Lew N. Tolstoi

  • Hallo!


    Nachdem die Suche nach "Tolstoi" im Forum nur wenig ergiebig war, ergreife ich die Initiative.


    Ich begann vor einiger Zeit seine Erzählungen wieder zu lesen und plane auch eine Zweitlektüre von "Anna Karenina". Zusätzlich würde ich gerne etwas über Tolstoi lesen (Biographien / Monographien), womit ich zum Kern der Sache komme:


    Irgendwelche Empfehlungen zu Büchern über Tolstoi?



    CK


  • Irgendwelche Empfehlungen zu Büchern über Tolstoi?


    Dich vor Zweig zu warnen hieße wahrscheinlich Eulen nach Athen tragen. Eine ganz üble Biographie ist die von Schklowski, passabel die Rowohlt Monographie von Janko Lavrin. Von Mereschkowski gibt es einen langen Essay über Tolstoi - Dostojewski, der trotz der christlich-nationalen Haltung des Autors eine fundierte Kenntnis der beiden Dichter verrät und selbst dort, wo man ihm unbedingt widersprechen möchte, immer noch anregend wirkt. Fürs Auge mit Dokumenten und Fotos das Insel-Taschenbuch "Tolstojs letzte Jahre" (= it 1040).


    Grüße


    s.


  • Dich vor Zweig zu warnen hieße wahrscheinlich Eulen nach Athen tragen. Eine ganz üble Biographie ist die von Schklowski, passabel die Rowohlt Monographie von Janko Lavrin. Von Mereschkowski gibt es einen langen Essay über Tolstoi - Dostojewski, der trotz der christlich-nationalen Haltung des Autors eine fundierte Kenntnis der beiden Dichter verrät und selbst dort, wo man ihm unbedingt widersprechen möchte, immer noch anregend wirkt. Fürs Auge mit Dokumenten und Fotos das Insel-Taschenbuch "Tolstojs letzte Jahre" (= it 1040).


    Die Rowohlt Monographie kenne ich bereits, weshalb eine klassische "größere" Biographie nützlich wäre. Ansonsten danke für die Warnung.


    CK


  • Irgendwelche Empfehlungen zu Büchern über Tolstoi?


    Direkt nicht, aber seine Tagebücher sind sehr aufschlußreich und interessant zu lesen. Habe sie bisher noch nicht am Stück gelesen (was ich aber noch vor habe), sondern nur direkt aus dem Index Begriffe nachgeschlagen oder die Zeiträume, während der er bestimmte Werke verfasste, gelesen.


  • Direkt nicht, aber seine Tagebücher sind sehr aufschlußreich und interessant zu lesen. Habe sie bisher noch nicht am Stück gelesen (was ich aber noch vor habe), sondern nur direkt aus dem Index Begriffe nachgeschlagen oder die Zeiträume, während der er bestimmte Werke verfasste, gelesen.


    Danke. Welche Ausgabe? Vermutlich gibt es nur eine ...


    CK

  • Hallo miteinander erstmal! :breitgrins:


    Um meinen Einstand hier zu feiern werde ich erstmal diesen Thread wiederbeleben, ich habe mir naemlich gestern Anna Karenina bestellt, da ich schon soviel gutes - nein, begeistertes - darueber gehoert und gelesen habe.


    Ich hoffe nur dass in der Uebersetzung nicht allzuviel von Tolstois Zauber verloren geht, ich spreche leider kein russisch.


    Wie sind eure Meinungen zu Anna Karenina denn?


    Gruesse, busfahrer

  • Hallo Busfahrer,


    mir hat "Anna Karenina" sehr gut gefallen. Obwohl ich den Roman erst einmal gelesen habe, gehört er auf jeden Fall zu meinen Lieblingsbüchern. Ich fand an dem Buch besonders interessant, dass man spürt wie Tolstoi während des Schreibens den geplanten Handlungsablauf änderte. Irgendwann geht es gar nicht mehr um die Karenina und die mit ihr zusammenhängende Ehebruchsgeschichte und ich bin mir sicher, dass das anfangs so von ihm nicht geplant war. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, bekomme ich eigentlich große Lust das Buch bald nochmals zu lesen :zwinker:


    Viele Grüße,
    Zola


  • Wie sind eure Meinungen zu Anna Karenina denn?


    Gruesse, busfahrer


    Hallo
    die Geschichte und Entwicklung zwischen Kitty und Lewin fand ich am Schönsten darin.


    Viele Grüße und willkommen im Forum
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo,


    in meiner Jugendzeit, lang ist es her, das verschlang ich Tolstoi in vielen langen Lesenächten, dann folgten Tschechov, Puschkin, Dostojewski, und und und ..., dann die "Modernen" wie Bulgakow, Gorki (den ich durchaus für einen begnadeten Erzähler halte), Babel (einer der mir Merkwürdigsten) und viele, viele andere.


    Aber nun bin ich doch wieder zu Tolstoi zurück gekehrt und wurde nicht enttäuscht.
    In diesem Mann wohnte eine ungewöhnliche Kraft, schwer zu begreifen.


    Liebe Grüße


    Vult

  • Hallo,


    habe nun diesen Ordner ausgegraben, um über Tolstois letzten Roman "Auferstehung" zu schreiben. Da insgesamt nicht so sehr viel zu Tolstoi geschrieben wird, muss man vielleicht nicht zu jedem Werk einen Extra-Ordner öffnen.
    In der "Auferstehung" geht es nicht um Christus, und eigentlich auch - bis jetzt, ich bin mit dem ersten Drittel der Lektüre fertig - nicht um Religion, sondern um die Wiederentdeckung ethischer Prinzipien, die die beiden Protagonisten des Romans, Fürst Nechljudow, aus dessen Perspektive bisher hauptsächlich geschrieben wird, und Katjuscha Maslowa, die von ihm "verführt" und danach zur Prostituierten wird, verdrängt haben.
    Nechljudow, ein reicher Großgrundbesitzer in den Dreißigern, ist in seiner Jugend reformerischen und demokratischen Ideen zugeneigt und teilt das ihm damals zugefallene relativ kleine väterliche Erbe unter den dort lebenden Bauern auf. Während der Militärzeit jedoch verfällt er in den typischen Lebensstil der reichen Adligen und verliert seine Grundsätze, auch nachdem er das wesentlich beträchtlichere Erbe seiner Mutter angetreten hat. Als er eines Tages als Geschworener an einem Mordprozess teilnimmt, erkennt er in der fälschlich Angeklagten Maslowa das ehemalige Dienstmädchen seiner Tanten, Katjuscha, in das er als junger Mann sehr verliebt war und das er dann später, schon während seiner Militärzeit und unter dem Einfluss des genusssüchtigen Lebensstils seiner Klasse, mehr vergewaltigt als verführt hat. Reue überkommt ihn nun, als er erkennt, dass ihm Katjuscha nun als Prostituierte in dieser misslichen Lage wiederbegegnet. Aufgrund zahlreicher Unfähigkeiten der beteiligten Personen wird die Maslowa zur Zwangsarbeit in Sibirien verurteilt.
    Nechljudow versucht das Urteil kassieren zu lassen und besucht die Verurteilte im Untersuchungsgefängnis. Er will sie aus ihrer Lage befreien und sogar heiraten. Obwohl also bereits zu seinen früheren Prinzipien zurückgekehrt, sieht ihn Tolstoi dennoch nicht als vollständig geläutert, denn er genießt zu sehr den Gutmenschen in sich.
    Katja Maslowa wird bisher nur wenig aus eigener Sicht geschildert, aber es wird klar, dass sie sich mit ihrer Situation als Prostituierte abgefunden hat und die Triebgesteuertheit der Männer zu ihrem Vorteil ausnutzt, ohne dabei allerdings ins Kriminelle abzurutschen.
    Die erste Begegnung zwischen beiden Protagonisten verläuft daher für Nechljudow enttäuschend, der das offene und liebenswerte Mädchen seiner Jugendzeit nicht mehr in ihr wiederentdecken kann.
    Soweit bin ich in der Handlung bisher. Tolstoi würzt diese mit scharfen Angriffen auf die verlogene Justiz, die Sinnlosigkeit von Militarismus und den hedonistischen und skrupellosen Lebensstil der herrschenden Klasse.
    Dabei bleibt der Roman gut lesbar; Im Gegensatz zum Beispiel zu Rolf Vollmann, der die späten Werke Tolstois ablehnt, weil er in diesen angeblich zu viel predigt, kann ich das für diesen Roman nicht bestätigen. Tolstoi legt den Finger genau auf die Wunden, die diese Gesellschaftsform scheitern ließen. Dass er dabei manchmal vielleicht etwas überzieht, finde ich nicht so schlimm.
    Wunderbar gelungen sind die Szenen im Geschworenenzimmer und im Frauengefängnis, die Tolstoi zu breiten Schilderungen exemplarischer VertreterInnen städtischer Lebenskreise ausbaut.
    Im Moment komme ich aus beruflichen Gründen langsam voran, freue mich aber an jeder Seite!


    finsbury

  • Hallo finsbury,


    danke für deine ersten Eindrücke. Man kommt nicht umhin deine Begeisterung zu bemerken. Ich freue mich nun sehr auf das Buch.
    Ich habe die Diogenes Ausgabe; aus dem russischen von Ilse Frapan mit einem Nachwort von Stefan Zweig.


    Gruß,
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo, ich lese auch gerade 'Auferstehung'. Meine Ausgabe (Fischer Klassik) hat 600 Seiten und 400 davon habe ich jetzt gelesen. Ich komme auch nicht besonders schnell voran. Das ist jetzt schon meine dritte Woche mit dem Buch - aber es liegt nicht am Buch! Das läßt sich sehr gut lesen, finde ich. Ich kann auch nicht sagen, dass Tolstoi da irgendwie in einen predigenden Tonfall fällt. Es mögen zwar seine Überzeugungen sein, aber sie werden ja immer von dem Hauptcharakter Nechliudow vertreten und das ganz natürlich und stimmig. Also man hat nicht den Eindruck, er würde da immer mal einen Absatz zwischen den Handlungsverlauf schieben.
    Von den Charakteren fasziniert mich eigentlich keiner besonders, muß ich sagen, aber sie sind mir auch nicht unsympathisch. Es ist halt nur niemand dabei, der mich irgendwie fesselt. Wie finsbury finde ich auch die Beschreibungen sehr schön, wie überhaupt Tolstois Schreibstil insgesamt. Und das Thema wird ja wohl leider immer aktuell bleiben.
    Und wenn ich dann mit 'Auferstehung' durch bin, könnte ich ja der 'Anna Karenina' einen dritten Anlauf gönnen. Hab' schon zweimal angefangen, bin aber nie sehr weit gekommen. Vielleicht klappt's ja beim dritten Mal.


    Nachtrag vom 03.02.2010:
    So, seit gestern Abend bin ich auch durch mit 'Auferstehung'. Das Ende war ja ziemlich enttäuschend. Die Handlung bricht mit der Begnadigung der Maslowa einfach ab. Sie geht ihrer Wege, Nechliudow geht seiner. Aber im Grunde wird er ab da nur noch benutzt, um Tolstois Ansichten über Gott und die Welt zu verkünden. Eindeutig die Gelegenheit für das Mecker-Smiley: :grmpf:

    Das Buch, wenn es zugeklappt daliegt, ist ein gebundenes, schlafendes, harmloses Tierchen, welches keinem etwas zuleide tut. Wer es nicht aufweckt, den gähnt es nicht an. Wer ihm die Nase nicht gerade zwischen die Kiefer steckt, den beißt es auch nicht. <br />Wilhelm Busch

    Einmal editiert, zuletzt von picco ()

  • Hallo picco,


    mit dem Predigen fängt Tolstoi auch erst am Ende so richtig an. Ich bin auf den letzten 50 Seiten und habe mal auf die letzten Seiten gelugt, da kommen seitenweise Bibelzitate!
    Den zweiten Teil finde ich etwas spröder zu lesen, allerdings, seitdem die Zwangsarbeiter auf dem Weg nach Sibirien sind, wird es wieder spannender. Du hast Recht, auch mich sprechen weder Nechljudow noch Katja Maslowa als Identifikationsfigur an, aber die Schilderung der Nebenfiguren ist einfach meisterhaft, ganz großes Kopfkino und auf jeden Fall den beiden anderen großen Romanen ebenbürtig.
    Und dies Schilderung der sozialen Verhältnisse lässt einen schon verstehen, wie es zur großen Revolution kommen konnte. Umso schlimmer, dass einige der geschilderten Justizumstände auch noch heute in den demokratischen Ländern vorkommen. Wie kann es sonst sein, dass man bei millionenhoher Steuerhinterziehung mit Geldstrafe und Bewährungsstrafe davonkommt, während viele Delikte der sogenannten kleinen Leute viel härter bestraft werden.


    finsbury

  • Hallo,


    ich muss sagen, dass ich das Buch vor Jahren einmal gelesen habe und es mich, insbesondere der fehlenden dramaturgischen Wendungen wegen, letztendlich einigermaßen enttäuschte.


    freundliche Grüße


    F. Hermann

  • ich muss sagen, dass ich das Buch vor Jahren einmal gelesen habe und es mich, insbesondere der fehlenden dramaturgischen Wendungen wegen, letztendlich einigermaßen enttäuschte.


    Da hast du Recht. Um der Handlung willen sollte man den Roman nicht lesen. Aber - wie unten mehrfach geschrieben, die Schilderungen der Nebenpersonen - gleich welcher Gesellschaftsschicht - sind das Besondere, und das macht mir gerade wieder viel Spaß, wie Tolstoj jetzt z.B. am Ende des Romans die unterschiedlichen Revolutionärstypen beschreibt: Das erinnert mich in manchem an meine wildbewegten Studienzeiten in den Achtzigern mit den unterschiedlichen Typen politisch Engagierter ... :zwinker:


    finsbury

  • Hallo Finsbury,


    ohne dir widersprechen zu wollen, befand ich im Großen und Ganzen trotzdem, dass Tolstoi in weiten Teilen des Romans ein zu positives und wenig differenziertes Bild, insbesondere der untersten Gesellschaftsschichten zeichnet, während er beinahe durchgängig alle Angehörigen der höheren Stände verunglimpft, was meiner Meinung nach doch ein etwas einseitiges Bild ergibt, wenngleich ich natürlich nicht zu beurteilen vermag, ob dies den damaligen Zuständen tatsächlich gerecht wird. Noch dazu, wo es ihm Ende des Romanes sogar gelingt, eine positive Beantwortung des Gnadengesuches für "seine" Katjuscha an höchster Stelle zu erwirken.


    freundliche Grüße
    F. Hermann