Hallo zusammen
Ich bin nun mit dem 3. Kapitel fertig und empfand es als ganz schön anstrengend. Diese schier endlosen Monologe des Dr. Riemer - Puuh!! Da war Thomas Mann wieder so richtig in seinem Element. Manchmal war ich doch etwas überfordert und habe auch einige Abschnitte mehrmals lesen müssen.
Aus Charlotte bin ich aber nicht richtig schlau geworden. Am Anfang des Buches bestreitet sie, Werthers Lotte zu sein, weil diese schwarze Augen, sie jedoch blaue habe. Am Ende des 3. Kapitels bricht sie jedoch in Tränen aus, weil sie befürchtet, nicht als Werthers Lotte erkannt zu werden.
"Haßliebe" trifft das Verhältnis Riemers zu Goethe wirklich genau. Allerdings meine ich, daß die Liebe doch überwiegt. Aus seinen Ausführungen spricht schon auch etwas Stolz, in Diensten dieses Genies arbeiten zu dürfen.
Aufgefallen ist mir noch, daß wenn Riemer von Goethe erzählt, immer nur von der Kunst, vom "Genius" und vom "Göttlichen" die Rede ist. Es werden seine Werke erwähnt, die Gedichte gelobt usw. Haben wir aus Riemers Monologen überhaupt etwas über den "Menschen" Goethe erfahren? Wenig. Und schon gar nichts schmeichelhaftes.
Dagegen, wenn Charlotte erzählt, menschelt es. Sie berichtet von ihrem verstorbenen Mann, ihren Kindern, ihrer Schwester. Charlotte repräsentiert das Menschliche, das Leben; Goethe die Kunst. Und die beiden wollen sich jetzt treffen. Ob das gut geht?
Könnte es vielleicht sein, daß DAS überhaupt das Hauptthema dieses Romans ist? Das Verhältnis des Menschlichen, des Lebens, zur Kunst? Ob sich das vereinbaren läßt oder nicht? Daß Thomas Mann darauf hinaus will? Ich würde es für möglich halten und werde beim Weiterlesen mal stärker darauf achten.
Zitat4.)manche Abschnitte erinnerten mich eher an Klatsch, z.B. Dr. Riemers Äußerungen, daß Goethe seine Mutter 11 Jahre lang nicht besucht hat, obwohl er auf seinen Reisen genügend Gelegenheiten hatte.
Klatsch würde ich das nicht unbedingt nennen wollen. Es ist schon ein bezeichnender Charakterzug Goethes und dieser Abschnitt hat für mich den Hauptunterschied zwischen Charlotte und Goethe deutlich gemacht: Sie, absoluter Familienmensch, in einer kinderreichen Familie aufgewachsen und schon früh die Mutterrolle übernehmen müssen. (Sich selbst bezeichnet Charlotte an einer Stelle mal als "leidenschaftliche Mutter", wenn ich mich recht erinnere). Er, alles andere als ein Familienmensch, eher abgehobener Künstler, der in seiner Künstler-Welt lebt und sich mit sowas wie Kindererziehung oder Haushaltsführung nicht abgibt. Auch während seiner Ehe mit Christiane Vulpius ist Goethe oft nach Jena zu seinem Freund Schiller, oder zur Kur nach Karlsbad "geflüchtet" und hat sie mit dem Haushalt (der ja nicht gerade klein war) allein gelassen. Bezeichnend auch, daß Goethe nicht mal zur Beerdigung seiner eigenen Frau gegangen ist. Die Familienbande waren bei Goethe schon sehr lose.
Elf Kinder hätte Charlotte mit ihm jedenfalls nie haben können. Für sie war Kestner der geeignetere Ehemann und sie lobt ihn auch immer als ihren "Guten". Eine Ehe mit Goethe wäre wohl niemals gut gegangen.
Viele Grüße
ikarus