Beiträge von Sir Thomas


    Von einem Lektor des S. Fischer Verlags erfuhr ich, dass die beiden ersten Joseph Romane im Rahmen der GkFA in den nächsten zwei Jahren erscheinen sollten.


    Mit kommentierten Ausgaben ist das so eine Sache ...


    Einerseits mag ich es, den Verästelungen im Anhang nachzuspüren. Bei Proust habe ich das zumindest intensiv getan und genossen.


    Andererseits hemmt das u.U. den Lesefluss, zumindest, wenn man so wie ich gestrickt ist und Fußnoten sofort liest.


    Die Joseph-Romane habe ich mir bislang ganz gut ohne Kommentar erklären und erschließen können. Und wenn mal nichts mehr ging, habe ich das Thomas Mann-Figurenlexikon im Internet konsultiert - was nicht immer, aber manchmal hilft (zumal es nicht strikt auf die Romanfiguren beschränkt ist, sondern auch Erklärungen zu religiösen Namen und Göttern bereit hält).


    Trotzdem ist natürlich die GKFA mit Sicherheit ein interessanter Quell der Weisheit. Wenn sie nur nicht so teuer wäre ... (die kommentierte Faustus-Ausgabe habe ich mir aus eben diesem Grund geknickt).


    So long


    Tom


    Raabes Roman "Der Hungerpastor" ist gewiss antisemitisch.


    Aha, vielen Dank! Dass die deutsche Literatur des 19. Jahrhunderts einiges Antisemitische hervorgebracht hat, war mir nicht bewusst, da ich weder Raabe noch Freytag gelesen habe. Wie steht es eigentlich mit Fontane? Da kann ich mich beim besten Willen an nichts dergleichen erinnern. Oder gibt es auch in seinem Werk die eine oder andere "Sünde"?


    LG


    Tom

    Ich komme langsam, aber stetig voran.


    Das Verhängnis zwischen Joseph und Mut-em-enet nimmt seinen Lauf. Bemerkenswert fand ich die Passage, in der Thomas Mann beschreibt, wie Potiphars Gattin den geliebten Joseph in einen Gott ähnlichen Status erhebt, um in „seiner Vergöttlichung die Erniedrigungsgefühle“ aufzuheben, die „sonst von ihrer Schwäche für den Fremdsklaven untrennbar gewesen wären“. So beschließt sie, in Joseph „einen niedergestiegenen Gott in Knechtgestalt zu sehen, ein Wesen, von dem Glück und Elend abhängig sind.“ Auch ohne Worte versteht die sensible Frau, dass es mit Joseph eine besondere Bewandnis hat, das er, ähnlich wie die ägyptische Elite, von der „Beschattung Sterblicher durch den Gott“ profitiert. Das düstere Geraune Potiphars über Josephs „Geweihtheit und Aufgespartheit“ (ein schönes Wort!) ergänzt ihre zwiespältigen Gefühle um den Faktor Angst.


    Ich finde die Beschreibung der Liebesqualen aus der Sicht Mut-em-enets sehr gelungen.


    LG


    Tom

    Ovids "Metamorphosen"? Das klingt zunächst nach verstaubter Lateinstunde, an die ich mich nicht gern erinnere.


    Auf den zweiten Blick ist dieser Klassiker natürlich sehr reizvoll. Lesen werde ich ihn auf jeden Fall - irgendwann einmal. Ob der Zeitpunkt mit dem aktuellen Terminvorschlag harmoniert, wird sich zeigen.


    LG


    Tom


    Nun beim ersten Lesen möchte man natürlich erfahren, wie die ganze Geschichte ausgeht.


    (räusper) ... Nun ja, wie geht die Geschichte des Verlorenen Paradieses wohl aus? Wird der Täter gefasst? War es der Gärtner?


    Im Ernst: Du willst mir doch wohl nicht erzählen, dass der Ausgang einer in Grundzügen aus der Bibel bekannten Geschichte Deine Lesemotivation darstellt? Nein, das glaube ich Dir nicht ... :zwinker:


    LG


    Tom


    Hier ein Link zum Thema.


    Danke für den Link. Wie man allerdings Heinrich und Thomas Mann als Schriftsteller des 19. Jahrhunderts(!) bezeichnen und sie dann auch noch in die Nähe der Judenfeindlichkeit bringen kann, ist mir schleierhaft.


    LG


    Tom


    Es ist ja auch seltsam, dass über Freytag wenig im Netz gesprochen und diskutiert wurde/wird, und dass er lange nicht mehr gelesen worden ist, erst in diesem Jahrtausend wieder neu aufgelegt wurde.



    das könnte einfach daran liegen, dass er ein schlechter Autor ist ;-). Davon gibt es noch mehr, die heute auch zu Recht vergessen sind. Felix Dahn zB, dessen "Kampf um Rom" immer mal wieder aufgelegt wird. Oder Georg Ebers, zu Lebzeiten sehr erfolgreich, später erfolgreich vergessen. Oder Hackländer. Jensen. Und das sind noch die bekanntesten Namen ;-)


    Ich habe da ein "Verdikt" Marcel Reich-Ranickis im Ohr, das sinngemäß lautet: Freytag ist zurecht ein Fall ausschließlich für die Germanistik geworden. Was wohl heißt: Eine breite Leserschaft hat dieser Autor nicht verdient. Aber es wird noch besser: Ich erinnere mich, dass MRR dieses Urteil auch auf Wilhelm Raabe ausdehnte. