• Da hab ich doch mal ... richtig, hier:


  • Wieso darf man über einen so außerordentlich talentierten, humorvollen und geistreichen Schriftsteller so herziehen und ihn so übel beschimpfen?
    Täte man dies mit der geheiligten Jelinek, wäre doch gleich wieder Feuer am Dach.


    Mich ärgert das ungeheuer, wie hier verschiedene Maßstäbe angelegt werden, ohne das jemand erklären könnte, wie das zustande kommt.

  • Günter Grass über seinen 1. schriftstellerischen Versuch aus "Beim Häuten der Zwiebel"


    "Davon ist kein Wort geblieben. Nicht die Ahnung von blutrünstigen, weil der Blutrache dienlichen Szenen will dämmern. Kein Ritter-, Bauern-, Bettlername hat sich mir überliefert. Nichts, keines Pfaffen Schuldspruch, keiner Hexe Schrei haftet. Und doch müssen Ströme Blut geflossen sein, ein Dutzend und mehr Scheiterhaufen geschichtet und mit der Pechfackel in Brand gesteckt worden sein, denn gegen Ende des ersten Kapitels waren alle Helden tot: geköpft, erdrosselt, gepfählt, verkohlt oder gevierteilt. Mehr noch, niemand war da, die toten Helden zu rächen.
    Auf solch schriftlich beackertem Leichenfeld fand meine Erprobung in erzählender Prosa ihr vorzeitiges Ende."
    "Doch kann es sein, dass mich der unökonomische Umgang mit fiktivem Personal als frühe Erfahrung einer Schreibhemmung dazu gebracht hat, späterhin, als nunmehr sorgfältig kalkulierender Autor, schonender mit den Helden meiner Romane umzugehen."

  • Das ist vielleicht das härteste Urteil über Günter Grass und die eigentliche Pointe des Geburtstagsbändchens: Noch nicht einmal eine geistreich-lebendige Polemik kann man über diesen staublangweiligen Schwafler schreiben.
    http://www.literaturkritik.de/…ezension.php?rez_id=11256



    Das erinnert mich an gewisse Demagogen, die, nur weil sich ihrer menschlichen Würde und Selbstachtung bewusste Persönlichkeiten nicht an einem/seinem (Klaus Bittermanns) Verriss beteiligen, das dann diese Personen für die (negative) Kritik vereinnahmt werden. Mehr noch, ich halte das für etwas doppelzüngig, halte das für eine doch etwas scheinfromme und unlautere Diskussionskultur, Giesbert.
    Du schreibst:


    "Warum das Buch so enttäuschend ist, verrät der Herausgeber im Vorwort, in dem er einräumt, er sei beim Autorenanbaggern "auf eine Mauer des Widerwillens" gestoßen und es habe Ausreden gehagelt."


    Was wird hier dem geneigten Leser denn nun suggeriert?
    Was soll der Leser unter dieser etwas ominös formulierten - Mauer des Schweigens - denn nun verstehen?


    Menschen also dann, die Widerwillen gegen Grass hegen, aha. (Welche Menschen, das wird hier ja wohlweislich und tugendreich verschwiegen).


    Oder sind es nicht viel mehr Menschen (Schriftsteller, Autoren, Persönlichkeiten aus den verschiedensten Bereichen der kulturellen Öffentlichkeit und des öffentlichen Lebens), die sich ihre Würde, ihre Sittlichkeit, ihren Takt, ihr Sinn für Moral und Anstand bewahrt haben, die sich gerade deshalb nicht an diesem literarischen Autodafe beteiligen wollen?
    Menschen dann, die sich nicht Vereinnahmen ließen, für das landsknechtshafte Sprachgepolter und abseitige Wortgeflimmer eines Menschen, der dem Grass, aus welchen Gründen auch immer, nicht gerade wohlgesonnen ist.


    Kritik ja, sie ist wichtig, sie ist unverzichtbar, aber auf diese, jeden Wertmaßstab der menschlichen Würde hinwegfegenden und damit sehr zweifelhafter Wortklingler und Tumultessayisten (in diesem Fall dann Klaus Bittermann), kann ich dann liebend gerne verzichten.
    (Wie schon gesagt, ich mag Grass nicht, aber...)


    Liebe Grüße


    Peter


  • [
    Kritik ja, sie ist wichtig, sie ist unverzichtbar, aber auf diese, jeden Wertmaßstab der menschlichen Würde hinwegfegenden und damit sehr zweifelhafter Wortklingler und Tumultessayisten (in diesem Fall dann Klaus Bittermann), kann ich dann liebend gerne verzichten.


    Mir scheint es, dass Intellektuelle totale Intellektuelle wie es Grass und Jelinek sind, häufig entweder nur lieben oder nur hassen können. Diskutieren lässt sich dann eben kaum. Allerdings ist es ein großer Unterschied ob man dem Werk eines Autors die Bedeutung abspricht, wie es m.E. Giesbert bei Grass tut, oder ob man die Existenzberechtigung eines Werks verneint und dem Autor nahe legt aus seinem Umfeld zu verduften, wie es Madeleine bei Elfriede Jelinek so blumig angedeutet hat.

  • Hallo Madeleine,


    Zitat von "Madeleine"


    Wieso darf man über einen so außerordentlich talentierten, humorvollen und geistreichen Schriftsteller so herziehen und ihn so übel beschimpfen?
    Täte man dies mit der geheiligten Jelinek, wäre doch gleich wieder Feuer am Dach.


    Mich ärgert das ungeheuer, wie hier verschiedene Maßstäbe angelegt werden, ohne das jemand erklären könnte, wie das zustande kommt.


    ist ja ironischerweise auch ein Thema der oben genannten Schriftstellerin, daß das Sprechen der Frauen immer wieder abgeblockt wird und die Männer die Definitionsmacht haben. :breitgrins:


    Was hindert Dich denn daran, über Jelinek so herzuziehen wie Giesbert über Grass? Mit Widerspruch muß man in beiden Fällen rechnen, und wer austeilt, sollte auch einstecken können, außerdem steht es Dir natürlich frei, auf einen groben Klotz einen groben Keil zu setzen, wenn Dir danach zumute ist. ;-)


    Schöne Grüße,
    Wolf

  • Hallo Lost,


    Zitat von "Lost"


    Allerdings ist es ein großer Unterschied ob man dem Werk eines Autors die Bedeutung abspricht, wie es m.E. Giesbert bei Grass tut, oder ob man die Existenzberechtigung eines Werks verneint und dem Autor nahe legt aus seinem Umfeld zu verduften, wie es Madeleine bei Elfriede Jelinek so blumig angedeutet hat.


    na ja, diese "blumige Andeutung" von Madeleine hatte ich gleich als eine Anspielung auf ein Jelinek-Zitat erkannt, denn Jelinek hat ja gesagt, daß ihr Roman "Neid" jederzeit wieder aus dem Internet verschwinden könne. Die Verwurstung von Zitaten ist eine Methode, die Jelinek selbst verwendet. Madeleine hat sich davon inspirieren lassen, das fand ich eigentlich ganz nett. :-)


    Schöne Grüße,
    Wolf

  • Die Vorlieben und Abneigungen sind nun hinlänglich bekannt.
    Ertragreicher als sie bis jetzt waren, werden unsere Diskussionen zu diesem Thema wohl nicht mehr werden.


    Außer - wir lesen von je einer Geliebten bzw. einem Ungeliebten gemeinsam ein Buch und legen ganz genau dar, was daran nun ein unbedeutendes Geschwafel bzw. genial ist.


    Ich weiß aber nicht, ob man in einem Klassikerforum Gegenwartsliteratur in eine Leserunde aufnehmen darf.


    Jedenfalls wäre ich zu allem bereit.


    Liebe Grüße, Madeleine.


  • Diskutieren lässt sich dann eben kaum.


    In dem Falle vielleicht nach einem Kotau vor Arno Schmidt.


    Das Dogma des Einzelnden, sprich seine literatischen Geschmacklichkeiten, und damit seine "Heiligen Schriften". Gibt es aber im Grunde genommen nicht wirklich vor. Nun denn, nur mir kömmt das kalte Speiben, wenn sich dann so prosaische Hanswurste mit diesen Themen feine Häuser machen (wollen).
    Grass hin, Jelinek her, ich hab nun meine "Leoparden" durch und mach mich noch einmal, studierender Weise, an Brands Haide, danach fällte die Entscheidung, entweder - hinab in den Hades, oder - kein gülden schwerer Dukat wird mich je reuen...


    Liebe Grüße


    Peter


  • [
    Grass würde ich nicht gerade als Intellektuellen bezeichnen ;) ... Jelinek schon eher.


    Ein totaler Intelektueller hätte z.B. einen Lehrstuhl für theoretische Philosophie inne ... :breitgrins:


    Ich bezog mich mit dem Begriff "Totaler Intellektueller" da eher auf Bourdieu und die anderen Einmischer, weniger auf die akademische Selbstbefriedigung ;-)


    Ein Spezialist für den Umgang mit symbolischen Gütern ist Grass doch ganz bestimmt, auch wenn er noch sklavisch (und mir verständlich) an seiner alten Schreibmaschine hängt!


    Es gibt viele Intellektuelle, die die Welt in
    Frage stellen, es gibt wenige, die die
    intellektuelle Welt in Frage stellen.
    Pierre Bourdieu: Ein soziologischer Selbstversuch

  • Deine Meinung, liebe Leserin, sei Dir unbenommen, aber als Argument hat sie mich (noch) nicht überzeugt.
    Was meinst Du mit sorgfältig kalkuliertem Geschwafel?


    Welcher Schriftsteller schwafelt dann nicht sorgfältig kalkuliert?
    Und vor allem, wie stellst Du das fest? Wie trennst Du Schein von Sein?


    Das würde mich doch interessieren!


    Liebe Grüße, Madeleine.

  • Hallo Madeleine,
    ich zitiere mit "sorgfältig kalkuliert" doch lediglich "deinen" Grass, siehe oben. Geschwafel und Geschwätz darf die Literatur eben niemals sein, sonst ist sie keine. Grass hat aber nichts anderes zu bieten als das. Es gibt bei ihm kein einziges wahres Wort, nur hohle Konstrukte, barockes Gefasel, männlich-dummdreistes Gehabe, erzlangweilige Salbaderei. Er ist ein notorischer und erfolgreicher Selbstüberschätzer, Moralisierer ohne Moral, narzißtisch und aufgeblasen. Für seinen Erfolg kann er nichts, zu lange hat man ihm all das abgenommen und abgekauft, es war ja auch so bequem. Die Deutschen haben durch ihn und andere Unglücksfälle der Gruppe 47 glauben dürfen, sie hätten sich wieder einen Platz in der Weltliteratur erobert. Doch davon sind sie weit entfernt, in ein paar Jahren werden all diese Böll-, Grass-, Walser-, Lenz- Luftnummern vergessen sein, sie sind es eigentlich heute schon.
    Das sind für dich sicher alles wieder keine Argumente, doch in der Literatur ist es wie in der Medizin, nimm ein, was dir hilft.
    (Ich weiß, das steht jetzt bestimmt wieder im falschen Ordner)
    Grüße von der Leserin


  • Solange man noch die Geschichte Mitteleuropas und seine drei Kriege und Nachkriegszeiten im 20. Jahrhundert wahrnehmen wird, wird Günter Grass für die Literatur in zwei dieser Epochen stehen. Ich bin sicher, die Chinesen und Inder werden in 50 Jahren Grass und einige andere die du genannt hast lesen, um ein Gefühl für unsere Zeit zu bekommen, so wie wir heute die griechischen und römischen Autoren der Antike lesen. Aber wir können dann ja noch Mal darüber reden ;-) Schimpf einfach solange weiter.


  • Ich bin sicher, die Chinesen und Inder werden in 50 Jahren Grass und einige andere die du genannt hast lesen, um ein Gefühl für unsere Zeit zu bekommen, so wie wir heute die griechischen und römischen Autoren der Antike lesen.


    Hallo Lost,


    meinst du nicht auch, das du dich hier eindeutig etwas, sagen wie einmal - literarisch verstiegen hast?


    Ich wollte ja eigentlich nichts weiter zu Grass sagen, aber was dann hier...


    Hier wird Grass (neben anderen?!?!) eindeutig auf den Podest neben, und hier gleitet das Ganze dann ab in eine reine Phantasmagorie, also neben den Autoren der griechischen und römischen Antike gestellt.
    Grass also dann, ein politischer Hasardeur, der literarischer Taschenspieler und unser aller so moralinsaures Volksgewissen?
    Grass also dann, der sich so sehr in seinen sozialdemokratischen Schreianfällen gefiel und sich dadurch die Lizenz für Beleidigungen, Schmähungen, Verunglimpfungen und ja selbst böser Nachrede jeglicher Art ergaunerte, der seinen moralischen Verrat in, ach so sittlich tugendhaften Heulkkrämpfen inszenierte, um seinen perfiden Vertrauensbruch, natürlich unter Strömen dick von seiner verhärmten Wange kullernden Krokodilstränen, vergessen zu machen.


    Grass, ein Paradebeispiel für literarische Impotenz (zum Beispiel: Der Butt), für öffentliche hochgejubelte literarische Infantilität (zum Beispiel: Ein weites Feld) und auch für eine schon bald schurkenhaft schuftige Doppelmoral (seine garstig heimtückische, ja schon bösartige Polemik wegen des damaligen "Besuchs" an den SS - Gräber in Bitburg), die Ihresgleichen suchen dürfte.


    Ich weiß nicht was die Inder und Chinesen in 50 Jahren lesen werden, um ein Gefühl für unsere (?) Zeit zu bekommen, aber Grass, Grass wohl, sagen wir einmal höflich - Grass wohl weniger.


    Grüße


    Peter



  • In meinen Bemerkungen habe ich keineswegs Grass neben klassischen Autoren gestellt. Wir wissen nur wenige darüber wie sich einige dieser Senatoren und Politiker im Senat, gegenüber dem Volk und ihren Sklaven verhalten haben und von wem sie geliebt oder gehasst wurden abseits ihren Griffelstube.
    Wenn wir uns mit literarischen Erzeugnissen ein Bild über vergangene Epochen machen und uns nicht nur auf den literaturtheoretischen Scheiß konzentireren, dann ist das immer unvollkommen und auch kontrovers. Die Neuzeit bietet den Vorteil, dass schriftlich Zeugnisse besser vielfältiger erhalten sind und keine nur zufällige Auswahl mehr gestattet. Selbst die Bücher, die von mehr oder weniger ehrenwerden Gesellschaften wie der katholischen Kirche oder den Nazis ins Feuer geworfen wurden, überleben. Eine Frage ist, welche Bedeutung sie in welcher Zeit behalten. Da können wir in unserer Gegenwart sehen, dass wir wieder Schrieften ausgraben, die in der Zwischenzeit längst nahezu vergessen waren und fast nichts ist mehr entgültig.
    Die Themen von Grass sind aus seiner Zeit und die Blechtrommel und "Ein weites Feld" sind engagierte Zeitzeugnisse, die auch von Menschen gelesen und gewertet werden können, die nicht über das Rüstzeug verfügen, dass erst ein mehrjähriges Studium im besten Fall vermittelt. Wir lesen doch Fontane auch als Zeitzeugen und mögen so billige Gartenlaubgeschichten wie "Irrungen,Wirrungen" wegen dem Gefühl das wir für Fontanes Zeit bekommen, ohne dass wir uns seinem chauvinistiscvhen Preußentum anschließen müssen.
    Wir können die Zukunft nicht vorhersagen. Grass wird aber gerade wegen seiner Eigensinnigkeit und auch klaren Positionen Bestand haben.


    Ich glaube von Lec stammt die Bemerkung: Schont die Sockel, wenn ihr die Denkmäler stürzt. Ich bin mir nicht zu schade Grass auf einen Sockel zu stellen, den ich vorher abgeräumt habe.