Dezember 2004:Albert Camus - Der Fremde / Der Mythos ..

  • Ich freunde mich langsam mit dem "Mythos" an. Sicher werde ich mit Camus, was Hoffnung angeht, so schnell nicht übereinstimmen, aber ich bekomme ein Gefühl dafür, was er meint.


    Habt ihr auch solche Schwierigkeiten, zusammenzufassen, was Camus schreibt?


    Und ich sollte das Buch vielleicht lieber von hinten nach vorne lesen - ich lese und muss dann immer wieder zurückgehen, um zu verstehen, worauf er sich jetzt wieder bezieht...


    Confuse Grüße
    Nightfever

  • Zitat von "Nightfever"

    Und ich sollte das Buch vielleicht lieber von hinten nach vorne lesen - ich lese und muss dann immer wieder zurückgehen, um zu verstehen, worauf er sich jetzt wieder bezieht...


    Irgendwo habe ich mal gelesen (Nabokov? Vielleicht finde ich's noch), dass die richtige Art ein Buch zu lesen wäre, so wie man ein Bild betrachtet. Da beginnt man auch nicht in der oberen linken Ecke...
    Herzliche Grüsse,
    Maja

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "Nightfever"

    Habt ihr auch solche Schwierigkeiten, zusammenzufassen, was Camus schreibt?


    Wem sagst du das... Camus kommt mir wie ein schlüpfriger Aal vor, jedes Mal wenn ich ihn zu packen glaube, flutscht er mir wieder aus den Fingern...


    Camus’ ganzes Gedankenkonstrukt baut auf einem einzigen Grundpfeiler auf, einer einzigen „Wahrheit“, nämlich der, das dass Leben absurd ist. Zwar behauptet er, dass ausser ihm noch etliche andere Philosophen zu diesem Schluss gelangt seien, wenn er mich aber über die Richtigkeit dieser Hypothese zu überzeugen versucht, fallen ihm erstaunlich wenige stichhaltige Argumente ein. Ich finde in Camus’ Essay nur drei „Beweisgründe“, die die Absurdität des Lebens rechtfertigen sollen:


    1) Das Leben ist absurd, weil es auf ständig wiederkehrende Verrichtungen aufbaut. Sprich: Überdruss angesichts des ewigen Einerleis des Lebens.


    2) Das Leben ist absurd, weil dem menschlichen Erkenntnisdrang Grenzen gesetzt sind, weil der Mensch die Welt, die ihn umgibt nicht zu deuten und zu verstehen vermag.


    3) Das Leben ist absurd, weil es endlich ist.


    Zu Punkt 1: Kann man sich tatsächlich ein Leben vorstellen, dass nicht repetitiv ist, frei von Alltagstrott und -routine? Das fängt doch schon beim Atmen ein... Wie viel mal pro Tag atmen wir aus und ein? Hat das schon mal jemand gezählt? Ewig der gleiche Vorgang 24 Stunden am Tag, selbst im Schlaf. Ist Atmen deswegen absurd? Obwohl ich jetzt satt bin, werde ich in wenigen Stunden wieder Hunger verspüren. So viel ich auch essen mag, das Hungergefühl ein und für alle Male zu befriedigen schaffe ich nie. Dieses „mechanische Leben“ von dem Camus spricht, es gehört doch einfach dazu.


    Zu Punkt 2: „Was ich nicht begreife, ist unvernünftig.“ Wie viel Überheblichkeit in diesem Satz doch steckt... Wollte ich wirklich alles, was ich – riff-raff – nicht begreife als unvernünftig oder gar absurd abschreiben, na dann, gute Nacht.. Ich habe nicht die geringste Ahnung von der Quantentheorie, keinen blassen Schimmer, was „Quarks“ sind – versteige ich mich deshalb etwa zur Aussage, die Quantenphysik sei irrationaler Schrott?
    „Die Welt verstehen heisst für einen Menschen: sie auf das Menschliche zurückführen, ihr ein menschliches Siegel aufdrücken.“ Ach ja? Na gut, dann darf ich doch mit demselben Recht behaupten: Die Welt verstehen heisst für mich, sie auf riff-raffsche Motive zurückzuführen, ihr ein riff-raffsches Siegel aufdrücken. – Das ist doch Bullshit! Was für eine Egozentrik, zu glauben, der Mensch sei das Mass aller Dinge. Wahrscheinlich denken Katzen oder Hunde genauso ichbezogen (falls sie überhaupt denken...). Nur weil mir das Leben ein ewiges Rätsel bleibt, weil ich – um mit Faust zu sprechen – nie erkennen werde, „was die Welt im Innersten“ zusammenhält, masse ich mich an, ein solch niederschmetterndes Urteil zu fällen und die als Welt absurd zu verdammen?... Camus kommt mir hier wie ein allzu verwöhntes Kind vor, dass immer noch glaubt, dass sich alles nur um ihn dreht.


    Zu Punkt 3: Diese Vorstellung „ich bin“, meine Art zu handeln, als hätte alles einen Sinn [...] – alles dieses wird durch die Absurdität eines möglichen Todes auf eine schwindelerregende Weise Lügen gestraft. [...] jetzt weiss ich, dass diese höhere Freiheit, diese Freiheit zu sein, die allein eine Wahrheit begründen kann, nicht existiert. Der Tod ist da, als die einzige Realität. Nach ihm ist alles vorbei. [...] Welche Freiheit im vollen Sinne des Wortes kann es geben ohne die Gewähr einer Ewigkeit?
    Als ob ein ewiges Leben weniger absurd wäre, bloss weil es endlos ist... Das ein Mensch geboren wird, ein mehr oder weniger erfülltes Leben hat und dann mit achtzig oder neunzig stirbt, darin kann ich nichts Ungeheuerliches entdecken. Es ist nicht der Tot an und für sich, der mich stört, was mich empört ist mehr die Art und Weise wie viele Menschen auf dieser Welt sterben müssen: in Kriegen, an Seuchen, in Naturkatastrophen, an Unterernährung etc. Was in meinen Augen absurd ist, ist das Missverhältnis, wenn man bedenkt, dass ein Mensch neun Monate im Bauch seiner Mutter heranreift, dass er Jahre braucht bis er gehen lernt, weitere Jahre bis er endlich zu sprechen anfängt usw. – und dann genügt ein Nichts, ein zufällig herabstürzender Dachziegel, ein unglückliches Stolpern, dass all das im Bruchteil einer Sekunde ausgelöscht wird. Das ist es, was mich verletzt – das steht doch in überhaupt keinem Verhältnis zueinander. Das ist für mich absurd. Aber der Tot an und für sich...



    Merke, dass Camus mich viel stärker beschäftig, als ich gedacht hätte... Ist aber auch gut so.


    Schönes Wochenende noch...


    riff-raff

  • Zitat von "Maja"


    Irgendwo habe ich mal gelesen (Nabokov? Vielleicht finde ich's noch), dass die richtige Art ein Buch zu lesen wäre, so wie man ein Bild betrachtet. Da beginnt man auch nicht in der oberen linken Ecke...
    Herzliche Grüsse,
    Maja


    Wie würdest du denn ein Bild betrachten?


    oder direkt: wie liest du den "Mythos"?


    Wenn ich eine Bildbeschreibung anfertige, kann ich nämlich tatsächlich in der linken oberen Ecke anfangen. Ob das sinnvoll ist, hängt an der Art/dem Aufbau des Bildes.


    riff-raff: Danke für deine Ausführungen. Jetzt habe ich wieder einen Haken, an dem ich mein Seil aufhängen kann. Nicht zum Suizid, sondern zum Aufstieg in höhere Verständnis-Sphären.


    Im Franz-Kurs lesen wir gerade "Le Malentendu" (Das Missverständnis). Dabei habe ich gelernt, dass es in Camus Leben und Schaffen drei Phasen gibt: Das Klima der Absurdität, Die Revolte und Der Optimismus. Unser Deutschlehrer behauptet, im "Mythos" seien schon alle drei angelegt. Na, dann wollen wir mal suchen gehen...


    Ich lese nachher mal weiter. Melde mich dann wieder.
    Liebe Grüße
    Nightfever

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "Nightfever"

    oder direkt: wie liest du den "Mythos"?


    Tja, eben schon von vorne nach hinten (wenn ich nicht gerade Motivationsprobleme habe...). Aber sobald man gewisse Fragestellungen aufgreift, sollte man doch herumblättern und wiederlesen können. An solches Lesen erinnere ich mich vom Schreiben von irgendwelchen Arbeiten her, und hoffe, dass Leserunden wieder dazu anregen! Eine Bildbeschreibung von oben links her ist sicher der einfachste Weg, aber ob er am meisten bringt, fragen wir uns ja beide.


    Zitat von "riff-raff"

    Ich finde in Camus’ Essay nur drei „Beweisgründe“, die die Absurdität des Lebens rechtfertigen sollen:


    Ich bin zwar nicht geschult im Lesen von philosophischen Texten, frage mich aber, ob hier der Aufbau nicht anders ist: Geht es Camus darum, die Absurdität des Lebens zu beweisen? Ist das eine Hypothese, die es mit Argumenten zu stützen gilt? Ich habe es eher so aufgefasst:
    Vorausgesetzt, ein Mensch hat die Absurdität des Lebens erfasst, aus welchen Gründen und auf welche Weise auch immer, was dann? Muss er sich logisch konsequent umbringen, oder gibt es Wege, damit weiterzuleben? Den anderen Philosophen wirft er vor, an diesem Punkt ausgewichen oder umgekehrt zu sein, und will sich nun selber an dieser Grenze halten und das Gebiet erforschen.


    Mit Deinen Einwänden, riff-raff, bin ich im Moment völlig einig! Vielleicht habe ich deshalb auch so Mühe, mich zur Lektüre zu motivieren, weil ich mein Leben zur Zeit völlig sinnvoll finde? Es war auch schon anders, zum Beispiel, als ich den Sisyphos zum ersten Mal las - bzw. eben verschlang, (deshalb blieb nicht sehr viel hängen :breitgrins:)

    Zitat von "riff-raff"

    Die Welt verstehen heisst für mich, sie auf riff-raffsche Motive zurückzuführen, ihr ein riff-raffsches Siegel aufdrücken.


    Dieses Zitat behalten wir im Auge, wenn wir eine Pinnwand hätten, würde ich es dort aufhängen. Ich glaube, es geht in dieselbe Richtung, wie Camus dann mit dem Sisyphos auch geht.


    Am Anfang von Die absurden Mauern beschreibt er die Methode: Man könne einen Menschen an der Gesamtheit seiner Handlungen erkennen. Das ist doch genau das, was er im 1. Teil des Fremden darstellte!


    Herzliche Grüsse,
    Maja

  • Hallo :winken:


    Wie weit seid ihr inzwischen?
    Ich bin am Anfang von "Der absurde Mensch". Inzwischen verstehe ich auch wieder etwas...


    Neulich habe ich mich mit meiner Mutter über "Gott und die Welt" unterhalten, und wir kamen darauf, dass die Welt tatsächlich nur unter Einbeziehung eines Gottes oder höheren Wesens verständlich und/oder logisch erscheint. Die Existenzialisten, sofern sie Atheisten sind, empfinden entsprechend die Welt als sinnlos , als absurd. Sie wollen aber trotzdem darin leben.
    Ich finde das ganz schön stark :zwinker:
    Allerdings halte ich diese Weltanschauung nicht für Mehrheitsfähig, weil der größte Teil der Menschheit eben doch lieber eine sinnvolle Welt sucht. Nicht umsonst gibt es seit Jahrtausenden religiöse Kulte. Und dort, wo die Religion abgeschafft wurde, baut man dann eben der Vernunft oder dem Kommunismus Altäre.


    Mir gefällt bei Camus die These der Gleichwertigkeit der Erfahrungen anstelle einer von außen aufoktroierten Moral. Ich habe allerdings noch nicht gefunden, nach welchen Kriterien er dann zwischen nachahmenswerten und nicht nachahmenswerten Erfahrungen unterscheidet, und inwiefern sich dieser Prozess dann davon unterscheidet, dass ich als Christin selbstverständlich "nach bestem Wissen und Gewissen" entscheide und handele.
    Sartre erklärt das in seiner Schrift "Der Existenzialismus ist ein Humanismus" mit einer Regel, die stark an Kants kategorischen Imperativ erinnert. Sartre sagt nämlich, dass ich in jedem Augenblick meines Lebens neu entscheide, was ich tue (und damit, wer ich bin). Mit jeder Entscheidung entwerfe ich mich in die Zukunft hinein, ich mache also gleichzeitig eine Aussage darüber, wie ich meine, dass man in meiner Situation handeln sollte - in meinen Handlungen proklamiere ich mein Ideal. Sartre impliziert offensichtlich, dass man nicht mit zweierlei Maß messen darf. :zwinker:


    Na ja. Ist im Prinzip nix gegen zu sagen, aber neu ist das nicht. Auf jeden Fall aber passt es dazu, dass Camus im "Mythos" sagt, im Existenzialismus gäbe es keine Schuldigen, nur Verantwortliche.


    Ich hoffe, das war jetzt nicht zu verwirrend.


    Liebe Grüße
    Nightfever

  • Hallo Nightfever,


    Nur zu deinem ersten Absatz:

    Zitat

    Neulich habe ich mich mit meiner Mutter über "Gott und die Welt" unterhalten, und wir kamen darauf, dass die Welt tatsächlich nur unter Einbeziehung eines Gottes oder höheren Wesens verständlich und/oder logisch erscheint. Die Existenzialisten, sofern sie Atheisten sind, empfinden entsprechend die Welt als sinnlos , als absurd. Sie wollen aber trotzdem darin leben.
    Ich finde das ganz schön stark Zwinker


    Wenn ich mich richtig erinnere, ist dies ja eine der Grundaussagen von Camus: Lebe das Leben um des lebenswillen! - Camus sieht doch immer einen "Sprung" (ich weiss nicht, wie das in der deutschen Übersetzung heisst, französisch war es "sault"), wenn man ein Hilfskonstrukt braucht, das von aussen her ins Leben gebracht werden muss. Wenn man es braucht, an etwas göttliches zu glauben, um leben zu können, so ist das ein Hilfskonstrukt, man ist dann nicht fähig, die Welt als solche zu akzeptieren, bzw. als gegeben anzunehmen (dies soll nicht Fatalismus sein, der erste Schritt um etwas zu Ändern ist nicht das Leugnen der Realität, sondern das Aufrechterhaltens eines Ideals, wie es sein müsste!). Diese Schwäche ist weitverbreitet und wurzelt tief in den Menschen, da hast du ganz recht, aber wieviel Übel wurde nicht dadurch angerichtet? - Religion und Ideologie sind untrennbar miteinander verknüpft und von bis zur missionarischen Verbreitung des Glaubens bzw. dem Aufdrängen der Ideologie ist es ein kleiner Schritt. Weshalb einen tieferen Sinn suchen, den man nicht einfach finden kann? - Was man findet sind ja nur Vorstellungen (vielleicht gibt es ein Paradies und dort ist alles herrlich), keine Gewissheiten, ja, es gibt nichteinmal richtige Anhaltspunkte für die Richtigkeit der Vorstellungen. Möglich, d.h. gedanklich vorstellbar ist ja sozusagen alles! - Wem es hilft: Bitte. Aber Weshalb sollte das Leben an sich nicht absurd sein? - Alles was wir sehen, täglich erleben: es ist absurd. Weshalb sollte ausgerechnet das Leben aus sich heraus einen Sinn haben? - Man kann ihm einen Sinn geben, einverstanden: Arbeiten zum Wohle der Menschheit etc. aber nur weil man geboren ist, heisst das noch lange nicht, dass diese Geburt einen tieferen Sinn hatte!
    Was weiss ich, vielleicht sehe ich das alles nur zu extrem. Aber der Versuch, was aus einer Gesellschaft würde, die grundsätzlich nur an die Absurdität glaubt, diese Experiment müsste man erst machen, so wie man den Kommunsimus ausprobieren musste. Aber das Problem ist, dass man nicht wie beim Kommunismus eine neue Ideologie lehren würde, sondern gar nichts. Etwas durch nichts zu ersetzten, fürchte ich, ist zum Scheitern verurteilt, das Volk liebt eine Ideologie, mitsamt ihrem Aberglauben. Wie rottet man eine Weltanschauung aus, ohne sie durch eine neue zu ersetzen, denn an das Absurde zu glauben, wäre ja wiederum zu absurd um es auch nur propagieren zu können.


    Es grüsst
    alpha

    Genug. Will sagen: zuviel und zu wenig. Entschuldigen Sie das Zuviel und nehmen Sie vorlieb mit dem zu wenig! <br /><br />Thomas Mann

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "Maja"

    Vielleicht habe ich deshalb auch so Mühe, mich zur Lektüre zu motivieren, weil ich mein Leben zur Zeit völlig sinnvoll finde?


    Da bist du ja richtiggehend zu beneiden... Ich selbst leide leider immer wieder unter Motivationsproblemen und die Frage nach dem Sinn des Lebens – falls es überhaupt einen gibt... – beschäftigt mich ständig. Ich bin immer auf der Suche nach irgendetwas, das meinem Leben Halt und Richtung geben könnte und da ist es schon ein starkes Stück, wenn jemand wie Camus daherkommt und dieses ganze Suchen als Zeitverschwendung abschreibt. Das Leben hat keinen Sinn, finde dich damit ab und lebe trotzdem, ruft er mir zu.


    Zitat von "Nightfever"

    Die Existenzialisten, sofern sie Atheisten sind, empfinden entsprechend die Welt als sinnlos , als absurd. Sie wollen aber trotzdem darin leben.
    Ich finde das ganz schön stark :zwinker:


    Das ist starker Tobak, da stimme ich dir zu. Leben und sich dabei ständig die Sinnlosigkeit jeglichen Tuns und Lassens vor Augen zu halten – wenigstens gibt Camus zu, wie schwierig das ist. Ich selbst frage mich, ob das überhaupt menschenmöglich ist?


    „Für nichts“ arbeiten und schaffen, [...] zu wissen, dass sein Werk keine Zukunft hat, sein Werk in einem Tage zerstört sehen und wissen, dass das im Grunde nicht wichtiger ist, als für Jahrhunderte zu bauen – das ist die schwierige Weisheit, zu der das absurde Denken bevollmächtigt.


    Schaffen oder nicht schaffen – das ändert nichts.


    Und wo, bitte sehr, soll ich da die Motivation hernehmen?... Warum soll ich da überhaupt noch weiterleben? – Aus Trotz, antwortet mir Camus. Camus schreibt viel von Auflehnung und Revolte, aber gegen wen? Gegenüber Gott? Es gibt doch gar keinen... Gegenüber dem Schicksal, der offenkundlichen Absurdität allen Seins? Das ist mir irgendwie zu vage. Auflehnen kann ich mich nur gegenüber Etwasem oder Jemandem, der mir seinen bewussten Willen entgegensetzt. Aber genau so etwas stellt Camus ja in Abrede. Andererseits kann ich mir gut vorstellen, wie jemand z. B. gegen eine Krankheit revoltiert, die ihn befallen hat. So kann man zum Beispiel Krebs haben und sich sagen, ich lasse mich davon nicht unterkriegen, ich weiss zwar, dass ich daran sterben werde – der absurde Mensch hat schliesslich „verlernt zu hoffen“, wie Camus schreibt – aber trotzdem werde ich versuchen aus dem Bisschen Zeit, das mir verbleibt, das Beste zu tun. Ja doch, solch eine Art Auflehnung kann ich mir schon vorstellen, auch wenn Krebszellen ja nicht über einen eigenen Willen oder Verstand verfügen und die Zerstörung meines Körpers „bewusst“ vorantreiben. So gesehen kann ich Camus’ Revolte vielleicht doch nachvollziehen. Auf meine eigene plumpe Art übersetzt würde Camus’ Credo dann einfach lauten: Das Leben ist Scheisse, aber davon lasse ich mir doch den Tag nicht vermiesen... :zwinker: Wie alpha es so schön ausgedrückt hat:


    Zitat

    der erste Schritt um etwas zu Ändern ist nicht das Leugnen der Realität, sondern das Aufrechterhaltens eines Ideals, wie es sein müsste!


    Dennoch, ich bleibe dabei, „etwas durch nichts zu ersetzten“ (Originallaut alpha), ist schon verdammt schwer. Ob es einem Menschen z. B. überhaupt gelingen kann etwas so zutiefst natürliches wie die Hoffnung aufzugeben, wie Camus fordert... Ich weiss nicht. Jedenfalls konnte sich Dante nichts Schrecklicheres vorstellen, um den Sündern beim Eintritt in die Hölle das ganze Ausmass ihrer Strafe zu verdeutlichen, als ein Tor mit der Aufschrift: „Ihr, die hier eintretet, lasst jede Hoffnung fahren.“
    Na ja, nach Camus ist Leben eh die Hölle...


    Er [der absurde Mensch] hat es verlernt zu hoffen. Endlich ist die Hölle des Gegenwärtigen sein Reich.



    Schönes Wochenende miteinander...


    riff-raff

  • Danke für die guten Wünsche, riff-raff :breitgrins:


    Zitat von "riffraff"

    Zwinker



    Das ist starker Tobak, da stimme ich dir zu.


    Ich meine auch, man muss ganz schön stark sein, um das in aller Konsequenz durchzustehen.


    Deine schriftliche Auseinandersetzung war sehr hilfreich für mich. Jetzt kann ich mit der Revolte auch etwas anfangen.


    Zitat

    Das Leben ist scheisse, aber davon lasse ich mir doch den Tag nicht vermiesen...


    Ich glaube, das merke ich mir. :elch:


    Allerdings kann ich dem so nicht zustimmen. Ich erlebe es eher so: Das Leben ist schön, ich habe trotzdem manchmal einen Scheißtag....


    Wird Zeit, dass ich mal wieder weiter lese. Wenn ich nur nicht immer so ein schlechtes Gewissen hätte, weil ich eigentlich Mathe fürs Abi lernen sollte...


    Na, bis bald mal wieder
    Nightfever

  • Zitat von "riff-raff"

    Auf meine eigene plumpe Art übersetzt würde Camus’ Credo dann einfach lauten: Das Leben ist Scheisse, aber davon lasse ich mir doch den Tag nicht vermiesen... :zwinker: Wie alpha es so schön ausgedrückt hat:


    Sorry, wenn ich mich hier einfach mal einklinge:


    riff-raff, so plump hast Du Camus Credo imho nicht übersetzt, aber trotzdem - sein Credo ist falsch:


    1. Wenn das Leben Scheisse wäre, dann würde das einem schon den Tag vermissen, aber


    2. Das Leben ist nicht Scheisse!


    Im übrigen finde ich hat Camus nichts wesentliches Neues geschrieben. Schon der Barockdichter Andreas Gryphius hat in seinem Gedicht


    ES IST ALLES EITEL wesentliche Teile von Camus Credo vor fast 400 Jahren formuliert (allerdings besser, da knapper)!



    Du siehst, wohin du siehst nur Eitelkeit auf Erden.
    Was dieser heute baut, reist jener morgen ein:
    Wo itzund Städte stehn, wird eine Wiese sein
    Auf der ein Schäferskind wird spielen mit den Herden:


    Was itzund prächtig blüht, soll bald zertreten werden.
    Was itzt so pocht und trotzt ist Morgen Asch und Bein
    Nichts ist, das ewig sei, kein Erz, kein Marmorstein.
    Itzt lacht das Glück uns an, bald donnern die Beschwerden.


    Der hohen Taten Ruhm muß wie ein Traum vergehn.
    Soll denn das Spiel der Zeit, der leichte Mensch bestehn?
    Ach! was ist alles dies, was wir für köstlich achten,


    Als schlechte Nichtigkeit, als Schatten, Staub und Wind;
    Als eine Wiesenblum, die man nicht wiederfind't.
    Noch will was ewig ist kein einig Mensch betrachten!



    Gruß


    Georg

  • Hallo,


    habe noch ein wenig nachgedacht.


    Riff-raff hat zwar etwas eindrücklich auf den Punkt gebracht, aber ich glaube nicht, dass er damit Camus wiedergibt. Ich kann bisher nirgendwo im Mythos eine Stelle finden, die sich auf "das Leben ist scheiße" verdampfen lässt. Ich vermute, dass Camus dem widersprechen würde und diese Aussage eher einer dem Jenseits zugewandten Person (einem Märtyrer, Hindu oder Buddhisten) zuschreiben würde.


    Camus sagt: Das Leben hat keinen Sinn. Und damit muss ich leben. Selbstmord hieße Flucht, und die will er nicht begehen, sondern er will die Sinnlosigkeit (Absurdität) des Lebens aushalten. Für ihn ist das Leben trotzdem lebenswert.



    Georg: Das ist ja nett, dass du hier Andreas Gryphius zitierst. Wir haben das Gedicht letztes Jahr in Deutsch durchgenommen. Werde ganz wehmütig, wenn ich darüber nachdenke, dass der Deutschunterricht nu auch bald hinüber ist.


    Wie auch immer, Gryphius spricht zwar ähnlich wie Camus, wenn der in guter existenzialistischer Tradition an unseren Tod erinnert, aber der Kontext ist doch noch mal ein anderer. Der gravierende Unterschied zwischen einem Barock-Dichter und einem Existentialisten ist dabei: Der eine glaubt selbstverstädnlich an Gott, der andere selbstverständlich nicht.


    das hat zur Folge, dass sie aus ähnlichen Prämissen unterschiedlich folgern. Camus sagt: Die Welt ist absurd, ich kann sie nicht verstehen, aber ich will trotzdem in ihr leben. Und ich fürchte den Tod, denn er ist mein Ende.


    Gryphius dagegen sagt eher: Diese Welt ist vergänglich, aber es gibt noch eine andere.


    Als Beispiel dafür habe ich hier noch ein Gedicht - über den Dichter bin ich mir nicht sicher, könnte statt Gryphius auch von Brocke sein:


    Was ist die Welt und ihr berühmtes Glänzen?
    Was ist die Welt und ihre ganze Pracht?
    Ein schnöder Schein in kurzgefassten Grenzen,
    Ein schneller Blitz bei schwarzgewölkter Nacht,
    Ein buntes Feld, da Kummerdisteln grünen,
    Ein schön Spital, so voller Krankheit steckt,
    Ein Sklavenhaus, da alle Menschen dienen,
    Ein faules Grab, so Alabaster deckt.
    Das ist der Grund, darauf wir Menschen bauen
    Und was das Fleisch für einen Abgott hält.
    Komm, Seele, komm und lerne weiter schauen,
    Als sich erstreckt der Zirkel dieser Welt!
    Streich ab von dir derselben kurzes Prangen,
    Halt ihre Lust für eine schwere Last:
    So wirst du leicht in diesen Port gelangen,
    Da Ewigkeit und Schönheit sich umfasst.


    Camus würde das sicherlich etwas anders sehen ;-)



    Wie weit seid ihr denn inzwischen? Ich bin am Anfang von "die Eroberung", überlege aber gerade, ob es sich lohnt, das zu lesen oder ob ich es lieber überspringe.


    Im Unterricht haben wir noch einen Text aus dem "Mythos" zur Erläuterung aufbekommen: Beginnt auf der 2. Seite von "Der philosophische Selbstmord" (S.43 bei mir): Wenn ich einen Unschuldigen eines ungeheuerlichen Verbrechens bezichtige... bis
    Es handelt sich nur darum, alles Konsequenzen aus ihr zu ziehen. Mal schauen, das dürfte nicht so schwer werden, immerhin erklärt er nur ein bisschen, was unter "absurd" zu verstehen ist.


    Liebe Grüße
    Nightefever

  • Zitat

    Das Leben ist Scheisse, aber davon lasse ich mir doch den Tag nicht vermiesen...


    Genau so drückt es auch eine Anektote aus der Sowjetunion aus, die Alexander Sinowjew im Vorwort zu "Lichte Zukunft" zitiert:
    Der eine zum anderen: „Scheissleben.“
    Erwidert der andere:„Wenn schon. Scheiss drauf.“
    Kommentar Sinowjews: "Treffender kann man unser Leben nicht beschreiben. Und doch leuchtet darin manchmal etwas auf, das ein bisschen Aufmerksamkeit verdient."


    Dies nur als kleine Anmerkung.
    Es grüsst
    alpha


    Nightfever: Lernen und Lesen sollte komplementär sein: Man kann nicht den ganzen Tag lernen, man muss hin und wieder auch "etwas vernünftiges" tun, sage ich mir immer! - Denk daran, was Franz Kafka in einem seiner wunderschönen Briefe schrieb: Leute, die nicht bis zum 25ten Jahr wenigstens zeitweise gefaulenzt haben, sind sehr zu bedauern, denn davon bin ich überzeugt, das verdiente Geld nimmt man nicht ins Grab mit, aber die verfaulenzte Zeit ja.

    Genug. Will sagen: zuviel und zu wenig. Entschuldigen Sie das Zuviel und nehmen Sie vorlieb mit dem zu wenig! <br /><br />Thomas Mann

  • @ alpha: Keine Sorge. Ich muss mich schon kräftig in den Hintern treten, um ab und zu auch mal ein paar notwendige Dinge für die Schule zu tun. Ich faulenze sehr gerne, bzw. mache dann halt andere Sachen (lesen, fernsehen, Kino, Musik hören, telefonieren...) als Lernen. Da besteht keine Gefahr :breitgrins:


    Faule Grüße von Nightfever

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "riff-raff"

    Das Leben hat keinen Sinn, finde dich damit ab und lebe trotzdem, ruft er mir zu.


    Ich glaube, das trifft's besser als das Scheisse-Zitat! Wenn schon müsste es doch eher heissen: "Das Leben hat zwar keinen höheren Sinn, ist aber trotzdem nicht Scheisse."
    Ich finde die Vorstellung, dass das Leben keinen höheren Sinn haben muss, auch irgendwie entlastend.


    Zitat von "Nightfever"

    Gryphius dagegen sagt eher: Diese Welt ist vergänglich, aber es gibt noch eine andere.
    Als Beispiel dafür habe ich hier noch ein Gedicht - über den Dichter bin ich mir nicht sicher, könnte statt Gryphius auch von Brocke sein:
    Was ist die Welt und ihr berühmtes Glänzen?


    Das von Dir zitierte Gedicht ist von Hofmannswaldau, und bei ihm findet man auch eine ausgeprägte Diesseitsorientierung, Liebe zum Leben, das Bekenntnis zum Glück hier und jetzt. Aber da die Barockzeit einseitig unter den Aspekten von Vanitas und memento mori wahrgenommen wurde, wurde er (oder zumindest ein Teil seines Werkes, siehe hier) in den Hintergrund gedrängt.


    Herzliche Grüsse,
    Maja


    PS: Wie macht man das, einen Link unter einem Text wie hier verstecken :confused:


    [size=9px]edit Sandhofer: Klick jetzt mal bei Deinem eigenen Text auf "quote" und guck dir die eckigen Klammern an ... - Gruss, Sandhofer[/size]

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "Nightfever"

    Riff-raff hat zwar etwas eindrücklich auf den Punkt gebracht, aber ich glaube nicht, dass er damit Camus wiedergibt. Ich kann bisher nirgendwo im Mythos eine Stelle finden, die sich auf "das Leben ist scheiße" verdampfen lässt. Ich vermute, dass Camus dem widersprechen würde...


    Ich denke mal, da vermutest du richtig. Hatte übrigens schon beim Schreiben ein ungutes Gefühl, da mir klar war, dass ich mit meiner Schlussfolgerung Camus eigentlich unrecht tue. Danke für die Richtigstellung...


    Zitat von "alpha"

    Nightfever: Lernen und Lesen sollte komplementär sein: Man kann nicht den ganzen Tag lernen, man muss hin und wieder auch "etwas vernünftiges" tun, sage ich mir immer! - Denk daran, was Franz Kafka in einem seiner wunderschönen Briefe schrieb: Leute, die nicht bis zum 25ten Jahr wenigstens zeitweise gefaulenzt haben, sind sehr zu bedauern, denn davon bin ich überzeugt, das verdiente Geld nimmt man nicht ins Grab mit, aber die verfaulenzte Zeit ja.


    alpha: Schau dir doch mal Nightfevers Homepage an... Unter der Rubrik „Quotes“ findest du ein feines Gedicht, zwar ohne Titel, aber mit den vielsagenden Einleitungsworten:


    ich hab ganz konsequent
    den ganzen Tag verpennt
    jetzt brauch ich sehr viel Ruhe
    für Dinge die
    ich heut nicht tue
    [...]


    Wenigsten in dieser Hinsicht kannst du also ganz unbesorgt sein, „unser(e)“ Nightfever, so scheint mir, hat Kafkas Worte längst verinnerlicht... :zwinker:


    Nightfever: Von wem ist das Gedicht eigentlich? du nennst leider keinen Verfasser. Von dir selbst? Gefällt mir grossartig.



    Liebe Grüsse


    riff-raff

  • riff-raff: Nein, das Gedicht ist nicht von mir, leider. Freut mich aber, dass es dir gefällt, ich mag es nämlich auch.


    Ich habe es aus einem anderen Forum, aus einer Signatur. Deshalb wusste ich bisher auch nicht, woher es kommt. Eben habe ich dann mal Gogol gefragt und kann jetzt verkünden, dass es sich um ein Lied von Annett Louisan handelt. Es hat sogar noch mehr Strophen:



    Der erste Teil gefällt mir aber besser :zwinker:


    Was wohl Camus dazu sagen würde? Dass man nicht einfach "blau" machen kann? :zwinker:


    Ich bin gerade im Kapitel "Die Eroberung":


    De Eroberer wissen, dass die Tat an sich nutzlos ist. Es gibt nur eine nützliche Tat: die den Menschen und die Erde neu erschaffen würde. Pessimismus pur :zwinker:


    Trotzdem will er "kämpfen." Was auch immer man sich darunter vorzustellen habe.


    Selbst erniedrigt, bleibt das Fleisch meine einzige Gewissheit (S. 114) Momentmal! Auf S. 44 hat er noch die Trinitiät von (sinnfreier) Welt, (sinnsuchendem) Mensch und dem Absurden als die einzige Gewissheit bezeichnet, die dem Suchenden genüge und aus der alle Konsequenzen gezogen werden könnten. Was denn nu?


    Jedenfalls bin ich gerade mal wieder in einem Abschnitt, den ich schwwieriger zu verstehen finde...


    Na ja, nicht aufgeben :smile:


    LG
    Nightfever

  • Zitat von "Nightfever"

    dass es sich um ein Lied von Annett Louisan handelt. Es hat sogar noch mehr Strophen:


    Hallo nightfever,


    hoffentlich bist Du mir nicht böse, wenn ich Deine Angabe noch etwas ergänze. Der Text zu dem Lied "Die Trägheit", welches in diesem Fall zitiert wurde, stammt von Fank Ramond und die Hamburgerin Annett Louisan singt es auf ihrem Debutalbum "Bohème". Imho gibt es auf diesem Album noch weit bessere Songs. Meine Lieblinge sind, neben dem Hit "Das Spiel", - "Die Lüge", "Der Blender" und "Das Liebeslied" Alles Lieder mit einer feinen Ironie und wenn die Stimme der 25-jährigen Annett nicht gar zu piepsig wäre: ein echt gutes Album.


    Gruß


    Georg

  • Hallo zusammen!


    :lesen: Ich hänge immer noch im Kapitel Die absurden Mauern herum.
    Was mich ein wenig stört: Der Argumentationsgang wird dauernd durch "aber zuerst muss man noch dasunddas klären" unterbrochen. Das erschwert es, den Überblick über den Gedankengang zu behalten!


    Zwei Sachen sind mir aufgefallen:
    Alles Denken ist anthropomorph.
    Entspricht wohl dem "Der Mensch ist das Mass aller Dinge"?!


    Dann: entgegen unserer bisherigen Ausdrucksweise ist nicht die Welt absurd, sie ist höchstens unvernünftig. Das Absurde entsteht durch die Gegenüberstellung von Irrationalem und dem Verlangen des Menschen nach Klarheit.
    Es scheint mir wichtig, diese Definition genauer im Auge zu behalten, ausserdem lässt sie sich auch auf andere Bereiche übertragen (z.B. absurde Theaterstücke)


    Herzliche Grüsse,
    Maja

  • Hallo,


    ich bin jetzt am Anfang von "Philosophie und Roman".


    Morgen schreiben wir im Deutsch-Leistungskurs Abitur! Da auch "Der Fremde" drankommen könnte, habe ich noch ein paar Mythos-Zitate herausgeschrieben, die mir bemerkenswert scheinen.


    Ihr könnt ja mal suchen, ob ihr die Seitenzahlen dazu findet. :breitgrins:


    Liebe Grüße
    Nightfever



    Es gibt nur ein wirklich ernstes philosophisches Problem: den Selbstmord. Sich entscheiden, ob das Leben es wert ist, gelebt zu werden oder nicht, heißt auf die Grundfrage der Philosophie antworten.


    Es ist ein Gemeinplatz, die philosophischen Theorien mit dem Verhalten derer zu vergleichen, die sie lehren. Keiner der Denker, die dem Leben jeden Sinn absprachen, ist allerdings der Logik so weit gefolgt, dieses Leben zu verweigern.


    Das tödliche Ausweichen, das dritte Thema dieses Essays - das ist die Hoffnung.


    Logisch zu sein ist immer bequem. Nahezu unmöglich ist es aber, logisch bis ans Ende zu sein.


    Man sehe in diesem Essay als ständigen Bezug die fortwährende Kluft zwischen dem, was wir zu wissen vermeinen, und dem, was wir wirklich wissen, zwischen praktischem Einverständnis und der vorgetäuschten Ungewissheit, die bewirkt, dass wir mit Vorstellungen leben, die, wenn wir sie wirklich empfinden würden, unser ganzes Leben erschüttern müssten.


    Nie wird der Graben zu füllen sein zwischen der Gewissheit meiner Existenz und dem Inhalt, den ich dieser Gewissheit zu geben suche. Ich werde mir selbst immer fremd bleiben.


    ...wie könnte ich die Welt leugnen, deren Macht und Stärke ich empfinde? Trotzdem gibt mir alles Wissen über diese Erde nichts, was mich sicher sein ließe, dass diese Welt mir gehört. Ihr beschreibt sie mir, und lehrt mich, sie zu klassifizieren. Ihr zählt ihre Gesetze auf und in meinem Wissensdurst halte ich sie für wahr.
    Ihr erzählt mir von einem unsichtbaren Planetensystem, in dem die Elektronen um einen Kern kreisen.
    Jetzt merke ich, dass ihr bei der Poesie gelandet seid: nie werde ich wirklich etwas wissen.


    An sich ist diese Welt nicht vernünftig - das ist alles, was man von ihr sagen kann. Absurd aber ist der Zusammenstoß des Irrationalen mit dem heftigsten Verlangen nach Klarheit, das im tiefsten Innern des Menschen laut wird.


    Ist die Absurdität erst einmal erkannt, dann wird sie zur Leidenschaft, zu ergreifendsten aller Leidenschaften. Aber zu wissen, ob man mit seinen Leidenschaften leben kann, zu wissen, ob man ihr tiefstes Gesetz - nämlich das Herz zu verbrennen, das sie gleichzeitig in Begeisterung versetzen - akzeptieren kann: das eben ist die Frage.


    Das Wahre suchen heißt nicht das Wünschenswerte suchen.


    Für die Existenzialisten ist die Verneinung ihr Gott. Genauer, dieser Gott behauptet sich nur durch die Verneinung der menschlichen Vernunft. [Um es noch einmal zu präzisieren: nicht um die Affirmation Gottes geht es hier, sondern um die Logik, die zu ihr führt.] Aber wie die Selbstmorde ändern sich auch die Götter mit den Menschen.


    Ich kann alles leugnen von dem Teil von mir, der von ungewissen Sehnsüchten lebt, nur nicht das Verlangen nach Einheit, den Drang, Lösungen zu finden, den Anspruch auf Klarheit und innere Stimmigkeit. Ich kann alles widerlegen in dieser Welt, die mich umgibt, die mich abstößt oder begeistert, nur nicht dieses Chaos, diesen König Zufall und diese göttliche Gleichwertigkeit, die aus der Anarchie erwächst.


    Ich weiß nicht, ob diese Welt einen Sinn hat, der über sie hinausgeht. Aber ich weiß, dass ich diesen Sinn nicht kenne und dass es mir vorerst auch nicht möglich ist, ihn zu erkennen.


    Es gibt kein Morgen.


    Folglich leite ich drei Schlussfolgerungen ab vom Absurden: meine Auflehnung, meine Freiheit und meine Leidenschaft.


    Durch das bloße Spiel des Bewusstseins verwandle ich in eine Lebensregel, was eine Aufforderung zum Tode war - und lehne den Selbstmord ab.


    »Mein Acker«, sagt Goethe, »ist die Zeit.« Da haben wir das absurde Wort. Denn was ist der absurde Mensch wirklich? Derjenige, der nichts für die Ewigkeit tut und es nicht leugnet. Nicht dass die Sehnsucht ihm fremd wäre. Aber er zieht ihr einen Mut und seine Urteilskraft vor. Ersterer lehrt ich, ohne Widerruf zu leben und sich mit dem zu begnügen, was er hat; letztere unterrichtet ihn über seine Grenzen.


    Alles ist erlaubt - das bedeutet nicht, dass nichts verboten wäre. Das Absurde gibt den Folgen dieser Handlungen nur ihre Gleichwertigkeit.


    [Für einen] vom Absurden durchdrungenen Geist gibt es Verantwortliche, jedoch keine Schuldigen. Er wird bestenfalls damit einverstanden sein, die frühere Erfahrung zur Begründung seiner künftigen Taten heranzuziehen.


    Daran zumindest erkennt man den unbewussten Menschen, der fortwährend irgendeiner Hoffnung nachläuft.


    Misstraut denen, die sagen: »Das weiß ich zu gut, um es ausdrücken zu können.« Denn sie können es nicht, weil sie es nicht wissen oder weil sie aus Trägheit an der Oberfläche geblieben sind.


    Ich habe nicht viele Ansichten. Am Ende eines Lebens wird der Mensch gewahr, dass er Jahre damit verbracht hat, sich einer einzigen Wahrheit zu versichern. Aber eine einzige Wahrheit - wenn sie evident ist - genügt für die Dauer einer Existenz. Ich jedenfalls habe ganz entschieden etwas über das Individuum auszusagen. Mit Härte muss man von ihm sprechen und, wenn nötig, mit der angemessenen Verachtung.


    Ein Mensch ist mehr Mensch durch das, was er verschweigt, als durch das, was er sagt.


    Ich will alles oder nichts.


    ...und da ich der Ewigkeit beraubt bin, will ich mich mit der Zeit verbünden.


    Ich will weder Sehnsucht noch Bitternis auf meine Rechnung setzen lassen...


    Wir wissen sehr gut: alle Kirchen sind gegen uns. Ein so angespanntes Herz entzieht sich dem Ewigen, und alle Kirchen, die göttlichen wie die politischen, beanspruchen, das Ewige für sich. Glück und Mut, Lohn und Gerechtigkeit sind für sie Ziele zweiter Ordnung. Sie liefern eine Doktrin, und man hat sie zu unterschreiben.


    All diese Leben, die sich in der dünnen Luft des Absurden bewegen, könnten sich ohne einen tiefen und beständigen Gedanken, der sie mit einer Kraft belebt, nicht halten. Es kann sich dabei nur um ein besonderes Gefühl von Treue handeln. [...] Es handelt sich einfach darum, sich vor nichts zu drücken.

  • Halb neben dem Thema:


    Leute, Leute, hätte nicht gedacht, dass es mir so viel für die Schule bringt, den "Mythos" zu lesen. Wisst ihr, was wir als "unbekannten Text" bekommen haben?


    Es gibt auch Bäume, ich kenne ihre runzlige Rinde, und Wasser, ich koste dessen Geschmack. ... Wenn ich ihre ganze Oberfläche mit dem Finger abtastete, wüsste ich auch nicht mehr von ihr. [---] An sich ist diese Welt nicht vernünftig - das ist alles, was man von ihr sagen kann. Absurd aber ist der Zusammenstoß des Irrationalen mit dem heftigsten Verlangen nach Klarheit, das im tiefsten Innern des Menschen laut wird. ... Das ist alles, was ich in dieser maßlosen Welt, in der mein Abenteuer sich vollzieht, klar erkennen kann.


    Also sowas wie die Frida war noch nie da!


    Dass ich den "Mythos" so vergleichsweise gut kenne, hat mir schon mal mindestens 40% der Kastanien aus dem Feuer geholt.



    Grandios erleichterte Grüße von
    Nightfever