Mai 2007 - Rabelais: Gargantua und Pantagruel

  • Hallo allerseits!


    Obwohl ich aus Erfahrung wissen müsste, dass Pläne, welche den Zeitrahmen von zwei Wochen überschreiten, bei mir immer auf erhebliche Schwierigkeiten bezüglich Durchführung stoßen, hab ich mich im Zustand der interessierten Schwäche vor einem halben Jahr für diese Leserunde meine mögliche Teilnahme angekündigt.


    Und jetzt sitz ich hier vor einem Tisch, Bücherstapel allüberall, Zettelhaufen, Notizen usf. - alles schreit nach Gelesen- und Bearbeitetwerden - und mittendrin ich mit schlechtem Gewissen und der Rabelais halb aufgeschlagen. Und gezögert und gezaudert hab ich und dann doch zu lesen begonnen; ob ein allzu geschwindes Fortschreiten der Lektüre jedoch möglich sein wird, muss ich bezweifeln. Also - Vorrede und 1. Kapitel gelesen (zweibändige Ausgabe des Winkler Verlages) - und tatsächlich schon ins Grinsen gekommen beim Bruder Dilldapp, der für seine Nachweise auf Narren angewiesen ist, die ihm in seiner Blödheit ebenbürtig sind. (Die Exegeten sind überall vom gleichen Schlag.)


    Mir gefällt der Stil, das Spiel mit antiker Geistesgeschichte, der immer ironische Unterton. Aber mal sehen, das durchzuhalten könnte auch schwer sein bzw. den Leser ermüden. Was nach so wenigen Seiten noch nicht gesagt werden kann ...


    Grüße


    s.

  • Das Gedichtchen in Kapitel zwei ist ja wirklich starker Tobak. Und in den Erläuterungen lese ich, dass es der Interpretationen schon unzählige gäbe. Vielleicht ganz im Rabelaischen Sinne, eingedenk seiner Betrachtungen über die Interpretationen von Homer und Ovid, auf dass er posthum in seiner Gruft was zur Unterhaltung hat.


    Bis Kapitel 9 vorgedrungen, ungetrübt ist die Freude jedoch nicht. Die Aufzählungen und Übertreibungen langweilen ein wenig, die Freizügigkeit der Sprache mag kulturhistorisch interessant sein, aber sonst sind's doch einfach nur Anzüglichkeiten. Und allzu munter fand ich die Reden der Bezechten in Kap. 5 auch nicht, am besten gefallen mir die Stellen, wo Rabelais gänzlich die Geschichte verlässt und über seine eigene Erzählung zu räsonieren beginnt, gedachte Einwände vorbringt (etwa über die Ohrengeburt des Gargantua).


    s.


  • Bis Kapitel 9 vorgedrungen, ungetrübt ist die Freude jedoch nicht. Die Aufzählungen und Übertreibungen langweilen ein wenig, die Freizügigkeit der Sprache mag kulturhistorisch interessant sein, aber sonst sind's doch einfach nur Anzüglichkeiten. Und


    Es soll politisch so unkorrekte Zeiten gegeben haben – so habe ich mir wenigstens berichten lassen – als die Menschen einfach nur Spaß an dergleichen Anzüglichkeiten hatte. Darüber sind wir heute natürlich hinaus, aufgeklärt und reingeweicht, wie wir sind. :smile:


    Gruß, Marius

  • Unterdessen bin ich ein bisschen weiter, nämlich bis und mit Kapitel 17. Im Moment überwiegen in meiner Ausgabe die Anmerkungen den Text um etwa den Faktor 1,5 - 2 ... :breitgrins:


    Der Erzähler, der hier zwischendurch mal vom Historiographen zum Heraldiker mutiert, ist tatsächlich eine interessante Erscheinung. Bei der Ohrengeburt ist es dann plötzlich der Arzt Rabelais selber, der durchscheint. Später haben wir einen Rhtoriker, noch später einen Pädagogen vor uns, der zwar seinem Gargantua mehr als 50 Jahre Unterricht zuteil kommen lassen will, dies aber nach den aktuellsten Methoden (nämlich denen des Erasmus).


