Mai 2005 - Jean Paul: Die Flegeljahre (unvollendet)

  • Hallo zusammen,


    ein bisschen, aber nicht viel weiter bin ich gekommen und halte nun bei Vults Konzert inne: Ein besonders Schmankerl für mich als begeisterten Konzertbesucher und Klassikhörer. J.P. hatte wohl auch Herzohren für die Musik und findet hier sehr schöne, geradezu lyrische Worte für die Macht der Musik, allerdings auch sehr ironische für das Konzertpublikum: Besonders gefällt mir die Wendung von den Hörferien für die Konzertpausen, die ja auch heute gerne noch mit hohlem Geschwätz gefüllt werden und scheints für einige Konzertbesucher der einzige Anlass sind, die lästigerweise dazwischen gespielten Stücke mit einigem Anstand über sich ergehen zu lassen.


    Maja,
    in Bezug auf deine Frage für Pferdekenner habe ich auch keine Antwort, kann aber nur sagen, dass mich das Ganze an Karl May erinnert, dessen Kara Ben Nemsi in "Durch die Wüste" seinen Zossen Rih zu ungeheuren Rennleistungen antrieb, indem er ihm eine Hand zwischen die Ohren legte und ihm ein geheimes Wort zuflüsterte. Aber ob May jemals ein JP-Leser war?


    sandhofer,


    es tröstet mich, dass auch du durch die Congeries von mäusefahlen Katzenschwänzen verwirrt warst. Ich musste sehr aufmerksam lesen, um ein bisschen den Zusammenhang zwischen der optischen Projektion unserer Seheindrücke und der Frage, ob es wirklich Hexen gab, auch nur in Ansätzen folgen zu können.


    In Nr. 24 begegnet uns nun zum ersten Mal auch indirekt WINA, durch ein von ihr an Klothar gesandtes Briefchen. Nun also auch die Religion als Attribut der reinen aufrichtigen Seele und nicht nur der scheinheiligen Ausprägung Glanzens.


    Übrigens habe ich in der Jean Paul-Biografie von de Bruyn ein schönes Zitat zum "Verständnis" jeanpaulischer Texte gefunden:


    Je gründlicher man liest, je mehr man begreift, desto größer wird die Ratlosigkeit vor dieser Fülle.


    Ich behaupte nicht, viel zu begreifen und wirklich gründlich zu lesen, aber dennoch, je tiefer man einsteigt, desto mehr Fragen erwarten einen tatsächlich hinter den scheinbar gelösten Fragen.


    In diesem Sinne:
    Niemals den Mut verlieren!


    Eine schöne Arbeitswoche


    finsbury
    _________________________________________________
    - Noch anderthalb Wochen bis zu den Ferien!!! :klatschen:

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "finsbury"

    [...]kann aber nur sagen, dass mich das Ganze an Karl May erinnert, dessen Kara Ben Nemsi in "Durch die Wüste" seinen Zossen Rih zu ungeheuren Rennleistungen antrieb, indem er ihm eine Hand zwischen die Ohren legte und ihm ein geheimes Wort zuflüsterte. Aber ob May jemals ein JP-Leser war?


    Daran musste ich auch denken :zwinker: ! War aber Jean Paul zu Mays Zeit noch bekannt? M.W. hat ihn erst George wieder aus der Versenkung geholt. Und George war nun wohl kaum unter Mays Lektürevorlieben ...


    Zitat von "finsbury"

    Übrigens habe ich in der Jean Paul-Biografie von de Bruyn ein schönes Zitat zum "Verständnis" jeanpaulischer Texte gefunden:
    Je gründlicher man liest, je mehr man begreift, desto größer wird die Ratlosigkeit vor dieser Fülle.


    Johann Peter Hebel schrieb in einem Brief über Jean Paul: Man hat zwar anfänglich Mühe, sich in die eigentümliche Manier dieses Originals zu finden, und manches mag für nichtstudierte Personen schwer und unverständlich sein, aber man kann auch unbeschadet, ob's gleich Romane sind, eine und zwei Seiten überschlagen und die dritte mit innigem Entzücken lesen; seine Schilderungen der Natur, des menschlichen Herzens, der menschlichen Freuden und Leiden übertreffen alles Ähnliche, nur die Natur selber nicht.


    Unterdessen habe ich das 2. Bändchen fertig gelesen. Klothar zeigt sich dem Leser als der adelsstolze Flegel, der er ist. (Überhaupt der Titel des Ganzen: Wie passt der zum Roman?) Nur Walt will ihn noch immer nicht so sehen, wie er ist. Er gibt die Schuld am misslungenen Rendez-vous sich selber.


    Vult und Walt vertragen sich wieder - für wie lange, weiss der Leser nicht.


    Wina scheint das allgemeine Objekt der Begierde zu werden ... Jean Paul knüpft in "klassisch"-trivialliterarischer Manier die Fäden der Tragödie ...


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen,


    Zitat von "Sandhofer"

    (Überhaupt der Titel des Ganzen: Wie passt der zum Roman?)


    Das habe ich mich auch gefragt. Vor allem, da in Nr. 14 ausgerechnet der Held des Ganzen, Walt, "Flegeljahre" als Titel für den Doppelroman ablehnt, es sei zu auffallend und zu wild.


    Gruss,
    Maja

  • Hallo zusammen!


    Langsam geht's vorwärts :breitgrins: ...


    In Stück 33 wird Klothar von Vult "Philosoph" genannt, ganz am Schluss, dort, wo es darum geht, dass Wina ihn zum Christentum (zum Katholizismus?) bekehren möchte. Hätten wir ein weiteres Jean-Paul'sches Fichte-Bild vor uns? Klothar beginnt, mich zu interessieren; ich glaube nun zu verstehen, warum er nicht nur Unsinn von sich gibt.


    Nro. 34 ist ein kurzes Stück. Aber es zeigt so schön unsern Helden in seiner schüchternsten Pracht. Vergessen wir nicht: er ist noch jung. Und waren wir in der ausgehenden Pubertät nicht alle ähnlich schüchtern? (Ich muss mir unbedingt mal Jean Pauls Levana zu Gemüte führen!)


    Nach der kurzen Nro. 34 eine ein bisschen längere 35. Walt hört nun wirklich Winas Singen und nicht das der Kammerjungfer wie in 33. Und das Kerlchen schmilzt beinahe weg ... Während der General der abgebrühte Weltmann ist und über -zig Dinge gleichzeitig diskuriert. Jean Pauls Kunst besteht ja nun darin, Walt zwar ein bisschen lächerlich, aber nicht allzu lächerlich zu machen. Gerade so, dass unsere Sympathie auf seiner Seite bleibt und nicht zum General wechselt.


    Wie weit seid Ihr?


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen!


    In Nro. 36 träumt sich Walt eine Liebe mit Wina zusammen ... Das Kerlchen ist phantastisch bis in die Zehenspitzen!


    Liebe, die am besten funktioniert, wenn der/die Geliebte nichts davon weiss ... Es stecken tiefe psychologische Einsichten hinter den Arabesken-Gedanken von Jean Pauls Figuren ...


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Eine schöne Stelle in Nro 36 Kompassmuschel - Träume aus Träumen finde ich:

    Zitat

    ...Unterwegs prüft' er die Rechtmäßigkeit des Traums und hielt ihn so Stück für Stück an den moralischen Probierstein, daß er ihn auf die beste Weise zum zweitenmale hatte. So hält sich die fromme Seele, welche bange schwimmt, gern an jedem Zweige fest, der auch schwimmt...

    Diese Textstelle, typisch für Jean Paul, zeigt nicht nur Jean Pauls stilistisches und wortmächtiges Schreibvermögen, sondern auch seine feine psychologische Beobachtungsgabe und seine Begabung kurz in philosophische Betrachtungsweisen abzugleiten und doch gleich wieder zurückzukommen. Aber Jean Paul schreckt auch nicht von längeren philosophischen Betrachtungen zurück. So traft ich schon mehrmals in seinem Werk auf "eingebaute philosophische Essays". In dieser Textstelle wird auch die ständige Beschäftigung mit der Moral hervorgehoben. Nietzsche hatte seine Freude an Jean Paul gehabt... FA

    Daß man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! daß man sie nicht hinterdrein im Stiche läßt! - Der Gewissensbiß ist unanständig. - Friedrich Nietzsche - Götzen-Dämmerung, Spruch 10

  • Hallo zusammen!


    Danke, Friedrich-Arthur, für Deine Worte! Ich habe Jean Paul - in seiner Auseinandersetzung mit der Ich-Philosophie Fichtes - schon immer als grossen Philosophen geschätzt; den Psychologen und Menschenkenner entdecke ich erst jetzt so richtig. So, wenn in Nro. 47 der Notar eine Anekdote erzählen soll. Wie alle schüchternen Menschen hat er Mühe, überhaupt eine zu produzieren, und als er endlich sich erinnert, bringt er sie so kahl und nüchtern vor, dass der General nicht realisiert, wenn er zu Ende ist und sich die Geschichte nochmals, ausführlicher, erzählt, um sie schätzen zu können. Überhaupt gefällt mir der Notar auf dieser Reise ganz ausgezeichnet. Bei gewissen Stellen - wohl, um nicht in den etwas zynischen Ton des Erzählers zu fallen - zitiert der Erzähler aus Walts Tagebuch. Die Ähnlichkeit mit dem Taugenichts wird hier dann frappierend: der Held reist und teilt uns seine Eindrücke in Ich-Form mit.


    Ich beginne langsam, mich ernsthaft auf die Suche nach einer anständigen Ausgabe von Levana zu machen ...


    Wie weit sind die andern?


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo Flegelianer(innen)!


    Ich stimme dir zu sandhofer und ich meine Ähnlichkeiten mit den psychologischen Elementen in Friedrich Nietzsches Philosophie zu sehen. Bei beiden beruhen die psychologisch-philosophischen Elemente auf sehr genauer Beobachtung ihrer Umwelt und Mitmenschen, feinem Einfühlungsvermögen und Sensibilität. Das denke ich, als die Grundlage erkannt zu haben. Beide ähneln sich auch in der Sprachmächtigkeit, mit der sie dies glaubhaft, erkennbar und stilistisch einwandfrei wiedergeben konnten. Ich finde die philosophischen Abhandlungen bei Jean Paul völlig überzeugend und auch heute noch gültig. Sie sind gesellschaftlich übergeordnet allgemeingülltig. Das wird auch zukünftige Generationen noch reizen, sich in Jean Pauls und Nietzsches Werk zu erkennen oder zumindest berührt zu fühlen. Beides finde ich sehr wichtig.


    Grüße, FA

    Daß man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! daß man sie nicht hinterdrein im Stiche läßt! - Der Gewissensbiß ist unanständig. - Friedrich Nietzsche - Götzen-Dämmerung, Spruch 10

  • Hallo Flegelianer ( hübsche Wortschöpfung, @FA! :zwinker: ),


    nun bin ich wieder frei, mehr zu lesen: Allerdings bist du, @ sandhofer, ja weit vorausgaloppiert : Da werde ich wohl kaum hinterherkommen.
    Wie sieht's bei dir aus, Maja?
    Ich bin erst mit NR.33 fertig, in welchem Vult den zögerlichen Walt zum Rendezvous mit dem Grafen vorbereitet. Ein schräger Vogel, dieser Vult:
    Sucht er sein eigenes Eifersuchtsleid zu vergrößern oder hofft er darauf, dass Walt Klothar endlich durchschaut? Aber davon ist laut Sandhofer ja zunächst mal nicht auszugehen.
    Übrigens erinnert mich die Verkleidungsszene sehr an die berühmte Keller-Novelle "Kleider machen Leute": Da gewinnt Wenzel Strapinski sein vornehmes Äußeres auch einem polnischen Mantel ab und wird dadurch gleich für einen Grafen aus eben diesem Land gehalten.
    Auch Keller und JP haben- wie ich meine - gewisse Gemeinsamkeiten, was ihre satirischen Passagen angeht.
    In Nr.30 gibt es übrigens eine sehr treffende soziologische Betrachtung zum Einzelkämpfertum des Bürgertums, das gegenüber dem Adel kein gemeinschaftliches Klassenbewusstsein ausbildete. Sicherlich ein Grund für das lange Überdauern überkommener feudaler Strukturen.


    Friedrich-Arthur: Siehst du tatsächlich so große Übereinstimmungen zwischen JP und Nietzsche: Im philosophischen Bereich vielleicht z.T, z.B.was die "Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab" angeht,
    aber literarisch finde ich keine großen Ähnlichkeiten: die Bitterkeit, die bei Nietzsche alles überlagert und seine Egomanie finden bei JP nur ganz geringe Entsprechungen.


    In der Hoffnung, nun etwas schneller voranzukommen


    HG finsbury

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "Friedrich-Arthur"

    Ich [...] meine Ähnlichkeiten mit den psychologischen Elementen in Friedrich Nietzsches Philosophie zu sehen. Bei beiden beruhen die psychologisch-philosophischen Elemente auf sehr genauer Beobachtung ihrer Umwelt und Mitmenschen, feinem Einfühlungsvermögen und Sensibilität.


    Beide sind auch nicht-systematisierende Psychologen, d.h., sie halten sich an den Einzelfall, an die Einzelbeobachtung. Jean Paul, indem er das Innenleben v.a. seiner "passiven Helden" beschreibt, Nietzsche, indem er seine psychologischen Aperçus in sentenzenhaft-aphoristischer Form niederlegt. Damit aber unterscheiden sie sich imho auch schon wieder, und - wenn man denn schon vergleichen will :zwinker: - von den bisher Aufgerufenen scheint mir im Psychologischen tatsächlich am ehesten Gotthelf Jean Pauls "Erbe" zu sein.


    Zitat von "finsbury"

    Allerdings bist du, @ sandhofer, ja weit vorausgaloppiert : Da werde ich wohl kaum hinterherkommen.


    Sooo weit bin ich gar nicht. Ich bin ja ziemlich unter meinem selbstgesetzten Pensum von 1-2 Nummern im Tag geblieben. Wenn Du, finsbury, mal einen Abend Jean Paul widmest, hast Du mich wieder eingeholt ...


    Zitat von "finsbury"

    Friedrich-Arthur: Siehst du tatsächlich so große Übereinstimmungen zwischen JP und Nietzsche: Im philosophischen Bereich vielleicht z.T, z.B.was die "Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab" angeht, aber literarisch finde ich keine großen Ähnlichkeiten: die Bitterkeit, die bei Nietzsche alles überlagert und seine Egomanie finden bei JP nur ganz geringe Entsprechungen.


    Schon interessant, wie unterschiedlich Rezeptionen sein können. Gerade im Philosophischen sehe ich wenig Übereinstimmendes zwischen Jean Paul und Nietzsche (Die Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, dass kein Gott sei beginnt praktisch mit der Fussnote Wenn einmal mein Herz so unglücklich und ausgestorben wäre, dass in ihm alle Gefühle, die das Dasein Gottes bejahen, zerstöret wären; so würd ich mich mit diesem meinem Aufsatz erschüttern und - er würde mich heilen und mir meine Gefühle wiedergeben. Und das war wohl durchaus Jean Pauls Ernst.) Auch auf der andern Seite: Bitterkeit und Egomanie bei Nietzsche? Letzteres vielleicht in seinen spätesten Texten. Bitterkeit? Nietzsche wie Jean Paul waren dem menschlichen Wesen gegenüber sehr kritisch eingestellt - Misanthropen halt. Ist Misanthropie = Bitterkeit? Ich weiss es nicht ...


    Ist es übrigens Zufall, dass Jean Paul seinen Walt auf der Reise so richtig gut und schön darstellen kann? Viele Helden bei ihm sind Reisende; selbst in einigen Titeln seiner Werke kommt das Reisen vor.


    Unser Leben gleicht der Reise
    Eines Wandrers in der Nacht;
    Jeder hat in seinem Gleise
    Etwas, das ihm Kummer macht.

    Thomas Legler, 28.11.1812 - das Gefühl lag wohl zu jener Zeit in der Luft ...


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo,


    was ich meinte war die psychologische Komponente und wie sandhofer richtig schrieb, die Art einzelne psychologische Verhaltensweisen am Menschen genau beobachtet zu haben, sich dann daran in einem kleinen Essay/Aphorismus ausschreibend und doch immer wieder zurückkommend. Will sagen: die eigenen Lieblingsthemata immer wieder aufzugreifen, anders zu betrachten, umzustülpen, gegebenenfalls zu verwerfen - das schien mir neben der psychologisch genauen Beobachtung ziemlich vergleichbar. Wie geschrieben, ich begrenzte mich bei meinem Vergleich auf das psychologisch-philisophische Element der Philosophie dieser beiden Stilkünstler und die ähnliche Herangehensweise. Das mit der Misanthropie finde ich einen interessanten Gedanken, sehe ihn aber bei Nietzsche eingeschränkt und weit von seinem geistigen Ziehvater entfernt, bei Jean Paul noch minder. Vielleicht habe ich es nur noch nicht herausgefühlt. Auf jeden Fall erlagen beide ihrem Schicksal - und so will mir scheinen - zurückgewiesener Liebe. Jean Paul finde ich eigentlich sehr menschlich eingestellt und seine Werke zeugen mir von Menschenliebe und Freude am kleinen Deteil all dessen, was menschlich ist und zum Menschsein gehört. Besonders auch in den Flegeljahren. Was denkt ihr? Liege ich so danaben mit meiner Einschätzung?


    Schöne Runde! Die Diskussionen regen mich richtig zum Nachdenken an. Schwer ist es mir nur, meinen Gedanken würdige Wörter um den Leib zu schreiben...


    Grüße, FA

    Daß man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! daß man sie nicht hinterdrein im Stiche läßt! - Der Gewissensbiß ist unanständig. - Friedrich Nietzsche - Götzen-Dämmerung, Spruch 10

  • Hallo zusammen!
    Hallo Friedrich-Arthur!


    Du hast ja Recht: 'Misanthropie' trifft auf Jean Paul so wenig zu wie das Wort 'Zynismus'. Mir ist bis anhin einfach noch kein besseres eingefallen. Einen Humanismus im Sinne der Klassiker (den diese allerdings auch im Konjunktiv formulierten: Edel sei der Mensch, hilfreich und gut) kann ich nämlich ebensowenig feststellen. Bei Jean Paul ist der Edelmensch wie Walt auch der Unbeholfene, Unpraktische. (Damit setzt sich Jean Paul implizit wohl auch vom zeitgenössischen Rousseau-Rummel um den edlen Wilden ab!) Der sich zu helfen weiss, der Praktische, ist immer auch eine Art von Zyniker, Misanthrop: Vult. Im Gegensatz zu Nietzsche hat Jean Pauls "Misanthropie" allerdings immer den Hintergrund eines christlichen Gottes, der die Dinge anders sieht als wir Menschen. Hier auf Erden allerdings greift dieser Gott nicht wirklich ein. Sondern der "Zyniker" Vult. (Der nun aber wiederum Gottes Willen inkarniert? ... Hm ... Jean Paul ist voller Widerhaken und Hintergründigkeiten ... )


    (Dass sich Nietzsche in seinem Menschenbild von Schopenhauer stark unterscheidet, ist unbestritten. Aber ein anderes Thema, das wir vielleicht im Nietzsche-Thread diskutieren könnten.)


    Ich seh schon ... ich muss Levana lesen, um mein Bild von Jean Pauls Menschenbild zu vervollständigen ... und wenn's on-line ist ...


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo, Friedrich-Arthur, Sandhofer und hoffentlich noch Maja,


    nun musste ich erstmal noch "Die Rede des toten Christus..." und etwas Nietzsche überfliegen, damit ich auch nicht allzu hohles Gewäsch schreibe :zwinker: .


    Zitat von "sandhofer"


    Schon interessant, wie unterschiedlich Rezeptionen sein können. Gerade im Philosophischen sehe ich wenig Übereinstimmendes zwischen Jean Paul und Nietzsche (Die Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, dass kein Gott sei beginnt praktisch mit der Fussnote Wenn einmal mein Herz so unglücklich und ausgestorben wäre, dass in ihm alle Gefühle, die das Dasein Gottes bejahen, zerstöret wären; so würd ich mich mit diesem meinem Aufsatz erschüttern und - er würde mich heilen und mir meine Gefühle wiedergeben. Und das war wohl durchaus Jean Pauls Ernst.)


    Meiner Meinung nach zwingt sich Jean Paul gegen besseres Wissen zum Glauben, wenn er in dem oben genannten Text Christus sagen lässt:
    ""Ach, ihr überglücklichen Erdenbewohner, ihr glaubet Ihn noch.[...] Sterblicher neben mir, wenn du noch lebst, so bete Ihn an: Sonst hast du ihn auf ewig verloren.""
    Und später, als der Ich-Erzähler aus seinem Traum erwacht:
    "Meine Seele weinte vor Freude, daß sie wieder Gott anbeten konnte [...]
    und zwischen Himmel und Erde streckte eine frohe, vergängliche Welt ihre kurzen Flügel aus und und lebte, wie ich vor dem unendlichen Vater [..].


    Es ist zumindest durchaus nicht unmöglich, daraus zu entnehmen, dass JP sich vor dem erkannten Nichts fürchtend, den Glauben bewusst als Schutzmauer einsetzt.
    Und in dieser Erkenntnis des Nichts liegt die Parallelität zu Nietzsche, seiner These vom Tod Gottes.


    Zitat von "sandhofer"


    Bitterkeit und Egomanie bei Nietzsche? Letzteres vielleicht in seinen spätesten Texten. Bitterkeit? Nietzsche wie Jean Paul waren dem menschlichen Wesen gegenüber sehr kritisch eingestellt - Misanthropen halt. Ist Misanthropie = Bitterkeit? Ich weiss es nicht ...


    Ob nun Misanthropie = Bitterkeit ist oder nicht, beides kann man meiner Ansicht auf keinen Fall auf JP anwenden, dagegen auf Nietzsche - gut, nur in bestimmten Phasen seines Lebens und sicherlich autobiografisch und krankheitlich bedingt - sehr wohl!


    Beispiel aus "Ecce homo":
    Das, was die Menschheit bisher ernsthaft erwogen hat, sind nicht einmal Realitäten, bloße Einbildungen, strenger geredet, Lügenaus den schlechten Instinkten kranker, im tiefsten Sinne schädlicher Naturen heraus - alle die Begriffe 'Gott', 'Seele', 'Tugend', 'Sünde', 'Jenseits', 'Wahrheit', 'ewiges Leben'[...]


    Über die Egomanie will ich jetzt nicht schreiben: Sie liegt gerade in den autobiografischen Schriften auf der Hand und ist ja auch in vieler Hinsicht verständlich.


    Zitat von "Friedrich-Arthur"


    Jean Paul finde ich eigentlich sehr menschlich eingestellt und seine Werke zeugen mir von Menschenliebe und Freude am kleinen Deteil all dessen, was menschlich ist und zum Menschsein gehört. Besonders auch in den Flegeljahren. Was denkt ihr? Liege ich so danaben mit meiner Einschätzung?


    Keineswegs. Ich denke genauso. JP gießt zwar auch seinen Spott über seinen Romanfiguren aus, zeigt aber auch große Liebe zu ihnen, auch gegenüber den karikierten. Man kann das natürlich als reinen Spott ansehen, aber ich empfinde zum Beispiel die unglaublich witzige Stelle in Kapitel 33 über die Unmöglichkeit der Kommunikation zwischen "Studierstubeninsassen" und "Welt- und Geschäftsmännern" als von freundlich-resignativer Menschenkenntnis und -liebe erfüllt, besonders die Schlussfolgerung:


    Rechte gewöhnliche und doch befriedigende Unterhaltung ist allgemein unter den Menschen die, daß einer das sagt, was der andere schon weiß, worauf dieser aber etwas versetzt, was jener auch weiß, so daß jeder sich zweimal hört, gleichsam ein geistiger Doppelgänger.


    Ich fühle mich da voll erkannt, aber auf liebevolle, nicht gemeine Weise hoppgenommen.


    Bin nun mit Kapitel 35 fertig geworden und darüber informiert, dass Walt durchaus noch Chancen bei Wina hat, weil sie den Grafen ja eigentlich gar nicht soo liebt, sondern ihm ein Kopfkissen aus dem ehelichen Bette ziehen wollte, um es ihren Eltern zuzuwerfen. Die Vernunftehe wird hier auch von der Gutmenschin Wina durchaus realistisch gesehen.

    Zitat von "sandhofer"


    Wenn Du, finsbury, mal einen Abend Jean Paul widmest, hast Du mich wieder eingeholt ...


    Kaum. Schaffst du es, dich einen ganzen Abend mit den Flegeljahren zu befassen? Ich genieße den Roman sehr, aber in therapeutischen Dosen, sonst erschlagen sich die herrlichen Stellen gegenseitig. Außerdem, wie schon gesagt: Genuss bedeutet nicht unbedingt Entspannung. Es ist für mich schon ganz schön anstrengend, diesem Meister durch den Wunderwald der deutschen Sprache zu folgen.


    HG finsbury

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "finsbury"

    Meiner Meinung nach zwingt sich Jean Paul gegen besseres Wissen zum Glauben, [...] Es ist zumindest durchaus nicht unmöglich, daraus zu entnehmen, dass JP sich vor dem erkannten Nichts fürchtend, den Glauben bewusst als Schutzmauer einsetzt.


    Ich interpretiere Jean Pauls Denken eher dahingehend, dass er, die psychischen Gefahren und logischen Unmöglichkeiten der Ich-Philosophie Fichtes aufzeigend, die Vernunft und Logik des christlichen Glaubens herausschält. Der Christus-Text ist m.M. nur schon dadurch ironisch gebrochen, dass es ja ausgerechnet der Sohn Gottes ist, der da sagt, es existiere kein Gott! Und das Ganze steht in einem fiktionalen Zusammenhang, das Ich des Textes ist nicht unbedingt = Jean Paul.


    Zitat von "finsbury"

    Beispiel aus "Ecce homo":


    Ich hatte vermutet, dass Du dich auf diesen Text beziehst. Ich schlage aber vor, dass wir Nietzsche in seinem eigenen Thread diskutieren. OK?


    Zitat von "finsbury"

    Kaum. Schaffst du es, dich einen ganzen Abend mit den Flegeljahren zu befassen?


    Der Roman braucht schon volle Konzentration - insbesondere, wenn ich ihn für eine Leserunde lese. Aber theoretisch wär's wohl möglich ... (Praktisch gebe ich zu, dass ich im Moment auch zu viel anderes um die Ohren habe ... )


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Guten Tag alle zusammen!
    Nach der „Levana“ suche ich nun auch schon eine Zeit und noch eine, aber ich habe Geduld.
    Über den Vult habe ich mir auch schon seit langer Zeit so einige Gedanken gemacht, aber ich gehe immer davon aus das sich ja Jean Paul gerade im Vult vielleicht am liebsten „austobte“.
    Allzu brav mochte er es auf die Dauer wohl auch nicht. Ich kann mich da aber auch irren und sich bei Jean Paul zu irren ist wohl nicht zu schlimm.
    Aber irgendwie sind in fast allen Romanen diese Vultischen Gestalten anzutreffen, Ausnahme vielleicht Roquairol, da dachte Jean Paul wohl mehr an den Faust oder genauer, an den Mephisto. Der Titan will mir aber irgendwie nicht „runter gehen“, ich habe da schon einige Ansätze gemacht, aber irgendwie dann das Buch wieder etwas entfernter im Regal unter gebracht und dort schaut es mich nun mit vorwurfsvollen Seiten an. Aber das tut so manches Buch auf meinen SUB.
    Danke für das mitlesen dürfen. Ist schon sehr, sehr nützlich und oft erhellend.
    Ich freue mich das es noch Jean Paulisten gibt, DANKE.


    Einen sonnigen Sonntag wünsche ich allen Klassizisten und Lesemäusinnen und Mäusen, Schmökerinnen und "Schmökern", Bibliophillinnen und Philen und überhaupt all denen die gerne ein gutes Buch in die Hand nehmen und es dann auch lesen.

  • Hallo zusammen,
    bin immer noch da, komme langsam vorwärts, und Eure interessanten Beiträge lesen sich auch nicht einfach so obenhin.


    Zitat von "Sandhofer"

    Wenn Du, finsbury, mal einen Abend Jean Paul widmest, hast Du mich wieder eingeholt ...


    Nach zwei Nummern schlafe ich ein.... und für unterwegs ist das Werk auch nicht geeignet, da habe ich wieder mal zu einem dicken Krimi gegriffen.


    Bei Nietzsche kann ich nun definitiv nicht mithalten, aber dafür habe ich noch eine Dissertation über Jean Paul und die Frühromantiker zu lesen begonnen, was dem Lesetempo nicht gerade förderlich ist, aber meinen Blick für das Werk etwas schärft.
    Es geht darum, dass Jean Paul die Frühromantiker und ihre philosophische Grundlage (Fichtes Wissenschaftslehre) kritisiert, aber andrerseits stark von ihnen beeinflusst ist.( Nr. 27, die ich gestern Abend gelesen habe, ist wohl so eine Stelle: Vult kritisiert das subjektive Naturerleben der Romantiker). Typisch für die Frühromantiker sind Verdoppelungen, z.B. der Traum im Traum. Da hat ja auch Vult sich schon ausgiebig über das Rezensieren der Rezension ausgelassen.


    Zitat von "finsbury"


    Keineswegs. Ich denke genauso. JP gießt zwar auch seinen Spott über seinen Romanfiguren aus, zeigt aber auch große Liebe zu ihnen, auch gegenüber den karikierten. Man kann das natürlich als reinen Spott ansehen, ...


    Parodie, romantische Ironie.
    Dies nur zwei hingeworfene Stichworte, ich verfolge die Spur weiter und hoffe, noch mehr dazu in verständliche Worte fassen zu können.
    Im Moment fordert schon wieder das Familienleben seinen Tribut :spinnen:
    Schönen Sonntag noch,
    Maja

  • Hallo zusammen,


    Nr. 36 bis 38 haben mir den Sonntagmorgen versüßt, gestern war ich unterwegs.


    sandhofer


    Zu Fichte muss ich leider passen, der lag immer außerhalb meiner Lektürebemühungen. Du magst gerne Recht haben. Dennoch widersprechen sich unsere Thesen zu JPs theologischer Einstellung nicht unbedingt. Ich behaupte nur, dass es ein bewusstes Glauben ist, das sich dem sonst zu erwartenden Nichts entgegenstellt.


    Zitat von "Sandhofer"

    die Vernunft und Logik des christlichen Glaubens herausschält.


    Meinst du wirklich, dass er dem christlichen Glauben anhängt?
    Richtet sich also seine Kritik in Nr.36, wo er die Kirche "Tempel" nennt, nur gegen den katholischen Glauben? Ich habe seine anderen Werke nicht gut im Kopf, soweit ich sie gelesen habe, aber ich hätte ich ihn, obige Einschränkung vorausgesetzt - eher für eine Pantheisten gehalten. Bitte um Aufklärung!


    Herrlich finde ich in Nr. 36 ebenfalls Walts jugendlicheTräumereien von Wina. Hier kann man auch erahnen, dass ihm Klothar unbewusst nur als gesellschaftlich erfolgreiches Traumbild seiner selbst, also seiner guten Eigenschaften verbunden mit dem äußeren Glanz wichtig ist, aber das wird die zukünftige Lektüre weisen.


    Nett ist Flittens Intrige in 37 / 38: Das in vielem verlogene Städtchen wird hier von einem hoppgenommen, der das noch viel besser kann und daher auch ganz plastisch in einer höheren Position, im Glockenturm über ihnen schwebend gezeigt wird.
    Unser Walt ist auch kein völlig ungetrübter Gutmensch, sondern zeigt auch kleine, aber allzu verständliche Kratzer im Lack, wenn ihm sein kleines flittisches Erbe wichtiger ist als dessen Überleben.



    HG finsbury

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "Maja"


    Nach zwei Nummern schlafe ich ein....


    Nun, dann hast Du ja die ideale Bettlektüre entdeckt ... :breitgrins:


    Zitat von "Maja"

    [...] aber dafür habe ich noch eine Dissertation über Jean Paul und die Frühromantiker zu lesen begonnen,


    Hältst Du uns auf dem Laufenden?


    Zitat von "finsbury"

    Meinst du wirklich, dass er dem christlichen Glauben anhängt?
    Richtet sich also seine Kritik in Nr.36, wo er die Kirche "Tempel" nennt, nur gegen den katholischen Glauben?


    Ich sehe im Anfangsteil von Nro. 36 ehrlich gesagt keine Kritik am Katholizismus oder am Christentum. Es ist m.M. eine der Stellen, wo Jean Paul im rein "italienischen" Stil, also ohne jede Ironie, Walts Liebesentzücken und -empfinden nachzeichnet. Wina ist offenbar sowieso über jede Ironie erhaben oder erhoben, somit auch ihr Katholizismus. Das Wort "Tempel" hat Jean Paul m.M. eher als Steigerung des Wortes "Kirche" benutzt, nicht als kritischen Terminus. Oder habe ich etwas übersehen?


    Ich bin jetzt bis Nro. 51 gekommen. Walt und Wina haben sich - stumm! - gegenseitig ihre Liebe gestanden. Walt kehrt von seiner kurzen Reise zurück und fällt im 4. Bändchen prompt in seine alten Bahnen zurück, lässt sich von allen und jedem ausnehmen. Mit seinem Bruder aber, der ihm die Augen zu öffnen versucht, zerstreitet er sich wieder, und Vult reist ab. Walt verliert einen schönen Teil seines Erb-Waldes und fällt in Flittens Hände. Kaum ist der Naivling zurück, ärgert er mich schon wieder.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo!


    Was haltet ihr eigentlich von Jean Pauls Einstellung zum Geld, dem Symbol des Materialistischen schlechthin? Jean Paul schreibt oft über das Geld, das Geldverdienen und auch Geldverlieren, philosophiert über das Geld und deren Besitz. Ich neige zur Annahme und meine herausgelesen zu haben, dass Jean Paul auf der Glücksskala das Geld deutlich hinter die Liebe stellt. Ich meine, dies sogar bei vielen Schriftsteller(innen) der deutschen Klassik/Romantik ausgemacht zu haben, eine Einstellung, die sich bis hin zum romantisch geprägten Hermann Hesse fortsetzte. Ein typischer Text ist am Ende von Nro. 39 Papiernautilus - Antritt der Reise zu finden:

    Zitat

    ...Das Herz wird wie ein Luftschiff durch den Auswurf des schwersten Ballastes, des Geldes, so leicht, so schnell, so hoch...

    Aber auch andernorts lässt sich dies zitieren. Sowohl Walt, als auch Vult sitzt das Geld ziemlich locker in den Händen. Das Begehren beider von Wina hat es nicht auf deren Besitz sondern Anmut und Schönheit abgesehen. Dass dabei die Anmutige und Schöne auch noch vermögend ist, meist unter der Obhut eines starken Vaters, hat auch etwas typisch romantisches. Aber vielleicht phantasiere ich auch nur und bilde mir das ein. Geld war aber bei den Romantikern und auch bei Jean Paul wohl eher ein Grundübel. Vor kurzen las ich eine Befragung der Deutschen zum Thema Glück und die meisten nannten dabei das Geld als am Wichtigsten. Sind wir heute somit stärker materialistisch eingestellt, als die Zeitgenossen Jean Pauls? Oder hat sich der Ausdruck nur geändert, die Betrachtungsweise? Jedenfalls ein interessantes Thema zum nachgrübeln, finde ich. Grüße, FA

    Daß man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! daß man sie nicht hinterdrein im Stiche läßt! - Der Gewissensbiß ist unanständig. - Friedrich Nietzsche - Götzen-Dämmerung, Spruch 10

  • Hallo zusammen!


    Hochinteressante Fragen, die hier gestellt werden! Über die nach Jean Pauls Einstellung zum Geld muss ich noch nachdenken; ich hatte jetzt gerade mal Zeit über diese Frage nachzudenken:


    Zitat von "finsbury"

    Meinst du wirklich, dass er dem christlichen Glauben anhängt? [...] aber ich hätte ich ihn, [...] eher für eine Pantheisten gehalten. Bitte um Aufklärung!


    Ich habe jetzt auch keine Sekundärliteratur gelesen, und Primärtexte nur kurz angeblättert ...


    Nein, ich glaube nicht, dass Jean Paul Pantheist ist. Sicher, er ist ein Natur-Schwärm-Dichter und das geht oft einher mit Pantheismus. Muss aber nicht ...


    Er hält Spinoza sicher für einen der ganz grossen Denker, kritisiert aber auch, dass man ob Spinoza Leibniz vergisst, ob Shakespeare Swift, ob Chamfort Voltaire: dass daher viele Spinozisten an geistiger Schwindsucht versterben (in der Vorschule der Ästhetik, II. oder Jubilate-Vorlesung).


    Auch glaube ich, er hätte sich nicht gegen Fichtes Wissenschaftslehre derart gewehrt, wenn er Pantheist gewesen wäre. Mir will scheinen, ein Pantheist könnte Fichtes Subjekt, das zuerst sich selber und dann das Objekt setzt, durchaus zustimmen. Während Jean Paul gerade kritisiert, dass so das Subjekt alles (und damit auch nichts!) ist und keine gesicherte Erkenntnis über irgendetwas möglich wäre - weil alles nur gesetzt ist und nicht real. Ein Pantheist könnte m.M. das allesumfassende Subjekt sehr wohl akzeptieren. Während Fichtes Lehre in Jean Pauls Augen in Atheismus umschlägt.


    Es gibt Stellen, z.B. im Ideengewimmel, wo Jean Paul sich kritisch über den Katholizismus äussert. Auch das scheint mir auf einen Christen hinzudeuten. Nicht-Christen pflegen die "internen" Unterscheidungen im Christentum eher zu ignorieren.


    Jean Paul ist wohl kein orthodoxer Lutheraner, er scheint mir eher auf die pietistische Seite zu neigen. Aber darauf möchte ich mich nicht unbedingt festlegen, weil mir schlicht die Daten fehlen ...


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus