Oktober 2004: Dante Alighieri «Divina Commedia»

  • Hallo sandhofer,


    Zitat von "sandhofer"


    Sind wir auf der Südhalbkugel? ... Die Welt des Mittelalters war nun mal ganz anders gebildet: vgl. dazu hier.


    Nur kurz: Danke für den Link, die Karten sehen super aus! Aber da steht auch:
    ...auch Dante der ideale Zeuge für die Selbstverständlichkeit der "Erde als Kugel" im gesamten Mittelalter.


    Also, lesen wir's nochmal genau! :zwinker:


    Bis später, tschüss,
    Maja

  • Hallo zusammen!
    Hallo Maja!


    Zitat von "Maja"

    Aber da steht auch:
    ...auch Dante der ideale Zeuge für die Selbstverständlichkeit der "Erde als Kugel" im gesamten Mittelalter.
    Also, lesen wir's nochmal genau! :zwinker:


    Natürlich betrachet Dante die Welt als eine (Art von) Kugel. Aber die moderne Geografie würde ich nicht allzuweit auf Dantes Weltbild ausweiten. Es muss sich bei Dante um eine Kugel handeln, auf der die Südhälfte praktisch nur vom Läuterungsberg eingenommen wird. Und das war für Dante wohl nicht einfach nur ein Bild, ein Symbol - das war für ihn Realität.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen!


    Ich geb' mir ungern selber Antwort ...


    Ich bin jetzt mit dem 4. Gesang des Purgatoriums fertig. Mein Übersetzer (von Wartburg) warnt in der Einleitung zum Purgatorium, dass der 'human interest' nun zurückgehen würde, da die Seelen hier nicht mehr voll irdischer Gefühle sind wie noch im Inferno, sondern passiv darauf warten, dass sie von den himmlischen Mächten quasi Stockwerk um Stockwerk nach oben befördert werden.


    So war ich denn nicht überrascht, dass im 1. Gesang Cato, als Vergil via die Liebe seiner Frau an ihn appelliert, darauf eher zurückweisend reagiert. Irdische Gefühle - und halt ebenso die Liebe - sind auch ihm abgestorben.


    Im 2. Gesang hat Dante so etwas wie einen Rückfall ins Irdische. Ein Freund von ihm wird gerade angeliefert. Wahrscheinlich, weil auch der noch ein Frischling ist, kommt es dazu, dass er auf Dantes Bitten noch ein irdisches Liebeslied singt. Cato macht dem Idyll allerdings schnell ein Ende.


    Die Geschichte des Manfredi im 3. Gesang zeigt dann schon wieder die Unempfindlichkeit der Seelen im Purgatorium gegenüber allem Irdischen. Was hätte ein in die Hölle verbannter Manfredi wohl seinen Feinden nicht geflucht! Der hier ist ganz mild und eigentlich nicht so wirklich interessiert an dem, was mit seinen Gebeinen passiert ist. So nebenbei kritisiert Dante noch das Papsttum, allerdings sind dessen Bannflüche trotz allem etwas wert, indem sie Manfredi am Fuss des Läuterungsberges aufhalten. Die Situation eines gläubigen aber kritischen Christen zu Dantes Zeit muss nicht sehr einfach gewesen sein ...


    Im 4. Gesang wieder ein Mensch, der noch - menschlich wirkt. Der Faulpelz, der da Dante verspottet, könnte so auch im wirklichen Leben reagiert haben. Im übrigen allerdings auch ein rein passives Warten darauf, dass er endlich ins eigentliche Purgatorium eingelassen wird, wenn ich ihn richtig verstanden habe.


    Soweit für heute. Wo stecken die andern?


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Zitat von "sandhofer"

    Wo stecken die andern?


    Hallo,


    ich habe am Wochenende die commedia zu Ende gelesen. Das paradiso war noch etwas langatmiger zu lesen als die beiden vorangehenden Teile. Zurerst erklärt Beatrice sehr ausgiebig und umständlich das Phänomen der Mondflecken, dann rühmt Justinian in einer langen Rede wieder einmal das römische Reich, bevor Cacciaguida, ein Vorfahr Dantes über drei Gesänge hinweg die Zukunft für Dante voraussagt und ihm historische Berühmtheiten vorstellt: Josua, Judas Makkabäus, Karl d. Gr. und Gottfried von Bouillon (haben die vier irgendwelche Gemeinsamkeiten?). Zum Schluss noch Petrus, der über die korrupten Päpste herzieht, insbesondere Dantes speziellen Freund Bonifaz VII. Der letzte Satz gehört dann aber der Liebe:
    "Ma già volgeva il mio disio e il velle,
    Si come ruota ch'igualmente è mossa,
    L'amor che muove il sole e l'altre stelle."


    Gruß


    Georg

  • Hallo zusammen,


    Gestern habe ich auch bis Gesang 4 gelesen, und will heute 5 und 6 lesen.


    Zu den Zahlen: Das Purgatorium hat 4755 Verse, das sind 39 x 118 + 153. Es beruht also auf den Zahlen Dantes (als Sünder) und Beatrices. Damit verbunden wird 153, die nach Joh. 21,11 als Symbol für die Auserwählten Gottes interpretiert wird. Das leuchtet hier ein, da die Seelen im Purgatorio zuversichtlich sind, nach einer Zeit der Sühne erlöst zu werden. (Reclam)
    Mein "Seitenblick" beim Lesen hat auch schon einen "Treffer" erzierlt: im 4. Gesang wird in Zeile 39 auf Beatrice verwiesen:
    Bis uns ein kundiges Geleit erscheinet.


    Überidisch wirkte auf mich bis jetzt vor allem die Stimmung, mit den Sternen, dem Morgenlicht und den milden Farben. Die Figuren finde ich immer noch lebensnah und anschaulich.


    Zitat von "sandhofer"

    (von Wartburg) warnt in der Einleitung zum Purgatorium, dass der 'human interest' nun zurückgehen würde,


    Was meint er wohl mit 'human interest'? Ich rechne damit, dass sich das Interesse nun von den andern Figuren weg auf die Vorgänge im Innern Dantes verlagern wird. (ist aber nur eine Vermutung!)


    Zitat von "sandhofer"

    Im übrigen allerdings auch ein rein passives Warten darauf, dass er endlich ins eigentliche Purgatorium eingelassen wird, wenn ich ihn richtig verstanden habe.


    In meinem Nachwort steht, dass im Vorporgatorium (2-8) die Menschen lagern, die erst am Ende des Lebens Busse taten und deshalb eine bestimmte Zeit warten müssen, bis sie ihren Läuterungsweg beginnen können. Sie können nichts anderes tun, als ihre Zeit absitzen und auf Verkürzung durch Fürbitte hoffen.
    Dazu passt für mich gut, dass die erste Schar von Seelen im 3. Gesang mit einer Schafherde verglichen wird!


    Was mir jedesmal wieder auffällt: auf wie verschiedene Weisen Dante von den Seelen als Lebendiger erkannt wird, hier nun am Schattenwurf. (In der Psychologie ist es übrigens auch der Schatten, mit dem man sich auf seinem Entwicklungsweg irgendwann mal auseinandersetzen muss.)


    Besonders gut gefallen hat mir im 4. Gesang, Vers 54 (am Ende des Aufstiegs, wo sie sich hinsetzen):
    Denn schön ist's, auf den Weg zurückzuschauen.
    Das Gefühl kenne ich von Bergtouren!


    Herzliche Grüsse,
    Maja

  • Hallo zusammen!


    Vielen Dank, xenophanes, für den Link! Ich habe Deine Ausführungen mit Vergnügen, Genuss und Gewinn gelesen.


    Georg: Ich hoffe, dass Du noch ein bisschen mit uns weiter diskutierst, auch wenn Du schon fertig bist.


    Maja: Das "kundige Geleit" finde ich auch sehr interessant. Ich hab's nicht unbedingt auf Beatrice bezogen, die m.W. erst im Paradies erscheint, aber es ist schon interessant, dass im Purgatorium Vergil nicht mehr der unbedingt zuverlässige Führer ist. Er ist als Heide und als Repräsentant der Vernunft hier zusehends fehl am Platz, scheint mir.


    "Human interest" ist keine Formulierung von Wartburgs, sondern meine eigene. Ich meinte damit genau das, was Du verstanden hast: die äussere Spannung wird zugunsten einer inneren (innerlichen) zurückgesetzt.


    Im 5. Gesang am gelungensten fand ich die Figur der Pia. Rätselhaft, zurückhaltend - gleichzeitig die einzige, die auch an Dante denkt und nicht nur an sich selber. Was hinter dieser Figur wohl steckt?


    Grüsse


    Sandhofer


    PS. Bluebell?

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo!


    Zitat von "sandhofer"

    PS. Bluebell?


    Bitte entschuldigt, dass ich in letzter Zeit so schweigsam war. Ich habe zwischen Hölle und Läuterungsberg eine kleine Verschnaufpause eingelegt und bin jetzt erst beim 2. Gesang. Leider habe ich das Buch mit meinen Notizen nicht bei mir und kann mich deswegen erst am Wochenende wieder etwas ausführlicher melden ...


    xenophanes: Danke für den Link. Diese Zusammenfassung ist dir wirklich super gelungen - was hältst du davon, wenn wir den Link auch bei "Materialen und Archiv" einfügen?


    Maja: Ehrlich gesagt, nun wundert mich überhaupt nicht mehr, dass Dante Jahrzehnte für die Commedia gebraucht hat! Nicht genug damit, dass er einen Text, der wohl schon in Prosa sehr arbeitsintensiv gewesen wäre, in einem strengen Versschema abgefasst hat - dann hat er auch noch diese Zahlenspielereien ausgetüftelt und eingebaut! Wie schade, dass man ihn nicht mehr dazu interviewen kann ...


    Georg: Also fällt dein Fazit nicht so berauschend aus? Hoffentlich schreibst du hier trotzdem noch ein bisschen mit ...


    Mir ist noch etwas zum Inferno eingefallen, und zwar betreffend die drei Gesichter des Luzifer: steckt da eine Farbsymbolik dahinter? Ich glaube, die Gesichter waren schwarz, rot und weiß (wie gesagt habe ich leider mein Buch gerade nicht zur Hand, um nachzublättern). Hat es eine Bedeutung, wer in welchem Maul zermalmt wird?
    Außerdem hat mich diese Konstellation an die Dreifaltigkeit der keltischen Muttergöttin erinnert, die auch durch Schwarz-Rot-Weiß symbolisiert wird (was ja auch in diversen Volksmärchen als Motiv auftaucht, wie z.B. Schneewittchen mit ihrer Haut so weiß wie Schnee, ihren Lippen so rot wie Blut und ihrem Haar so schwarz wie Ebenholz, oder Schneeweißchen und Rosenrot mit ihrer verwitweten Mutter ... aber das führt jetzt zu weit).


    Bis bald,
    Bluebell

    "Date a girl who reads. Date a girl who spends her money on books instead of clothes. She has problems with closet space because she has too many books. Date a girl who has a list of books she wants to read, who has had a library card since she was twelve."

  • Hallo zusammen,


    Bluebell: Schön, dass Du noch dabei bist!


    Zitat von "sandhofer"

    Im 5. Gesang am gelungensten fand ich die Figur der Pia.


    Danke für den Denkanstoss! :blume:


    Zu dieser Figur hatte ich mir notiert, ob sie wohl nur ein Anhängsel sei, um auf 3 Personen oder eine bestimmte Verszahl (wieder mal 136) zu kommen.
    Das wollte ich Dir zurückschreiben, und dazu "Schön, dass wieder mal eine Frau ausdrücklich erwähnt wird. Wenn ich mich richtig erinnere, hatten wir schon lange keine mehr?"
    Worauf ich zurückblätterte...
    Ende 5. Gesang der Hölle ist ja die Stelle mit Francesca! Auch eine Frau, die von ihrem Ehemann ermordet wurde.


    Herzliche Grüsse
    Maja


    PS: Beatrice kommt übrigens im 30. Gesang des Purgatorio.

  • Hallo zusammen!


    Danke, Bluebell, für Deinen Hinweis auf die Farben Ditis. In meiner Ausgabe ist allerdings das mittlere Gesicht offenbar weiss (Dante gibt ihm in meiner Übersetzung keine Farbe), das rechts halb weiss, halb gelb, das links mohrenfarbig. Also wohl keine keltische Gottheit ... Aber vielleicht kommt uns ja noch was in den Sinn ...


    Maja
    Ich glaube nicht, dass Pia nur da steht, um eine Verszahl vollzumachen. Dante war in meinen Augen ein zu guter Autor, als dass er zu einem solchen banalen Hilfsmittel gegriffen hätte. Ich werde das Gefühl nicht los, dass Pias Schicksal ihn aus irgendeinem Grund persönlich berührt hat.


    Ich bin jetzt mit Gesang 7 fertig. Wir haben die regierungsunfähigen Fürsten gesehen in ihrem wunderschönen Tal. Es ist schon merkwürdig, wie schonend sie bei Dante behandelt werden.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen,
    bei mir ist das mittlere Gesicht rot, das rechts zwischen weiss und sarfan, und das links
    Wie die, die von des Niles Ufer kommen.
    Ich werde noch im Original nachschauen, da war doch mal irgendwo ein Link...
    Aber auf eine andere Frage hat es mich gebracht: Kamen in der Hölle eigentlich Farben vor?


    Gesang 6: Ein Klagelied über das zerstrittene Italien. Wieder einmal die Frage: Warum ausgerechnet hier??
    Dazu passt wohl, dass im 7. Gesang die Fürsten sitzen. Keiner von ihnen hatte es geschafft, in Dantes Sinn ein Weltkaiser zu sein, der nach dem Vorbild der Pax Augusta im Reich den Frieden sichert.

    Zitat von "sandhofer"

    Es ist schon merkwürdig, wie schonend sie bei Dante behandelt werden.


    Meinst Du damit, warum sie nicht in der Hölle sind? Diese Frage stelle ich mir im Moment sowieso fast bei allen, nachdem so viele Leute aus nicht immer nachvollziehbaren Gründen in der Hölle anzutreffen waren.


    8. Gesang: Wieder so eine geheimnisvolle Anrede: (Vers 19-21)
    Hier musst du, Leser, deine Augen schärfen,
    Weil jetzt der Schleier schon so fein geworden,
    Dass man gewiss ihn leicht durchdringen könnte.

    Warum "könnte"?


    In der Nacht taucht die Schlange der Versuchung auf und wird von den Schutzengeln verjagt. Das Purgatorium ist dem Erdenleben ähnlich, es gibt Versuchungen, das Böse ist noch da, und vor allem spielt Zeit eine Rolle, sie steht nicht unbegrenzt zur Verfügung wie in der Hölle und im Paradies.
    Am Schluss lobt Dante einen seiner Gönner und prophezeit sein eigenes Exil. Er war ja die ganze Zeit, als er die Commedia schrieb, auf freundliche Aufnahme bei Gönnern angewiesen.


    Herzliche Grüsse,
    Maja

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "Maja"

    8. Gesang: Wieder so eine geheimnisvolle Anrede: (Vers 19-21)
    Hier musst du, Leser, deine Augen schärfen,
    Weil jetzt der Schleier schon so fein geworden,
    Dass man gewiss ihn leicht durchdringen könnte.

    Warum "könnte"?


    Vielleicht, weil Dante halt vom Leser doch volle Aufmerksamkeit verlangt? "Könnte", wenn man sich Mühe gäbe? So habe ich es verstanden.


    Zu Bluebells Bemerkung am 26. Oktober

    ist mir noch Folgendes "über den Weg gelaufen":


    Schelling in seiner Urfassung der Philosophie der Offenbarung (1831/32) definiert Satan als das Prinzip des göttlichen Unwillens. Er versteht Unwillen dabei in jedem möglichen Sinn, mit jeder möglichen Konnotation: als Negation des Willens, aber u.a. auch als Unwillen, wie wir das Wort heute verwenden. Er setzt konsequent überall dort, wo das Alte Testament vom "Zorn Gottes" spricht, "Satan" ein. Insofern könnte man also sagen, dass die Teufel bei Dante in gewissem Sinn schon Gottes Angestellte sind. Sie führen zwar nicht seinen Willen aus (wie es Angestellte tun sollten), aber sozusagen seinen Unwillen ...


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo!


    Nachdem ich im Februar knapp zwei Wochen in Ägypten unterwegs sein werde, lese ich mich gerade ein, und stieß in der Monographie von Manfred Clauss auf Abschnitte, welche die ägyptischen Höllenvorstellungen beschreiben. Es gibt hier starke Parallelen zu Dante:


    Drastisch werden die quälenden Dämonen beschrieben, die als Folterknechte und Henker ihr Werk verrichten. Im Spruch 17 des Totenbuches erfleht der Tote Rettung "vor jenem Gott, der das Gesicht eines Hundes hat und menschliche Augenbrauen, der von Schlachtopfern lebt, der Hüter jener Windung des Feuersees, der Leichen verschlingt und Herzen ausreißt, der Wunden zufügt, ohne gesehen zu werden..." [...]
    In einigen Szenen der Unterweltsbücher sind die Verdammten sogar an einen Marterpfahl gebunden [...] Im Höllenbuch ist den Sündern in mehreren Szenen der Kopf buchstäblich vor die Füße gelegt. Auch das erwähnte Herausreißen der Herzen wird mit brutaler Deutlichkeit abgebildet. Zu dieser Art der Hölle gehört darüber hinaus das nicht verlöschende Feuer als ewige Strafe: Flammen sprühen aus Zunge und Augen der Peiniger, und immer wieder stoßen Schlangen, die das Jenseits in riesigen Massen zu bevölkern scheinen, ihren giftigen Gluthauch aus. [...]
    Im Zentrum aller Feuerstrafen steht der Feuersee. Statt aus Wasser besteht er aus Feuer, und entsprechend den blauen Wellen des Nil wird er mit roter Farbe gemalt. In diesem außerdem von Gestank erfüllten See werden die Bestraften hineingestoßen [...] Neben dem Feuersee spielen Kochkessel eine wichtige Rolle bei der Vernichtung der Übeltäter [...]
    Das Ziel derartiger Maßnahmen ist nicht - wie in späteren christlichen Vorstellungen - die immerwährende Strafe oder die Läuterung im Feuer, sondern die restlose Auslöschung der Existenz.

    [Manfred Clauss: Das Alte Ägypten. Berlin 2001. S. 133ff.]


    CK

  • Hallo zusammen!
    Hallo xenophanes!


    Äusserst interessant, danke. Weisst Du oder Clauss, ob die altägyptischen Vorstellungen zu Dantes Zeit schon (oder noch) in Europa bekannt waren? Das antike Griechenland und das antike Rom kannten m.W. einiges von der altägyptischen Mythologie, aber wie war es mit dem Mittelalter?


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Zitat von "sandhofer"


    Weisst Du oder Clauss, ob die altägyptischen Vorstellungen zu Dantes Zeit schon (oder noch) in Europa bekannt waren?


    Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie unbekannt waren. Man weiß ja ziemlich genau, welche antiken Texte im Hochmittelalter bekannt waren. Soweit ich das überblicke, gibt es darin keine Detailbeschreibungen der ägyptischen Jenseitsvorstellungen.
    Auch bei Herodot oder Strabo kommt das meines Wissens nicht vor.


    Die Hieroglyphen konnte man ja nicht mehr lesen. Es würde mich sehr überraschen, wenn es antike oder mittelalterliche (arabische) Ausgaben dieser ägyptischen Texte gegeben hat. Die gab es wohl erst im 19. Jahrhundert.


    CK

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "xenophanes"

    Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie unbekannt waren. Man weiß ja ziemlich genau, welche antiken Texte im Hochmittelalter bekannt waren. Soweit ich das überblicke, gibt es darin keine Detailbeschreibungen der ägyptischen Jenseitsvorstellungen.
    Auch bei Herodot oder Strabo kommt das meines Wissens nicht vor.


    Nun, an die 'hoch'literarische Tradition dachte ich eigentlich nicht. Aber, Du hast recht, was anderes gab es wohl auch nicht.


    In der Volksüberlieferung scheint aber die Tradierung stattgefunden zu haben. (War jetzt auch kein Deutsch, dieser Satz :redface: ) Ich nehme an, dass die von Dir geschilderten Ähnlichkeiten nicht zufällig sind, und die altägyptischen Kulte irgendwo im Volk und im Aberglauben eine letzte Zuflucht gefunden haben.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Zitat von "sandhofer"


    Ich nehme an, dass die von Dir geschilderten Ähnlichkeiten nicht zufällig sind


    Ich würde hier "Zufall" nicht ausschließen. Wie ich dir ja nicht sagen muss, gibt es auch bei den Mythen viele Ähnlichkeiten, obwohl es oft keinen historischen Konnex gab.


    Es besteht meines Erachtens ebenso die Möglichkeit, dass diese Vorstellungen "formale" (religions)psychologische bzw. anthropologische Ursachen haben. Es sind ja auch einige Kulturtechniken an unterschiedlichen Orten gleichzeitig entstanden.


    CK

  • Hallo zusammen,


    Zitat von "sandhofer"

    Ich nehme an, dass die von Dir geschilderten Ähnlichkeiten nicht zufällig sind,


    Ich glaube auch nicht an Zufall.
    Wichtig scheint mir hier, zwischen "Texten" und "Vorstellungen" zu unterscheiden. Einersteits verbreiteten sich religiöse Vorstellungen entlang der Handelswege in verschiedene Kulturen (wie z.B. der Buddhismus entlang der Seidenstrasse). Andrerseits habe ich bei Minois gelesen, dass die jüd. Religion an den Spekulationen um ewige Seligkeit und Verdammnis teilgenommen habe, v.a. in der Diaspora und besonders in Alexandria.
    Über die apokryphe Literatur, wo ja offenbar sehr farbige Höllenschilderungen zu finden sind, und von dort über die Kirchenväter haben Vorstellungen aus verschiedenen Kulturen den Weg ins MA gefunden, wenn auch nicht die Originaltexte.


    Besonders interessant finde ich das:

    Zitat

    Das Ziel derartiger Maßnahmen ist nicht - wie in späteren christlichen Vorstellungen - die immerwährende Strafe oder die Läuterung im Feuer, sondern die restlose Auslöschung der Existenz. [Manfred Clauss: Das Alte Ägypten. Berlin 2001. S. 133ff.]


    Die ägyptische Vorstellung der Auslöschung der Existenz entspricht eher dem Feuer als Reinigung, wie es auch in der Bibel häufig anzutreffen ist. Diese Vorstellung hielt sich im Westen nicht, und aus dem reinigenden Feuer wurde ein strafendes.


    Die Hölle scheint uns nicht loszulassen :breitgrins:. Macht nichts, denn da das Purgatorium als Gegenstück aufgebaut ist, werden wir noch oft zurückblättern müssen.


    9. Gesang: Lucia transportiert ihn im Schlaf über eine Felsenklippe vor die Tür des Purgatoriums. Das erinnert mich an Geryon, ist die Felsklippe, die hier überwunden wird, das Gegenstück des Abgrundes zwischen 7. und 8. Höllenkreis?


    Beim Eingang zum Purgatorium kommen die Farben der drei Gesichter Lucifers wieder vor ( sofern man die, die von des Niles Ufer kommen als dunkelrot bezeichnen kann.) Die drei Stufen, welche die Beichte symbolisieren, sind weiss, dunkelrot und rot!


    Parallel zum 9. Gesang der Hölle stehen die beiden wieder vor einem Tor, das ihnen geöffnet wird. Im Gegensatz zum Höllentor, das sich ohne Widerstand öffnete, ist dieses schwierig zu öffnen.


    Heraus muss wieder, wer nach hinten schauet."
    Das erinnerte mich an Orpheus!
    In meinen Anmerkungen steht dazu:" Wer nach der Beichte wieder in die schwere Sünde verfällt, verliert den Stand der heiligmachenden Seligkeit." Etwas weiter interpretiert bedeutet das für mich eher, dass es bei der Seelenwanderung (oder auch bei der Bewältigung einer Krise) einen Punkt gibt, von dem man nicht mehr rückwärts blicken soll, sondern vorwärts.


    Ich finde das Purgatorium bis jetzt genau so spannend wie die Hölle. Dort war's doch eigentlich vor allem eine beschreibende Auflistung der verschiedenen Sünder und Strafen. Hier wird es nun rätselhafter und doch "menschlicher" (das muss ich mal noch besser formulieren, jetzt fehlt mir die Zeit!)


    Herzliche Grüsse,
    Maja

  • Hallo, ihr Lieben!


    Ja, mich gibt es tatsächlich noch, und ich lese auch noch mit ... leider war ich übers Wochenende nicht online weil krank und habe erst heute wieder genug Ruhe, um hier was zu posten.


    Zitat von "Maja"

    Die Hölle scheint uns nicht loszulassen.


    Schaut so aus! :breitgrins:
    Ich muss auch nochmal kurz was dazu anbringen ... und zwar habe ich inzwischen wegen der 3 Gesichter des Luzifer nachgeschaut. In meiner Übersetzung ist tatsächlich das mittlere "rötlich", und die anderen beiden "zwischen weiß und gelb" bzw. "so, wie wer vom Nil kommt" - also vereinfacht gesprochen das Rot-Weiß-Schwarz-Schema.
    Dass sich Dante hier tatsächlich (bewusst oder unbewusst) an die Farben der keltischen Dreifaltigkeit anlehnt, glaube ich zwar nicht wirklich - mir ist die Parallele eben nur aufgefallen, als ich mir eine mögliche Symbolik für die Farbkonstellation überlegt habe (eingefallen ist mir übrigens keine einleuchtende :zwinker: ).


    Zitat von "Maja"

    Aber auf eine andere Frage hat es mich gebracht: Kamen in der Hölle eigentlich Farben vor?


    Hm, wie meinst du das? Also von diesen rot-weiß-schwarzen Gesichtern abgesehen kann ich mich z.B. auch noch an blaugefrorene Sünder im Eissee und an die Schwärze der Pechseen erinnern ...


    Danke, Sandhofer, für deinen Kommentar zum Thema "Satan als göttlicher Unwillen"! Wirklich sehr interessant, und das passt auch wunderbar zu unserem Eindruck von Dantes Teufeln.


    Zitat von "xenophanes"

    Wie ich dir ja nicht sagen muss, gibt es auch bei den Mythen viele Ähnlichkeiten, obwohl es oft keinen historischen Konnex gab.
    Es besteht meines Erachtens ebenso die Möglichkeit, dass diese Vorstellungen "formale" (religions)psychologische bzw. anthropologische Ursachen haben.


    Ist zwar jetzt etwas Off Topic, aber was hältst du in diesem Zusammenhang von C. G. Jungs (?) Archetypen-Theorie? (Oder hast du dich eh darauf bezogen?)


    Inzwischen habe ich die ersten 6 Gesänge des Purgatoriums gelesen und ein paar Fragen an euch.
    Punkt 1 betrifft die Übersetzung: mir ist aufgefallen, dass am Läuterungsberg ständig von "Geistern" die Rede ist, während es in der Hölle die "Seelen" waren. Warum das? Ist das bei euch auch so?


    Dann muss ich zugeben, dass ich am Beginn des 4. Gesangs nur Bahnhof verstanden habe. Der Kommentar hat mir leider auch nicht sonderlich weitergeholfen:
    Wenn eine der Seelenkräfte (virtù) durch einen Reiz von außen, sei es Lust oder Schmerz, angesprochen wird, dann konzentriert sich die ganze Seele auf diese eine Kraft, so daß ihre anderen Kräfte solange aussetzen.
    Wozu diese geschwollene Umschreibung, wenn Dante an dieser Stelle eigentlich nur sagen will, dass er die Zeit vergessen hat, weil er so gebannt Manfreds Rede lauschte? Was bedeutet der Begriff "Seelenkräfte"? Es geht nämlich noch weiter:
    Diese Erörterung D.s wendet sich gegen die Platoniker, die den einzelnen Seelenkräften ein Eigenleben zuwiesen, und gegen die Lehre der Manichäer von zwei autonomen Seelen im Menschen, die miteinander im Widerstreit liegen.
    Äh ... ja. :rollen: Kann mir das bitte nochmal jemand in einfachen Worten und gaaanz langsam erklären?


    Eines ist mir noch aufgefallen: nämlich der hohe Stellenwert, der den Fürbitten der Hinterbliebenen eingeräumt wird. Da möchte man ja am liebsten sofort in die Kirche laufen und einen Rosenkranz für seine Lieben beten! :entsetzt:


    Und hat es euch eigentlich bei der Erwähnung der Familie Capulet auch so gerissen? :breitgrins:


    Liebe Grüße,
    Bluebell

    "Date a girl who reads. Date a girl who spends her money on books instead of clothes. She has problems with closet space because she has too many books. Date a girl who has a list of books she wants to read, who has had a library card since she was twelve."

  • Grüß euch! :winken:


    Ich möchte mich heute noch schnell mit meinen Kommentaren zu den letzten paar Gesängen melden, da ich morgen nach Florenz düse. :sonne:


    Gesang 6 und 7 haben mir persönlich nicht sonderlich viel gegeben. Ich gestehe, dass mich die Aufzählung damaliger "Promis" und ihrer Verfehlungen zu langweilen beginnt ...
    Bzgl. meines letzten Postings wollte ich noch erwähnen, dass ab Gesang 7 bei mir auch wieder von "Seelen" statt "Geistern" die Rede ist.


    Im 8. Gesang wirds wieder interessant.


    Zitat von "Maja"

    Hier musst du, Leser, deine Augen schärfen,
    Weil jetzt der Schleier schon so fein geworden,
    Dass man gewiss ihn leicht durchdringen könnte.


    Bei mir kommt das Wörtchen "könnte" gar nicht vor:


    Hier schärfe, Leser, deinen Blick zum Wahren,
    Da jetzt der Schleier ist so dicht nicht mehr,
    Daß es nicht leicht darunter zu gewahren!


    Zitat von "Maja"

    In der Nacht taucht die Schlange der Versuchung auf und wird von den Schutzengeln verjagt. Das Purgatorium ist dem Erdenleben ähnlich, es gibt Versuchungen, das Böse ist noch da


    Diese Stelle fand ich hochinteressant. Was hat es zu bedeuten, dass der Versucher hier in Gestalt einer Schlange einzudringen versucht? Bisher dachte ich, wenn man es erst einmal ins Purgatorium geschafft hat, ist einem die Endstation Paradies sicher. Aber was hat dann die Schlange hier verloren? Versucht sie doch noch Seelen für die Hölle zu gewinnen? Oder verlängert sich einfach der Weg (die Dauer) bis zum Paradies, wenn man ihrer Versuchung nachgibt? Irgendeinen Zweck muss ihr Auftauchen ja verfolgen, als reines Spannungselement schätze ich sie nicht wirklich ein. :zwinker:


    Zur den 3 Stufen im 9. Gesang: die Assoziation zu den Gesichtern Luzifers ist mir gar nicht gekommen. Allerdings gibt mein Kommentar einige sehr interessante Infos zur Symbolik des Portals her:


    Erste Stufe (weiß) = Gewissenserforschung
    Zweite Stufe (purpur) = Reue
    Dritte Stufe (blutrot) = Gelöbnis der Wandlung
    Engel = Autorität der Kirche
    Schwelle, auf der er steht (Diamant) = Erlösungstat Christi als unerschütterliches Fundament der Kirche
    Aufschließen der Tür = Absolution
    Kniefall, dreimaliges Schlagen der Brust = öffentliches Bekenntnis der Sünden
    sieben P (peccatum - Sünde) und Auftrag, sie abzuwischen = Sühne
    erd-/aschfarbenes Kleid des Engels = Demut der irdischen Vertreter Gottes, wie sie Dante vorschwebt
    goldener Schlüssel = Vollmacht des Priesters, Sünden zu vergeben
    silberner Schlüssel = Erforschen des Sünders durch den Priester, ob seine Reue aufrichtig ist
    Das Erschließen mit dem silbernen muss dem endgültigen Aufschließen vorangehen.


    Im 10. Gesang folgt der Aufstieg durch eine Felsspalte in den ersten Ring. Die Felswände tragen Reliefdarstellungen berühmter Beispiele von Demut. Die Seelen der Stolzen schleppen zur Buße schwere Quadersteine.


    Ich melde mich dann Mitte nächster Woche wieder.


    Liebe Grüße, bis bald :schmetterling:


    Bluebell

    "Date a girl who reads. Date a girl who spends her money on books instead of clothes. She has problems with closet space because she has too many books. Date a girl who has a list of books she wants to read, who has had a library card since she was twelve."