    scheichsbeutel^, betr. Aufzählungen + Anzüglichkeiten


    Ich kann die Winkler-Ausgabe nicht beurteilen, ich lese im Original. Der Text ist jeweils nach der Ausgabe letzter Hand abgedruckt, anhand der Anmerkungen lässt sich feststellen, dass Rabelais offenbar bei jeder Neuauflage seine jeweiligen Aufzählungen erweitert hat. Die Anzüglichkeiten habe ich nicht wirklich schlimm gefunden. Vielleicht, weil das Französische (für mich jedenfalls - und ich darf mich hier immerhin auf Tucholsky berufen :zwinker: ) eine Sprache ist, in der Anzüglichkeiten bedeutend eleganter ausgedrückt werden können als im Deutschen? Und dann habe ich irgendwie auch den - zwar rund 100 Jahre jüngeren (aber mit der germanischen Verspätung in Sachen Kultur mag's hinkommen ...) - Grimmelshausen vor dem geistigen Auge. Deftige Schreibe halt.


    A propos Neuauflagen: Rabelais hat nicht nur erweitert. Er hat vieles offenbar auch gekürzt bzw. geändert: Flüche und Gotteslästerungen eliminiert und die "Theologen" in "Sophisten" abgeändert, dort, wo er sie angreift. Die Sorbonne war eine verdammt mächtige Institution zu jener Zeit ...

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus


  • Es soll politisch so unkorrekte Zeiten gegeben haben – so habe ich mir wenigstens berichten lassen – als die Menschen einfach nur Spaß an dergleichen Anzüglichkeiten hatte. Darüber sind wir heute natürlich hinaus, aufgeklärt und reingeweicht, wie wir sind. :smile:


    Deshalb mein Hinweis auf das - möglicherweise - kulturhistorisch Interessante. Aufgrund meiner Aufgeklärtheit erlaube ich mir, derlei langweilend zu finden (unabhängig davon, wann sowas geschrieben wurde - bei Grassens Butt etwa waren das auch jene Stellen, die mich am meisten zum Gähnen brachten). Im übrigen haben die Leute damals wie heute großen Spaß an solchen Anzüglichkeiten, aber die schenkelklatschende Stimmung wollte sich bei mir nie so recht einstellen. (Jugenderinnerung: Ich als junger Lehrling, der durch besonders ordinäre Witze in Verlegenheit oder zum Lachen gebracht werden sollte. Aber: Weder das eine noch das andere, viel mehr Langeweile und der Eindruck, dass da jemand mit seiner Sexualität noch größere Probleme hatte als der Heranwachsende.)


    @ Sandhofer: Schlimm - aber natürlich nicht. Wie gesagt - ich nehme zur Kenntnis, dass das für damalige Zeit vielleicht mutig war. In dem bisherigen Ausmaß stört's mich auch kaum, nur hält sich eben auch meine Begeisterung in Grenzen.


    Was mir, den Anmerkungen folgend, von Bedeutung scheint, ist die teilweise Unübersetzbarkeit des Originals (solltest du die deutsche Ausgabe auch besitzen, könntest du das ev. verifizieren). So gesehen vielleicht ein Ulysses der frühen Neuzeit.


    Grüße


    s.

  • Hallo!


    Ich begann wie geplant heute langsam mit der Lektüre. Wenn in den ersten Zeilen bereits auf Platon und Sokrates verwiesen wird, führt das selbstverständlich dazu, dass ich dem Buch sofort wohlwollend gegenüber stehe :smile:


    Das Vorwort (mit der Vorwegnahme samt Rechtfertigung mancher Einwände Scheichsbeutels) liefert eine Art Poetologie dahingehend, dass man sich nicht mit der Oberfläche des Textes zufriedengeben sollen. Außerdem stellt er seine Belesenheit zur Schau, wobei mich interessieren wollte, wie/wo Rabelais Zugriff auf so viele Bücher hatte. Ein Bibliotheksturm wie Montaigne dürfte es ja wohl nicht gewesen sein.


    Meinen Anmerkungen entnehme ich, dass manche das 2. Kapitel für eine Satire auf zeigenössische enigmatische Textsorten halten, eine Lesart, die mir sympathisch ist.


    Die Geburtsgeschichte habe ich gerne gelesen, kritisiert sie doch ganz amüsant die spätscholastischen Schriftgelehrten (Länge der Schwangerschaft) und läßt dem Helden eine wundersame Geburt zuteil werden. Diese Thematik scheint den Menschen bei spirituellen Biographien sehr wichtig zu sein (satirischer Bezug auf diese Motive? Sehr wahrscheinlich, da er ja auf die mythologischen Vorbilder eingeht). So sah ich in China in den Yunggang Grotten eine ausführliche Reliefdarstellung des Lebens von Buddha, wo er bei der Geburt aus der Achsel hervorspringt.


    Ich lese die Ausgabe, die bei Zweitausendeins erschienen ist. Übersetzung von Gottlob Regis und Lizenzausgabe des Carl Hanser Verlages.


    CK

  • Hallo zusammen,


    Weit bin ich mit dem Lesen nicht gekommen (Kapitel 8,) das Lesen des Gedichtes hat mir doch so manche Verwirrung beschert und auch nach mehrmaligen Lesen habe ich da keinen Durchblick.


    Dann habe ich festgestellt, dass ich (von meinem Schweizer Französisch her?) viele Wörter verstehe, die dem Bewohner der Île de France offenbar unverständlich sind - jedenfalls in meiner Ausgabe mit einer Glosse in Standardsprache erklärt werden


    Die „Übersetzungen“ finde ich auch weitgehend überflüssig, und die Orthographie ist kein Hindernis, das Erkennen fremdartig geschriebener Wörter liegt wohl hauptsächlich an unzähligen Verbesserungen französischer Diktate…


    Die Aufzählungen und Übertreibungen langweilen ein wenig, die Freizügigkeit der Sprache mag kulturhistorisch interessant sein, aber sonst sind's doch einfach nur Anzüglichkeiten. Und allzu munter fand ich die Reden der Bezechten in Kap. 5 auch nicht, am besten gefallen mir die Stellen, wo Rabelais gänzlich die Geschichte verlässt und über seine eigene Erzählung zu räsonieren beginnt, gedachte Einwände vorbringt (etwa über die Ohrengeburt des Gargantua).


    Das zu lesen erleichtert mich. Die Trinkerei und Fresserei, so wie deren Auswirkungen auf die unteren Verdauungsorgane zeigen eigentlich, dass sich kulturhistorisch nicht viel geändert hat. Ungeschlachte Anspielungen, seien sie lüsterner oder fäkaler Art, wissen noch heute so manche Masse zu begeistern.


    Die Ohrengeburt dagegen finde ich amüsant, so wie die Bemerkung, dass ein anständiger Mensch alles glaubt, was ihm gesagt wird und was geschrieben steht.
    Auch eine Anspielung auf den Hl. Augustinus?


    Und dann noch eine Frage aus purer Neugier an die Leser der Deutschen Fassung:
    Wie ist die Namensgebung Gargantuas übersetzt? (Kapitel 7)


    liebe Grüße
    donna


  • Und dann noch eine Frage aus purer Neugier an die Leser der Deutschen Fassung:
    Wie ist die Namensgebung Gargantuas übersetzt? (Kapitel 7)


    [...] als er mit dem Gebrüll "zu trinken! zu trinken! zu trinken!" verlangte. Da sprach er: "Gar grantig tut's da!" (nämlich das Kind vor Durst). [...] er müsse um deswillen wahrlich den Namen Gargantua bekommen, weil dies ...


    Wie lautet die entsprechende Passage im Original (auch auf die Gefahr hin, dass meine Kenntnisse nicht ausreichen)?



    liefert eine Art Poetologie dahingehend, dass man sich nicht mit der Oberfläche des Textes zufriedengeben sollen.


    Netter Trick. Suggeriert in jedem Fall Tiefgang und wird die Leute zu tiefsinnigen Spekulationen anregen, auch wenn solche vielleicht(?) vom Autor nur mit posthumen Grinsen quittiert würden. Sollte ich jedem meiner Beiträge voranstellen :zwinker:.


    Off topic: Zu den Anzüglichkeiten in literarischen Texten - aber das wäre im Grunde ein eigener Thread: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass in Sitzungen (neudeutsch Meetings - oder Verwandtes) das Wort "Scheiße" mit indigniertem Gesichtsausdruck ad notam genommen wird - und dies von genau jenen Leuten, welche - kulturell hochstehend - im Anschluss Jelineks sprechender Vagina auf der Bühne applaudieren. Um sich die eigene Aufgeschlossenheit zu konzedieren. Und so werden Verdauungs- oder Fortpflanzungsprobleme zu kulturellen Belangen allererster Ordnung, während man sich über die Fäkalsprache von Stammtischen echauffiert. Und nicht immer ist der Unterschied zwischen Würstelstand und Burgtheater so groß, wie manche sich das wünschen.


    Grüße


    s.

  • Hallo zusammen,



    [...] als er mit dem Gebrüll "zu trinken! zu trinken! zu trinken!" verlangte. Da sprach er: "Gar grantig tut's da!" (nämlich das Kind vor Durst). [...] er müsse um deswillen wahrlich den Namen Gargantua bekommen, weil dies ...


    Wie lautet die entsprechende Passage im Original (auch auf die Gefahr hin, dass meine Kenntnisse nicht ausreichen)?


    (...) quand il brasmoit* demandant, «à boyre, à boyre, à boyre» dont il dist «que grand tu as» supple le gousier. (...)


    *:criait


    Desweiteren habe ich noch diese Erklärung des Wortes Gargantua gefunden:


    En langue celte, (in keltischer Sprache)
    Pierre se dit GAR, (Stein heißt GAR)
    géant, grand se dit GAN, riesig, gross heißt GAN)
    celui, l’être, l’homme se dit TUA. (Derjenige, das Wesen, der Mensch heißt TUA)


    In der Bretagne heißen so manche Megalithen Pierre de Gargantua, anscheinend nach der keltischen Halbgottheit benannt,
    hier auf Französisch nachzulesen.



    Off topic: Zu den Anzüglichkeiten in literarischen Texten - aber das wäre im Grunde ein eigener Thread: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass in Sitzungen (neudeutsch Meetings - oder Verwandtes) das Wort "Scheiße" mit indigniertem Gesichtsausdruck ad notam genommen wird - und dies von genau jenen Leuten, welche - kulturell hochstehend - im Anschluss Jelineks sprechender Vagina auf der Bühne applaudieren. Um sich die eigene Aufgeschlossenheit zu konzedieren. Und so werden Verdauungs- oder Fortpflanzungsprobleme zu kulturellen Belangen allererster Ordnung, während man sich über die Fäkalsprache von Stammtischen echauffiert. Und nicht immer ist der Unterschied zwischen Würstelstand und Burgtheater so groß, wie manche sich das wünschen.


    Um nicht zu lange Off topic zu bleiben, nur kurz: zu finden auch unter den mondänen Kunstdeckmäntelchen Performance, Installation, Happening, Aktion,...doch in diesen Fällen handelt es sich ja um Kreativität (auch so ein Unwort)... :zwinker:


    Zurück zu Rabelais:


    Kapitel X über die Farbendeutung habe ich mit großem Vergnügen gelesen.
    Was ich wiederum nicht verstanden habe, Rabelais schreibt Freude sei das Gegenteil von Trauer, im Anhang steht, hier hätte er einen dialektischer Fehler begangen, kann mir jemand das erklären?


    Liebe Grüße
    donna

  • Hallo zusammen!


    Ich bin ja bekennender Fan von enzyklopädischen Autoren und liebe Aufzählungen jeder Art in literarischen Texten, egal ob scatologischer Art oder sexueller oder auch nur Aufzählungen von Bäumen etc. (Arno Schmidt hat die Aufzählung einmal sinngemäss das ultimative Stilmittel des Realisten genannt - ich glaube, das war in seinem Funkessay über Brockes.)


    Wenn hier in Kapitel 22 Gargantuas Spiele aufgezählt werden - 217 an der Zahl -, dann kann ich nur noch ehrfürchtig stehen bleiben. (Noch ehrfürchtiger dann vor der Herausgeberin, die zu jedem [jedem!] der Spiele noch eine Anmerkung liefern kann ... )


    Ich muss mich übrigens noch korrigieren - da war ein Flüchtigkeitsfehler in einem meiner früheren Postings: Die jahrzehntelange Erzeihung Gargantuas in einem einzigen Fach war natürlich nicht die Erziehung nach den neuen, von Erasmus geforderten Methoden, sondern eben gerade die alte, scholastisch geprägte. Die neue folgt erst jetzt, wo Gargantua innert kürzester Zeit eine Unzahl von Tätigkeiten und Lernaktivitäten auszuführen hat. (Ich müsste jetzt Thomas Morus' Utopia nachlesen, mir will scheinen, dass da die Erziehung der Jünglinge auf der Insel Utopia Ähnliches vorgesehen hat, wie hier Rabelais für Gargantua.)


    Außerdem stellt er seine Belesenheit zur Schau, wobei mich interessieren wollte, wie/wo Rabelais Zugriff auf so viele Bücher hatte. Ein Bibliotheksturm wie Montaigne dürfte es ja wohl nicht gewesen sein.


    Lyon, wo Rabelais eine Zeitlang weilte, war m.W. seinerzeit ein bekanntes Buchhandelszentrum. Auch wird wohl die Abtei seines Patrons, wo er sich aufgehalten hat, mit genügend Literatur ausgestattet gewesen sein, um Rabelais ein wenig weiterzuhelfen.

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus


  • Außerdem stellt er seine Belesenheit zur Schau, wobei mich interessieren wollte, wie/wo Rabelais Zugriff auf so viele Bücher hatte. Ein Bibliotheksturm wie Montaigne dürfte es ja wohl nicht gewesen sein.


    In Durants Kulturgeschichte Bd 10 erfährt man von seiner Erziehung in einem Franziskanerkloster, "ein Los, das er mit Ergebung trug, weil vermutlich die Klosterbibliothek eine starke Anziehungskraft auf ihn besaß". Gerade seine Bücherliebe scheint ihn dann ins Gefängnis gebracht zu haben, da er Almosen, die er für seine Predigten erhielt, für den Erwerb griechischer Klassiker verwandte. Der franz. Humanist Guillaume Budé verwendete sich für seine Freilassung, R. wechselte zu den Benekdiktinern und durfte auf Fürsprache des Bischofs von Maillezais ausschließlich seine Studien obliegen.


    Offenbar ein Bibliomane, dessen umfassende Bildung so gesehen nicht überrascht.


    Grüße


    s. - der leider kaum zum Lesen kommt :sauer:

  • Hallo!



    In Durants Kulturgeschichte Bd 10 erfährt man von seiner Erziehung in einem Franziskanerkloster, "ein Los, das er mit Ergebung trug, weil vermutlich die Klosterbibliothek eine starke Anziehungskraft auf ihn besaß".


    In der Britannica steht Ähnliches. Das erklärt aber "nur", wie er zu seiner Bücherbesessenheit kam, nicht woher er dann beim Schreiben die vielen Quellen nahm, das war ja viel später. Bücher waren damals ja extrem teuere Luxusgüter.


    Habe am WE einiges weitergelesen und werde später darüber schreiben.


    CK

  • Hallo zusammen,


    ich habe jetzt die ersten 21 Kapitel gelesen. Irgendwie finde ich bisher keinen Zugang zu diesem Buch. Die Obszönitäten finde ich langweilig, ebenso die gigantesken Beschreibungen zu Gargantua, auch die zahlreichen Anspielungen empfinde ich nicht als besonders belustigend oder interessant (ich verstehe wohl auch nicht alle). Beeindruckend sind in der Tat manche enzyklopädische Auflistungen. Was mich zum Weiterlesen treibt ist dann doch eine Neugier wie es wohl weiter geht und die Hoffnung, dass es besser wird :breitgrins:


    Viele Grüße,
    Zola

  • Hallo allerseits!


    Nun muss bei mir die Nacht zur Lektüre herangezogen werden: Bei Durant finde ich mehrfach Hinweise auf intimen Umgang mit den Humanisten seiner Zeit (etwa Erasmus) als auch eine Freundschaft zu einem Verleger. Dies erleichterte wohl den Zugang zur Literatur. Ob es dem einigermaßen wohlsituierten Arzt R. an Geld mangelte, sich Bücher zu leisten (Durant erwähnt ein Jahresgehalt von 40 Pfund und ich hab nicht die mindeste Ahnung, ob das viel oder wenig ist), entzieht sich meiner Kenntnis, allerdings hat er vor dem Gargantua mehrere griechische Texte herausgegeben, übersetzte Hippokrates ins Lateinische etc., aber "sowohl seine Zitate als auch Editionen ermangelten der nötigen Sorgfalt" und mit den Texten sei er oft recht frei umgesprungen (was ev. durch die schwere Verfügbarkeit bedingt gewesen sein mag).


    Im übrigen betont Durant mehrfach, dass es sich bei R. keineswegs um einen Säufer und Lebemann gehandelt, sondern er einen sehr mäßigen Lebenswandel gepflogen habe.



    Was ich wiederum nicht verstanden habe, Rabelais schreibt Freude sei das Gegenteil von Trauer, im Anhang steht, hier hätte er einen dialektischer Fehler begangen, kann mir jemand das erklären?


    Bei mir ist kein derartiger Hinweis zu finden. Bei den Gegensatzpaaren schreibt er einmal Freude-Trauer, dann wieder Freude-Leid. Ich glaube aber, dass dein dialektischer Hinweisgeber im Anhang das Ganze zu ernst nimmt. R. weist schon im 9. Kapitel (das mir gut gefallen hat) auf die Lächerlichkeit solcher Zuordnungen hin, ob er dann seine eigenen Ausführungen (zwar vom hochherrschaftlichen Aristoteles abgeleitet) so ernst genommen haben wird - ich weiß nicht. Der letzte Absatz des 10. Kapitels scheint mir eher ein Beleg für das Gegenteil zu sein. (So nebenher, war's nicht der hier vor kurzem gelesene Marco Polo, der die weiße Trauerkleidung im Okzident bekannt machte?)


    Ich bin kein Freund von Aufzählungen (wie Sandhofer), weshalb mich etwa das Arschwisch-Kapitel eher genervt hat. Insgesamt ergeht's mir ein wenig wie Zola (auch mit der Hoffnung), ansonsten wird's wohl nix werden mit den 1350 Seiten.


    Grüße


    s.

  • Hallo zusammen!


    Ja doch, jetzt bin ich "drin" :breitgrins: - im Text nämlich. Einerseits sicher dank der Tatsache, dass mit dem Krieg, den Picrochole, der Nachbar, anzettelt, ein bisschen "Äggschen" in die Story kommt. Das Ganze will mir allerdings schon noch wie ein disparater Haufen an Motiven erscheinen:


    - der Krieg als strategisches Phänomen, von einem Militärhistoriker erzählt (Thukydides kam mir sofort in den Sinn)
    - ein Fürstenspiegel, der uns in der Gestalt der beiden Riesen vorgehalten wird - hier greift Rabelais eindeutig auf Erasmus zurück
    - Satire, die über Karl V. ausgeleert wird
    - Kritik am Klerus und der Heiligen- und Reliquienverehrung
    - der Topos des Riesen, der Unmengen frisst und säuft, und, wenn er pisst, gleich eine halbe Armee des Gegner damit ertränkt
    - Motive der klassischen Heldenepik
    - hin und wieder lässt Rabelais auch den Arzt durchschimmern
    - da wird auch mal ganz versteckt über den freien Willen räsonniert (bezugnehmend auf Erasmus' Schriften gegen Luther)


    Und ich weiss nicht, was ich jetzt noch vergessen habe. Sicher gibt es Teile, die ich weniger notwendig finde; und wenn dann wieder so ein räsonnierender Teil kommt, kaum hat die Handlung Fahrt aufgenommen, schüttle ich auch schon mal mein geistiges Haupt ... :zwinker:


    Ich bin kein Freund von Aufzählungen (wie Sandhofer), weshalb mich etwa das Arschwisch-Kapitel eher genervt hat. Insgesamt ergeht's mir ein wenig wie Zola (auch mit der Hoffnung), ansonsten wird's wohl nix werden mit den 1350 Seiten.


    Nachdem ich mir die vollständige Ausgabe von Rabelais' Werken gekauft habe, werde ich sie jetzt auch von A-Z durchlesen; da bin ich stur. Und so schlecht finde ich ihn bis dato auch nicht :zwinker: . Die von Dir monierte Szene z.B. finde ich wissenschaftsgeschichtlich bzw. wissenschaftstheoriegeschichtlich interessant, indem es den scholastischen Umgang mit dem Experiment persifliert, wo einfach planlos drauflos experimentiert wurde, während jetzt mit den neuen Lehrern von Gargantua planvolles Handeln angesagt ist, auf allen Ebenen.

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus


  • Die von Dir monierte Szene z.B. finde ich wissenschaftsgeschichtlich bzw. wissenschaftstheoriegeschichtlich interessant, indem es den scholastischen Umgang mit dem Experiment persifliert, wo einfach planlos drauflos experimentiert wurde, während jetzt mit den neuen Lehrern von Gargantua planvolles Handeln angesagt ist, auf allen Ebenen.


    Gargantua als Verfechter der "Versuch und Irrtum Methode" und Begründer der Experimentalphysik, bis ihm eine noch nicht falsifizierte Theorie des Hinternputzens gelingt. Aber über alle seine Versuche sechs Seiten lang mich so detailliert zu unterrichten, das wär nicht notwendig gewesen :zwinker:


    s.

  • Aber über alle seine Versuche sechs Seiten lang mich so detailliert zu unterrichten, das wär nicht notwendig gewesen :zwinker:


    Nein, tatsächlich nicht. Aber genau das, diese Schlussfolgerung, habe ich als Pointe Rabelais' empfunden :zwinker: , also das, vorauf Rabelais den Leser hinführen wollte.


    Den Pädagogen Rabelais habe ich in meiner Aufzählung noch vergessen ... :breitgrins:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus


  • Nein, tatsächlich nicht. Aber genau das, diese Schlussfolgerung, habe ich als Pointe Rabelais' empfunden :zwinker: , also das, vorauf Rabelais den Leser hinführen wollte.


    Den Pädagogen Rabelais habe ich in meiner Aufzählung noch vergessen ... :breitgrins:


    Vielleicht bin ich zu unduldsam, mein unruhiger Geist will weiter und ich möcht R. zurufen, dass ich's schon verstanden hab. Außerdem steht zu befürchten, dass alle päd. Anwandlungen bei mir auf wenig fruchtbaren Boden fallen. Was mir, um bei der Päd. zu bleiben, an ihm gefällt, ist seine Selbstironie, etwa das Lächerlich Machen des ganzen Bildungswustes von einem, der als Vielleser und Vielzitierer genau mit diesem Wissen hausieren ging.


    s.

  • Also, wenn ich das hier so lese, hätte ich glatt Lust, mir gleich den Rabelais zu greifen und loszulesen. :winken:

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym (2001)