Dezember 2004:Albert Camus - Der Fremde / Der Mythos ..

  • Hallo zusammen,


    Zitat von "Michael"

    Näher kommt er vielleicht allein sich selbst durch seine Erkenntnis. Vielleicht liegt in diesem Zustand die Zufriedenheit eines glücklichen Todes.


    Gerade das finde ich entscheidend! Es ist doch irgendwie eine befreiende Vorstellung, dass einem die andern Menschen und ihre Ansichten so lang wie breit sein können, und man mit sich selber im Einklang ist.


    Zitat von "Nightfever"

    Angesichts solcher Spekulationen sehe ich det Janze ein bisschen skeptisch. Mal sehen, ob der Herr Camus mich noch überzeugen wird...


    ...oder wir :breitgrins: ! Toll, dass Du so kritisch eingestellt bist, das wird spannend!
    Nun starte ich auch mit dem Sisyphos, den habe ich auch auf deutsch, rororo, aber offenbar eine ältere Übersetzung (Brenner und Rasch).


    Herzliche Grüsse,
    Maja

  • Zitat

    ...oder wir :Breitgrins: ! Toll, dass Du so kritisch eingestellt bist, das wird spannend!


    Hey, super!
    :smile:


    Michaels Überlegung zu dem Ende des "Fremden" finde ich jedenfalls überzeugend. Der "Mythos" gefällt mir auch etwas besser, seit ich noch mehr gelesen habe. Meine Kritik wiederrufe ich aber noch nicht...


    LG
    Nightfever

  • Hallo zusammen,


    Zitat von "Maja"

    Gerade das finde ich entscheidend! Es ist doch irgendwie eine befreiende Vorstellung, dass einem die andern Menschen und ihre Ansichten so lang wie breit sein können, und man mit sich selber im Einklang ist.


    Wenn du meintest, dass der Fremde gewissermaßen mit "seiner Natur" ins Reine gekommen ist, dito! Dann sind wir uns ja wieder einig. :zwinker:


    Ich freue mich jetzt auf den Sisyphos.


    LG,
    Michael

  • Hallo zusammen!
    Hallo Nightfever!


    Zitat von "Nightfever"

    Ich habe jetzt auch mit dem "Mythos des Sisyphos" angefangen.
    Ich habe die neue rororo-Ausgabe in der Übersetzung von Vincent von Wroblewsky


    Meine Ausgabe ist eine ältere in der Übersetzung von Brenner und Rasch (dieselbe, die auch Maja :winken: hat...)


    Zitat

    Camus behauptet, jeder normale/gesunde Mensch habe schon einemal über Selbstmord nachgedacht. [...] Jedenfalls finde ich das eine spannende und riskante Aussage. Findet ihr euch darin wieder?


    Mir selbst sind solche Gedanken nicht fremd, ob das aber auch für alle anderen gelten und obendrein noch "normal/gesund" sein soll... Hier verallgemeinert Camus sicherlich.


    "Über alle wesentlichen Probleme (...) gibt es wahrscheinlich nur zwei Denkweisen: die von La Palisse und die von Don Quijote.. Nur das Gleichgewicht von Evidenz und Begeisterung kann uns gleichzeitig Zugang zur Emotion und zur Klarheit verschaffen."


    Mit Sätzen wie diesen habe ich auch eher Mühe; selbst nach mehrmaligem Lesen bleibt mir der Sinn reichlich unklar. Dabei ist mir Montaigne in den Sinn gekommen... In seinen "Essais" schreibt er: "Die Schwerverständlichkeit ist ein Falschgeld, dessen sich die Gelehrten wie die Taschenspieler bedienen... " Und das, obwohl Camus' Text anfangs noch schlicht und gut verständlich geschrieben daher kommt, wie du selber sagst, und mit seiner Frage nach Sinn oder Unsinn des Lebens die Neugierde des Lesers sofort zu packen versteht (geht mir jedenfalls so). Leider folgen später einige Kapitel - vor allem diejenigen, in denen er sich mit den Meinungen von Philosophiekollegen auseinandersetzt -, die auf einer reichlich abstrakten und schwerfasslichen Ebene angesiedelt sind.


    Zitat

    riff-raff: Ist das für den Anfang ein zufriedenstellendes Beispiel?


    Sicher... :klatschen: Danke, dass du dir Zeit und Mühe genommen hast.


    Liebe Grüsse


    riff-raff

  • Hallo zusammen,


    Zitat von "riff-raff"

    Mit Sätzen wie diesen habe ich auch eher Mühe; selbst nach mehrmaligem Lesen bleibt mir der Sinn reichlich unklar. Dabei ist mir Montaigne in den Sinn gekommen... In seinen "Essais" schreibt er: "Die Schwerverständlichkeit ist ein Falschgeld, dessen sich die Gelehrten wie die Taschenspieler bedienen... " Und das, obwohl Camus' Text anfangs noch schlicht und gut verständlich geschrieben daher kommt, wie du selber sagst, und mit seiner Frage nach Sinn oder Unsinn des Lebens die Neugierde des Lesers sofort zu packen versteht (geht mir jedenfalls so). Leider folgen später einige Kapitel - vor allem diejenigen, in denen er sich mit den Meinungen von Philosophiekollegen auseinandersetzt -, die auf einer reichlich abstrakten und schwerfasslichen Ebene angesiedelt sind.


    Das Problem ist, dass es sich hier um einen Essay für eine wahrscheinlich im Diskussionsgegenstand vorgebildeten Zielgruppe handeln könnte. Gerade die angesprochenen Philosophen werden in der damaligen Debatte um existenzielle Fragen wohl noch viel präsenter gewesen sein. Sie alle vorab verständlich zu erklären, wäre über den Rahmen des Essays hinaus gegangen und hätte dann wohl Lehrbuchcharakter. Was das Lesen für uns natürlich nicht leichter macht, klar.


    Zitat

    "Über alle wesentlichen Probleme (...) gibt es wahrscheinlich nur zwei Denkweisen: die von La Palisse und die von Don Quijote.. Nur das Gleichgewicht von Evidenz und Begeisterung kann uns gleichzeitig Zugang zur Emotion und zur Klarheit verschaffen."


    Aber die zugegeben eher knappen Anmerkungen im Anhang sind doch auch in eurer Ausgabe vorhanden, oder?
    (Meine Übersetzung stammt von Wroblewsky)


    LG,
    Michael

  • Hallo ihr!


    Interessant finde ich im Sisyphos bereits den Beginn. Dass Camus darauf Wert legt, seinen Text nicht als philosophischen Text zu verstehen, sondern, wie es der Titel des ersten Teils bereits ankündigt, als eine "Absurde Betrachtung" oder als Essay über das Absurde. (Interessant finde ich nicht zuletzt die Doppeldeutigkeit dieses Titels: Ist auch diese Betrachtung letztlich absurd?)


    Im Vorwort dann bereits ein Satz, der mich sehr im Fremden beschäftigt hat.
    Das Absurde ist der Ausgangspunkt, nicht die Folge.


    M.M.n. ist dies auch im Fremden der Fall. Das Gefühl der Absurdität seines Lebens entsteht bei Meursault als erstes. Von diesem Gefühl und den Ereignissen am Strand ausgehend, beginnt er zu erkennen. Das geschieht vor allem im zweiten Teil in Konfrontation mit seiner Umwelt (in den Personen des Richters, Priesters, etc.) aber vielleicht auch in der Auseinandersetzung mit dem Gefühl eines absurden Daseins, also mit sich selbst.


    Zweitens fiel mir auf, dass auch hier wieder der Gedanke des Todes den Startpunkt markiert. Im Sisyphos ist es der Gedanke über den Selbstmord, oder weitergeführt über den Sinn des eigenen Lebens, und im Fremden ist es der Tod der Mutter, sowie an einem entscheidenden Punkt der Mord am Araber.


    Soweit ersteinmal ein paar Gedanken zum Beginn.


    LG,
    Michael

  • Ich lese nachher auch wieder weiter.


    Möchte nur mal meine Dankbarkeit für diese Leserunde zum Ausdruck bringen. Ist echt toll hier - es kommen noch ganz andere Gedanken auf als inne olle Schule. Vielleicht mache ich so doch noch meinen Frieden mit Camus :zwinker:


    LG
    Nightfever

  • Sooo... Als nächstes kommt bei mir "Der philosophische Selbstmord".


    Bisher finde ich Camus' Stil extrem verwirrend. Auf den letzten zehn Seiten oder so habe ich fast nichts verstanden. Ich dachte immer wieder "was meint er? wovon spricht er? worauf bezieht er sich? wie kommt er jetzt da drauf? und was hat das bitte mit den letzten drei Sätzen zu tun??"


    Bääh. Geht es noch jemandem so? Oder versteht ihr ihn alle? Wenn ja, wäre ich für eine Zusammenfassung dankbar.


    Oh, und an einer Stelle setzt er ausdrücklich Heidegger als bekannt und verstanden voraus - da frage ich mich natürlich: Hat Camus Heidegger gelesen und verstanden? Die Zitate in meiner Ausgabe sind alle aus französischer Sekundärliteratur zu Heidegger... :elch:


    Argh, wenn ich so etwas wie diesen Essay in der Schule abgeben würde... Nein, das ginge nicht.


    Verwirrte Grüße
    Nightfever

  • Hallo Nightfever,


    Zitat von "Nightfever"

    Bisher finde ich Camus' Stil extrem verwirrend. Auf den letzten zehn Seiten oder so habe ich fast nichts verstanden. Ich dachte immer wieder "was meint er? wovon spricht er? worauf bezieht er sich? wie kommt er jetzt da drauf? und was hat das bitte mit den letzten drei Sätzen zu tun??"


    Bääh. Geht es noch jemandem so? Oder versteht ihr ihn alle? Wenn ja, wäre ich für eine Zusammenfassung dankbar.


    Oh, ohhh...! Nur nicht aufgeben! :zwinker:
    Der Mythos ist eben keine leichte Kost.


    Zitat

    Oh, und an einer Stelle setzt er ausdrücklich Heidegger als bekannt und verstanden voraus - da frage ich mich natürlich: Hat Camus Heidegger gelesen und verstanden?


    Ich gehe schon davon aus. Er hat Philosophie studiert. :zwinker:


    Liebe Grüße und Kopf hoch!
    Michael

  • Hallo zusammen,


    Zitat von "riff-raff"


    Mir selbst sind solche Gedanken nicht fremd, ob das aber auch für alle anderen gelten und obendrein noch "normal/gesund" sein soll... Hier verallgemeinert Camus sicherlich.


    Für mich bildet den Schwerpunkt dieser Aussage die Frage nach dem Lebenssinn.
    Camus schreibt:
    "Also schließe ich, daß der Sinn des Lebens die dringlichste aller Fragen ist." (Camus im Mythos)
    Und ich denke, diese hat sich bestimmt ein jeder schon einmal gestellt, egal ob er dabei bis zum Gedanken oder auch nur zum Gefühl des Selbstmordes kam oder nicht.


    Interessant ist für mich, dass Camus mit dieser Frage - Ist mein Leben so wie es ist sinnvoll? - beginnt. Ich vermute auch, dass sich diese Frage häufig im Zusammenhang mit dem Bewusstsein der Endlichkeit des eigenen Daseins stellt, also mit einer Todeserfahrung. Und Meursaults Geschichte beginnt mit einer solchen Todeserfahrung. Sie bringt den Roman erst ins Rollen.


    "(...) vor allem aus Gewohnheit, vollführt man weiterhin die Gesten, die das Dasein verlangt." (Camus im Mythos)
    Versucht nicht auch Meursault sein Leben nach der Beerdigung ganz unbeeindruckt so weiterzuführen, als hätte es dieses Ereignis irgendwie gar nicht gegeben?
    "Ich habe gedacht, daß immerhin ein Sonntag herum war, daß Mama jetzt beerdigt war, daß ich wieder zur Arbeit gehen würde und daß sich eigentlich nichts geändert hatte." (Camus in der Fremde)
    Er versucht also seinen Alltag wie vorher zu leben. Im Sisyphos schreibt Camus dann später:
    "Aufstehen, Straßenbahn, vier Stunden Büro oder Fabrik, Essen, Straßenbahn, vier Stunden Arbeit, Essen, Schlafen, Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag, Samstag, immer derselbe Rhythmus - das ist meist ein bequemer Weg. Eines Tages aber erhebt sich das "Warum", (...)" (Camus im Mythos)
    Ich weiß gar nicht, wie oft ich mir diese Stelle hätte unterstreichen wollen!


    Zwei "Dinge" erscheinen mir zu Beginn des Buches von großer Bedeutung:


    - das Gefühl eines völlig absurden Lebens
    - die Frage nach diesem "Warum"


    Puhh! Nicht immer leicht zu sagen, was man zu diesem Text denkt. Soweit...


    LG,
    Michael :smile:

  • Hallo zusammen,


    ich stecke auch irgendwo auf den ersten Seiten.
    Das Problem mit den unbegründeten Aussagen hat mich bis jetzt weniger gestört. Ist es nicht gerade typisch für philosophische Texte, dass erst mal eine Behauptung aufgestellt wird (z. B. dass jeder normale/gesunde Mensch schon einemal über Selbstmord nachgedacht habe), die den Leser aufweckt und neugierig macht? Die Argumentation/Begründung folgt dann später (hoffentlich).


    Zitat von "Michael"

    Zweitens fiel mir auf, dass auch hier wieder der Gedanke des Todes den Startpunkt markiert.


    Guter Hinweis, danke!


    Zitat von "Michael"

    Aber die zugegeben eher knappen Anmerkungen im Anhang sind doch auch in eurer Ausgabe vorhanden, oder?


    Nein, nur ein langer Aufsatz.


    Herzliche Grüsse,
    Maja

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "Michael"

    "Aufstehen, Straßenbahn, vier Stunden Büro oder Fabrik, Essen, Straßenbahn, vier Stunden Arbeit, Essen, Schlafen, Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag, Samstag, immer derselbe Rhythmus - das ist meist ein bequemer Weg. Eines Tages aber erhebt sich das "Warum", (...)" (Camus im Mythos)


    Ich weiß gar nicht, wie oft ich mir diese Stelle hätte unterstreichen wollen!


    Aus Georg Büchners "Dantons Tod":
    „Das ist sehr langweilig, immer das Hemd zuerst und dann die Hosen drüberzuziehen und des Abends ins Bett und morgens wieder herauszukriechen und einen Fuss immer so vor den andern zu setzen; da ist gar kein Absehen, wie es anders werden soll. Das ist sehr traurig, und dass Millionen es schon so gemacht haben, und dass Millionen es wieder so machen werden, und dass wir noch obendrein aus zwei Hälften bestehen, die beide das nämliche tun, so dass alles doppelt geschieht – das ist sehr traurig.“


    Auch Goethe scheint diesen Überdruss am ewigen Einerlei des Lebens gekannt zu haben. In seiner Autobiographie „Dichtung und Wahrheit“ spricht er davon, wie die immer wiederkehrenden kleinen Verrichtungen des Alltags wie Aufstehen, Rasieren und so fort am ehesten dazu angetan seien, einen Lebensmüden zum Selbstmord zu treiben.


    Liebe Grüsse


    riff-raff

  • Hallo!


    Das ist ja interessant, was ihr da berichtet! Ich empfinde die täglichen Verrichtungen nämlich nicht als langweilig, dazu sind sie viel zu variabel (im letzten Jahr hat es sich z.B. zu einer spannenden Frage entwickelt, ob ich rechtzeitig in die Schule komme oder nicht :breitgrins: ). Für mein Leben ist mir der Selbstmord nie als mögliche Lösung erschienen, und wenn überhaupt, würden mich andere Umstände dorthin treiben, etwa eine vollständige Hoffnungs- und Perspektivenlosigkeit. Aber wie heißt es so richtig: So lange wir nicht in die Zukunft sehen können, gibt es immer Hoffnung. Ich weiß nicht mehr, von wem das ist ... Tolkien?


    Ich habe noch keine Zeit zum Weiterlesen gehabt, aber immerhin meinen Deutschlehrer noch mal auf den Mythos angesprochen. Er meinte, Camus sei allerdings insofern angreifbar, als er nicht immer ganz logisch sei - allerdings dann auch wieder nicht wiederlegbar, man könne dann nur sagen, dass er eben das eine oder andere noch logischer/genauer hätte ausführen müssen.
    Im Übrigen müsse ich mich halt schon auf ihn (Camus) einlassen.


    Hm.


    Ich lese auf jedenfall weiter, das war gar nicht anders geplant. :sonne:
    Bin mal gespannt, ob er mich noch überzeugt bzw. ich ihn verstehe.


    Beim Lesen hatte ich oft das Gefühl, dass ich auf einer emotionalen Ebene nachvollziehen kann, was er meint und wovon er schreibt (was keine Zustimmung bedeutet), aber eben nicht mit dem Verstand. Das gefällt mir nciht so gut.
    Was mir aufgefallen ist: Zu Beginn des "Mythos" taucht immer wieder das Wort "lächerlich" auf, es hat schon fast Begriffscharakter. Ich habe ein paar Stellen im Original nachgeschlagen und festgestellt, das Camus dort ganz unterschiedliche Vokabeln benutzt hat. Das werde ich mir noch mal genauer ansehen. Habe den Verdacht, dass die Übersetzung an dieser Stelle unerwünschten Einfluss auf mich ausübt.


    Liebe Grüße
    Nightfever


    PS:


    Zitat

    "Aufstehen, Straßenbahn, vier Stunden Büro oder Fabrik, Essen, Straßenbahn, vier Stunden Arbeit, Essen, Schlafen, Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag, Samstag, immer derselbe Rhythmus - das ist meist ein bequemer Weg. Eines Tages aber erhebt sich das "Warum", (...)" (Camus im Mythos)


    In meiner Übersetzung findet sich dazu die Bemerkung, Camus leben habe genauso ausgesehen, während er den "Mythos" schrieb. :zwinker:

  • Hallo Maja,
    hallo zusammen,


    Zitat von "Maja"


    Nein, nur ein langer Aufsatz.


    Oh, in meiner Rowohlt-TB-Ausgabe sind fast 10 Seiten erläuternder Anhang. Im Einzelnen wie gesagt knapp, aber immerhin... Verweise auf Tagebucheintragungen von Camus und Zeitbezüge, etc. Oftmals gar nicht uninteressant. Taucht vielleicht nur in der Neu-Übersetzung auf.


    Was ist das für ein Aufsatz?


    LG,
    Michael

  • Hallo ihr,


    Zitat von "Nightfever"

    Aber wie heißt es so richtig: So lange wir nicht in die Zukunft sehen können, gibt es immer Hoffnung.


    Ich glaube in diesem Punkt würdest du mit Camus nie übereinkommen. :zwinker: Es ist ja gerade die Hoffnung auf Sinnhaftigkeit oder eine bewegende Veränderung, die er, wie mir scheint, als nicht gerade erstrebenswert erachtet, sondern das uneingeschränkte Anerkennen der Absurdität des Lebens, wie er es darstellt.


    Naja, man muss es ja nicht wie er denken. Obwohl ich gerade diesen Punkt sehr gut nachempfinden kann. Aber das führt hier zu weit... :smile:


    Danke riff-raff für das tolle Büchner-Zitat. Ich hab´s sogar irgendwann einmal gesehen. Aber manches geht eben so schnell verschütt... :sauer:


    LG,
    Michael

  • Hallo zusammen,


    hier noch einige Sätze aus dem Kapitel "Die absurden Mauern", die mich sehr beschäftigt haben:


    "Eines Tages aber erhebt sich das "Warum", und mit diesem Überdruss, in den sich Erstaunen mischt, fängt alles an."
    Mich fasziniert der Gedankengang, den Camus daraus ableitet, weil es für ihn an dieser Stelle zwei Möglichkeiten gibt.
    "Der Überdruss steht am Ende der Handlungen eines mechanischen Lebens, gleichzeitig leitet er aber auch eine Bewusstseinsregung ein. Er weckt das Bewusstsein und fordert den nächsten Schritt heraus. Der nächste Schritt ist die unbewusste Rückkehr in die Kette oder das entgültige Erwachen."


    Diese unbewusste Rückkehr scheint mir im Fremden noch nach der Beerdigung der Mutter Meursaults stattzufinden.

    Zitat

    "Ich habe gedacht, daß immerhin ein Sonntag herum war, daß Mama jetzt beerdigt war, daß ich wieder zur Arbeit gehen würde und daß sich eigentlich nichts geändert hatte." (Camus in der Fremde)


    Von diesem Punkt aus scheint er erst einmal in sein "mechanisches Leben" zurückzukehren. Es geht dann im Femden auch weiter mit:
    "Heute habe ich im Büro viel gearbeitet."
    Und das folgende Bild wo Emmanuel und Meursault auf den Lastwagen am Hafen aufspringen, erscheint mir in diesem Zusammenhang wie eine Methapher:
    "Ich versank im Lärm und im Staub. Ich sah nichts mehr und fühlte nur dieses kopflose Vorstürmen inmitten von Winden und Maschinen (...)"
    Wie ein halb- oder unbewusstes sich durch das Dasein treibenlassen, manchmal berauscht, beglückt, machmal schmerzhaft depremiert und niedergeschlagen.


    Die andere Möglichkeit, die Camus im Sisyphos aus der "Bewusstseinsregung" ableitet, wie er sie nennt, ist das Erkennen, so wie es für den Fremden am Ende des Romans zutreffen könnte. Die Frage ist an dieser Stelle dann wohl, was einem diese Erkenntnis, das Leben sei in seiner ganz mechanischen (sinnlosen) Weise absurd, bedeutet. Zieht man aus ihr den Schuss, dass man ein sinnloses, absurdes Leben beenden könne, wenn es keine Hoffnung auf ein anderes gibt, oder kehrt man in die Absurdität zurück, und wenn ja, wie?
    "Selbstmord oder Wiederherstellung. (Camus im Sisyphos)


    Eine interessante Stelle, oder was meint ihr?


    Liebe Grüße,
    Michael

  • Hallo Michael!


    Diese Stelle aus dem Mythos gehört zu denen, die wir im Unterricht besprochen haben. Ist auch bisher die einzige, wo ich Camus komplett verstehe, da er eine nachvollziehbare Handlungskette entwirft.
    Was nciht heißt, dass ich völlig mit ihm übereinstimme; da müsste ich noch mal länger drüber nachdenken.


    LG
    Nightfever

  • Hallo zusammen!



    Zitat von "Michael"


    Oh, in meiner Rowohlt-TB-Ausgabe sind fast 10 Seiten erläuternder Anhang. Im Einzelnen wie gesagt knapp, aber immerhin... Verweise auf Tagebucheintragungen von Camus und Zeitbezüge, etc. Oftmals gar nicht uninteressant. Taucht vielleicht nur in der Neu-Übersetzung auf.


    Was ist das für ein Aufsatz?


    Der Aufsatz stammt von einer gewissen Liselotte Richter und trägt den Titel: "Camus und die Philosophen in ihrer Aussage über das Absurde". Hatte mir eine Verständnishilfe für Camus' "Sisyphos" erhofft, aber was soll man von einem Nachwort halten, das um einiges komplizierter daherkommt als der Haupttext selbst... Wenn dieser Aufsatz in der Neuausgabe zugunsten von Anmerkungen und Erläuterungen weggelassen wurde, kann ich das nur begrüssen.


    Gruss


    riff-raff

  • Hallo zusammen,


    Zitat von "riff-raff"

    was soll man von einem Nachwort halten, das um einiges komplizierter daherkommt als der Haupttext selbst...


    Danke, riff-raff, ich dachte schon es liege an mir! :breitgrins:
    Ich hoffe aber dennoch, zur Auseinandersetzung mit den anderen Philosophen etwas daraus beisteuern zu können.
    Der Aufsatz nennt sich übrigens "enzyklopädisches Stichwort" :rollen:


    Zitat von "Nightfever"

    Er meinte, Camus sei allerdings insofern angreifbar, als er nicht immer ganz logisch sei


    Über so etwas bin ich gleich im ersten "Kapitelchen" gestolpert: Einerseits wird gesagt, der Selbstmord sei das einzige wirklich ernste Problem der Philosophie, andrerseits heisst es aber dann, dass Selbstmord selten aus Überlegung begangen werde, sondern durch ein Ereignis oder sowas ausgelöst werde. Das widerspricht sich doch!


    Zitat von "Nightfever"

    Ich empfinde die täglichen Verrichtungen nämlich nicht als langweilig, dazu sind sie viel zu variabel .... Für mein Leben ist mir der Selbstmord nie als mögliche Lösung erschienen,


    Doch, die Langeweile der täglichen Verrichtungen kenne ich sehr gut, kenne auch Phasen, wo man zwar nicht unbedingt aktiv Selbstmord begehen würde, aber mir dachte "Na und? Wäre eigentlich egal, jetzt zu sterben." Doch ich weiss, dass auch wieder andere Phasen kommen, in denen der Gedanke an die Absurdität des Lebens völlig in den Hintergrund rückt (und dazu muss man nicht mal unbedingt frisch verliebt sein :breitgrins: )


    Zitat von "Michael"

    Zieht man aus ihr den Schuss, dass man ein sinnloses, absurdes Leben beenden könne, wenn es keine Hoffnung auf ein anderes gibt, oder kehrt man in die Absurdität zurück, und wenn ja, wie?


    Freud'scher Verschreiber, mit dem "Schuss"? :breitgrins:
    Danke, Michael, für Deine ausführlichen Quervergleiche!
    Die zitierte Frage regt einen zum Weiterlesen an, auch wenn man eigentlich die Antwort schon weiss. Im Fremden hatte man ja eigentlich den Eindruck, dass er den Tod akzeptiert, würde das nicht eher der Selbstmord-Variante entsprechen?


    Herzliche Grüsse, bis am Sonntag,
    Maja

  • Hallo zusammen,


    Zitat von "Maja"

    Einerseits wird gesagt, der Selbstmord sei das einzige wirklich ernste Problem der Philosophie, andrerseits heisst es aber dann, dass Selbstmord selten aus Überlegung begangen werde, sondern durch ein Ereignis oder sowas ausgelöst werde. Das widerspricht sich doch!


    Empfinde ich nicht unbedingt als Wiederspruch. Nur weil der Selbstmord nicht alleine eine Folge einer intellektuellen Entscheidung ist, darf er doch ruhig für Camus die wichtigste philosophische, oder vielleicht besser die erste philosophische Frage sein, bevor man sich anderen zuwendet. Wie gesagt, halte ich die Frage nach dem "Sinn eines Lebens" auch für vordergründiger als die Frage nach dem Selbstmord: Beide sind wohl im Camus´schen Sinne eng miteinander verknüpft durch die Frage:
    Ist ein solch absurdes Leben überhaupt lebenswert?


    Zitat von "Maja"

    Freud'scher Verschreiber, mit dem "Schuss"?


    Oh, muss wohl so gewesen sein. Obwohl ich vielleicht hier einmal betonen muss, dass ich nicht jeden Abend mit selbstmörderischen Gedanken ins Bett steige, eher im Gegenteil! :zwinker:
    Nicht, dass es hier heißt, der schläft nicht ohne Revolver! :breitgrins:


    Ich bin wie Camus der Meinung, dass Selbstmord, ob in der Tat oder durch den von ihm genannten "philosophischen Selbstmord" eine Flucht vor dem Leben selbst ist. Und meine Frage nach der Konsequenz dieser Erkenntnis, ist wirklich eine, mit der ich schon lange ringe. Und in diesem Sinne ringe ich auch schon lange mit den Vorstellungen Camus´.


    Ich habe die Kapitel bis "Die absurde Freiheit" (inclusive) bisher gelesen, möchte sie aber noch ein zweites Mal durchgehen, bevor ich weiterlese.


    Zitat von "Maja"

    Im Fremden hatte man ja eigentlich den Eindruck, dass er den Tod akzeptiert, würde das nicht eher der Selbstmord-Variante entsprechen?


    O, dass glaube ich nicht. Den Tod als solchen zu akzeptieren heißt m.M.n. nicht, dem Selbstmord zuzustimmen. Nur, es heißt eben für den Fremden auch nicht, seine Haut zu retten, in dem er einen weltlichen oder religiösen Sinn akzeptieren, anerkennen wollte.
    Ich vermute, es geht hier um die Wahrhaftigkeit vor sich selbst. Der Fremde wird in der klaren Erkenntnis seines absurden Lebens sterben. Und er wird es bis zum letzten Atemzug tun, ohne Hoffnung auf Rettung oder Erlösung. Ich denke, die Hoffnungslosigkeit gehört in aller Konsequenz dazu. Und dies zu erkennen und für sich konsequent anzunehmen und auszuhalten, das Leben für sich anzunehmen, als was es sich für ihn darstellt, daraus schöpft er seine Stärke und deshalb denke ich, wird Meursault "glücklich" sterben.


    Liebe Grüße,
    Michael


    PS.: Ich werde ab Sonntag eine Woche verreist sein. Ich studiere meinen Sisyphos fleißig weiter und gebe, wenn ich zurück bin, wieder fleißig meinen Senf ab. :breitgrins: