Oktober 2004: Dante Alighieri «Divina Commedia»

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "Georg"

    natürlich kann man die Commedia auch lesen, ohne die Geschichte Florenz zu kennen, aber je mehr man davon kennt um so mehr erschließt sich einem Dantes Werk.


    Gerade bei diesem Punkt bin ich mir nicht sicher. Was habe ich wirklich mehr und besser verstanden, wenn ich diesen und jenen Edelmann der jeweiligen Partei zuordnen kann? Wenn ich weiss, zu welcher Partei Dante gehörte? Verstehe ich mehr von Dante, wenn ich die italienischen Intrigen jener Zeit aus dem ff kenne und so Dantes Figuren einordnen kann? Oder verstehe ich nicht gleich viel oder mehr, wenn ich Dantes konkrete Politiker als Sinnbilder für den Politiker sehe? So, wie für uns Macchiavellis Fürst weit über den vom Autor angeschriebenen hinauszielt? Verstehe ich nicht sogar dann immer noch genug, wenn ich völlig naiv Dantes Guelfen und Ghibellinen mit heutigen US-amerikanischen Demokraten und Republikanern gleichsetze?


    Im übrigen bin ich wieder einen Gesang weiter - Gesang 24: Dante als Heuchler! Er gibt sich Vergil gegenüber stärker und fitter, als er wirklich ist. Und zum ersten Mal hatte ich den Eindruck, dass sich die Hölle wirklich von ihrer grausigen und grausamen Seite zeigt. Obwohl Fucci ja nun wahrlich kein Engelchen war, kann er einem leid tun. In welcher Beziehung steht diese seltsame Strafe eigentlich mit der begangenen Sünde?


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen,

    Zitat von "bluebell"

    Alle Klarheiten beseitigt?


    Wow! Danke für die Erklärung!:klatschen:


    Wie versprochen, kurz etwas zu den Zahlen (nach Reclam)
    Nebst der traditionellen Symbolik (3,7,10,11,100) die einem ja schnell auffällt, verwendet Dante noch Gematrie, zur Verschlüsselung von Namen:
    a=1, b=2, etc., (ohne j und w, mit k)
    Daraus ergibt sich: Dante = 42, Dante Alighieri = 118, Beatrice = 61, Bice = 19


    (Das wird schon im Jugendwerk Dantes, der Vita Nuova, bestätigt: Es hat z.B. 42 Kapitel. Ausserdem ergibt sich dort noch 39 für Beatrice. (Neun und drei).)


    In der Commedia:
    Im 39. Vers kommt erstmals das Wort amore vor, letzmals im 39. Vers von Gesang 30. Insgesamt 19 Mal im Inferno (=Bice).
    Zum allerletzten Mal kommt es im Paradies 28,12 vor, das ist der 3900. Vers des Werkes. Zwischen der ersten und letzten Verwendung liegen 3993 Verse.


    Das Inferno nun, der Teil Dantes, sei auf der Grundzahl 118 aufgebaut, die Gesamtzahl der Verse ist 40 x 118. (40 in der Bibel für Busse, Strafe, Fasten, Vorbereitung, Erwartung). Ausserdem ist die Differenz zwischen dem längsten und dem kürzesten Gesang 42.


    Verrückt, nicht? (Und erst noch ohne Taschenrechner...) Mich faszinieren solche Sachen, Euch auch? Vielleicht entdecken wir den einen oder anderen Zuammenhang sogar noch selber! (Warum 136??)


    Grüsse, Maja

  • Hallo ihr Lieben,


    schlechte Nachrichten: Ich habe am wochenende versucht, mich wieder mit Dante auseinanderzusetzen - erfolglos. Ich kann mich momentan einfach nicht darauf konzentrieren, mir schwirrt zu viel im Kopf herum.


    Ich bin froh, dass hier einige Neue in der Leserunde so eifrig mitdiskutieren - dann ist mein Gewissen nicht ganz so schlecht. Aber ich denke, es bringt nichts, wenn ich mir jetzt das Lese generell verleiden lasse.


    Ich werde auf jeden Fall hier weiterhin mitlesen! Eure Kommentare sind sehr interessant, aber das Buch für mich derzeit einfach nicht zu schaffen. Sorry!


    Ich hoffe, ihr seid mir deshalb nicht böse!


    Liebe Grüße
    nimue

  • Hallo alle!


    Suse: Schade ist es natürlich schon, dass du jetzt endgültig aussteigst, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass dir jemand böse ist. :knuddel:


    Georg: Die Bibelstelle, die ich meine, sagt nicht "unehelicher Geschlechtsverkehr = Ehebruch", sondern sinngemäß "ist in einen Topf zu werfen und daher gleich zu bestrafen wie ...". Trotzdem kann ich die Logik dahinter nicht ganz nachvollziehen. :rollen:
    Ich bin mir jedenfalls ziemlich sicher, dass von diesem Thema auch noch an einer anderen Stelle als bei den zehn Geboten die Rede ist, vielleicht im NT. Nur möchte ich nicht unbedingt die ganze Bibel danach durchforsten ... für den Anfang wären vielleicht die Paulusbriefe einen Versuch wert.
    Und danke für den Tipp wegen James Joyce ... ich gestehe, dass mir Hamlet als "literarische Vorbildung" lieber ist als die Odyssee! :breitgrins:
    Du bist schon im Paradies?? Da wirst du ja im Handumdrehen fertig sein! Ich hänge noch immer bei den letzten Gesängen der Hölle ...


    Maja: Danke für die Erläuterungen zur Zahlensymbolik! Wahnsinn, was für ein irrsinnig ausgefeilter Geheimcode in dem Werk steckt ... wäre nur interessant, ob alles, was die Forscher errechnet haben, wirklich bewusst von Dante eingebaut wurde oder ob sich nicht vielleicht der eine oder andere Zufall eingeschlichen hat.


    sandhofer: Meistens reicht es vielleicht wirklich, wenn man die vorkommenden Politiker als Sinnbilder betrachtet. Aber andererseits ist es doch auch interessant zu erfahren, warum konkret der eine oder andere laut Dantes Ansicht in der Hölle schmort.
    Allerdings habe ich persönlich nicht den Nerv, zu jedem Florentiner Stadtpolitiker des 13. Jahrhunderts mehr nachzurecherchieren, als der Kommentar hergibt, deswegen nehme ich den einen oder anderen Namen schon mal einfach so hin, um den Lesefluss wenigstens halbwegs in Gang zu halten.


    Zitat von "sandhofer"

    Gesang 24: Dante als Heuchler! Er gibt sich Vergil gegenüber stärker und fitter, als er wirklich ist. Und zum ersten Mal hatte ich den Eindruck, dass sich die Hölle wirklich von ihrer grausigen und grausamen Seite zeigt. Obwohl Fucci ja nun wahrlich kein Engelchen war, kann er einem leid tun. In welcher Beziehung steht diese seltsame Strafe eigentlich mit der begangenen Sünde?


    Also den grausigen und grausamen Eindruck hatte ich auch schon bei anderen Strafen als der, dass die Sünder unablässig von Schlangen durchbohrt werden, zu Staub zerfallen und neu erstehen. Was genau erschreckt dich daran mehr, als beispielsweise kopfüber mit brennenden Füßen in einem engen Felsenloch zu stecken? Ekel?
    Der Zusammenhang zwischen Diebstahl und Phoenix-Dasein ist mir auch ein Rätsel ...


    Eine andere Frage, die ich mir stelle: bestimmt hat sich nicht jeder von Dantes Sündern nur die eine Schuld aufgeladen, für die er nun in der Hölle schmort. Nach welchen Kriterien entscheidet Minos, wo genau die Seele landet? Bewertet er nur die schwerste der begangenen Sünden und lässt alle anderen quasi verfallen? Andernfalls müsste ja eine Art "Rotationsprinzip" vorliegen ... :breitgrins:


    Gruß
    Bluebell

    "Date a girl who reads. Date a girl who spends her money on books instead of clothes. She has problems with closet space because she has too many books. Date a girl who has a list of books she wants to read, who has had a library card since she was twelve."

  • Hallo zusammen!


    Ich bin diese Woche ziemlich unter Stress und lese bestenfalls 1 Gesang am Abend vor dem Einschlafen. Deshalb nur ganz kurz (ich möchte, wenn ich wieder Zeit habe, auf Odysseus noch eingehen, der mich ungeheuer fasziniert hat ...)


    Zitat von "nimue"

    schlechte Nachrichten: Ich habe am wochenende versucht, mich wieder mit Dante auseinanderzusetzen - erfolglos. Ich kann mich momentan einfach nicht darauf konzentrieren, mir schwirrt zu viel im Kopf herum.


    Schade. Aber, falls es Dich tröstet: Ich muss ungefähr in Deinem Alter gewesen sein, als ich die Commedia zum zweiten Mal (bildlich gesprochen!) an die Wand geklatscht habe. Jetzt ist es mein vierter Anlauf; und ich gehe absichtlich ganz langsam voran, damit es mich nicht wieder bei einer vereisten Kurve hinausschleudert ...


    Bluebell: Wahrscheinlich ist es die - wenn auch nur momentane, aber doch: - komplette Auflösung der Seele in (fast) Nichts, was mich so schockiert hat.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen,


    Zitat von "sandhofer"

    lese bestenfalls 1 Gesang am Abend vor dem Einschlafen.


    Uiiii, hat man da nicht Alpträume?? :zwinker:



    Zitat von "bluebell"

    wäre nur interessant, ob alles, was die Forscher errechnet haben, wirklich bewusst von Dante eingebaut wurde oder ob sich nicht vielleicht der eine oder andere Zufall eingeschlichen hat


    [size=14px]16.Gesang[/size]


    Wieder so eine Stelle, wie schon in Gesang 9, wo man aufgefordert wird, die verborgene Lehre zu beachten, und wieder die Frage "Warum ausgerechnet hier?"
    Die Stelle steht in Vers 118, (Zahl Dantes), und die "Parallelstelle" im 9. Gesang in Vers 61 (Zahl Beatrices).
    Da habe ich den Taschenrechner hervorgeholt: Zwischen den beiden Stellen sind genau 994 Verse, d.h. mit den beiden Terzinen 1000 Verse. Von Beginn, ab Musenanrufung bis Gesang 9 Vers 60 sind es auch 1000 Verse!
    Zufall?
    Nach beiden Stellen folgt nachher ein Helfer, nach der ersten ("Beatrices") der Engel, und nach der zweiten ("Dantes") ein Ungeheuer.


    Doch keine Angst, ich bin auch am Lesen, nicht nur am Rechnen, und bin bei Gesang 19. Langsam finde ich es auch brutal und finde, dass Dante nicht mehr so viel Mitleid mit den Sündern hat. Vorher hat mich seine Haltung daran erinnert, wie es uns manchmal mit Kindern ergeht: Wir wissen, dass eine Strafe oder ein "Nein" sein muss, und doch zerreisst es uns fast das Herz, sie leiden zu sehen.


    Mehr später, zuerst will ich noch Eure Beiträge zu den Gesängen um 20 wiederlesen.


    Grüsse, Maja

  • Guten Morgen!


    Maja: Toll, auf was du da draufgekommen bist. Bei mir sind die Verse leider nicht durchnumeriert, aber jetzt würde mich natürlich brennend interessieren, was weitere 1000 Verse später passiert ... :zwinker:


    Bye bye,
    Bluebell

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  • Guten Abend, allerseits!


    Ich werde versuchen, heute noch die Hölle fertigzulesen (ich bin einfach schon zu neugierig auf das, was mich im innersten Zentrum erwartet :frieren: ) und möchte mich nachher wieder auf einen Schnitt von 1 Gesang pro Tag einpendeln. Wenn ich mir allzuviel Zeit lasse, wird's nämlich etwas mühsam, hab ich gemerkt ...


    Aber vorher noch meine Gedanken zu den letzten paar Gesängen:


    Gesang 25: Vanni Fucci lästert Gott ("die beiden Feigen", die er zum Himmel erhebt, sind eine obszöne Geste). Der Rinderdieb Cacus, Sohn des Vulkan, hat ebenfalls einen Auftritt; Dante macht einen Kentauren aus ihm und schildert seinen Tod durch Vergils Mund so, wie ihn Ovid erzählt (nach der Aeneis wird Cacus erwürgt) - meinem Kommentar zufolge hat Dante wahrscheinlich die beiden Fassungen verwechselt.
    Die unglaublichen Metamorphosen der anderen Sünder, die von Schlangen gebissen werden, stelle ich mir mit modernen Special Effects in Szene gesetzt äußerst wirkungsvoll vor! :zwinker:


    Gesang 26 beginnt mit einer Strafpredigt Dantes gegen Florenz. Er geht ganz schön hart mit der Stadt ins Gericht:


    Freu dich, Florenz, denn du bist ja so groß,
    Daß über Land und Meer du schlägst die Schwingen:
    Dein Name schallt selbst in der Hölle Schoß!


    Ich sah als Diebe mit den Schlangen ringen
    Fünf deiner Bürger; drum ergreift mich Scham
    Und dir kann es nur wenig Ehre bringen!


    Anschließend begeben sich die Wanderer zum achten Graben, wo die falschen Ratgeber von Flammen umschlossen schweben. Keine dieser Flammenkugeln lässt den Sünder in ihrem Innern sehen. Odysseus erzählt Dante von seiner Fahrt in den Tod.


    Gesang 27: Die Wanderer gehen weiter im achten Graben. Es folgt ein Gespräch mit Guido von Montefeltro, dem einstigen Herrn der Romagna. Dante gibt ihm Auskunft über die politischen Verhältnisse in seiner Heimat.
    Interessant finde ich hier die Geschichte zum "sizilischen Stier", auf den sich Dante ziemlich am Anfang bezieht: Phalaris, Tyrann von Agrigent, erhielt von einem griechischen Erzgießer einen hohlen bronzenen Stier, dazu bestimmt, mit Übeltätern in seinem Innern ins Feuer gestellt zu werden. Die Schmerzensschreie der Gequälten klangen dem Brüllen eines Stieres ähnlich. Phalaris soll den Stier an seinem Erbauer erprobt haben. Na, Sitten waren das damals! :wegrenn:


    Bei der Stelle ...
    Ein Kriegsmann war ich, der den Strick genommen
    Wodurch ich hoffte, Buße zu erstehen

    ... dachte ich zuerst an einen Euphemismus für Selbstmord (so wie "sich die Kugel geben") und war dementsprechend verwirrt. Allerdings ist mit "den Strick nehmen" der Beitritt zum Mönchsorden der Franziskaner gemeint! :zwinker:


    Gesang 28: Im neunten Graben werden Zwietrachtstifter und Glaubensspalter unablässig von einem Teufel zerhauen. Hier trifft Dante u.a. Mohammed und den provenzalischen Troubadour Bertran de Born. Sehr gut gefiel mir hier gleich der Beginn:


    Wer könnte wohl, selbst wenn er Prosa wählte,
    Von allem Blut und allen Wunden sagen,
    Die ich erblickt, wie oft er's auch erzählte!


    Es würde jede Zunge hier versagen,
    Zu schwach ist Menschengeist und Menschenwort,
    So etwas Ungeheures zu ertragen!


    Angenehme Nachtruhe
    wünscht Bluebell :schmetterling:

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  • Hallo zusammen!
    Hallo Bluebell!


    Wir sind im Moment also ungefähr gleich weit ...


    V.a. Odysseus hat mich sehr fasziniert. Diese letzte Fahrt an die Grenzen der Welt ... kein anderer Autor (weder vor noch nach Dante) weiss etwas über diese Fahrt. Hier ist Dante ganz der Moderne, der Renaissance-Mensch: Nicht die Sünden des Odysseus (Vergil nennt sie so ganz nebenbei), die ihn in die Hölle gebracht haben, spielen eine Rolle, sondern diese grandiose Entdeckungsfahrt. Auch für Odysseus ist die Altersfahrt offenbar das Ereignis seines Lebens. Er verschwendet keinen Gedanken an seine Sünden, kann sie ja auch nicht als Sünden erkennen und bereuen, da es zu seiner Zeit, für seinen Dichter Homer ja auch keine waren, sondern durchaus erlaubte Kriegslisten. Deshalb muss Dante dem Heiden Odysseus dann auch noch einen Christen mit denselben Sünden, aber einem ungeheuren Sündenbewusstsein gegenüberstellen. Anders kann ich mir den zweiten Sünder in diesem Pfuhl nicht erklären.


    Mehr hoffentlich später, wenn ich mehr Zeit habe. Jetzt muss ich gleich weg.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Servus Sandhofer!


    Zitat von "sandhofer"

    Nicht die Sünden des Odysseus (Vergil nennt sie so ganz nebenbei), die ihn in die Hölle gebracht haben, spielen eine Rolle, sondern diese grandiose Entdeckungsfahrt.


    Ich habe mich beim Schreiben meines vorigen Postings sogar plötzlich gefragt: "Moment, warum steckt Odysseus hier?" und musste die Stelle, wo der Grund erwähnt wird (denn mehr als ein Erwähnen ist es kaum) regelrecht suchen!


    Bis später,
    Bluebell

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  • Hallo zusammen!


    Zitat von "Maja"

    Uiiii, hat man da nicht Alpträume??


    Nein. Ich empfinde Dantes Commedia, wie ich schon mal gesagt habe, heute sogar als äusserst kalt und distanziert. Deine Beiträge zu den versteckten Zahlen u.ä. zeigen doch auch wieder einen kalten Rechner.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen,


    Zitat von "bluebell"

    jetzt würde mich natürlich brennend interessieren, was weitere 1000 Verse später passiert


    Das ist Gesang 24, um Zeile 11, das Bild vom Bauern. Da sehe ich auch keinen besonderen Zusammenhang mit den beiden anderen Stellen mehr. Aber etwas anderes ist mir da bewusst geworden: wie oft Dante Bilder aus der oberen Welt wählt, und wie stark dann der Kontrast zur Hölle wirkt! Besonders eindrücklich fand ich die Stelle im 25. Gesang, V.79


    Eidechsen gleich, die von der grossen Hitze
    Des Sommers aufgepeitscht, die Hecken wechseln
    Und wie der Blitz die Strasse überqueren,


    In drei Zeilen wird ein Bild von Sommer und Sonne aufgebaut, und dann wird man gleich wieder in die Hölle zurückbefördert.


    Das Bild vom Bauern kommt übrigens im 26. Gesang noch einmal, diesmal als Sommerbild. Was hat das wohl für eine Bedeutung??


    Zitat von "sandhofer"

    Diese letzte Fahrt an die Grenzen der Welt ... kein anderer Autor (weder vor noch nach Dante) weiss etwas über diese Fahrt.


    In den Reclam-Anmerkungen steht: Im MA glaubte man, dass Odysseus ausser den in der Odyssee geschilderten Reisen noch eine weitere machte, von der er nicht wiederkehrte. Glaubte man das schon vor oder nach/wegen Dante?
    Laut Lagercrantz (s.u.) sollen in Dantes Jugend 3 Genuesen die Fahrt auf den Ozean gewagt haben, von der sie nicht zurückkehrten, und das habe vielleicht Dante inspiriert.


    Über Odysseus habe ich eine längere Passage gefunden in einem Insel-TB von Olof Lagercrantz: "Dante und die Göttliche Komödie" (das Buch mischt Nacherzählung, Kommentar und Interpretation in lockerem Plauderton; sicher nicht jedermanns Sache, aber es liest sich leicht, v.a. abends vor dem Einschlafen...)
    Er beschreibt Odysseus' Sünde als das Streben nach "Wissen um des Wissens willen", was ja auch der Antrieb zur Reise war. Wissen war im MA nur als "Wissen über Gott" anzustreben erlaubt, und von Augustinus gebe es ein Gebet, in dem er Gott bittet, ihn vor der Versuchung zu bewahren, Wissen um des Wissens willen zu suchen.
    Dadurch, dass sich Dante in dieser Hinsicht selber schuldig fühle, erkläre sich auch der besondere Sog, den die Flämmchen (auch ein Symbol für Wissen) auf ihn ausüben.
    Mir leuchtet die Interpretation ein.


    Gesang 25: Eine andere Frage: Die Verwandllung Mann-Schlange wird sehr ausführlich geschildert, etwa 90 Verse! Offenbar ist sie Dante auch sehr wichtig und hat eine besondere Bedeutung. Vergleicht er die eigene Seelenreise, die Veränderung der Person, mit der Häutung der Schlangen?


    Gute Nacht,
    Maja

  • Hallo zusammen!


    Maja: Ich glaube nicht. Die Schlangen hier häuten sich ja nicht. Es ist eher die Erinnerung an die Schlange im Paradies, die hier eine Rolle spielt. Also Menschen, die der teuflischen Natur unterliegen.


    Unterdessen bin ich mit dem Inferno fertig. Was ist geblieben? Erinnerungen daran, wie Dante (offen oder heimlich) den Renaissance-Typ bewundert und in den Vordergrund stellt (Renaissance-Typ jetzt nach Burckhardt definiert). Allen voran Odysseus.


    Was ich nicht so beachtet habe, ist, wie den nun die einzelnen Kreise der Hölle z.B. mit den zeitgenössischen Theologen übereinstimmen. Ich weiss, dass Dante Abweichungen aufweist, aber ich habe jetzt nicht darauf geachtet, welche und warum.


    Noch einmal sehr eindrücklich der letzte Kreis der Hölle. Die Verräter. Dante muss - moralisch oder auch 'in der Realität' - sehr unter dem Verrätertum gelitten haben, dass er sie hierhin stellt und dass sein fiktives Ich sie derart lieblos behandelt. Praktisch in allen andern Kreisen war Sympathie oder Mitleid zu spüren - hier ist nur Kälte, aussen wie innen. Klar ist mit Judas ein Hauptfeindbild des Christentums ein Verräter schon vorgegeben, trotzdem hat mich dieser innerste Kreis von neuem überrascht. Absolut gefühllos. Im Zentrum Dis - aber die Schilderungen der Unterteufel war um einiges lebendiger als diese hier. Es ist, wie wenn Dante auch eingefroren wäre. Und selbst Vergil bereitet es Mühe (er beginnt zu keuchen), an Dis vorbei den Weg ins Purgatorium zu finden.


    Dort werde ich dann morgen weiterlesen.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Servus allerseits,


    bei mir hat der letzte Gesang einen ähnlichen Eindruck hinterlassen wie bei Sandhofer. Dante verhält sich den Verrätern gegenüber völlig kaltblütig. Von der Beschreibung des Luzifer war ich ehrlich gesagt enttäuscht! Von dieser Begegnung hatte ich mir viel erwartet, aber zurückgeblieben ist bloß der Eindruck eines riesenhaften Roboters. :sauer:


    Gruß
    Bluebell


    EDIT: Jetzt hab ich doch glatt was vergessen ...


    Zitat von "Maja"

    Er beschreibt Odysseus' Sünde als das Streben nach "Wissen um des Wissens willen", was ja auch der Antrieb zur Reise war. Wissen war im MA nur als "Wissen über Gott" anzustreben erlaubt, und von Augustinus gebe es ein Gebet, in dem er Gott bittet, ihn vor der Versuchung zu bewahren, Wissen um des Wissens willen zu suchen.


    Wahnsinn, in der heutigen Zeit unvorstellbar, nicht wahr?
    Teilweise höchst dubios, was für die mittelalterliche Kirche als Sünde galt (und was nicht) ... :rollen:

    "Date a girl who reads. Date a girl who spends her money on books instead of clothes. She has problems with closet space because she has too many books. Date a girl who has a list of books she wants to read, who has had a library card since she was twelve."

  • Hallo zusammen!


    Ich will jetzt die Diskussion um Himmels Willen nicht ausufern oder auf ein Nebengeleise abfahren lassen, aber:


    Zitat von "Bluebell"

    Wahnsinn, in der heutigen Zeit unvorstellbar, nicht wahr?
    Teilweise höchst dubios, was für die mittelalterliche Kirche als Sünde galt (und was nicht) ... :rollen:


    Andererseits, wenn ich mir so anschaue, was heute - z.B. in der Gentechnologie - alles möglich ist oder demnächst möglich sein wird ... Irgendwo sympathisiere ich mit Augustin ...


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen,


    in der allgemeinen Aufbruchstimmung auch noch von mir ein paar letzte Höllengedanken:


    Gesang 30: Hier musste ich zum letzten Mal lachen: als Grössenvergleich werden drei Friesen genommen, nicht einfach Menschen! Und dass Nimrod, wenn auch unverständlich, in 11 Silben spricht, finde ich ein witziges Detail.


    Gesang 33: Warum ist das Gespräch mit Graf Ugolino so ausführlich erzählt? Wegen der Spannung, oder um auf 40 x 118 Verse zu kommen, oder um noch einmal zu zeigen, dass auch dass auch eine irdische Strafe einen nicht davon bewahrt, in der innersten Hölle zu landen?


    Gesang 34: Überrascht hat mich hier vor allem, neben Judas auch Brutus und Cassius anzutreffen. Wieder spielt es keine Rolle, ob die Untat an einem Christen oder Heiden begangen wurde. Das finde ich sehr humanistisch gedacht, also auch hier wieder einen modernen Dante!


    Herzliche Grüsse
    Maja

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "Maja"

    Überrascht hat mich hier vor allem, neben Judas auch Brutus und Cassius anzutreffen.


    Brutus ist natürlich auch "staatsmännisch" von Interesse. Immerhin hat er als erster einen (den ersten) Kaiser verraten ...


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen,


    Zitat von "Sandhofer"

    Brutus ist natürlich auch "staatsmännisch" von Interesse. Immerhin hat er als erster einen (den ersten) Kaiser verraten ...


    Ich glaube nicht, dass Dante Caesar in seiner Funktion als Kaiser auf die gleiche Ebene wie Christus stellen will (indem er seine Verräter gleich hart bestraft). Wie wäre es sonst zu erklären, dass gleich zu Beginn des zweiten Teils ein Republikaner und Feind Caesars, Cato Uticensis, fast mit einem Heiligenschein auftritt!
    Ich habe eher den Eindruck, dass die grössten Strafen allgemein für Verräter gegenüber Menschen, die ihnen ausdrücklich vertrauten, vorgesehen sind. Egal, wer die Verratenen sind.


    Kleine Verwirrung zu Beginn des Ersten Gesangs: Sind wir jetzt auf der Südhalbkugel? Sieht man dort auch die Fische und den Wagen?


    Herzliche Grüsse,
    Maja

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "Maja"

    Ich glaube nicht, dass Dante Caesar in seiner Funktion als Kaiser auf die gleiche Ebene wie Christus stellen will (indem er seine Verräter gleich hart bestraft).


    Ich schon. Jedenfalls ist es die einzige Erklärung, die mir einfällt, warum Brutus und Cassius praktisch gleich (ein kleiner Unterschied besteht ja!) bestraft werden wie Judas.


    Zitat von "Maja"

    Wie wäre es sonst zu erklären, dass gleich zu Beginn des zweiten Teils ein Republikaner und Feind Caesars, Cato Uticensis, fast mit einem Heiligenschein auftritt!


    Ich bin zwar noch nicht dort, aber: Cato ist - wie Dante selber - ein Politiker, der letztlich gescheitert ist. Das begründet wohl seine Ausnahmestellung. Und er war natürlich kein Verräter, sondern ein offener und ehrlicher Feind Cäsars.


    Sind wir auf der Südhalbkugel? Ich glaube, wir sollten nicht versuchen, eine reale Geografie in dieses Purgatorio zu projizieren, auch wenn Odysseus' letzte Reise natürlich einen Anhaltspunkt zu geben scheint, dass Dante das Purgatorium als realen geografischen Ort sah. Die Welt des Mittelalters war nun mal ganz anders gebildet: vgl. dazu hier.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus