du sagen willst, auf Anhieb verstanden habe, aber versuchen wir es mal. :smile:



    Sch. verwendet seine gesamte Sprachgewalt und ungeheuer viel Raum darauf (weshalb mir, bei dieser Problematik, herausgebrochene Zitate wenig hilfreich erscheinen, eher im Gegentum), um im Kontext immer wieder akribisch zu trennen. Dennoch kann der Trigger eines multipotenten Begriffes zu einem, gänzlich unbemerkten, Wechsel der Ebenen führen.


    Was hier "gänzlich unbemerkt" heißen soll, verstehe ich nicht. Schopenhauer hat bei seiner Theorie grundsätzlich das Problem zu bewältigen, dass er einerseits Kants strenge Bestimmung der Unerkennbarkeit des D.a.s. aufrecht erhalten will bzw. muss. Auf der anderen Seite will zugleich eine positive Bestimmung des Wesens des D.a.s. vornehmen – er will nämlich behaupten, das D.a.s. sei Wille. Das mag nun einigen Menschen intuitiv einleuchten, andere mögen es für Unfug halten – wie auch immer es ist, Schopenhauer muss eine Weg finden, wie er für diese Bestimmtheit des Unbestimmten aufkommen kann. Dies geschieht, indem er behauptet, das Wesen seiner eigenen Existenz komme dem Menschen in seiner eigenen Person unmittelbar zu Bewusstsein. Mittelbarkeit ist nicht möglich, weil wir dann schon wieder eine »Vorstellung« hätten, sondern nur unmittelbares »ins Bewusstsein kommen«.


    Zitat

    So bei mir, die ich, weil auf die falsche Spur geraten, das "unmittelbar" meinte attackieren zu müssen. Und so (erkühne ich mich zu spekulieren) vielleicht bei v.Hartmann, der seine Kritik möglicherweise u.a. daran festmachte, daß ein "Bewußtwerden" des Ding an sich scheinbar gleich mit "Erkenntnis" ist und damit dieses in den Objektbereich verschieben würde.


    Daran ist ja nichts »scheinbar«. »Wille« ist ein Bestimmtes, es hat Eigenschaften, z.B. ist der Wille gerichtet auf etwas oder kann es sein; »Wille« nach Schopenhauer ist nicht frei; »Wille« unterscheidet sich von anderen psychischen Phänomenen etc. pp. Wenn mir der Wille unimmtelbar im Bewußtsein zugänglich sein soll, so muss dafür aufgekommen werden, wie sich diese Bestimmtheiten und Differenzen einstellen, ohne dass es sich um eine Erkenntnis handeln soll. Anders gewendet: Schopenhauers Lösung funktioniert nicht; ein priviligierter Zugang zum Ding an sich über ein unmittelbares Bewusstsein kann zwar behauptet, aber in keiner Weise einsichtig gemacht werden. Alles, was im Bewusstsein ist, ist in irgendeiner Weise bestimmt – schon allein deswegen, weil es »im Bewusstsein« ist. Für sein »unmittelbar zu Bewusstsein kommen« kann Schopenhauer nicht aufkommen und tut das – soweit ich sehe – auch nirgends.


    Das grundsätzliche Problem der Schopenhauerschen Erkenntnistheorie bleibt, dass man nicht zugleich strenger Kantianer sein (Unbestimmtheit des D.a.s.) und eine Bestimmung des Wesens des D.a.s. vornehmen kann. Da hilft auch kein »unmittelbarer Zugang« des eigenen Wesens.


    Zitat

    Das unmittelbare Bewußtwerden des Willen ist aber etwas qualitativ ganz anderes, als das Bewußtwerden der Vorstellung. Unsere Sprache leiht sich dem dazu eigentlich notwendigem, ganz anderen Begriff nicht. Alles natürlich "m.E.", so, wie ich Sch. "verstehe".


    Entschuldige, aber dergleichen sind »philosophische Ausreden«. Wenn wir es verstehen, können wir es sagen, ansonsten haben wir es nicht verstanden. Wenn wir es nicht sagen können, verstehen wir es nicht. Du trittst ja gerade den Gegenbeweis für das an, was Du behauptest, indem Du eine Differenz formulierst, die man angeblich sprachlich nicht fassen kann.


    Zitat

    Ich halte das, in der irritierenden Problematik, für einen ähnlichen Fall, wie den Versuch, sich bei der Lösung der Frage: Willensfreiheit vs kausale Determiniertheit, klar und logisch jemals auf eine Seite schlagen zu können. Denken und Sprache sträuben sich gegen die, in beiden Fällen, einfach nicht zu gewinnende Präzision. Hier jetzt: sobald es um das Ding an sich geht, nolens volens nur ausgestattet mit dem Werkzeug eines Sprachschatzes der ausschließlich aus der Welt der Vorstellung stammt, ist die Verwirrung programmiert. Und das abendländische Hirn ist nicht für veritable Koans strukturiert (meines jedenfalls sicher nicht ), die die Untauglichkeit sprachlicher Logik für derlei Klärungsversuche wohl demonstrieren können/sollen. Schopenhauer versucht mit unermüdlich, repetitiver Präzision das Nichtformulierbare zu formulieren. Weshalb ich ihn, nach vielen Jahren, endlich wieder genau und langsam lesen muß.


    Schopenhauer stellt einfach eine Behauptung auf, für die er weder systematisch noch sonstwie nicht aufkommen kann. Nicht mehr und nicht weniger. Was Du formulierst, ist – wenn ich es richtig verstehe – ein Akt der Religiösität: »das Nichtformuliertbare formulieren«. Das entspricht, soweit ich sehe, durchaus nicht Schopenhauers Selbstverständnis.

    Einmal editiert, zuletzt von bonaventura ()

  • @bonaventura



    Entschuldige, aber dergleichen sind »philosophische Ausreden«.


    Da hat natürlich der reine Laie Vorteile, weil er nicht lege artis operieren muß. Um so rührender (wirklich!) finde ich, daß jemand sich die Mühe macht, auf mein unausgegorenes Zeug einzugehen.
    Aber, die kulturellen Einengungen unseres Denkens durch Begriffe und Syntax, das ist ja nichts auf meinem Mist Gewachsenes - da sind doch effektive Grenzen; wenn man nicht versucht die, wie auch immer (Schopenhauer hat es auch mit den Upanishaden versucht) zu sprengen, kann man doch nur innerhalb des Zaunes bleiben. Will man aber raus entsteht natürlich Bruch, mit dem dann auch umzugehen ist.


    Wenn wir es verstehen, können wir es sagen, ansonsten haben wir es nicht verstanden. Wenn wir es nicht sagen können, verstehen wir es nicht. Du trittst ja gerade den Gegenbeweis für das an, was Du behauptest, indem Du eine Differenz formulierst, die man angeblich sprachlich nicht fassen kann.


    Im kodifizierten Rahmen, sicher. Und ich weiß natürlich, daß mir meine blumigen Windungen weder überhaupt bei Dir, noch restlos bei mir selbst raushelfen. Es ist aber nicht so sehr eine Schopenhauer-Religion oder -Esoterik, die mich hier faseln läßt, sondern mein tief verwurzelter Glaube, daß, wenn man sich immer und nur an Regeln, auch an intellektuelle hält und Verstöße nur entwertet, entdeckt man manches Potential und manch wirklich Neues nicht. Und, das Nichtformulierbare gibt es, und den immerwährenden Versuch es dennoch zu formulieren ebenfalls.
    Aber, der Mensch irrt ja bekanntlich so lange er strebt und darin wenigstens habe ich reichlich Erfahrung.


    Ich bitte um Verzeihung für das unüblich bunte Bild. Es war die einzige Möglichkeit meine Zitierunfähigkeit zu kompensieren - auch etwas mit dem ich hinter dem Mond lebe. Ich berufe mich auf einen Seniorenbonus und danke für die immer wieder überraschende Freude im virtuellen Bereich von jungen Männern noch wahrgenommen zu werden :breitgrins:


    Gruß
    g.


    ceterum censeo bin ich von dieser Diskussion grenzenlos überfordert, was offensichtlich ist. Man sollte nicht in's Wasser springen, wenn man nicht schwimmen kann

  • Da Du selbst die Diskussion ja in gewisser Weise schon eingeschränkt hast, vielleicht nur noch eine Anmerkung zu einem einzelnen Punkt.



    Will er strenger Kantianer sein, muß er? Er geht von Kant aus, aber bleibt nicht bei Kant stehen. Angesichts der uns allen innenwohnenden Empfindung, daß wir mehr sind als nur die Vorstellung, finde ich - wenn man nicht reiner Konstruktivist sein will - Schopenhauers Ansatz beflügelnd. Daß er Fehler hat entwertet ihn nicht als Ganzen. Ihn aber wegen dieser im Ganzen abzuhaken, würde den Zugang zu den Meriten seiner Philosophie doch (sophistisch?)verbauen.


    Er will und muss in wenigstens einem Punkt Kantianer sein: In der prinzipiellen Unterscheidung zwischen Subjekt und Objekt, also der – in seinen Worten – zwischen Wille und Vorstellung. Und gerade darin liegt zum einen die Krux, zum anderen die unterhintergehbare Naivität des Schopenhauerschen Ansatzes. Das hätte er auch längst wissen können, wenn er versucht hätte, die Bücher seines Doktorvaters zu verstehen, statt sich über deren Sprache und dessen Physiognomie lustig zu machen.

  • [quote='bonaventura','http://klassikerforum.de/forum/index.php?thread/&postID=26650#post26650']
    Da Du selbst die Diskussion ja in gewisser Weise schon eingeschränkt hast, vielleicht nur noch eine Anmerkung zu einem einzelnen Punkt.


    Gut und schade zugleich. Es hätte mich interessiert, ob Du meine Vorstellung einer prinzipiellen Erkenntniseinschränkung durch die sprachlich gebundenen Gedanken für Quatsch hältst oder ob Du ihr etwas abgewinnen kannst.


    Er will und muss in wenigstens einem Punkt Kantianer sein: In der prinzipiellen Unterscheidung zwischen Subjekt und Objekt, also der – in seinen Worten – zwischen Wille und Vorstellung.


    Und Kant hat sich ja beim Subjekt völlig zurückgehalten, war also absolut logisch konsistent. Aber was heißt das jetzt für uns, heute und immer? Ist es überhaupt obsolet die uralten Fragen - wo kommen wir her, wo gehen wir hin - zu stellen? Obgleich sie sich uns aufdrängen, es letztlich der Dreh-und Angelpunkt aller Philosophie ist, wir aber wissen, daß ein, dem Objekt notwendiges Subjekt per definitionem nie fassbar sein wird?

    Trial and error hier einen Fuß in die Türe zu bekommen wird weitergehen solange es Menschen gibt - bei jenen jedenfalls, die den Mut auch zu Fehlern haben. Man kann nicht mal versuchen einen anderen Kontinent zu erreichen, wenn man nicht bereit ist bekanntes, festes Land zu verlassen.


    Daß Schopenhauer eitel, impertinent, polemisch war, da gibt es keinen Zweifel. Ihn für naiv und zu dumm die Bücher seines Doktovaters zu verstehen zu halten, das geht, angesichts seines Werks, Mißgriffe inklusive, aber dann doch wohl erheblich an seiner geistigen Potenz vorbei. Das aber nur am Rande, ich bin ja nicht sein Ritter.


    Gruß
    g.

  • Hallo


    In meinem Philosophiestudium habe ich Schopenhauer gelesen, aber nur nebenbei und sporadisch, mehr von der Sprache und den Details entzückt als von der für mich nicht stringenten Beweissführung.


    In der akademischen Philosophie kommt Schopenhauer so gut wie nie vor. Jedenfalls kann ich mich nicht an eine Vorlesung oder ein Seminar erinnern, wo seine Philosophie genauer thematisiert wurde. Dafür schreibt es zu klar, zu anschaulich, dafür bietet er dem akademischen Diskurs zu wenig Unklarheiten. So gibt es eine ausgedehnt Hegelphilologie, aber keine Schopenhauerphilologie.


    Das Problem für Schopenhauer war, den für ihn zu engen Rahmen der Kantischen Philosophie sprengen zu müssen, ohne die wesentlichen Errungenschaften Kants aufzugeben. Er blieb im Rahmen des Kantischen Jargons und seiner Transzendentalphilosophie, daher die Betonung des "Ding an Sichs", musste aber genau diesen erkenntnistheoretischen Fesseln sprengen, um sein Konzept des "Willens" unterzubringen.


    Von daher halte ich es für müssig, ihm hier innere Widersprüche, die zweifellos vorhanden sind, nachzuweisen. Natürlich klafft in seiner Argumenation da ein Loch, das er mit einer konnotativen Veränderung der Begriffe zu schliessen sucht.
    Aber deshalb wird seine Philosophie nicht unwahrer.


    Ralf

  • Und das hängt vor allem damit zusammen, dass unsere okzidentale Syntax und Semantik zur Beschreibung vieler gerade psychischer Phänomene ungeeignet ist. Deshalb hat mich Wittgenstein so geprägt, weil er als erster Philososoph die Grenzen gerade unserer Sprache thematisiert hat, ohne gleich zu einer Lösung zu kommen.


    Man muss bedenken, dass Kant sehr naturwissenschaftlich orientiert war, also das Hauptproblem darin sah, wie eine Metaphysik mit wissenschaftlichen Methoden gerechtfertigt werden könne.


    Daher ist bei Kant die Seele und das Bewusstsein absolut rationalistisch, durch Begriffe, und seinen sie transzendental, erfassbar.


    Schopenhauer hingegen hat als erster Philosoph des Okzidents eine Vorstellung von der Welt des Unbewussten gehabt. Aber das Unbewusste, der dunkle Teil der Seele, das Unbewusste der Natur, Evolution war damals ja noch völlig unbekannt, konnte mit den damaligen Begrifflichkeiten der Philosophie nicht erfasst, geschweige denn seziert werden. Schopenhauer musste also zu den Begrifflichkeiten seine Zuflucht nehmen, die er vorfand. aber gleichzeitig diese Begrifflichkeiten transzendieren.


    Er war ja auch ein grosser Verehrer der indischen Philosophie und fand in dieser sein Konzept bestätigt.


    Man muss auch bedenken, wie Schelling in seiner Spätphilosophie mit der Sprache ringt, um ähnliche Phänomene begrifflich zu gestalten, um dann bei der Gnosis zu landen.


    Das ist ein riesiges Feld, wo es noch viel zu beackern gibt. Denn ähnliche Probleme hat natürlich auch die Philosophie im 20. Jahrhundert. Ich habe bei einem grossen Wittgensteinkenner studiert, und er legte in seinen Seminaren den Schwerpunkt von Wittgenstein immer auf dessen Gegnerschaft zu Platon und Kant.


    Rolf

  • Von daher halte ich es für müssig, ihm hier innere Widersprüche, die zweifellos vorhanden sind, nachzuweisen. Natürlich klafft in seiner Argumenation da ein Loch, das er mit einer konnotativen Veränderung der Begriffe zu schliessen sucht.
    Aber deshalb wird seine Philosophie nicht unwahrer.


    Hallo Rolf53,


    meine letzten Beiträge waren u.a. der Versuch, die Diskussion, von der Fehlernachweis- auf eine Metaebene zu bekommen. Nicht um "Religiosität" (so bonaventura ) geht es mir, sondern um den Reichtum der Sch.Philosophie, statt, bei aller berechtigten Kritik, nur buchhalterische Abschreibung zu betreiben. Es ist mir nicht geglückt, was sicher auch an meiner Fach- und Sachunkundigkeit liegt.


    Um so glücklicher bin ich, daß mich nun plötzlich ein Fachkundiger aus meiner Argumentationseinsamkeit befreite :klatschen:


    Die Unwilligkeit bis Feindseligkeit, mit der das akademische Establishment völlig eigenständig und selbstbewußt auftretend Denkenden begegnet, die gibt es auch in anderen Bereichen.
    Besonders in der mir geläufigeren Medizin. Paradebeispiel aber die Psychoanalyse, die ihren Status mit einer, sachlich nirgends gebotenen, mystifiziernden Sprache schützt und sich, u.a. auch damit, selbst langfristig am meisten schadet, denn die kryptische Dunkelheit blockiert vorrangig die Gehirne ihrer Vertreter - Scheinterminologie als Abgrenzungsinstrument.


    Schopenhauer war nicht nur durch seine privilegierte Herkunft bildungsmäßig überreich ausgestattet, sondern auch intellektuell nahezu völlig frei, erleichternd dabei eben auch seine materielle Unabhängigkeit. Er hat deshalb die, für andere unumgänglichen, üblichen Unterwerfungsgesten vor den Hierarchien des System nicht geleistet - der Zorn darob scheint erstaunlicherweise von heute bis in die Vergangenheit zurück zu reichen. Weshalb er mit Verdikten, wie "naiv", "dilettantisch" belegt wird :rollen:


    "B i l d u n g verhält sich zu natürlichen Vorzügen des Intellekts, wie eine wächserne Nase zu einer wirklichen, auch wie Planeten und Monde zu Sonnen. Denn vermöge seiner Bildung, sagt der Mensch nicht was er denkt, sondern was Andre gedacht haben und er gelernt hat. (An Rande:Dressur!); und er thut nicht sogleich was er möchte, sondern was man ihn zu thun gewöhnt hat."
    Handschriftlicher Nachlaß 4,1 - 26, S.12


    Wer so empfindet (m.E. häufig sehr zu recht) und dabei die anderen lediglich als "Monde", als "wächsernde" Kopien sieht, kann kein Interesse für seine Arbeit erhalten, denn er hat, gerade den Schwächeren, Abhängigen - psycho-logisch - den Zugang verunmöglicht.


    Einen großen Dank, für die profunde Formulierung dessen, was meine schwachen Kräfte nicht leisten konnten!
    Gruß
    g.

  • Das ist ja interessant, was du schreibst.


    Ich habe selbst eine fette Schwarte über erkenntnistheoretische Probleme bei Freud und Jung geschrieben. Das ist aber schon 25 Jahre her, und gerade die Entwicklung der Psychoanalyse habe ich aus den Augen verloren.


    Nun, was das akademische Establishment angeht:


    Natürlich besteht der wissenschaftliche Diskurs vor allem aus Anschlussfähigkeit, wie mein Lehrer Luhmann oft sagte. Das heisst, die Wahrheitsfrage ist nicht unbedingt primär. sondern vor allem die Standards innerhalb der Scientific Community. Die beziehen sich fast immer auf ein gewisses Paradigma, das gerade wissenschaftlich anerkannt wird, und Karriere innerhalb der Universität kann man nur machen, wenn man sich einem in der Gunst der Community aufsteigendem Paradigma anschliesst.


    Man denke an die Frauenforschung, die Gender-Studies, die tausenden von (zumeist) Frauen zu Lohn und Brot verholfen haben. Wichtig ist in der Sozialwissenschaft und Geisteswissenschaft dann vor allem ein bestimmter Jargon.


    Und natürlich gibt es das fundamentale Genie ausserhalb der Community. Ich selbst habe so ein Exemplar kennengelernt und war ungeheuer beeindruckt. Aber anschlussfähig in dem Sinne ist dieses Genie meist nicht, das heisst, man kann keine Karriere machen oder Lorbeeren ernten, wenn man versucht, seine Thesen weiterzuverbreiten.


    Schopenhauer war so eines dieser Genies, und als seine Zeit kam, hat er ja dann auch Furore gemacht, genau wie Nietzsche. Heimisch geworden an der Uni sind sie beide nicht, was natürlich auch an ihrer kräftigen Verachtung der Universitätsphilosophie lag.


    Ich vergleiche das etwas mit der Musik, genauer gesagt mit den Pianisten. Ich selbst habe noch Klavier studiert und mich in der Szene umgeschaut.


    Und da gibt es die hochberühmten Pianisten, die berühmten Klavierprofessoren. Und manchmal trifft man zufällig auf einen Pianisten oder eine Pianistin, die wunderschön spielt, oft weit besser als berühmte Namen,die aber aus diversen Gründen keine Karriere gemacht hat oder machen wollte.


    Die bekommen aber keine Agentur, die sie vermittelt. So ist das mit der Berühmtheit.


    Rolf

  • @Bonaventura


    Du erinnerst mich an meine Seminare über Wittgenstein. Da sass auch immer ein älterer Kantianer drin, der ähnlich wie du argumentiert hat.


    Mein Professor hat versucht, das neue Wittgensteinsche Paradigma zu erklären, aber der Kantianer kam aus seinen Begrifflichkeiten nicht heraus. Das Seminar endete dann oft in einem Eklat. Einmal verliess er unter Protest den Raum mit der Bemerkung, so einen unwissenschaftliche Sch... würde er sich nicht antun.


    Rolf

  • Die bekommen aber keine Agentur, die sie vermittelt. So ist das mit der Berühmtheit.


    Deinem Erfahrungsschatz möchte/kann nur ich hier zwei second-handysche Brosamen andienen.


    Esther Villar: "Der betörende Glanz der Dummheit" mit schönen Beobachtungen dessen, was nach "Oben" kommt und was nicht.


    Dieter Zimmer:"Tiefenschwindel", eine mit reichhaltigem Material versehene Auseinandersetzung mit Psychotherapie im allgemeinen, aber Schwerpunkt Psychoanalyse.
    Im Anhang die brieflichen Eruptionen der, teils prominenten, betroffenen Vertreter :breitgrins:


    Gruß
    g.


  • Von daher halte ich es für müssig, ihm hier innere Widersprüche, die zweifellos vorhanden sind, nachzuweisen. Natürlich klafft in seiner Argumenation da ein Loch, das er mit einer konnotativen Veränderung der Begriffe zu schliessen sucht.


    Philosophie besteht ausschließlich in der Bildung logisch konsistenter Theorien. Theorien, denen logische Inkonsistenz nachgewiesen wird, taugen nichts.


    Zitat

    Aber deshalb wird seine Philosophie nicht unwahrer.


    Falls eine Philosophie überhaupt »wahr« sein kann, wird sie es dadurch sicherlich!

    Einmal editiert, zuletzt von bonaventura ()