Mai 2005 - Jean Paul: Die Flegeljahre (unvollendet)

  • Hallo zusammen,
    Willkommen, Friedrich-Arthur!


    @ Friedrich-Arthur: Was heisst da Gastposter? Sind wir doch alle... und was das Lesetempo angeht, bist Du jedenfalls schon weiter als ich.


    Nr. 1 - Das Weinhaus
    Beim Titel denkt man sich doch zuerst ein gemütliches Wirtshaus!
    Bei den Verwandten ist mir aufgefallen, dass keine zwei den gleichen Namen haben - also wohl entferntere Verwandten sind. Ausserdem haben alle einen Titel, nur Herr Flitten nicht.


    Zitat von "Sandhofer"

    Wer ist wer - - - wer bin / ist "Ich"? Meiner Meinung nach das alle Werke durchziehende Thema bei Jean Paul.

    Dann kann ich's ja gleich aufgeben :breitgrins:


    Nr. 2:

    Zitat von "Friedrich-Arthur"

    Was mir immer in Jean Pauls Romanen “Flegeljahre” und “Siebenkäs” begegnet, ist die Auseinandersetzung mit seinem eigenen Schreiben.


    Danke für den Hinweis, ich werde darauf achten.


    Nr. 3: Da verstehe ich schon den Titel gar nicht. Was ist Terra Miraculosa? Was sind Akzessit-Erben?
    Die Idylle vom schwedischen Pfarrer: brrrr. Welche Art von Literatur wird da parodiert? Und warum Schweden??


    Bei Nr. 4 finde ich den Titel wieder passend: Ein Mammutknochen erzählt auch aus der Vergangenheit.

    Zitat von "Sandhofer"

    Kapitel Nr. 6 - und noch immer ist die Hauptperson nicht aufgetreten ...

    Wohl ein Hinweis darauf, dass es sich, wie so oft in der Literatur, um einen äusserst passiven Helden handelt.


    Vergleiche habe ich für heute (leider :breitgrins: ) keine auf Lager, ausser dass ich dem in Nr. 4 eingführte Doppelgänger-Motiv gerne einmal weiter nachgehen möchte. Warum machen wir nicht mal eine "Doppelgänger-Leserunde"?


    Zitat von "Friedrich-Arthur"

    Meine Frage ist: war Jean Paul Rechtsanwalt? Ein Richter? Rechtverdreher und Notare spielen ja immer eine sehr gewichtige Rolle, sowohl in “Flegeljahre” als auch in “Siebenkäs”.


    Theologiestudent und Lehrer/Schulleiter. Schulmeister spielen auch in einigen Werken eine wichtige Rolle, u.a. in den "Flegeljahren" (dtv-Atlas Literatur)


    Herzliche Grüsse,
    Maja

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "Maja"

    Nr. 3: Da verstehe ich schon den Titel gar nicht. Was ist Terra Miraculosa? Was sind Akzessit-Erben?


    Terra Miraculosa: Speckstein? Ich meine mich zu erinnern, dass schon zu Jean Pauls Lebzeiten dieser Punkt unklar war ...
    Akzessit: zweiter oder Nebenpreis.


    Zitat von "Maja"

    Die Idylle vom schwedischen Pfarrer: brrrr. Welche Art von Literatur wird da parodiert? Und warum Schweden??


    Letzeres wüsste ich auch gerne. Aber ich glaube nicht, dass Jean Paul da jemand oder etwas parodiert. Er schreibt im Grunde genommen ganz ähnlich und absolut ernst gemeint in der Selbsterlebensbeschreibung, im Jubelsenior etc. etc. Es ist für ihn wohl ein Beispiel dessen, was er italienischen Stil nennen würde. Jean Paul hat diese zwei Seelen in seiner Brust: eine elegisch-idyllisch-sentimentale und eine zynisch-revoluzzerische. Allenfalls Sterne zeigt ähnliche zwei Seiten; bei Hoffmann fehlt erstere fast gänzlich; bei Raabe letztere (allenfalls im Alterswerk dunkel-pessimistisch aufglühend); Gotthelf war zu realistisch, um sich dem eine oder andern Extrem hinzugeben; bei Busch fehlt wieder die erste Seite; Mark Twain kennt die beiden Seiten zwar auch, ist aber bedeutend ausgeglichener.


    Zitat von "Maja"

    Warum machen wir nicht mal eine "Doppelgänger-Leserunde"?


    Ein zu weites Feld - jedenfalls, was mich betrifft.


    Zitat von "Maja"

    Theologiestudent und Lehrer/Schulleiter.


    Eine nicht untypische "Karriere" zu jener Zeit, wenn ich mich nicht täusche. Abgebrochenen Theologen blieb fast nur die Schulmeister-Laufbahn. Und "Lehrer" war zu jener Zeit weder finanziell noch von der Reputation her gesehen eine empfehlenswerte Laufbahn ...


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen!


    Stück 7
    Wir lernen – nach seinem Bruder und seinen Eltern – nun auch endlich den „Helden“ der Geschichte persönlich kennen. Vielen Dank übrigens, Maja, für Deinen Hinweis darauf, dass spätes Erscheinen in der Geschichte oft einen „passiven Helden“ bedeutet. Das scheint sich hier zu bewahrheiten.


    Die Szene, wie er den berühmten Dichter trifft, und nur ans Dichten, nicht ans Geld denkt: die kindliche – nicht Verachtung, aber wohl: Nicht-Beachtung – des Finanziellen ist auch typisch für die Weichherzigen, Guten bei Jean Paul. (Arno Schmidt hat mal gesagt, ein Autor schreibe eigentlich sein Leben lang immer nur ein und dieselbe Geschichte. Jean Paul wäre eine wunderbare Bestätigung dieser These.)


    Stück 8
    Man könnte tatsächlich auf den Verdacht kommen, hier schreibe ein Jurist ...


    Doch Walt möchte eigentlich ein Dichter bleiben. Und so stellt uns Jean Paul in


    Stück 9
    (mit dem Titel „Schwefelblüten!“) die ersten Streckverse des jungen Poeten vor. Formal freie Rhythmen, inhaltlich eine Art Aperçu, romantisches Fragment ...


    Des Testaments wird dann erst in


    Stück 10


    gedacht. Vult beobachtet die ganze Szene, ohne einzugreifen.


    Stück 11
    Szenen einer Ehe! :breitgrins:


    Stück 12
    Reinste Komik: das Pferd, das nicht so will wie sein völlig unerfahrener Reiter.


    Alles in allem: Jean Paul wechselt rührend-idyllische Stellen mit rein komischen. „Deutscher Styl“ in Reinkultur! (Sofern man bei einer Mischform von „rein“ sprechen kann ... )


    Ich gehe jetzt noch ein bisschen weiterlesen.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Nro. 11 Fisetholz - Lust-Chaos


    Eine sehr schöne Stelle finde ich:

    Zitat

    ..."Ich verpfände mich", sagte Schomacker, "für Herrn Notars Finesse. Poeten sind durchtriebene Füchse, und haben Wind von allem. Ein Grotius, der Humanist, war ein Gesandter - ein Dante, der Dichter, ein Staatsmann - ein Voltaire, der beides, auch beides."...

    Hier ist also der Notar, der Rechtskundige mit dem Poeten zusammengeführt. Eine typisch Jean Paulsche Romanfigur-Zusammenfügung. Ist Walt somit eine Zwitterfigur mit zwei ausgeprägten Eigenschaften, der praktischen Notwendigkeit nachgehend, aber gleichzeitig mit der Kunst flirtend. Auf jeden Fall erzeugt solch eine Figur Spannungen, wie ich gerade von Hermann Hesse gelernt habe. Und ich spüre sie selbst auch. Da gibt es reichlich Stoff zum Ansetzen. Warum hat Jean Paul nicht einen Zeitgenossen mit in die Auflistung aufgenommen? Goethe musste ihm doch bekannt gewesen sein... Auf jeden Fall sinnt Jean Paul fortwährend über die Möglichkeit nach, mit der Kunst Geld, oder nur Auskommen zu verdienen. Seine Helden müssen aber auch zuverdienen oder werden mit der brotlosen Kunst Hunger leiden/im Kargen leben. (Hintergedanke: Siebenkäs - ist der Siebenkäs-Roman nicht der immer besprochene Hoppelpoppel-Roman?)...

    Damit grüße ich die Leserunde!


    FA

    Daß man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! daß man sie nicht hinterdrein im Stiche läßt! - Der Gewissensbiß ist unanständig. - Friedrich Nietzsche - Götzen-Dämmerung, Spruch 10

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "Friedrich-Arthur"

    Eine typisch Jean Paulsche Romanfigur-Zusammenfügung. Ist Walt somit eine Zwitterfigur mit zwei ausgeprägten Eigenschaften, der praktischen Notwendigkeit nachgehend, aber gleichzeitig mit der Kunst flirtend.


    War diese eine Frage (wie es die Wortstellung nahelegt) oder eine Feststellung? "Zwitterfiguren" sind bei Jean Paul häufig, das stimmt. Er ist hier der Romantiker, dessen Figuren die Spannung zwischen Traum und Leben aushalten müssen. Bei Jean Paul lässt diese Spannung die Figuren oft explodieren, sie spaltet sie in Zwill- und Mehrlinge. So ist meines Wissen Vult so eine im Laufe des Schreibens oder Konzipierens entstandene Abspaltung von Walt. Ursprünglich also gar nicht vorgesehen. Den lebenspraktischen Teil hat Jean Paul dann auf Vult übertragen. Walt empfinde ich als absolut unpraktischen, nur seiner Kunst und seinen Träumen nachhängenden Menschen.


    Zitat von "Friedrich-Arthur"

    Hintergedanke: Siebenkäs - ist der Siebenkäs-Roman nicht der immer besprochene Hoppelpoppel-Roman?


    Weiss ich jetzt gar nicht. Dem müsste man nachgehen.


    - - - - -


    Stück 13


    Vult gibt sich seinem Bruder zu erkennen - grosse Liebesszene. Es ist für mich immer wieder faszinierend, wieviel freier damals noch Männer ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen vermochten. (Und das nicht nur in der Literatur, sondern auch in der Realität!)


    Stück 14


    Es geht im italienischen Stil weiter. Bis zum Schluss des Kapitels, wo Vult ein Werk für sich reklamiert, das in Tat und Wahrheit Jean Paul geschrieben hat: Die grönländischen Prozesse, ein Jugendwerk Jean Pauls von 1783. Die These, dass in jeder literarischen Figur ein Stück ihres Autors steckt, wird so von Jean Paul exemplifiziert (und gleichzeitig ad absurdum geführt?). Walt setzt dem satirischen Werk seines Bruders erneut - Streckverse gegenüber. Satire gegen Lyrik ...


    Stück 15


    In der Stadt angekommen, zeigt sich Walts weltliche Unfähigkeit erneut. Ein Billet doux seiner Landlady bringt er ihrem Mann, anstatt ihr selber ...


    Die Beschreibung seiner Chambre garnie - exzellent. (Und ein gutes Beispiel dafür, dass der Realist, wenn es um Beschreibungen geht, ins Aufzählen gerät: Denn es war noch eine Paphose da (er wußte gar nicht, was es war) - ein Bücherschrank mit Glastüren, deren Rahmen und Schlösser ihm, weil die Gläser fehlten, ganz unbegreiflich waren, und worein er oben die Bücher schickte, unten die Notariats-Händel - ein blau angestrichener Tisch mit Schubfach, worauf ausgeschnittene bunte Bilder, Jagd-, Blumen- und andere Stücke, zerstreuet aufgepappet waren, und auf welchem er dichten konnte, wenn ers nicht lieber auf einem Arbeitstischchen mit Rehfüßen und einem Einsatz von lackiertem Blech tun wollte - endlich ein Kammerdiener oder eine Servante, die er als Sekretär an den Schreibtisch drehte, um auf ihre Scheiben Papier, eine feine Feder zur Poesie, eine grobe zum Jus zu legen. Das sind vielleicht die wichtigern Pertinenzstücke seiner Stube, wobei man Lappalien, leere Markenkästchen, ein Nähpult, einen schwarzen basaltenen Kaligula, der aus Brust-Mangel nicht mehr stehen konnte, ein Wandschränklein usw., nicht anschlagen wollte.)


    Ich liebe so was!


    Stück 16


    Eine erste Abkühlung zwischen den beiden Brüdern, da Walt am Sonntag von weitem eine Gestalt gesehen hat, die er anhimmelt. Und natürlich gegenüber seinem Bruder sofort erwähnen muss ... (Ein Mann, übrigens!)


    Soweit bin ich jetzt.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo, Flegeljahrianer,


    da bin ich wieder. war kurzfristig durch überraschende Gesundheitskomplikationen außer Gefecht gesetzt, die mich auch vom Lesen abhielten.
    Versuche jetzt - trotz nachzuholender Arbeit - weiterzulesen.
    Bisher stecke ich immer noch in I, 14: Modell eines Hebammenstuhls.


    Zitat von "sandhofer"

    Bei Jean Paul lässt diese Spannung die Figuren oft explodieren, sie spaltet sie in Zwill- und Mehrlinge. So ist meines Wissen Vult so eine im Laufe des Schreibens oder Konzipierens entstandene Abspaltung von Walt. Ursprünglich also gar nicht vorgesehen.


    Ob das wirklich ungewollt ist bei Valt und Vult? Die gesamte Romankonzeption hängt hier doch an der Doppelbesetzung und im oben genannten Kaptitel sagt Vult:


    Was kann ich nun dabei machen? Ich allein nichts, aber mit dir viel, nämlich ein Werk; ein paar Zwillinge müssen, als ihr eigenes Widerspiel, zusammen einen Einklang, ein Buch zeugen, einen trefflichen Doppelroman.


    Ich denke, dass hier Jean Paul wieder, wie fast immer in mehrfacher Brechung spricht /schreibt: Es ist der von Valt/Vult projektierte Roman und gleichzeitig auch der dem Leser vorliegende Roman gemeint.


    Was mich immer mehr brennend interessiert:
    Jean Paul wurde doch zu seiner Zeit beinahe als Bestsellerautor gehandelt:
    Was sagt das über die Bildung seines zeitgenössischen Publikums aus?
    Sein Wortschatz war so riesig und teilweise so entlegen, wie konnten das die zeitgenössischen LeserInnen so ohne Weiteres verstehen? Oder haben die darüber hinweggelesen?


    Wenn ihr Infos zur Rezeptionsgeschichte habt, die auf diesen Punkt eingehen, dann bitte Hinweise darauf!


    Weiterer Aspekt, der mir auffiel:
    Selbst in den sentimental-idyllischen Teilen überrascht J.P. mit seiner hinterlistigen Sprachkunst, die fast immer ironisch gebrochen ist.
    Ebenfalls Beispiel aus I,14:


    Die nahen Birken dufteten zu den Brüdern hinab, die Heuberge unten dufteten hinauf. Mancher Stern half sich heraus in die Dämmerung und wurde eine Flugmaschine der Seele.


    Nun noch eine Anmerkung zu den von euch diskutierten Streckversen. Ich habe das ganz wörtlich genommen, da die "Verse" Valts ja sehr lang sind und eher einer "poésie en prose" gleichen. Widerspricht das den gelehrten Meinungen?



    Schönes weiteres Wochenende


    HG
    finsbury

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "finsbury"

    da bin ich wieder. war kurzfristig durch überraschende Gesundheitskomplikationen außer Gefecht gesetzt, die mich auch vom Lesen abhielten.


    Dann hoffen wir doch, es geht Dir wieder besser!


    Zitat von "finsbury"

    Ob das wirklich ungewollt ist bei Valt und Vult? Die gesamte Romankonzeption hängt hier doch an der Doppelbesetzung[...]


    Ich meine, das mal irgendwo gelesen zu haben. Wahrscheinlich hat sich die Spaltung sehr früh in der Konzeption ergeben - wie gesagt: die Verzwill- und -mehrlingung hat bei Jean Paul System und Tradition.


    [url=http://www.chefkoch.de/magazin/artikel/0,0,149,0,5/Chefkoch/Kasseler-Hoppelpoppel-Schnitzel-Holstein.html]Hoppelpoppel[/url] ist übrigens einerseits ein Arme-Leute-Gericht und andererseits ein In-Getränk der High Society um 1800. Also selber eine Doppelgestalt voll innerer Widersprüche: arm - reich; essen - trinken; salzig - süss ...


    Zitat von "finsbury"

    Was mich immer mehr brennend interessiert:
    Jean Paul wurde doch zu seiner Zeit beinahe als Bestsellerautor gehandelt:
    Was sagt das über die Bildung seines zeitgenössischen Publikums aus?
    Sein Wortschatz war so riesig und teilweise so entlegen, wie konnten das die zeitgenössischen LeserInnen so ohne Weiteres verstehen? Oder haben die darüber hinweggelesen?


    Ich vermute letzteres. Auch war zu jener Zeit der Wortschatz ja anders; vieles, das wir heute als entlegen empfinden, war praktisch jedem geläufig.


    - - - - -


    Ich bin jetzt mit dem ersten Büchlein (= Nr. 17) fertig. Walt buhlt um den jungen Grafen, dem das, soweit er es bemerkt, allenfalls lästig ist. Er entfernt sich noch mehr vom doch eben erst gefundenen Bruder ...


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen,


    auch ich bin jetzt mit dem ersten Bändchen fertig.


    sandhofer: Danke für den Hinweis mit Hoppelpoppel: Das heißt bei uns hier im Westfälischen Bauernfrühstück und im Schwäbischen "Katzagschroi", an letzterem Namen hätte JP sicher auch seine Freude gehabt und etwas daraus gestrickt.


    Danke auch für deinen Hinweis über die Rezeption: Ich neige auch zur Hinweglesetheorie, dennoch ist es mir nach wie vor nicht klar, wie ausgerechnet ein so anspruchsvoller Autor - trotz aller Sentimentalitäten - als erster Autor von seinem Erfolg leben konnte.


    Stellt euch das mal heute vor: Wer käme da infrage? Vielleicht Okopenko mit seinem "Lexikon-Roman" oder etwas früher natürlich JPs Nachfolger Arno Schmidt, von dem ich kaum glaube, dass ihm seine Leserinnnen atemlos zu Füßen sanken.


    Walts Hingabe an den schönen englischen (?) Adeligen ist Vult natürlich ein Dorn im Auge: Interessant, dass hier, obwohl die Wiederbegegnung
    zwischen den Geschwistern so schwärmerisch geschildert wird, doch ein qualitativer Unterschied zwischen Bruder- und Freundesliebe gemacht wird.


    Interessant, dass auch JP in den Standesgrenzen seiner Zeit verbleibt. Schön und aufregend ist natürlich der geheimnisvolle fremde Adelige, nicht irgendein Bauers- oder Bürgersohn. Das lässt sich ja noch bei vielen ansonsten großen Schriftstellern bis weit ins 20. Jahrhundert beobachten.


    Parallel zu den Flegeljahren lese ich die JP-Biografie von Günter de Bruyn wieder. Sehr empfehlenswert: Sie bietet zum Beispiel einige Hintergründe zum schwärmerischen Freundeskult der Zeit, die für uns Heutige teilweise homoerotische Hintergründe vermuten lässt, wo nur (?) überfließendes Sentiment gemeint war.


    Bis bald


    finsbury

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "finsbury"

    Stellt euch das mal heute vor: Wer käme da infrage? Vielleicht Okopenko mit seinem "Lexikon-Roman" oder etwas früher natürlich JPs Nachfolger Arno Schmidt, von dem ich kaum glaube, dass ihm seine Leserinnnen atemlos zu Füßen sanken.


    Infrage kommen - wozu? Arno Schmidt konnte ja nur so mit Ach und Krach als Schriftsteller existieren; seiner Satire fehlt auch jede Sentimentalität. Höchstens in Bezug auf die Zettelkastelei sehe ich Parallelen.


    Zitat von "finsbury"

    Walts Hingabe an den schönen englischen (?) Adeligen ist Vult natürlich ein Dorn im Auge: Interessant, dass hier, obwohl die Wiederbegegnung zwischen den Geschwistern so schwärmerisch geschildert wird, doch ein qualitativer Unterschied zwischen Bruder- und Freundesliebe gemacht wird.


    Den Unterschied macht v.a. Walt - was ihm im ersten Stück des zweiten Bändchens von Vult auch - in einem versiegelten Brief! - vorgeworfen wird.


    Zitat von "finsbury"

    Interessant, dass auch JP in den Standesgrenzen seiner Zeit verbleibt. Schön und aufregend ist natürlich der geheimnisvolle fremde Adelige, nicht irgendein Bauers- oder Bürgersohn.


    Ein Zugeständnis ans Publikum? Ausserdem: es ist ja "nur" Walt, der den Grafen so anziehend findet. Der welterfahrene Vult zeichnet ein ganz anderes Bild von Klothar.


    Zitat von "finsbury"

    Sie bietet zum Beispiel einige Hintergründe zum schwärmerischen Freundeskult der Zeit, die für uns Heutige teilweise homoerotische Hintergründe vermuten lässt, wo nur (?) überfließendes Sentiment gemeint war.


    Das Fragezeichen kannst Du ruhig streichen: Die waren tatsächlich nicht schwul ...


    A propos Namen: Jean Pauls Helden haben ja fast immer sprechende Namen. (Wenn einer z.B. "Leibgeber" heisst, ist das ja nicht nur, weil's so lustig tönt - der Name ist Programm.) Auch Walt und Vult sind solche Namen, finde ich. Gottwalt: der Gott walten lässt, der passive. Vult = quod Deus vult = was Gott will: der Wollende, der Aktive. Als Gottes Wille fast als eine Art vierte Person in der Dreieinigkeit aufzufassen - wobei mir in den Sinn kommt, dass Schelling in seiner Philosophie der Offenbarung Satan den "Unwillen Gottes" nennt. Jean Paul als abgebrochener Theologe wird sich so einiges bei diesem "Quod Deus vult" gedacht haben ...


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen,


    habe im Moment einen erzwungenen Korrekturrausch, der auch noch bis
    übernächsten Sonntag anhalten wird :sauer: , aber dann beginnen langsam die Ferien und das Leben wird wieder schön :urlaub: .


    Deshalb komme ich im Moment langsam voran.
    sandhofer


    Du hast natürlich Recht: Das 18.Kapitel rückt die Schwärmerei des 17.Kapitels wieder ordentlich zurecht. Vult wir mir immer symphatischer:
    Ein scheinbarer Luftikus, der aber trotz bissiger Satire ein großes Herz hat und auch leicht zu kränken ist: eine herrlich facettenreiche Romangestalt, deren Name, wie du gut bemerkt hast, Programm ist.


    Wunderbar, wie er sich selbst analysiert und doch zu seinen Schwächen steht:


    Daß ich immer abreisete von alten Menschen zu neuen, muß ich eben tun, um nicht zu zanken, sondern noch zu lieben.


    Ich muss sagen: Früher fiel mir Jean Paul sehr schwer und deshalb konnte ich ihn nicht genießen, aber jetzt , in höherem Alter :belehr: , kann ich mich darauf einlassen und bin begeistert von seiner unglaublichen Vielschichtigkeit.


    Anstrengend zu lesen bleibt's aber dennoch.


    HG



    finsbury

  • Hallo zusammen,


    auch mich gibt es noch, ich bin noch nicht so weit wie Ihr, gebe mir aber Mühe, nicht wieder so weit in den Rückstand zu geraten wie bei Chaucer!


    Zitat von "Sandhofer"

    Und "Lehrer" war zu jener Zeit weder finanziell noch von der Reputation her gesehen eine empfehlenswerte Laufbahn ...

    ... nicht nur zu jener Zeit...


    Zitat von "Sandhofer"

    ... dass spätes Erscheinen in der Geschichte oft einen „passiven Helden“ bedeutet. Das scheint sich hier zu bewahrheiten.


    So hatte ich es nicht gemeint, sondern dass der "Held" in der Literatur oft eine passive Figur ist. Wie auch hier, was durch das späte Auftreten betont wird.


    Nr. 7 Der Dichter, den er trifft: August von Platen, (1796 - 1835)?? Warum??


    Nr. 6 Dass Vult nach nur 10-jähriger Abwesenheit in der Kleinstadt nicht mehr erkannt wird, auch von seinem Lehrer und den Eltern nicht, finde ich etwas gar unwahrscheinlich.


    In Nr. 8 fand ich die Vorstellung herrlich, wie neben Vult die ganzen Lese-Zirkel auf dem Baum sitzen!


    Die Streckverse sind etwas speziell eingerahmt: der Titel von Nr. 9, Schwefelblumen, lässt einen doch an Gestank denken, und Nr. 10 heisst dann auch "Stinkholz"!


    Zitat von "Friedrich-Arthur"

    Auf jeden Fall sinnt Jean Paul fortwährend über die Möglichkeit nach, mit der Kunst Geld, oder nur Auskommen zu verdienen. Seine Helden müssen aber auch zuverdienen


    Die Ansicht Knolls, dass Dichten höchstens als Hobby für Reiche drinliege, entsprach wohl durchaus dem damaligen Diskussionsstand.


    Zum Thema Zwitterwesen sind mir zwei Stellen aufgefallen: Auf die Frage nach seinem Alter antwortet Walt "so alt wie mein Bruder", was den Eindruck erweckt, dieser sei in seinen Gedanken stets gegenwärtig.
    Dann der Schluss von Nr. 10: Wenn nun einmal eine Natur, welche die Antithese und Dissonanz der meinigen ist, existieren sollte,.... so könnte sie mir ja leicht begegnen: und da ich ebensowohl ihre Dissonanz bin als sie meine,.... Ich habe das als Vorausdeutung auf die Begegnung mit Vult verstanden.


    finsbury: Danke für den Hinweis auf die Biografie von de Bruyn. Werde wohl allen Vorsätzen zum Trotz nachher nochmal in den Bibiothekskatalog sehen...


    Herzliche Grüsse,
    Maja

  • Hallo zusammen!


    Ich bin im Moment auch in Nr. 19 stecken geblieben. Wir scheinen also alle ungefähr dasselbe Tempo zu haben ...


    Zitat von "Maja"

    ... nicht nur zu jener Zeit...


