Oktober 2004: Dante Alighieri «Divina Commedia»

  • Hallo zusammen!


    Ich habe unterdessen noch Gesang 11 gelesen, frage mich jetzt aber, wo eigentlich Bluebell steckt ...


    Zitat von "Georg"

    [..] deshalb muss Dante ja auch im 26. Gesang als er Ulyss und Diomedes trifft, den Vergil als Übersetzer zu Hilfe nehmen, weil er des Griechischen nicht ausreichend mächtig ist. Das trojanische Pferd kennt Dante ja, obwohl er Homer nicht gelesen hat, aus Vergils Aeneis II und aus Ovids Metamorphosen XII.


    An diese Szene erinnerte ich mich nicht mehr, es beweist aber meine These.


    Zum trojanischen Pferd: Das könnte Dante auch nicht aus Homer kennen, selbst wenn er ihn gelesen hätte. Es kommt nämlich in der Ilias gar nicht vor. Die endet mit den Bestattungszeremonien für Hektor. Da wird sich Dante wohl wirklich eher an die Aeneis erinnert haben: Quidquid id est, timeo Danaos et dona ferentes. Einer der wenigen Sätze, die ich auf Latein zitieren kann ...


    Zitat von "Georg"

    Ich denke eh, wenn man Vergils Aeneis und Ovids Metarmorphosen nicht kennt, versteht man fast nichts aus Dantes commedia, den Homer als Voraussetzung, wie von vielen empfohlen, halte ich dagegen als entbehrlich. Wie seht ihr das?


    "Fast nichts" ist wohl übertrieben, aber es ist klar, dass v.a. letzterer Dantes Gewährsmann war für die griechisch-antiken Fabelgestalten. Ich meine sogar, dass Ovid bis heute die Quelle dafür ist.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Zitat von "sandhofer"


    Zum trojanischen Pferd: Das könnte Dante auch nicht aus Homer kennen, selbst wenn er ihn gelesen hätte. Es kommt nämlich in der Ilias gar nicht vor.


    Also, das sehe ich nicht so, hätte Dante Homer gelesen, bräuchte er Vergil nicht, um das trojanische Pferd zu kennen. Das war doch keine Erfindung von Vergil, sonder Homer berichtet davon in der Odyssee (Homer hat ja nicht nur die Ilias geschrieben.)


    lies mal das folgende:


    "Wahrlich vor allen Menschen, Demodokos, achtet mein Herz dich!
    Dich hat die Muse gelehrt, Zeus' Tochter, oder Apollon!
    So zum Erstaunen genau besingst du das Schicksal der Griechen,

    490 Alles was sie getan und erduldet im mühsamen Kriegszug,
    Gleich als hättest du selbst es gesehen oder gehöret.
    Fahre nun fort, und singe des hölzernen Rosses Erfindung,
    Welches Epeios baute mit Hilfe der Pallas Athene,
    Und zum Betrug in die Burg einführte der edle Odysseus,
    495 Mit bewaffneten Männern gefüllt, die Troja bezwangen.

    Wenn du mir dieses auch mit solcher Ordnung erzählest;
    Siehe dann will ich sofort es allen Menschen verkünden,
    Daß ein waltender Gott den hohen Gesang dir verliehn hat.
    Sprach's; und eilend begann der gottbegeisterte Sänger,

    500 Wie das Heer der Achaier in schöngebordeten Schiffen
    Von dem Gestade fuhr, nach angezündetem Lager.
    Aber die andern, geführt vom hochberühmten Odysseus,
    Saßen, von Troern umringt, im Bauche des hölzernen Rosses,
    Welches die Troer selbst in die Burg von Ilion zogen.
    505 Allda stand nun das Roß, und ringsum saßen die Feinde,

    Hin und her ratschlagend. Sie waren dreifacher Meinung:
    Diese, das hohle Gebäude mit grausamem Erze zu spalten;
    Jene, es hoch auf den Felsen zu ziehn, und herunter zu schmettern;
    Andre, es einzuweihen zum Sühnungsopfer der Götter.
    510 Und der letzteren Rat war bestimmt erfüllet zu werden.
    Denn das Schicksal beschloß Verderben, wann Troja das große
    Hölzerne Roß aufnähme, worin die tapfersten Griechen
    Alle saßen, und Tod und Verderben gen Ilion brachten.
    Und er sang, wie die Stadt von Achaias Söhnen verheert ward,
    515 Welche dem hohlen Bauche des trüglichen Rosses entstürzten;
    Sang, wie sie hier und dort die stolze Feste bestürmten;
    Und wie Odysseus schnell zu des edlen Deiphobos' Wohnung
    Eilte, dem Kriegsgott gleich, samt Atreus' Sohn Menelaos,
    Und wie er dort voll Mutes dem schrecklichsten Kampfe sich darbot,
    520 Aber zuletzt obsiegte, durch Hilfe der hohen Athene. "


    Ist das Homer oder Vergil? Ich bin mir eigentlich sicher, das ist Homer!

  • Hallo zusammen!


    Ach so, ja - die Odyssee. Komisch. Ich vergesse ich immer, dass da irgendwann, so en passant, der Schluss der Belagerung Trojas nachgeliefert wird.


    Vielleicht weil für meinen Geschmack Vergil die 'bessere' Version lieferte. Eine, die eben auch in den Handlungszusammenhang gehörte.


    Aber Du hast natürlich recht, Georg: Auch aus Homer hätte Dante das hölzerne Pferdchen kennen können.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen,


    also ich bleibe dabei, ohne gute Kenntnisse von Vergils und Ovids Schriften, kommt man beim Lesen der commedia nicht weit.


    Beispiel 30. Gesang:


    beginnt mit: "Als Juno einst, von Eifersucht entzündet, um Semele sich wider Theben wandte ......"


    ja und was mach ich jetzt, wenn ich die Geschichte von Juno und Semele nicht aus dem 3. Kapitel von Ovids Metamorphosen kenne?


    Und gegen Ende des 30. Gesangs: "Dir aber dampft in Glut des Schädels Grütze! - Wie gerne lecktest, ohne langes Bitten, Narzissens Spiegel du in jeder Pfütze!"


    und woher weiß ich das Narzissens Spiegel das Wasser ist, wenn nicht aus Ovids Metamorphosen? usw, usw.


    Ich habe jetzt das Inferno zu Ende gelesen, Im 32./33. Gesang nochmal ein kleiner Höhepunkt mit der Geschichte des Grafen Ugolino, aber auch hier versteht man nicht viel, wenn man die Geschichte nicht schon vorher kannte.


    Im 34. Gesang dann der richtige Teufel, der in seinen drei Rachen die Verräter Brutus, Cassius und Judas zermalmt. Das ganze wirkt eigentlich eher lächerlich, als fürchterlich.


    Erstes Fazit: während am Anfang die Sprache noch imponiert, wird das ganze mit der Zeit doch ziemlich langweilig. Was bringt es, wenn ich weiß, wer nach Dantes Ansicht wo und mit welcher Strafe in der Hölle schmort?

  • Zitat von "sandhofer"

    frage mich jetzt aber, wo eigentlich Bluebell steckt ...


    Kurz gesagt: im Stress! :sauer:
    Inzwischen habe ich aber aufgeholt und bin bis zum zwölften Gesang vorgedrungen.


    Zum 5. Gesang:


    Zitat von "sandhofer"

    Sehr interessant, wie Dante sowohl die aus Liebe Sündigenden wie auch die aus Geilheit Sündigenden an - Frauen exemplifiziert.


    Wobei es für mich eine ganz neue Erfahrung war, Liebespaare wie beispielsweise Helena und Paris oder Lanzelot und Ginevra in der Hölle schmorend anzutreffen - also Figuren, mit denen ich bisher zwar immer "tragische Romantik", aber sicher nicht den Begriff "Sünde" assoziiert habe (den Ehebruch hab ich wohl verdrängt :breitgrins: ).
    Und dass solche Sympathieträger dieselben Qualen erleiden müssen wie die assyrische Königin Semiramis, die wegen der sexuellen Beziehung zu ihrem eigenen Sohn die Blutschande gesetzlich erlaubt haben soll ... also in meinen Augen sind das doch zwei sehr unterschiedliche Kaliber! :entsetzt:
    Wenn Dante schon Romeo und Julia gekannt hätte und die beiden nicht so eindeutig literarische Fiktion wären, hätte er die vielleicht auch noch in den zweiten Höllenkreis geschickt ... *grummel*


    Zitat von "sandhofer"

    Sehr romantisch wirkt auf mich, wie Dante bei jeder grösseren Emotion in Ohnmacht fällt.


    :breitgrins: *zustimm*


    Zum 6. Gesang:


    Zitat von "sandhofer"

    Und der Cerberus - wieder eine antike Gestalt, die Dante zum Monster verformt hat. (Übrigens auch hier eine Spur von Dante bis ins 21. Jahrhundert: Ich weiss nicht mehr, wie das Viech geheissen hat, aber da war doch so ein dreiköpfiges Monster im ersten Harry Potter-Film, oder?)


    Stimmt, war das nicht Fluffy? *g*
    Aber ob das wirklich auf Dante zurückzuführen ist? Ich dachte eigentlich, der Cerberus wäre schon vorher als dreiköpfiges Ungetüm bekannt gewesen ... allerdings kenne ich mich mit der Primärliteratur nicht aus. Was verkörpert er den in den griechischen Originalschriften?
    EDIT: Habe gerade nimues Antwort gelesen.


    Und hier vielleicht wieder einmal ein Vergleich der Übersetzungen:

    Zitat von "nimue"

    Ihr Bürger nanntet mich den schweinischen Ciacco,
    und durch die schlimme Schuld der Schlemmerei
    muß ich dem Regen, wie du siehst, erliegen.


    Die Stelle lautet bei mir:


    Ihr Bürger pflegtet Ciacco mich zu taufen;
    Jetzt muss ich für die schlimme Schuld der Kehle
    Hier, wie du siehst, von diesem Regen saufen.


    Zum 7. Gesang:


    Zitat von "sandhofer"

    Pluto, in dem offenbar zwei antike Gestalten verschmolzen sind: Plutos, der Gott des Reichtums und Pluto, der Gott der Unterwelt.


    Mit diesem Kerl tue ich mich etwas schwer. Mein Kommentar sagt: Pluto: der antike Gott des Reichtums. In der Antike schon wurde er vom Herrn über die irdischen Schätze auch zum Herrn über die Toten. Bei Dante Symbol des Geizes.
    Waren also Pluto (Reichtum) und Plutos (Unterwelt) ursprünglich tatsächlich zwei verschiedene Gestalten (warum dann die fast identischen Namen?), oder wurde das Aufgabengebiet des Gottes des Reichtums quasi um das Totenreich erweitert? :?:


    Zitat von "sandhofer"

    Die zweite antike Gestalt: Fortuna.


    Ich finde die Begründung für die Existenzberechtigung dieser ursprünglich heidnischen Göttin interessant: nämlich dass sie von Gott sozusagen als Verwalterin der weltlichen Güter eingesetzt wurde.
    Speziell die Zeilen:
    "Sie sagt, beurteilt, tut in ihrem Reiche
    wie jeder Gott in seinem, ihre Pflicht."

    Kratzt dass nicht schon hart am Gebot "Du sollst keine anderen Götter neben mir haben"? :zwinker:


    Zitat von "Sandhofer"

    Wieviele Geistliche, Kardinäle, ja Päpste sind nicht unter den Geizigen!


    Darüber war ich auch baff! Ganz schön mutig von Dante - in einer Zeit, wo öffentlich geäußerte Kirchenkritik unter Umständen fatale Folgen haben konnte ... hier hätten wir also ein Beispiel für den Aufklärer Dante (siehe meine Zweifel während der ersten Gesänge).


    Zitat von "sandhofer"

    Dann die Zornigen und die Verdrossenen.


    Hier kam mir vor allem der Teil mit den Verdrossenen hochaktuell vor. Erinnerte mich stark an die heutige Zivilisationskrankheit Depression.
    Anmerkung: Die Gefühlsträgen, die keiner Aufwallung des Gemüts fähig waren, büßen gemeinsam mit ihrem Gegenbild, den Zornigen. Dante stellt gern Laster zusammen (Geiz - Verschwendung), die von einer gemeinsamen Mitte abweichen.
    Kann man das als Stilmittel bezeichnen? Jedenfalls gefällt es mir.


    Zitat von "nimue"

    Was mir beim Lesen immer wieder auffällt, ist dass Dante die Hölle sehr anschaulich beschreibt. Brrrr....ich muss mich oft richtig überwinden, noch weiter über das Jammern, Klagen, Wehgeschrei zu lesen.


    Das geht mir ganz ähnlich! "Mitten drin statt nur dabei" ... ich kann mir alles bildlich, akustisch und auch geruchlich sehr lebhaft vorstellen.
    Kühl und distanziert kommen mir die Beschreibungen gar nicht vor. Aber wahrscheinlich ändert sich der persönliche Eindruck wirklich, je nachdem, worauf man beim Lesen ganz besonders achtet.


    So, für heute war es das von meiner Seite. Tut mir ehrlich leid, wenn ich in den letzten Tagen nachlässig war ...


    Bis bald,
    Bluebell


    EDIT:

    Zitat von "Georg"

    also ich bleibe dabei, ohne gute Kenntnisse von Vergils und Ovids Schriften, kommt man beim Lesen der commedia nicht weit.


    Na sicher ist es sehr vorteilhaft, wenn man die Originale kennt, auf die sich Dante bezieht. Aber du tust ja so, als ob man ohne diese Kenntnisse nur Bahnhof verstehen würde, und so ist es auch wieder nicht! Immerhin gibt es ja sowas wie einen Kommentar, der einem in wenigen Sätzen die vorkommenden Figuren und eventuell deren Geschichte erläutert - und dann weiß man zumindest, wovon Dante redet!
    Und dass der Spiegel von Narziß das Wasser war, weiß ich auch ohne mich jemals näher mit Ovid beschäftigt zu haben und sogar ohne Kommentar (bin nämlich noch gar nicht so weit).
    Nix für ungut :zwinker:

    "Date a girl who reads. Date a girl who spends her money on books instead of clothes. She has problems with closet space because she has too many books. Date a girl who has a list of books she wants to read, who has had a library card since she was twelve."

  • Hallo zusammen!


    Es freut mich, dass noch alle im Dampfer sind.


    Zitat von "Bluebell"


    Kurz gesagt: im Stress! :sauer:


    Nun ja, wer von uns nicht ...


    Zitat von "Bluebell"

    Wobei es für mich eine ganz neue Erfahrung war, Liebespaare wie beispielsweise Helena und Paris oder Lanzelot und Ginevra in der Hölle schmorend anzutreffen - also Figuren, mit denen ich bisher zwar immer "tragische Romantik", aber sicher nicht den Begriff "Sünde" assoziiert habe (den Ehebruch hab ich wohl verdrängt :breitgrins: ).


    Dass die Liebe quasi alles übertrumpft und Liebende also auch nicht sündigen, ist auch ein modernes (romantisches) Konzept. Wobei Dantes Liebespaar doch schon ungeheuer sympathisch beschrieben wird. Wie überhaupt einige der Sünder Dante offenbar im Grunde genommen sympathisch waren.


    Zitat von "Bluebell"

    Waren also Pluto (Reichtum) und Plutos (Unterwelt) ursprünglich tatsächlich zwei verschiedene Gestalten (warum dann die fast identischen Namen?), oder wurde das Aufgabengebiet des Gottes des Reichtums quasi um das Totenreich erweitert? :?:


    Nicht nur von Wartburg in meinen Anmerkungen, auch mein alter Meyer wollen zwei von einander unabhängige Gestalten. Hier hat offenbar sogar Dante in eigener Regie zwei Figuren zusammengeführt.


    Zitat von "Bluebell"

    "Sie sagt, beurteilt, tut in ihrem Reiche
    wie jeder Gott in seinem, ihre Pflicht."

    Kratzt dass nicht schon hart am Gebot "Du sollst keine anderen Götter neben mir haben"? :zwinker:


    Man war im Mittelalter eigentlich generell der Ansicht, dass die alten Heiden, wenn sie Götter anbeteten, eben nicht Nichts, sondern untergeordnete, ev. abgefallene Wesen anbeteten wie die Engel.


    Zitat von "Bluebell"


    Na sicher ist es sehr vorteilhaft, wenn man die Originale kennt, auf die sich Dante bezieht. Aber du tust ja so, als ob man ohne diese Kenntnisse nur Bahnhof verstehen würde, und so ist es auch wieder nicht! Immerhin gibt es ja sowas wie einen Kommentar, der einem in wenigen Sätzen die vorkommenden Figuren und eventuell deren Geschichte erläutert - und dann weiß man zumindest, wovon Dante redet!


    Es ist vielleicht letztlich ein Streit um des Kaisers Bart, den ihr da führt. Die Kommentare, die uns Heutigen solche Anspielungen erklären, gehen wohl in ihrem Ursprung in vielen Fällen auf Ovid zurück.


    Seit Gesang 7 habe ich keine Eindrücke mehr gepostet. Hier also die Fortsetzung:


    Gesang 8: Dante setzt seinen Stolz von dem auf rein Äusserliches eines Argenti gerichteten ab. Der Kampf um den Eintritt in die unteren Kreise der Hölle beginnt. Die Vernunft (=Vergil) genügt hier nicht mehr; wie soll ein vernünftiger Mensch verstehen, dass es Menschen gibt, die willentlich das Böse tun? (Bisher hatten wir es ja mit Sündern zu tun, auf die eher das alte Sprichwort zutrifft vom Geist und Fleisch, die da willig bzw. schwach sind.)


    Und wie soll sich die Vernunft davor schützen, dieser Art von Sünde zu verfallen? Machiavelli ist ein höchst vernünftiger Autor.


    Gesang 9: Es braucht Gottes Beistand, um an dieser Klippe vorbeizukommen. Interessant, wie der Engel sich eigentlich einen Deut um Dante und seinen Führer kümmert. Unpersönlich, fast kalt, wie Gott dem Menschen zu Hilfe kommt ...


    Gesang 10: Wir sind drin! Und wieder trifft Dante einen Landsmann, auch dieser Farinata wird mit einer Mischung aus Grauen und Faszination beschrieben. Wunderschön und theologisch korrekt, wie Dante erklärt, warum die Toten zwar wissen, was geschehen wird, aber nicht, was gerade geschieht. (Und offenbar haben sie kein Gedächtnis für das, was sie als Tote in der Zukunft sehen ...)


    Gesang 11: Ein - nachgerade bürokratisch - organisiertes System der Hölle wird skizziert.


    Gesang 12: Die Mörder und Gewalttäter - bewacht von Minotaurus und den Zentauren. Wobei der Minotaurus verkehrt rum gebaut ist: ein Stier mit Menschenkopf. Auch da sehe ich noch nicht ganz durch - inwiefern Dante die alten mythischen Gestalten der Antike als Realität nahm und wieweit sie Sinnbilder für anderes sein sollen. Und wenn, wofür?


    Soweit bin ich unterdessen gekommen.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallihallo,


    ich bin nun am Ende des 13. Gesanges angelangt. Tut mir leid, dass ich mich erst jetzt wieder melde, aber ich war kaum online und wusste auch irgendwie nicht viel zu Dante zu schreiben.


    Es fällt mir sowieso etwas schwer, meine Gedanken (wenn ich denn überhaupt welche habe) in Worte zu fassen.


    Zitat von "sandhofer"

    Merkwürdig. Als ich vor Jahren, Jahrzehnten die Divina Commedia zum ersten Mal las, hatte ich genau dasselbe Empfinden. Heute geht es mir im Gegenteil so, dass ich Dante als Beschreiber ungeheuer kalt und distanziert empfinde. Aber wahrscheinlich spielt auch das eine Rolle, was Habermas das 'Ernkenntnisinteresse' genannt hat; und heute bin ich mehr an Dantes Theologie interessiert, als ich es damals war ...


    Dantes Theologie erfüllt meine ganzen Klischees, die ich so im Laufe der Lesejahre historischer Mittelalter-Romane angesammelt habe. So langsam habe ich das Gefühl, dass niemand mehr übrig bleibt, der Dantes Paradies bevölkern könnte :breitgrins:


    Was mich allerdings wundert: Warum sind beispielsweise nur Erwachsene in der Hölle zu finden? Nur große Namen - keine Spur von ungetauften Kindern, kleinen Dieben etc. Ließ Dante diese tragischen Figuren mit Absicht weg, um das große Manko in Gottes Urteil nicht in Frage stellen zu müssen? Denn auch Kinder müssten unter den Ungetauften sein. Nicht nur Totgeborene, sondern auch 10 jährige usw. Wo stecken die?


    Zitat von "Georg"

    Ich denke eh, wenn man Vergils Aeneis und Ovids Metarmorphosen nicht kennt, versteht man fast nichts aus Dantes commedia, den Homer als Voraussetzung, wie von vielen empfohlen, halte ich dagegen als entbehrlich. Wie seht ihr das?


    Hm...ich kann mich da jetzt Bluebell nur anschließen - ich habe keine Schwierigkeiten, Dantes Versen zu folgen und sie zu verstehen. Mir entgehen sicherlich einige Anspielungen, vieles ist aber in den Anmerkungen enthalten. Aber ehrlich gesagt habe ich jetzt auch nicht die Ambition, alles verstehen zu müssen - ich bin schon heilfroh, wenn ich einigermaßen diese Leserunde überstehe :breitgrins:


    Wegen der Geschichte mit dem Trojanischen Pferd: Ich war auch der Meinung, gehört zu haben, dass in der ursprünglichen Fassung nicht unbedingt auf ein Pferd zu schließen ist? Täusche ich mich da? Woher habe ich das nur? *grübel* Wo genau finde ich denn das Trojanische Pferd in der Odyssee?


    Zitat von "Georg"

    ja und was mach ich jetzt, wenn ich die Geschichte von Juno und Semele nicht aus dem 3. Kapitel von Ovids Metamorphosen kenne?


    Ganz einfach: Ich lasse mir das von den Randbemerkungen erklären :zwinker:


    Zitat von "Bluebell"

    Kratzt dass nicht schon hart am Gebot "Du sollst keine anderen Götter neben mir haben"? :zwinker:


    Das hat mich auch sehr verwundert, weil doch auch Fortuna aus dem Reich der Mythologie kommt.


    Mit dem 8. Gesang hatte ich übrigens so meine Schwierigkeiten. In meiner Übersetzung wird nicht so richtig deutlich, weshalb es ein Kampf ist, weiterzugehen.


    Zum 9. Gesang: Im Angesicht der drei Furien heißt es:


    "Wende dich ab, verhülle dein Gesicht!
    wenn sich die Gorgo zeigt - und schautest sie,
    so wär's für immer aus mit deiner Heimkehr."
    Mein Meister sprach's und wandte selbst mich um,
    und wie wenn meine Hände nicht genügten,
    verdeckt' er auch mit seinen mir die Augen. -
    Die ihr gesunden Sinnes euch erfreut,
    beachtet, Leser, die verborgne Lehre
    unter dem Wunderschleier dieser Verse.



    Was für eine Lehre meint er? Ich komme und komme nicht dahiner!


    Zitat von "sandhofer"

    Gesang 10: Wir sind drin! Und wieder trifft Dante einen Landsmann, auch dieser Farinata wird mit einer Mischung aus Grauen und Faszination beschrieben. Wunderschön und theologisch korrekt, wie Dante erklärt, warum die Toten zwar wissen, was geschehen wird, aber nicht, was gerade geschieht. (Und offenbar haben sie kein Gedächtnis für das, was sie als Tote in der Zukunft sehen ...)


    Diese Beschreibung hat mir auch sehr gut gefallen!


    Und schließlich im 11. Gesang die Einteilung der Hölle - hat mich doch fast dazu verleitet, einen Plan zu zeichnen :breitgrins:
    Doch siehe da: So etwas gibt es schon und bereits seit Jahrhunderten beschäftigen sich Menschen mit dem Erstellen von Karten zu Dantes Komödie: Das Dante Projekt


    Zum Minotauris im 12. Gesang meint Vossler:


    Das halb menscliche, halb tierische Ungeheuer Minotaurus, hervorgegangen aus Pasiphaes, der Frau des Minos, Begattung mit einem Stier, lebte im Labyrinth auf Kreta von Menschenopfern und wurde schließlich erschlagen durch Theseus, dem Ariadne, eine Tochter des Minos, behilflich war. In Dantes Hölle bedeutet er die viehische Gewalttätigkeit.


    Überrascht haben mich hier mal wieder die durchaus positiv dargestellten Zentauren, den Pferdemenschen, die von Chiron angeführt werden. Nessus, einer der Zentauren, wird schließlich sogar zum Führer, der unseren Erzähler trägt.


    Im 13. Gesang schlägt dann Dantes Fantasie noch größere Kapriolen: Wir kommen in den Wald der Selbstmörder. Zuerst keine Spur der Klagenden, sind sie doch als kahle Büsche getarnt und erst, nachdem Dante ein Zweiglein abbricht, spricht der Busch "Pier della Vigna" und jammert über das Unrecht, das ihm zeitlebens widerfuhr und weshalb er sich schließlich umbrachte. Zum Schluß dann wieder unsere Verschwender - weshalb kommen sie hier nochmals vor?


    Soo...weiter bin ich nicht gekommen.


    Liebe Grüße
    nimue

  • Hallo! :winken:


    Zitat von "sandhofer"


    Nun ja, wer von uns nicht ...


    Ich weiß, deswegen hab ich euch die Details erspart. :zwinker:


    Zitat von "sandhofer"

    Dass die Liebe quasi alles übertrumpft und Liebende also auch nicht sündigen, ist auch ein modernes (romantisches) Konzept.


    Taucht dieses Konzept tatsächlich erst in der Romantik auf? So spät?
    Das überrascht mich jetzt aber wirklich.


    Zitat von "sandhofer"

    Wobei Dantes Liebespaar doch schon ungeheuer sympathisch beschrieben wird. Wie überhaupt einige der Sünder Dante offenbar im Grunde genommen sympathisch waren.


    *brauche einen nickenden Smiley*


    Zitat von "sandhofer"

    Man war im Mittelalter eigentlich generell der Ansicht, dass die alten Heiden, wenn sie Götter anbeteten, eben nicht Nichts, sondern untergeordnete, ev. abgefallene Wesen anbeteten wie die Engel.


    Das höre ich zum ersten Mal - ist ja hochinteressant!
    Das wirft allerdings die Frage auf, ob diese Ansicht wirklich einer "inneren Überzeugung" entsprang oder nicht vielleicht eine taktische Notlösung war ...


    Zitat von "sandhofer"

    Es ist vielleicht letztlich ein Streit um des Kaisers Bart, den ihr da führt. Die Kommentare, die uns Heutigen solche Anspielungen erklären, gehen wohl in ihrem Ursprung in vielen Fällen auf Ovid zurück.


    Da hast du wohl recht. Ich mag jetzt auch gar nicht weiter Haare spalten und schon gar nicht streiten (ich hoffe, du hast mein Posting nicht als Streiterklärung aufgefasst, Georg?? :entsetzt: ), deswegen lasse ich es nun einfach hierbei bewenden.


    Zum 8. Gesang:


    Zitat von "sandhofer"

    Der Kampf um den Eintritt in die unteren Kreise der Hölle beginnt. Die Vernunft (=Vergil) genügt hier nicht mehr; wie soll ein vernünftiger Mensch verstehen, dass es Menschen gibt, die willentlich das Böse tun? (Bisher hatten wir es ja mit Sündern zu tun, auf die eher das alte Sprichwort zutrifft vom Geist und Fleisch, die da willig bzw. schwach sind.)


    Ah, danke für diese prägnante Zusammenfassung. Hilft mir sehr bei der Interpretation, warum Vergil hier plötzlich an seine Grenzen stößt.


    Was mich beim Lesen des 8. Gesangs verwundert hat, war Dantes Herzlosigkeit, ja Hasserfülltheit gegenüber Argenti. Vergil jedoch lobt ihn sogar dafür: Mitleid wäre fehl am Platz, weil Gottes Strafen verdient und gerecht sind. Unter diesem Aspekt frage ich mich aber, warum Dante dann bei den Liebespaaren vor Mitleid zusammengebrochen ist!? Die sind doch auch von Gott (und somit "verdient" und "gerecht") bestraft worden!? Also muss im Falle Argenti wohl doch persönliche Antipathie im Spiel sein ... um es etwas euphemistisch auszudrücken, denn wenn ich mir dann die Stelle durchlese, wo Argenti von den anderen Seelen zerfleischt wird ... *brrr*


    Zum 9. Gesang:


    Sehr eindrucksvoll fand ich die Schilderung der drei Rachegöttinen auf der Turmspitze:


    Dort sind auf einmal hurtig aufgefahren
    Drei Furien der Hölle, blutbefleckt,
    Die Weibern gleich an Gliedern und Gebaren;


    Mit grünsten Hydern sah ich sie umsteckt,
    Sah Nattern statt des Haars vom Haupte rinnen,
    Damit die wilde Schläfe sich bedeckt.


    Also wenn das nicht bildhaft ist. *grusel*


    Zitat von "sandhofer"

    Interessant, wie der Engel sich eigentlich einen Deut um Dante und seinen Führer kümmert. Unpersönlich, fast kalt, wie Gott dem Menschen zu Hilfe kommt ...


    Ja, der Engel scheint regelrecht genervt und als ob er Besseres zu tun hätte ... :rollen:


    Zitat von "sandhofer"

    Wunderschön und theologisch korrekt, wie Dante erklärt, warum die Toten zwar wissen, was geschehen wird, aber nicht, was gerade geschieht. (Und offenbar haben sie kein Gedächtnis für das, was sie als Tote in der Zukunft sehen ...)


    Genau, sonst hätte sich Calvante nicht nach seinem Sohn Guido erkundigen müssen.


    Interessant finde ich auch, auf welchen "Kardinal" sich Dante im 10. Gesang bezieht: nämlich auf Ottaviano degli Ubaldini (+ 1273), der den ältesten Dante-Kommentaren zufolge nicht an die Unsterblichkeit der Seele geglaubt haben soll. Aus heutiger Sicht geradezu unvorstellbar, wie jemand mit dieser Ansicht so einen hohen Rang in der katholischen Hierarchie erreichen konnte ... aber ich vermute, dass der Prozentsatz an Geistlichen aus "wahrer Berufung" heutzutage sowieso viel höher ist als im Mittelalter. Oder bin ich zu blauäugig?


    Zum 11. Gesang:


    Während sich die beiden hinter einem Grabdeckel an den Gestank gewöhnen, erklärt Vergil Dante den Aufbau der unteren Hölle folgendermaßen:
    Im ersten Kreis der unteren Hölle (also im siebenten von oben an gerechnet) büßen die Gewalttäter, und zwar in seiner ersten Unterabteilung (Ring) die Gewalttäter gegen den Nächsten, in der zweiten die gegen sich selbst, in der dritten die gegen Gott, die Natur und gegen das Menschenwerk. Erst der achte und neunte Höllenkreis (der zweite und dritte der unteren Hölle) enthalten die Betrüger und Verräter (wieder entsprechend unterteilt, je nachdem ob ihre Opfer Fremde oder Freunde/Verwandte waren).
    Mir war nicht ganz klar, warum Mord von Gott weniger schlimm bestraft wird als Betrug und Verrat. Vergil erklärt diese Tatsache so:


    Doch da Betrug des Menschen sondrer Fleck,
    Haßt Gott ihn meist; drum müssen unten ringen
    Betrüger und erleiden schlimmsten Schreck


    Also ist Betrug laut Dante etwas typisch Menschliches (Gewalt können auch Tiere ausüben) und deswegen am verwerflichsten (speziell, wenn er auch noch das besondere Band der Freundschaft oder Verwandtschaft beschmutzt).
    Na schön ... leuchtet mir zwar noch immer nicht hundertprozentig ein (ich persönlich würde lieber betrogen als ermordet werden, um es ganz krass auszudrücken), aber bitte.


    Zum 12. Gesang:


    Zitat von "sandhofer"

    Auch da sehe ich noch nicht ganz durch - inwiefern Dante die alten mythischen Gestalten der Antike als Realität nahm und wieweit sie Sinnbilder für anderes sein sollen.


    Ich habe den Eindruck, dass Dante diese Zentauren & Co. doch als ehemals real existierende Wesen sah - oder dass sie ihm zumindest nicht fiktiver vorkamen als die antiken menschlichen Sagengestalten.
    Dass er ihnen darüber hinaus auch noch symbolischen Charakter verlieh, würde mich nicht überraschen - die ihnen zugedachte Bedeutung ist aber nicht gerade einfach zu durchschauen (erinnert mich an Rahel).


    Bis bald,
    Bluebell

    "Date a girl who reads. Date a girl who spends her money on books instead of clothes. She has problems with closet space because she has too many books. Date a girl who has a list of books she wants to read, who has had a library card since she was twelve."

    Einmal editiert, zuletzt von ()

  • Nochmal ich! :smile:


    Zitat von "nimue"

    Was mich allerdings wundert: Warum sind beispielsweise nur Erwachsene in der Hölle zu finden? Nur große Namen - keine Spur von ungetauften Kindern, kleinen Dieben etc. Ließ Dante diese tragischen Figuren mit Absicht weg, um das große Manko in Gottes Urteil nicht in Frage stellen zu müssen? Denn auch Kinder müssten unter den Ungetauften sein. Nicht nur Totgeborene, sondern auch 10 jährige usw. Wo stecken die?


    Das ist eine sehr gute Frage! Der Gedanke ist mir beim Lesen überhaupt nicht gekommen, und mir fällt ehrlich gesagt auch keine plausible Antwort ein ... Sandhofer, Georg?


    Zitat von "nimue"

    Die ihr gesunden Sinnes euch erfreut,
    beachtet, Leser, die verborgne Lehre
    unter dem Wunderschleier dieser Verse.


    Was für eine Lehre meint er? Ich komme und komme nicht dahiner!


    Dass weiß wohl Dante allein ... ich finde diese Szene mehr als kryptisch, und anscheinend war Dante sich auch bewusst, dass dem Leser ohne ausdrücklichen Hinweis diese "verborgene Lehre" wohl auch weiter verborgen bliebe! (Was sie ja auch so tut, nur wissen wir jetzt wenigstens, dass eine drinsteckt! :breitgrins: )
    Sogar mein Kommentar meint dazu nur ganz vage:
    Medusa verkörpert vielleicht die tödliche Verzweiflung des Sünders oder, als Wächterin des sechsten Kreises afugefasst, den versteinernden Glaubenszweifel.


    Schönen Abend noch!


    Bluebell

    "Date a girl who reads. Date a girl who spends her money on books instead of clothes. She has problems with closet space because she has too many books. Date a girl who has a list of books she wants to read, who has had a library card since she was twelve."

  • Zitat von "Georg"

    Ob man Brunetto aber deshalb gleich als Freund und Lehrer Dantes bezeichnen kann, wie es der folgende Link macht?:


    "When in the Inferno Dante describes his encounter with his great teacher, this is not to be regarded as simply a meeting of one pupil with his master, but rather as an encounter of an entire generation with its intellectual mentor. Latini had awakened a new public consciousness in the prominent figures of a younger generation including Guido Cavalcanti, Forese Donati, and Dante himself, encouraging them to put their knowledge and skill as writers to the service of their city or country."


    (Britannica 1997, Band 16, S. 971).

  • Zitat von "sandhofer"


    Ich selber benutze die Manesse-Ausgabe mit der Übertragung von Ida und Walther von Wartburg. Jedem Gesang geht ein Kommentar voraus und folgen Anmerkungen.


    Wie ausführlich sind denn diese Kommentare und Anmerkungen? Ich habe hier zwei Ausgaben: Eine bibliophile mit der Übersetzung Vosslers, die vor ein paar Jahren bei Faber & Faber erschienen ist. Illustriert von Monika Beisner. Hier gibt es als Randglossen auf jeder Seite eine oder zwei Erklärungen.


    Außerdem besitze ich noch die Übersetzung von Wilhelm G. Hertz, die ca. 70 engbedruckte Kommentarseiten enthält.


    Werde morgen mit der Lektüre der Commedia anfangen, heute habe ich mich noch mit Metalektüre beschäftigt. Die "Hölle" las ich vor über 10 Jahren schon einmal.


    CK

  • Hallo zusammen!


    Na, Dante scheint ja nachgerade Riesen-Postings herauszufordern ...


    Zitat von "nimue"

    Es fällt mir sowieso etwas schwer, meine Gedanken (wenn ich denn überhaupt welche habe) in Worte zu fassen.


    Ich habe nicht den Eindruck ....


    Zitat von "nimue"

    Dantes Theologie erfüllt meine ganzen Klischees, die ich so im Laufe der Lesejahre historischer Mittelalter-Romane angesammelt habe. So langsam habe ich das Gefühl, dass niemand mehr übrig bleibt, der Dantes Paradies bevölkern könnte


    Wenn ich mich recht erinnere, bleiben genug :breitgrins:


    Zitat von "nimue"

    Was mich allerdings wundert: Warum sind beispielsweise nur Erwachsene in der Hölle zu finden? Nur große Namen - keine Spur von ungetauften Kindern, kleinen Dieben etc. Ließ Dante diese tragischen Figuren mit Absicht weg, um das große Manko in Gottes Urteil nicht in Frage stellen zu müssen? Denn auch Kinder müssten unter den Ungetauften sein. Nicht nur Totgeborene, sondern auch 10 jährige usw. Wo stecken die?


    Ungetaufte Kinder stecken sicher im Limbo. Sie sind aber wohl zu wenig interessant für eine Erwähnung. Zehnjährige, je nach Grad der Sünde bzw. des Bereuens, werden wohl behandelt wie Erwachsene. 'Kindheit' (noch mehr als 'Liebe') ist eine 'Erfindung' des 18./19. Jahrhunderts; zuvor waren Kinder einfach kleine Erwachsene und konnten genauso sündigen wie sie. Zehnjährige waren übrigens schon lange getauft. Die kleinen Diebe: wohl ebenfalls uninteressant. Aus dem gleichen Grund wird Dante auf generell auf Unbekannte verzichtet haben. Immerhin schreibt er eben ein Epos, keine philosophische oder theologische Abhandlung. Auch da sehe ich ihn wiederum als 'Modernen'.


    Zitat von "nimue"

    Wegen der Geschichte mit dem Trojanischen Pferd: Ich war auch der Meinung, gehört zu haben, dass in der ursprünglichen Fassung nicht unbedingt auf ein Pferd zu schließen ist? Täusche ich mich da? Woher habe ich das nur? *grübel* Wo genau finde ich denn das Trojanische Pferd in der Odyssee?


    In der Ilias fehlt das Pferdchen; in der Odyssee habe ich es beim schnellen Durchblättern z.B. im vierten Gesang gefunden.


    Zitat von "nimue"

    Zum 9. Gesang: Im Angesicht der drei Furien heißt es:


    Die ihr gesunden Sinnes euch erfreut,
    beachtet, Leser, die verborgne Lehre
    unter dem Wunderschleier dieser Verse.


    Was für eine Lehre meint er? Ich komme und komme nicht dahiner!


    Von Wartburg - und es scheint mir Sinn zu machen - bezieht diese Stelle voraus auf das Erscheinen des Engels. Also auf die Tatsache, dass wir zur Überwindung gewisser Sünden auf göttliche Hilfe oder Eingebung angewiesen sind. Menschliche Vernunft und menschliche Kraft alleine (=Vergil) reichen nicht aus.


    Zitat von "nimue"

    Überrascht haben mich hier mal wieder die durchaus positiv dargestellten Zentauren, den Pferdemenschen, die von Chiron angeführt werden. Nessus, einer der Zentauren, wird schließlich sogar zum Führer, der unseren Erzähler trägt.


    Na ja. Sie versuchen ja zuerst, unsere beiden Wanderer abzuschiessen. Und dass Vergil Nessus zum Führer erbittet, geschieht imho auch als Schutz gegen die übrigen Kentauren-Wächter.


    Zitat von "nimue"

    Zum Schluß dann wieder unsere Verschwender - weshalb kommen sie hier nochmals vor?


    Ich verstehe jetzt nicht: warum "nochmals"?


    Zwischenbemerkung: Ausser Vergil und Ovid wären natürlich auch Kenntnisse der Kirchenväter - allen voran: Thomas von Aquin - für ein völliges Verständnis der Commedia unumgänglich ...


    Zitat von "Bluebell"

    Interessant finde ich auch, auf welchen "Kardinal" sich Dante im 10. Gesang bezieht: nämlich auf Ottaviano degli Ubaldini (+ 1273), der den ältesten Dante-Kommentaren zufolge nicht an die Unsterblichkeit der Seele geglaubt haben soll. Aus heutiger Sicht geradezu unvorstellbar, wie jemand mit dieser Ansicht so einen hohen Rang in der katholischen Hierarchie erreichen konnte ... aber ich vermute, dass der Prozentsatz an Geistlichen aus "wahrer Berufung" heutzutage sowieso viel höher ist als im Mittelalter. Oder bin ich zu blauäugig?


    Die "katholische" Lehre war bis weit ins Mittelalter hinein eben nicht so einheitlich, wie wir sie heute kennen. Viele Ideen wurden im Laufe der Zeit aufgegeben; es war dann schon mal nackte politisch-militärische Macht, die über die offizielle Doktrin entschied.


    Danke, xenophanes, für Dein Zitat aus der Britannica. Ich wollte gerade was ähnliches zitieren. Ich bin nämlich unterdessen ein bisschen weiter gekommen:


    Gesang 13: Die Selbstmörder, die, weil sie ihren Körper freiwillig aufgegeben haben, auch in der Hölle, auch nach dem Jüngsten Gericht, keinen mehr kriegen. Eine wahrhaft surrealistische Schilderung ...


    Gesang 14: Die Gotteslästerer. Capaneo als herausragendes Beispiel, obwohl der ja eigentlich Jupiter gelästert hat. Manchmal ist das mittelalterliche Denken nicht einfach nachzuvollziehen ...


    Gesang 15: Die Sodomiter. Dante trifft auf seinen alten Lehrer. Rührend, wie er völlig auf eine Detaillierung von dessen Sünde verzichtet. Überhaupt habe ich, wie schon gesagt, immer wieder das Gefühl, Dante seien viele der beschriebenen Sünder irgendwie sympathisch.


    Ich habe übrigens im Faust II nachgelesen. Plutus und Pluto kommen tatsächlich dort vor, allerdings nicht miteinander und schon gar nicht identisch, aber doch gerade hintereinander. Ob sich Goethe da von einer (ev. vagen) Reminiszenz an Dante leiten liess?


    So, genug für heute. Vor Dienstag komme ich nicht mehr zur Dante-Lektüre.


    Grüsse


    Sandhofer


    PS. Schön, Dich nun auch an Bord zu haben, xenophanes! Wie ausführlich von Wartburgs Anmerkungen sind? Das variiert, aber im Schnitt wohl rund die gleiche Anzahl Seiten Kommentar (vorher) und Anmerkungen (nachher) wie übersetzter Text. Und der ist Dantes Terzinen nachgebildet, verzichtet allerdings auf Reime.

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Zitat von "sandhofer"


    Wie ausführlich von Wartburgs Anmerkungen sind? Das variiert, aber im Schnitt wohl rund die gleiche Anzahl Seiten Kommentar (vorher) und Anmerkungen (nachher) wie übersetzter Text.


    Handelt es sich um folgende Sonderausgabe oder hast du die Originalausgabe? Wenn letzteres, passt die Seitenzahl? Damit will ich ausschließen, dass sie bei der Sonderausgabe den Kommentar gekürzt haben.


    http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3717590111/


    Danke!


    CK

  • Hallo xenophanes!


    Zitat von "xenophanes"

    Handelt es sich um folgende Sonderausgabe oder hast du die Originalausgabe? Wenn letzteres, passt die Seitenzahl? Damit will ich ausschließen, dass sie bei der Sonderausgabe den Kommentar gekürzt haben.


    http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3717590111/


    1200 Seiten (genau gesagt 1198 - das letzte Blatt ist leer): könnte hinkommen, auch die Zahl der Illustrationen stimmt: 48 (nach Holzschnitten von Gustave Doré). Ist wohl identisch mit meinem Manesse von 1963.


    Köstlich finde ich übrigens die Kundenrezension: Der Autor selbst, Dante, wandert, geführt von seiner Geliebten, Beatrice, durch die drei Bereiche des christlichen Universums.


    Wie soll ich eine Buchhandlung mit solchen Rezensionen ernst nehmen???


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Zitat von "Bluebell"

    Na sicher ist es sehr vorteilhaft, wenn man die Originale kennt, auf die sich Dante bezieht. Aber du tust ja so, als ob man ohne diese Kenntnisse nur Bahnhof verstehen würde, und so ist es auch wieder nicht! Immerhin gibt es ja sowas wie einen Kommentar, der einem in wenigen Sätzen die vorkommenden Figuren und eventuell deren Geschichte erläutert - und dann weiß man zumindest, wovon Dante redet!
    Und dass der Spiegel von Narziß das Wasser war, weiß ich auch ohne mich jemals näher mit Ovid beschäftigt zu haben und sogar ohne Kommentar (bin nämlich noch gar nicht so weit).


    Versteh, das bitte nicht als Streit, aber es müssen ja verschiedene Meinungen vorhanden sein, damit eine Diskussion entsteht.


    Ich hatte ja schon darauf hingewiesen, dass meine Ausgabe so gut wie keinen Kommentar enthält, aber meine Anmerkung (zugegeben ich hatte das nicht so deutlich ausgedrückt) bezog sich nicht auf mich persönlich, ich könnte ja auch im Internet unter den Namen suchen, im Lexikon nachsehen usw., was ich aber eigentlich meinte, war die Frage, ob Dante bei seinen Zeitgenossen, die keinen Kommentar, kein Internet, keine Lexikons usw. hatten, voraussetzen konnte, dass die Ovid und Vergil gelesen hatten, immerhin war seine Zielgruppe ja das "gemeine" Volk und nicht Gelehrte, weshalb er ja auch nicht in Latein schrieb.


    Womit auch deine Bemerkung zu Narziß und dem Wasser als Spiegel auf wackeligen Beinen steht (woher kanntest du das eigentlich, wenn nicht von Ovid), den Dantes Zeitgenossen, wußten damit imho nichts anzufangen, wenn sie Ovid nicht kannten.

  • Zitat von "Bluebell"


    Wobei es für mich eine ganz neue Erfahrung war, Liebespaare wie beispielsweise Helena und Paris oder Lanzelot und Ginevra in der Hölle schmorend anzutreffen - also Figuren, mit denen ich bisher zwar immer "tragische Romantik", aber sicher nicht den Begriff "Sünde" assoziiert habe (den Ehebruch hab ich wohl verdrängt :breitgrins: ).
    Und dass solche Sympathieträger dieselben Qualen erleiden müssen ........
    Wenn Dante schon Romeo und Julia gekannt hätte und die beiden nicht so eindeutig literarische Fiktion wären, hätte er die vielleicht auch noch in den zweiten Höllenkreis geschickt ... *grummel*


    Hab ich da was überlesen? Wo kommt den vor, dass Lanzelot und Ginevra in der Hölle schmoren? Ich kenn nur die Stelle im 5. Gesang, wo Francesca da Polenta erzählt wie sie zusammen mit Paolo Malatesta in dem französischen Roman "Lancelot du lac" gelesen haben und wie sie als sie zu der Stelle kamen, wo Lancelot und Ginevra sich küssten, nicht mehr weitergelesen haben, weil .....
    Woraus man wieder mal die Gefahren des Lesens historischer Romane ableiten könnte.
    Deshalb schmoren Francesca und Paolo in der Hölle, aber doch nicht Lanzelot und Ginevra?


    Deine Bemerkung mit Romeo und Julia versteh ich nicht Wer von den beiden hat den die Ehe gebrochen?


    Ach ja, und seit wann sind den der feige Paris und die wankelmütige Helena Sympathieträger?

  • Zitat von "Bluebell"


    Darüber war ich auch baff! Ganz schön mutig von Dante - in einer Zeit, wo öffentlich geäußerte Kirchenkritik unter Umständen fatale Folgen haben konnte ... hier hätten wir also ein Beispiel für den Aufklärer Dante (siehe meine Zweifel während der ersten Gesänge).


    Nach meinem Kenntnisstand (lasse mich da aber gerne berichtigen) war das nicht besonders mutig (womit ich nicht sagen will, dass Dante nicht mutig war in seinen politischen Äußerungen war er das ganz sicher). Dante hat imho keine Kritik an der Lehrmeinung der Kirche geäußert und Kritik an einzelnen Personen der Kirche war damals durchaus willkommen, Boccaccio hat in seinem Decamerone noch viel stärker auf Mißstände in der Kirche hingewiesen und doch wurden die beiden (Dante und Boccaccio) von der Kirche immer hoch angesehen.


    Wenn du mal nach Florenz kommen solltest, schau dir unbedingt bei der Santa Maria Novella die Fresken (noch aus dem 14. Jahrh.) in der Cappella degli Spagnoli an, in dem Fresko "Der Dominikanerorden und der neue offene Weg zum Heil", sind Dante und Boccaccio wie Heilige dargestellt.

  • Zitat von "nimue"


    Wegen der Geschichte mit dem Trojanischen Pferd: Ich war auch der Meinung, gehört zu haben, dass in der ursprünglichen Fassung nicht unbedingt auf ein Pferd zu schließen ist? Täusche ich mich da? Woher habe ich das nur? *grübel* Wo genau finde ich denn das Trojanische Pferd in der Odyssee?


    Die von mir weiter oben zitierte Stelle ist aus dem achten Gesang der Odyssee in der Übersetzung von Voss und da kommt mindestens 3 mal das hölzerne Ross und einmal das trügliche Ross vor und in neueren Übersetzungen z.B. von Roland Hampe (Reclam) steht statt Ross eben Pferd. Und wenn du mir nachweisen kannst, dass im griechischen Original nicht unbedingt auf ein Pferd zu schließen ist, dann lasse ich mir die Kosten für meinen Lehrgang Altgriechisch wieder auszahlen.

  • Zitat von "Bluebell"

    Interessant finde ich auch, auf welchen "Kardinal" sich Dante im 10. Gesang bezieht: nämlich auf Ottaviano degli Ubaldini (+ 1273), der den ältesten Dante-Kommentaren zufolge nicht an die Unsterblichkeit der Seele geglaubt haben soll. Aus heutiger Sicht geradezu unvorstellbar, wie jemand mit dieser Ansicht so einen hohen Rang in der katholischen Hierarchie erreichen konnte ...


    Auch aus heutiger Sicht nur für Katholiken unvorstellbar, für Protestanten ist das die offizielle Lehrmeinung und damals war die Kirche ja noch nicht getrennt. Ich denke mal, dass sich die Meinung von der sterblichen Seele durchaus aus Paulus ableiten lässt, ohne da jetzt eine Stelle nennen zu können, aber Luther hat ja nichts erfunden, sondern seine Lehre aus der Bibel abgeleitet.

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "Georg"

    [...] was ich aber eigentlich meinte, war die Frage, ob Dante bei seinen Zeitgenossen, die keinen Kommentar, kein Internet, keine Lexikons usw. hatten, voraussetzen konnte, dass die Ovid und Vergil gelesen hatten, immerhin war seine Zielgruppe ja das "gemeine" Volk und nicht Gelehrte, weshalb er ja auch nicht in Latein schrieb.


    Nun, auch Dante wird nicht für den Bauern auf dem Land oder den Gehilfen eines Schuhmachers geschrieben haben, sondern für den wohlhabenden und entsprechend gebildeten Kaufmann und Bürger. Davon gab's in Florenz unterdessen genug. Und bei denen waren Ovid, Vergil und viele andere alte Lateiner durchaus bekannt. Das war eigentlich noch bis und mit Goethezeit in Europa so. Erst die Romantik, mit der Betonung des Einzelnen und der Wichtigkeit seiner Erlebnisse, stellte diesen Bildungs- und Traditionskanon langsam in die Ecke.


    Zitat von "Georg"

    Dante hat imho keine Kritik an der Lehrmeinung der Kirche geäußert und Kritik an einzelnen Personen der Kirche war damals durchaus willkommen, Boccaccio hat in seinem Decamerone noch viel stärker auf Mißstände in der Kirche hingewiesen und doch wurden die beiden (Dante und Boccaccio) von der Kirche immer hoch angesehen.


    Das sehe ich genauso. Auch wenn Dante - z.B. als Gesandter seiner Heimatstadt - dem regierenden Pabst ein Dorn im (politischen!) Auge gewesen sein muss.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus