Mai 2007 - Rabelais: Gargantua und Pantagruel


  • Im Moment ist Pantagruel damit beschäftigt, einen seit Jahrzehnten vor Gericht liegen gebliebenen Fall als Richter aufzulösen. Im Grossen und Ganzen scheint mir im Moment die Kritik an staatlichen Institutionen grösser zu sein als die an kirchlichen, i.e. der Sorbonne.


    Nur kurz: Die Sorbonne war Hort einer reaktionären, katholischen Lehre, hat sich als Gegnerin des Humanismus geriert und kann (muss?) als kirchliche Institution betrachtet werden. Gerade zu Zeiten R.s hatte sie einen sehr konservativen Charakter und verstand sich als Verteidigerin einer restriktiven, kirchlichen Moral. Ich vermute, dass, wenn R. Sorbonne schreibt, er ausschließlich sich auf die dortige theol. Fakultät bezieht.


    Grüße


    s.

  • Hallo!



    [Ich bin unterdessen bis zu Kapitel 12 von "Pantagruel" vorgestossen.


    Das ist ja eine seltsame Lesepause :zwinker:


    Ich bin mit "Gargantua" nun fertig, und werde eine echte Lesepause einlegen.


    Sehr interessant fand ich in der zweiten Hälfte die Gegenüberstellung der beiden Kriegsparteien. Auf der einen Seite Pikrocholus als George W. Bush der Renaissance, der aus Vorwänden Krieg führt, auf dämliche Berater hört und allen rationalen Argumenten unzugänglich ist. Auf der anderen Seite Grandgoschier, den Rabelais eigentlich schon wie einen aufgeklärten Fürsten aus dem 18. Jahrhundert anlegt und ihm entsprechende Worte und Werte in den Mund legt. Etwa im 45. Kapitel, wo er die Pilger "belehrt" und sich über die klerikalen Erklärungsversuche der Pest lustig macht. Auch der Gegenwurf der Thelemiten zum üblichen Ordensleben gefiel mir gut.


    CK


  • Das ist ja eine seltsame Lesepause :zwinker:


    Öhm ... ja :zwinker: . Der Gründe sind zwei: Wir haben wegen schlechten Wetterprognosen einen für Donnerstag geplanten Ausflug verschoben. Was sollte ich mit der gewonnen Zeit anfangen? - Genau: Schreiben und Lesen ... :breitgrins: Der andere Grund: Hyperion und Gargantua sind sich wider Erwarten in meinem Geist nicht allzusehr in die Quere gekommen, ich konnte also parallel lesen.


    Unterdessen habe ich einige der Streiche Panurges kennengelernt. Klassische Eulenspiegeleien: skatologisch, obszön, bösartig ...


    Pantagruel ist spachlich anders gehalten; Rabelais spielt weniger mit seinen Aufzählungen, er geht rascher vorwärts. Er spielt sehr wohl mit der Sprache, so, wenn er diesen unmöglichen und äusserst schwierigen Prozess darstellt, wo Kläger, Beklagter und Richter letzten Endes nur gelehrt tönenden Unsinn verzapfen ... Poststrukturalisten ante rem :breitgrins:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus


  • Gestern habe ich was recht interessantes gefunden. Johann Fischart (1546-1591) hat den Gargantua "übertragen" und den Text auf deutsche Verhältnisse erweitert: Affentheurlich Naupengeheurliche Geschichtklitterung
    Ein Teil des Textes findes sich hier.


    Oh... Rabelais kannte ich nicht, aber die Leserunde zu Gargantua klang sehr interessant. Jetzt kann ich mir auch endlich ein Bild davon machen. Fischart ist wirklich sehr amüsant! Und wem's gefällt, der lese auch: Gryphius' "Horribilicribrifax Teutsch". ;)

  • Hallo zusammen,


    Ich habe Gargantua vor ein paar Tagen beendet.
    Nachdem ich aufgehört habe sämtliche Erklärungen im Anhang nachzulesen, bin ich sogleich besser in die Geschichte reingekommen, die Erläuterungen waren oft irrelevant, manchmal verwirrend und meistens überflüssig. Ich werde sie später gelesen.


    Gargantua hat mich hauptsächlich amüsiert, so drolligen Kriegsbeschreibungen bin ich selten begegnet und trotzdem ist es nicht bloß Klamauk, sondern eine vehemente Aussage gegen den Militarismus und später auch gegen den Kolonialismus.



    Kap. 27 am Beginn nimmt die Voltairschen Zweifel an der besten aller Welten vorweg und lässt die Gerechtigkeit Gottes zweifelhaft erscheinen.


    A propos Voltaire, er soll Rabelais' Gargantua gelesen und sich bei ihm inspiriert haben, d.h. die präzisen Zahlenangaben sind auch in Candide zu finden. (Ob diese Behauptung nicht mit den Haaren herbeigezogen ist?)


    Zitat

    Nur kurz: Die Sorbonne war Hort einer reaktionären, katholischen Lehre, hat sich als Gegnerin des Humanismus geriert und kann (muss?) als kirchliche Institution betrachtet werden. Gerade zu Zeiten R.s hatte sie einen sehr konservativen Charakter und verstand sich als Verteidigerin einer restriktiven, kirchlichen Moral. Ich vermute, dass, wenn R. Sorbonne schreibt, er ausschließlich sich auf die dortige theol. Fakultät bezieht.


    Die Sorbonne war zu der Zeit auf allen Domänen äußerst konservativ, alte Sprachen und die antike Rhetorik wurden ignoriert. Erst ab 1530 wurden humanistische Disziplinen auf der Sorbonne unterrichtet.
    Nicht umsonst hat François Villon mit Steinen auf die Polizisten geschmissen (wenn auch ein paar Jährchen früher) :zwinker:


    Weter geht es dann mit Pantaguel…


    Liebe Grüße
    dora



    P.S. sandhofer & Xenophanes: Danke für eure Erasmus- Vorschläge, bin im Besitz von Eloge de la folie (wusste es nicht mehr), später schaue ich mich dann nach einer französischen Werkausgabe um.

  • Hallo zusammen!


    Hm ... ich scheine tatsächlich der schnellste zu sein. Im Moment "flutscht" Rabelais aber auch so ...


    Unterdessen bin ich nämlich mit Pantagruel ebenfalls fertig. Zum Schluss verspricht uns Rabelais eine Fortsetzung, die den deutschsprachigen Leser geradezu an Münchhausen gemahnt. (Sein Vorbild war aber offenbar der Satiriker und Lügenbold Lukian.) - Nun, erstens kommt es anders ... Rabelais hat dann ein Prequel geschrieben, und erst über 10 Jahre später eine Fortsetzung ... Und die hat mit dem ursprünglich Versprochenen offenbar wenig gemein ...


    Grüsse


    sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo!


    Habe heute von einem New Yorker Antiquariat das Buch von Donald M. Frame "Francois Rabelais. A Study" bekommen.


    Sehr stilvoll nicht nur in "New York Times" eingewickelt, sondern sogar in "Arts and Letters". Ohne Zweifel eine Kulturstadt :breitgrins:


    Ansonsten dauert die geplante Lesepause noch an. Dummerweise habe ich einen Artikel über Karl Kraus versprochen, der wird auch einiges an Lesezeit kosten.


    CK

  • Dummerweise habe ich einen Artikel über Karl Kraus versprochen, der wird auch einiges an Lesezeit kosten.


    Ich dachte immer, so was hätte jeder Wiener pfannenfertig in der Schreibtischschublade :breitgrins: .


    Ich bin unterdessen ins Tiers Livre vorgestossen. 10 Jahre Pause haben nicht nur in der Sprache ihre Spuren hinterlassen. Rabelais deklamiert und refereriert wie ein besoffener Volkstribun :smile: .


    Auch die Figuren haben geändert. Pantagruel wird überhaupt nicht mehr über seine Körpergrösse definiert. Er ist der fürsorgende "Vater" seiner Gefährten, insbesondere des Panurge, der so gar nicht mehr das clevere Kerlchen ist, Magier und Vizeteufel, sondern ein mit Heiratsgedanken sich tragender und auch ansonsten ziemlich dämlicher Sophist. Handlung habe ich bis Kapitel 13 wenig gefunden, das meiste sind philosophische Dialoge. Lukian als Vorbild scheint verschwunden, dafür tritt Erasmus definitiv in den Vordergrund. Ich weiss noch nicht, wie mir dieses Buch gefallen soll ...

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  • Hallo zusammen,



    Ich bin unterdessen ins Tiers Livre vorgestossen.


    Hui, da hinke ich ganz schön hinten dran, ich habe gemerkt, dass ich nach Gargantua doch eine kleine Pause von Rabelais benötige und mich Doktor Faustus, den ich parallel (wieder) lese mehr reizt.
    Ich fahre jetzt für ein paar Tage in die Bretagne, nach Saint Malo zum Literaturfestival Etonnants voyageurs, so werde ich wohl erst in einer Woche mit Pantagruel weitermachen.


    liebe Grüße
    donna


  • (...) aber das wird heute dank eines katholischen Feiertags noch mehr werden. Wie könnte man diesen auch besser begehen als mit Rabelais? :breitgrins:


    Ich habe meine Ausgabe im "Antiquariat im Kloster" (Online) gekauft, auch nicht schlecht.
    Ich denke, dass ich ab Montag wieder in die Leserunde einsteige.


    Viele Grüße,
    Zola

  • Hui, da hinke ich ganz schön hinten dran


    Nö, ich befürchte, ich bin ziemlich weit voraus. Aber im Moment lese ich Rabelais recht zügig und von daher etwa drei- oder viermal schneller als geplant. Wobei ich mit dem Tiers Livre nun allerdings meine liebe Mühe habe. Dialog um Dialog dreht sich jeweils um eine bestimmte Form der Wahrsagung, und auch wenn Panurge dem Pantagruel jede Interpretation im Munde umdreht, so habe ich doch den Verdacht, dass Pantagruel hier das Spachrohr Rabelais' ist und dieser bestimmten Formen der Wahrsagung positiv gegenübersteht. Nun ist das Spannungsfeld Humanismus <-> Kabbala / Alchimie zwar sehr interessant und in dieses Feld 'reingeguckt habe ich auch schon, aber hier und heute möchte ich da eigentlich nicht weitermachen. Ich müsste wieder bzw. neu einiges von Erasmus zum Thema hervorsuchen, Agrippa, etc., etc. Kurze deftig-obszöne Zwischenspiele halten mich noch bei der Stange ...

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  • Hallo zusammen!


    So langsam beginnt mir auch das Tiers Livre zu gefallen. Panurge will sich verheiraten und es werden allerlei Leute befragt, ob er nun soll oder nicht. Vor allem interessiert es ihn, ob er denn im Falle einer Heirat zum Hahnrei gemacht werde oder nicht. Bisher haben ihm noch alle bestätigt, dass dies der Fall sein werde - aber er will es immer noch nicht glauben. Das Ganze transportiert philosophische aber im Moment v.a. medizinische Auseinandersetzungen der Zeit. Eine Juristenschelte durfte natürlich nicht fehlen.


    (Dafür kommt der Adel für mein Gefühl verblüffend gut weg ... )


    Grüsse


    sandhofer

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  • Und wem's gefällt, der lese auch: Gryphius' "Horribilicribrifax Teutsch". ;)


    Ich hab's gemacht. Anstrengende Lektüre, durch die vielen Fremdsprachen, aber doch irgendwie witzig. Horribilicribrifax hätte einen guten Politiker abgegeben: "...nichts desto weniger wil ich sagen / weil mir zu sagen gebühret / und die Reye zusagen an mich gelanget ist / und wil nicht sagen / daß ich zu beweisen willens / daß ich wohl und viel sagen könte / sondern wil auffs einfältigste vor euch sagen / was mich düncket / das gesaget werden müste / und will nichts weniger sagen / als was gesaget ist von den berühmtesten Leuten / denn wenn ich etwas anders sagete / würde ich sagen wider Kriegsmanier / nach dessen Gewonheit ich auffgestanden bin / etwas zu sagen." :breitgrins:

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym (2001)

  • Hallo zusammen!


    ich bin über Pfingsten jetzt auch nicht allzu sehr zum Lesen gekommen, aber doch schon im Quart Livre. Wieder etwas völlig Neues - Rabelais spielt eindeutig mit der Erwartungshaltung des Lesers. Ich schreibe im Moment nichts weiter dazu, sondern warte damit, bis Ihr aufgeholt habt :zwinker: .


    Grüsse


    sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo!


    Ich unterbrach heute meine Lesepause und las langsam :zwinker: den Anfang von "Pantagruel". Dem ersten Eindruck nach schreibt Rabelais hier merklich selbstbewusster als bei Gargantua [falsch], kurz als schon etablierter Autor.[/falsch] Sehr erfrischend die Selbstironie in seinem "Prologus", wo er auch die mir bisher nur aus Fahrenheit 451 bekannte "Idee" formuliert, Bücher durch auswendig lernen vom Untergang zu beschützen (er imaginiert ein Ende der Druckerpressen).


    Die Parodie auf die widersprüchen Genalogien der Bibel im ersten Kapitel dürfte Klerikern von Anfang an wieder die Lektüre vermiest haben :breitgrins:


    Die Satire auf die unverständliche akademische Quasselsprache im 6. Kapitel war naturgemäß in meinem Sinn. Diese Jargonauten gibt es ja auch heute in den Geisteswissenschaften noch in Fülle. Im nächsten Kapitel wird es aber noch besser, wenn er sich über die Buchtitel seiner Zeit lustig macht.


    Das 8. Kapitel hebt sich davon durch den pädadogischen Pathos des Gargantua ab (den ich nicht als ironisch empfunden habe), der ein eloquentes Plädoyer für eine umfassende Bildung hält, was beim Sohn auf sehr fruchtbaren Boden fällt:


    Auf Sicht und Lesung dieses Schreibens fasset' Pantagruel frischen Mut und war zum Lernen mehr als je zuvor entzündet, dergestalt, daß ihr, wenn ihr ihn hättet studieren und in Erkenntnis wachsen sehen, von seinem Geist hättet sagen müssen, daß er unter den Büchern wär was Flamm im dürren Reisig; so unermüdlich risch und lodernd." (S. 178)


    CK

  • Dem ersten Eindruck nach schreibt Rabelais hier merklich selbstbewusster als bei Gargantua, kurz als schon etablierter Autor.


    Pssst: Rabelais schrieb den Pantagruel 1532 und dann, 1534, - als Prequel quasi - den Gargantua. :zwinker: Als dann die ersten drei Bücher in einer Sammelausgabe erschienen, wählte der Drucker die interne Reihenfolge der Geschichten; dabei ist es seither geblieben. Es ist bei Rabelais offenbar so, dass er für jedes Buch den Ton vollständig ändert ...


    Das 8. Kapitel hebt sich davon durch den pädadogischen Pathos des Gargantua ab (den ich nicht als ironisch empfunden habe), [...]


    Den Eindruck, dass es ihm damit ernst ist, hatte ich auch.

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo!


    Nähere mich nun dem Ende von "Pantagruel". Ich finde das Buch merklich abwechslungsreicher als "Gargantua". Der Rechtsstreit Kapitel 10ff. gehört mit zum Seltsamsten meiner bisherigen Lesekarriere. So ausführlichen bewussten Nonsens hätte ich nicht erwartet. Genau genommen kenne ich abseits der Avantgarde des 20. Jahrhunderts (Dadaismus, Wiener Gruppe!) nichts Vergleichbares. Ihr?


    CK