    Wenn Du die Zeit noch früher meinst: ja. Wenn Du heute meinst: im Vergleich zu Jean Pauls Lebzeiten sind Lehrer hochangesehene und bestens bezahlte Leute. Nicht nur im Vergleich zu Jean Pauls Zeit übrigens, auch im Vergleich zum simplen Büro-Angestellten von 2005 zum Beispiel ...


    Zitat von "Maja"

    So hatte ich es nicht gemeint, sondern dass der "Held" in der Literatur oft eine passive Figur ist. Wie auch hier, was durch das späte Auftreten betont wird.


    Ach, und ich dachte, ich hätte gerade was von Dir gelernt ...


    Zitat von "Maja"

    Nr. 6 Dass Vult nach nur 10-jähriger Abwesenheit in der Kleinstadt nicht mehr erkannt wird, auch von seinem Lehrer und den Eltern nicht, finde ich etwas gar unwahrscheinlich.


    10 Jahre verändern jeden Menschen merklich. Und ein 14-Jähriger wird sich vom 24-Jährigen doch gewaltig unterscheiden.


    Walts Werbung im Klothar ist ja nun im vollen Gang. Und Vult zieht sich schmollend zurück.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallöchen zusammen,


    und ich dachte schon, ich würde hoffnungslos hinterherhinken ... .


    Unter der Woche hatte ich keine Ruhe für Jean Paul, dafür habe ich gestern und heute mehrere Kapitel gelesen.


    Für @ Friedrich-Arthur wäre das sicher wieder zu schnell :winken: .


    Ich behaupte auch nicht, auch nur annähernd alles zu verstehen.


    Aber es ist köstlich.


    Im Kapitel 19, Mergelstein, lustwandelt Walt in Klothars Garten. Über weite Strecken fühle ich mich hier an Eichendorff erinnert, Taugenichts und Marmorbild: JP langt schon zur Romantik hinüber.


    Aber dann, in Nummer 20 bis 22 dient Walts Klavierstimmaufgabe wieder als Vehikel für böseste Satire - JP in Hochform! Wie er die Frauen beschreibt und die ökonomische Einstellung der sie umwerbenden Herren, da muss man manchmal wirklich nach Luft schnappen und die armen Damen bedauern ...
    Besonders Raffaela und Engelberta können einem leid tun, wobei sich die letztere recht gewitzt aus der Affaire zieht ... .


    Auch Selbstzitate kommen beim Tischgespräch an Neupeters Tisch gehäuft vor, von JPS Zettelkastenmethode, die Walt indirekt anspricht, als er sich überlegt, wie all die köstlcihen Gerichte in seinen Doppelroman wandern werden bis hin zum Hesperus, der direkt erwähnt wird.


    Ach übrigens, Klothar kommt an Neupeters Tisch ganz schlecht weg: Ein arroganter Schlinghansel, der sich zu fein ist, am Tischgespräch der Bürgerlichen teilzunehmen.


    Uns allen eine schöne Arbeitswoche und frohes Weiterlesen


    finsbury

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "finsbury"

    und ich dachte schon, ich würde hoffnungslos hinterherhinken ... .


    Im Moment jedenfalls steckst Du vor mir. Mal schauen, ob ich heute noch ein Stück weiter komme ...


    Zitat von "finsbury"

    Im Kapitel 19, Mergelstein, lustwandelt Walt in Klothars Garten. Über weite Strecken fühle ich mich hier an Eichendorff erinnert, Taugenichts und Marmorbild: JP langt schon zur Romantik hinüber.


    Nur dass Jean Paul der bedeutend zynischere Erzähler ist. Man bekommt so richtig Mitleid mit dem armen Walt, der ganz eindeutig von allen verlacht und nicht ernst genommen wird - und in aller unschuldigen Grösse darüber hinweggeht. Manchmal möchte ich den Kerl schütteln, um ihn aufzuwecken. (Der Taugenichts - als Ich-Erzähler - läuft da glatter meine literarische Kehle hinunter ... )


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo Flegeljahrianer,


    ich konnte euch die letzte Zeit nicht gut folgen wegen eures “atemnehmenden” Lesetempos. Zum Glück, dass ich das Buch im Vorfeld schon einmal gelesen habe und mir Anstreichungen gemacht habe. Meine Schwierigkeiten zu folgen waren auch der Hauptgrund, warum ich mich nicht zur Leserunde gemeldet habe.


    Ich komme noch kurz auf sandhofers Beitrag zu Stück 13 vom 10. Juni 2005, 06:10, zurück. Was sandhofer da über die Gefühle bei Männern schreibt, finde ich sehr gut formuliert. Schaut man sich einige Klassiker, besonders Jean Pauls Zeitgenossen an, dann werde ich bleich ob der offenheit, mit der Männer ihre Gefühle äußern und auch dazu stehen. Da reden wir heute von den damals rauhen Zeiten und fühlen uns den Damaligen oft gesellschaftlich überlegen und machen uns dabei ungesehen lächerlich und belügen uns selbst. Die wir aus Unkenntnis manchmal als roh verschimpfen, waren es im Grunde genommen garnicht. Vielleicht hat die Industrialisierung uns mehr entfremdet und entwurzelt, als wir zugeben und denken dürfen. Wir haben die Beziehung zu den Mythen, den Symbolen, den Urkräften, zur Natur, zur Tradition, zur Religion usw. verloren, zumindest sind die Beziehungen schwächer geworden. Und Gefühlsausdrücke sind da eingeschlossen und können als selbstverständlich angesehen werden. Und niemand hat (ich beziehe mich hier auf meine bescheidene Klassikerkenntnis) dies besser ausdrücken können, als Jean Paul. Wir Heutigen sehen dann auch Walts romantischen Sehnsucht nach Klothar mit der Brille des Zeitgeistes und wittern sofort homoerotische Neigungen. Jean Pauls Zeitgenossen würden uns als beschränkt angesehen haben. Sie würden denken: die können über Mobiltelefone und die neuesten Suchmaschinen, über Fernsehserien und Automarken usw. reden, wissen aber nicht einmal mehr über verschiedene Nuancen der Liebe bescheid. Diese und die Urkräfte zur Natur und zur Mythologie/zur Religion/zu den Urkräften, das hat Jean Paul sehr gut hervorgehoben und deshalb sind seine Werke allein schon sehr lesenswert. Ich würde mich freuen, wenn die Männer ihre Gefühle wieder deutlicher zeigen und zu ihnen stehen würden. Es gibt mir Hoffnung, zu wissen, dass sich hinter so mancher gestylten coolen Fassade ein verletztlicher, gefühlsbetonter Mensch befindet. Dessen Seele ist ja das Arbeitsfeld der Literatur und deren emotionale Gesichtsausdrücke sind das Arbeitsfeld der bildenden Künste. Also: raus mit den Gefühlen, Menschsein, das wünsche ich mir. Dabei hoffend, dass dies nicht nur in Literatur, bildender Kunst, sondern auch in der Realität wieder so werden wird, wie es zu Zeiten Jean Pauls war…


    Zu finsburys Beitrag vom 19. Juni 2005, 17:00, möchte ich nur anmerken, dass ich wirklich dem Lesetempo nicht recht folgen kann, aber: ich habe das Buch schon einmal gelesen und mir Anstreichungen gemacht. Das hilft. Dadurch kann ich jederzeit einsteigen, wo es die Zeit mir zulässt.


    Nro 20 Zedern von Libanon - Das Klavierstimmen


    Ich war vom Titel berührt, muss dann immer an das Haus meiner Eltern denken, neben dem eine riesige Libanesische Zeder wächst. Ein beeindruckender Baum!


    Ziemlich am Ende stellt sich Jean Paul noch einmal dem Berufe des Dichters und seine Auffassung über das Dichten und zwar mit einem Steckvers:

    Zitat

    Die Täuschungen des Dichters


    Schön sind und reizend die Irrtümer des Dichters alle, sie erleuchten die Welt, die die gemeinen verfinstern. So steht Phöbus am Himmel; dunkel wird die Erde unter ihrem kalten Gewölke, aber verherrlicht wird der Sonnengott durch seine Wolken, sie reichen allein das Licht herab und wärmen die kalten Welten; und ohne Wolken ist er auch Erde.


    Nebenbei bemerkt: ich lese eure Beiträge fast täglich mit. Nur mit dem Schreiben komme ich nicht so ganz hinterher.


    Aber ich bin noch dabei – als Gastposter.


    Grüße, FA

    Daß man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! daß man sie nicht hinterdrein im Stiche läßt! - Der Gewissensbiß ist unanständig. - Friedrich Nietzsche - Götzen-Dämmerung, Spruch 10

  • Hallo zusammen!


    Danke für Deinen ausführlichen Beitrag, Friedrich-Arthur! Ich nehme mal an, Deine Anspielung auf unser horrendes Lesetempo war ironisch gemeint ...


    Jetzt bin ich aber doch wieder ein Stück weiter, genaugenommen 2 Stücke: 20 und 21.


    In Stück 20 fand ich besonders interessant, die Art und Weise, wie Jean Paul sehr subtil die Hilfe- oder eben Nicht-Hilfestellung der Honoratioren beim Klavierstimmen schildert. Man muss richtig aufpassen und eine Ahnung vom Business haben.


    Kann mir übrigens jemand sagen, ob diese Ahnung im 18. und 19. Jahrhundert verbreiteter war als heute? (Ich erinnere mich, dass auch Karl May seinen Helden im Orient Klaviere stimmen lässt, wie sich andere Leute die Zehennägel schneiden ... ) Oder "überfordert" Jean Paul seine Leser hier einfach schamlos? (Und keiner traut sich zu sagen: "Stimmt das auch? Ich weiss ja gar nicht!")


    In Stück 21 brüskiert Walt seinen Bruder ein weiteres Mal. Mir scheinen diese weichen Liebenden Jean Pauls überhaupt an diesem Problem zu leiden: einer Art Unfähigkeit, eine Beziehung aufrecht zu erhalten. Wenn der Gegenpart eine Frau ist, liegt es an ihr, die Bindung aufrecht zu erhalten. Bei Männern wie Vult erzuegt sich immer eine Spannung, die die Beziehung brüchig bleiben lässt. Wovon der "Weiche" aber meist nichts merkt.


    Schöne Bilder, die Vult in seinem Brief verwendet. Wild (weshalb Jean Paul wohl die Sequenz dem Vult zuschreibt), wie er von den Grossen übers Quecksilber über Gift, Folien und Spiegeln zum Goldenen Weltalter und zum Weltkügelchen als Ganzes gleitet. Ein toller Tanz!


