Virginia Woolf

  • Danke für diese Darstellung! Mich interessiert besonders der Aspekt der "Weißglut".
    Wenn ich es recht verstehe, ist es eben der Zorn über die schlechten Bedingungen des Schreibens, der die Autorinnen daran hindert, ihr Potential voll auszuschöpfen?
    Ich hatte bisher immer das Gefühl, dass ein merkbarer persönlicher Furor beim Schreiben sich eher positiv auf den Text auswirkt. Damit ist aber vielleicht eine andere Art Furor gemeint als der, den Virginia Woolf meint. Es gibt ja die Ansicht, dass große Literatur nur aus Dringlichkeit entsteht, aus einem Mitteilungsdrang heraus, der Zorn sehr ähnlich ist oder jedenfalls ähnlich sein kann.

    (Ich denke bei diesem Thema übrigens immer an Robert Gernhardts Gedicht "Nach der Lektüre einer Anthologie", nachzulesen zb auf Robert Gernhardts Autorenseite (ganz runter scrollen).

  • Das ist ein interessantes Gedicht von Gernhardt. Bedenkenswert.
    Ganz schlau bin ich nicht aus Woolfs weißglühendem Schreiben geworden. Ich denke, sie meint damit, dass man zwar den Furor der handelnden Personen darstellen darf, aber dass persönliche Betroffenheit nicht durchschimmern sollte, auch nicht das eigene Geschlecht. Ihrer Meinung nach ist der beste Schriftsteller androgyn, vereinigt also weibliche und männliche Zugänge zu Weltsicht und schöpferischem Akt.
    Was ihren eigenen Gestaltungswillen angeht, so habe ich in meiner Ausgabe dazu ein ganz interessantes biografisches Detail gelesen. Woolfs Haushälterin in ihrem Landsitz Monkhouse war am Anfang ihrer Tätigkeit sehr irritiert. Das Bad lag direkt über der Küche. Wenn Virginia ihr Morgenbad nahm, hörte die Haushälterin immer Stimmen aus dem Badezimmer, als würden dort mehrere Personen miteinander sprechen. Leonard Woolf klärte sie dann auf, seine Frau spreche die Sätze ihrer Romane, die sie in der Nacht verfasst habe, um ihren Klang und ihre Struktur zu prüfen. Man merkt ihren Büchern diesen sehr intensiven Gestaltungsdrang auch an.
    Dennoch wird man heute bestimmt anders darüber denken, wie weit ein Schriftsteller sich auch persönlich in seinen Werken entäußern darf.


  • Dennoch wird man heute bestimmt anders darüber denken, wie weit ein Schriftsteller sich auch persönlich in seinen Werken entäußern darf.

    Naja, wenn ich an all die Beispiele von Autofiktion denke --- ich hatte in einer Leserunde einen Roman von Alex Schulman, in dem er (angeblich) die Trunksucht seiner Eltern thematisierte, aber eine dramatische Handlung dazu strickte, die vermutlich größtenteils erfunden war. Ich finde solche Lektüren eher unangenehm entweder man erzählt ganz klar von sich oder erklärt definitiv, dass der Plot ausgedacht ist. Für die Leute im Umfeld des Autors muss es doch furchtbar unangenehm sein, wenn ständig herumspekuliert wird, welche Anteile Dichtung und welche Wahrheit sind.

    Wenn Virginia Woolf ihre Sätze laut sprach, befindet sie sich damit in guter Gesellschaft, zb von Flaubert, der sich endlos seine Texte laut vorsprach. Nebenbei finde ich es eine sehr gute Methode, Szenen auf den Prüfstand zu stellen, indem man sie mal nachspielt. Die Eingangsszene von Merciers berühmtem "Nachtzug nach Lissabon", wo eine Frau einem Mann eine Telefonnummer (wenn ich mich richtig erinnere) ins Gesicht malt, ist m.M.n. schlicht Unsinn und würde einer echten szenischen Darstellung nie standhalten.

  • Ich denke, es kommt immer darauf an, w i e ein Schriftsteller das tut. Wenn er die spannende Handlung sich nur ausdenkt, um jemanden anderen bloßzustellen und dabei Realität und Fiktion verstrickt, um damit eine angebliche Wahrheit auszudrücken, ist das sicherlich problematisch. Aber man denke an Proust, an Goethes "Römische Elegie", übrehaupt an die Lyrik und an hunderte andere Werke, da hat persönliche Betroffenheit sehr oft auch zu großen und auch künstlerisch gültigen Leistungen geführt.


    Das laute mehrmalige Vorsprechen halte ich auch für eine gute Methode. In meinem früheren Beruf musste ich hin und wieder Vorträge halten, das habe ich immer durch lautes Vorsprechen zu Hause vorbereitet und bin dabei manch einer unglücklichen Wendung noch rechtzeitig auf die Spur gekommen. Das ist aber natürlich fern jedes künstlerischen Anspruchs gewesen :clown:.