Beiträge von Sir Thomas

    Ein Kanon kann Orientierung bieten, wie z.B. Reich-Ranickis Kanon der deutschsprachigen Literatur. Manchmal ist es interessant, die eigenen Lektüren mit denen eines "Profilesers" abzugleichen. Als Leseliste nutze ich solche Aufzählungen nicht.


    LG


    Tom

    Alle Wege führen nach Proust (naja, vielleicht nicht alle, aber einige): Auf der Suche nach den literarischen Quellen der Puccini-Oper "Madame Butterfly" stieß ich auf Pierre Loti, einen um 1900 populären französischen Romancier und Reiseschriftsteller. Der englischsprachige wikipedia-Artikel enthält folgenden Satz:


    In 1890 he published Au Maroc, the record of a journey to Fez in company with a French embassy, and Le Roman d'un enfant (The Story of a Child), a somewhat fictionalized recollection of Loti's childhood that would greatly influence Marcel Proust.


    Kennt jemand diesen Autor oder das oben zitierte Buch?


    Hier der Link zum wikipedia-Artikel: http://en.wikipedia.org/wiki/Pierre_Loti


    Viele Grüße


    Tom


    So unspannend finde ich es gar nicht, wie Oblomow versucht, sein Leben vom Bett aus unter Kontrolle zu behalten.


    Ja, Doris, das finde ich auch interessant. Leider läßt er seinen gar nicht einmal unvernünftigen Gedanken keine Taten folgen.


    Was mich verblüfft hat, ist die Einsicht unseres Helden, dass er sich mit seinem Verhalten stark von den "anderen" unterscheidet - und zwar nicht im positiven Sinn, wie er Sachar gegenüber argumentiert, sondern eher im negativen (Kapitel 8). Oblomow merkt, dass etwas mit ihm "nicht stimmt". Das ist eine Qualität, die ich ihm nach dem bisher Gelsenen nicht zugetraut habe.


    LG


    Tom

    Ich habe jetzt das Kapitel "Oblomows Traum" erreicht - eine sehr schöne Schilderung des damaligen russischen Landlebens und der "russischen Seele". Wir erfahren, dass sich die Lebenseinstellung des jungen Oblomow herausbildet, indem er das träge Leben der Erwachsenen akribisch beobachtet.


    Der englischsprachige wikipedia-Artikel verrät übrigens, dass dieses Kapitel rund 10 Jahre vor dem Rest des Romans entstand, also wohl so etwas wie die Keimzelle des später ausgebauten Werks ist.


    Quelle: http://en.wikipedia.org/wiki/Oblomov


    Einen schönen Tag wünscht


    Tom


    "Die Wirklichkeit hat mich krank gemacht".


    Hallo Maria,


    ist das ein belegtes Hölderlin-Zitat oder Härtlings dichterische Freiheit?


    Um das Buch von Peter Härtling bin ich auch schon herumgeschlichen, habe dann jedoch Stefan Zweig den Vorzug gegeben ("Der Kampf mit dem Dämon"; das erste Kapitel ist Hölderlin gewidmet).


    Gratulation übrigens, dass Du diesen alten Ordner wiederentdeckt und -belebt hast. Ich kannte ihn bislang noch nicht.


    Viele Grüße


    Tom


    ... Verhältnis Oblomow zu Sachar ... Das war doch auch kein normales Verhalten in dieser Zeit, oder?


    Das komplexe Verhältnis Oblomow/Sachar wird ab Kapitel 5 sehr schön herausgearbeitet. Wie schon angedeutet, ist der erste Eindruck ein wenig trügerisch.



    Gontscharow hat bestimmt keine Sympathie für ihn. Als Zensor wusste G. bestimmt wie er über was schreiben durfte um nicht dem eigenen Amt zum Opfer zu fallen. O. steht hier für die Klasse der einflussreichen Gutsbesitzer, die nicht nur ihr Leben, sondern auch die Zukunft Russlands verschlafen. Ich neige im Augenblick dazu den Roman als eine Allegorie auf die damalige russische Gesellschaft zu sehen.


    Ja, das ist die gängige Interpretation, die natürlich etwas für sich hat. Trotzdem kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Gontscharow das Verhalten der Oblomow-Bekannten, die zum Teil dumme Karrieristen oder Schnorrer sind, verachtenswerter findet als den "passiven Widerstand" und die Lethargie seines Helden. Gontscharow kannte nicht nur die gesellschaftlichen Verhältnisse in Russland, sondern auch die Arbeit innerhalb einer zaristischen Behörde. Mir kommt es jedenfalls so vor, als ob der Faulenzer Oblomow noch das kleinste Übel ist, an dem dieses rückständige Russland krankt.


    LG


    Tom


    "Das klassische Lesegehirn läuft angesichts der schnell kursierenden Textmassen der digitalen Welt Gefahr, auf den informationellen Aufnahmemodus beschränkt zu werden."


    Das ist ja eine sehr interessante These! Sie erinnert mich ein wenig an die Grundsatzfrage, ob schriftliche Erzeugnisse unter den Bedigungen der Digitalisierung/Computerisierung grundsätzlich an Qualität/Tiefe verlieren. Dabei geht es gar nicht so sehr darum, ob der Text mit einer Schreibmaschine, einem Laptop oder gar mit der Hand geschrieben wurde, sondern darum, wie die Informationsbeschaffung organisiert war. Hat der Autor/Schreiber Erlebtes/Gesehenes verarbeitet, oder lebt er von second hand news aus dem Internet oder TV?


    Die o.g. Sache mit dem "Lesegehirn" spricht wohl eher gegen die digitalen und für die analogen Medien ...


    LG


    Tom

    Die Wikipedia-Artikel sind leider ziemlich flach, auch die englischsprachigen sind in diesem Fall nicht besser. Gontscharow ist halt nicht Dostojewski oder Tolstoi, zumindest nicht vom Bekanntheitsgrad in Deutschland. Qualitativ bewegt Gontscharows sich aber mMn. auf Augenhöhe mit den beiden Giganten.


    Leider kann ich kein Russisch. Das versperrt den Zugang zu einer großen Fundgrube.


    Ich hoffe sehr, dass wir besseres Material auftreiben.


    Viele Grüße


    Tom


    ... dass ich diesen Oblomow nicht mag.


    Hi Katrin,


    ein bisschen von der Art dieses schrägen Vogels steckt in jedem Menschen, warum ist Dir das so unsymphatisch? Man könnte ihn auch für eine Art Aussteiger oder Totalverweigerer halten ... Ich habe den Eindruck, dass Gontscharow durchaus mit seiner Hauptperson sympathisiert.


    Außerdem: Wir sprechen hier von einer Figur, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts als Gutsbesitzer in Rußland lebte. Das heißt: Um allzu viele Dinge musste er sich nicht sorgen, denn er war umgeben von einer diensteifrigen Schar, die jede Zumutung von ihm fernhielt. Diese "parasitäre" Lebensform mag man heute kritisieren, damals war sie normal (zumindest für die besitzenden Klassen).


    Da ich schon ein wenig weiter gelesen habe als Du, erschließt sich mir dieser Oblomow übrigens aus einer ganz anderen Perspektive. Aber ich möchte nichts vorwegnehmen ...


    Viele Grüße


    Tom


    Auf den Verlagsseiten gibt es gar eine Leseprobe


    ... die nahezu inhaltsgleich ist mit dem Weltwoche-Artikel. Solche "Proben" kann der Verlag sich sparen. Michael Maar ist offensichtlich ein Meister der Mehrfachverwertung. Ob er in dem Proust-Buch inhaltlich Neues zu bieten hat, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich habe vor einiger Zeit einen Thomas Mann-Artikel aus Maars Feder gelesen (auch in der "Weltwoche") und herzhaft gelacht über derartig spekulativen Unsinn.


    Es grüßt


    Tom


    Ich lese mich jetzt langsam in "Tote Seelen" von Nikolai Gogol in der Neuübersetzung von Vera Bischitzky ein. Ich kann noch nicht viel über den Inhalt sagen, aber das Buch selbst ist sehr schön aufgemacht. Zwei Lesebändchen (eines für den Text, eines für die Anmerkungen), ein stabiler Schuber, ein kleines Heft als Beilage für Notizen. Illustriert ist das Buch mit Radierungen von Chagall. Die Anmerkungen weißen immer wieder auf Unterschiede zu den älteren Übersetzungen hin.


    [kaufen='3538072752'][/kaufen]


    Scheint ja ein bibliophiles Prachtstück zu sein ... Aber der Preis ... :sauer:


    LG


    Tom


    Manguel hingegen hat m.W. bisher nur den bibliomanen Sektor bedient.


    Das stimmt nicht ganz. "Stevenson unter Palmen" - eine phantastische und durchaus gelungene Geschichte - war Manguels Versuch, sich davon ein wenig zu lösen. Ich stimme Dir zu, dass man sich ein drittes "bibliomanes" Buch (und um ein solches scheint es sich zu handeln) nicht unbedingt antun muss.


    LG


    Tom


    Alberto Manguel: Die Bibliothek bei Nacht


    Aha, etwas Neues von Alberto M.! Seine "Geschichte des Lesens" und "Tagebuch eines Lesers" haben mir gut gefallen, wenn sie auch manchmal etwas arg geschwätzig daherkamen. Lohnt sich "Die Bibliothek bei Nacht"? Oder bewegt Manguel sich jetzt endgültig auf den Pfaden seines großen Vorbilds Borges?


    Viele Grüße


    Tom

    Liebe Proust-Gemeinde,


    Anfang des Monats habe ich endlich das lang vor mir hergeschobene „Recherche ...“-Projekt begonnen. Mittlerweile habe ich das erste Kapitel („Combray“) geschafft – Zeit für einige Anmerkungen.


    Die Übersetzung von Eva Rechel-Mertens liest sich gut. Ich habe mit deutlich größeren Schwierigkeiten in Sachen Lesefluss gerechnet. Mir fehlen allerdings in der älteren Suhrkamp-TB-Ausgabe Anmerkungen, die eine Lektüre sicher erleichtern würden. Wenn ich weitermache, werde ich auf jeden Fall zur Frankfurter Ausgabe greifen (gut, dass ich bislang nur den ersten Band angeschafft habe).


    Inhaltlich bietet Proust einige interessante Anhaltspunkte zum Thema „Gedächtnis“. Er war offensichtlich ein guter und feiner Beobachter seiner Empfindungen, was ich sehr reizvoll finde, wenn auch manchmal etwas arg in die Länge gezogen. Sehr gefallen haben mir die Schilderungen der Neurosen des Pariser Bürgertums. Der nächste Teil, Eine Liebe von Swann, verspricht in dieser Hinsicht einiges an „Mehrwert“ …


    Was ich mich frage: Kann man - angesichts der Tatsache, dass Proust den ersten und den letzten Teil (Die wiedergefundene Zeit) in engem zeitlichen Zusammenhang geschrieben hat - die Bände zwei bis sechs zunächst einmal auslassen und später lesen? Ich habe zur Lesereihenfolge in diesem Thread unterschiedliche Meinungen gefunden.


    LG


    Tom


    Der Begriff Elegie hat in der Tat einen Bedeutungswandel ... erlebt. Im klassischen Griechenland war es einfach eine in Distichen gehaltene Dichtung ...


    Wenn meine bescheidenen Lyrikkenntnisse mich nicht trügen, dann sind Goethes "Römische Elegien" ebenfalls in Distichen abgefasst. Das erklärt den Titel.


    Vielen Dank für diese Hintergründe.


    LG


    Tom

    Meine aktuellen Lektüren:


    Hölderlin, Hyperion (immer wieder schön!)


    Gustav Schwab, Klassische Sagen des Altertums (als Ergänzung zu Hyperions "Graecophilie")


    Goethe, Römische Elegien


    LG


    Tom