    Grüsse


    Sandhofer
    (der jetzt weiterlesen geht)

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Zitat von "sandhofer"

    (Der Taugenichts - als Ich-Erzähler - läuft da glatter meine literarische Kehle hinunter ... )


    Grüsse


    Sandhofer


    Hallo Sandhofer,


    der Taugenichts ist aber auch ein rechter Simpel, wenn auch in der Ich-Perspektive!
    Aber das mit dem Schütteln, das kenne ich: Merkwürdigerweise geht mir das immer so mit Kafkas Helden: Ich will sie aus diesem entsetzlichen Gieren nach Katastrophen und Verstrickungen befreien.


    Zu den Flegeljahren am Wochenende mehr, dann komm ich wieder zum Lesen!


    HG
    finsbury

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "finsbury"

    der Taugenichts ist aber auch ein rechter Simpel, wenn auch in der Ich-Perspektive!


    Oh ja. Aber gerade wegen der Ich-Perspektive berührt mich das weniger. Der Erzähler Richter ist es ja gerade, der einen immer wieder mit der Nase darauf stösst, wie sehr falsch Walt in der Welt liegt. Beim Taugenichts offenbart sich das erst ganz zum Schluss.


    So auch am Geburtstagsfest, in Stück 22, wo Walt in aller Unschuld eine junge Frau anmacht. (Einer Jungfrau auf die Taille zu gieren war zu jener Zeit etwa so, wie wenn heute ein Mann dauernd einer Frau von oben herab in die Bluse zu linsen versucht. Oder noch schlimmer: Die Frauen hatten ja offiziell weder Büste noch Taille noch - horribilie dictu - Unterleib ... )


    Er bemerkt nicht einmal Flittes äusserst prosaische Gründe, den hässlichen Töchtern seines Wirtes den Hof zu machen.


    Die Rede Klothars in Stück 23 hat mich dann ehrlich gesagt ein bisschen verwirrt. Während sein erstes philosophisches Schwadronieren ein ebensolches war, scheint hier mehr Substanz in seinem Charakter zu sein. Ganz hohl hat ihn Jean Paul offenbar nicht angelegt.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen,
    Ich habe gestern das erste Bändchen beendet, bin also immer noch ein wenig im Rückstand.
    Bei Nr. 12 erfreute mich wieder einmal der passende Titel: Unechte Wendeltreppe - das passt doch dazu, wie er auf's Pferd zu sitze versucht!
    Dann eine Frage an Pferdekenner: Was ist das für ein Trick mit der Kugel im Ohr?


    In Nr. 13 habe ich mich gefragt, was es bedeutet, dass sich Vult dem Bruder ausgerechnet auf den Friedhof zu erkennen gibt. Wohl kein besonders gutes Omen?


    EIne gewisses Ungleichgewicht in der Beziehung zwischen den Brüdern zeichnet sich in Nr. 15 ab, als Vult erklärt, jeder brauche einen Menschen, dem er sich öffnen könne, und dass er dazu Walt erwählt habe. Ich hätte das eher umgekehrt erwartet.


    In Nr. 17 hat mich die alte Hofdame des regierenden Häuschens von Hasslau zum Lachen gebracht. Ein witziges Stücklein Kritik an den deutschen Verhältnissen mit x kleinen Fürstentümern!


    Zitat von "Friedrich-Arthur"

    ...mit einem Steckvers:


    Ein kleines Detail: bei mir sind das Streckverse, sie sind ja auch sehr lang. Dass die Ungetüme auch als Polymeter bezeichnet werden, ist bestimmt auch wieder eine Anspielung (die ich nicht verstehe).


    Herzliche Grüsse und schönen Sonntag,
    Maja

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "Maja"

    In Nr. 13 habe ich mich gefragt, was es bedeutet, dass sich Vult dem Bruder ausgerechnet auf den Friedhof zu erkennen gibt. Wohl kein besonders gutes Omen?


    Der Friedhof als literarischer Schauplatz. Vor allem die Romantiker liebten ihn. Mal wird er einfach benutzt, weil's eine so schöne gruselige Stimmung ergibt, mal um des memento mori willen. Bei Jean Paul ist mir ehrlich gesagt nichts Spezielles aufgefallen. Vielleicht hatte er ja was im Sinn ...


    Zitat von "Maja"

    EIne gewisses Ungleichgewicht in der Beziehung zwischen den Brüdern zeichnet sich in Nr. 15 ab, als Vult erklärt, jeder brauche einen Menschen, dem er sich öffnen könne, und dass er dazu Walt erwählt habe. Ich hätte das eher umgekehrt erwartet.


    Vult ist meiner Meinung nach der nachdenkende der beiden Brüder. Walt hätte sich diese Gedanken gar nie machen können. (So, wie er eben auch gedankenlos auf Vults Gefühlen herumtritt.) Es zeigt imho die Schwäche des Intellektuellen bzw. Zynikers, der eben nicht rundherum als abgeschlossene und gefühlsautarke Burg leben kann. Obwohl er es manchmal möchte.


    Obwohl ansonsten der Stärkere, Welterfahrene, ist Vult in der Beziehung der beiden Brüder der Schwächere, Unterlegene.


    Zitat von "Maja"

    In Nr. 17 hat mich die alte Hofdame des regierenden Häuschens von Hasslau zum Lachen gebracht. Ein witziges Stücklein Kritik an den deutschen Verhältnissen mit x kleinen Fürstentümern!


    Mit ein Grund, warum Jean Paul in Weimar nicht besonders beliebt war? (Wenn wir einmal von Herder absehen.)


    Später mehr zu meiner bisherigen Lektüre.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus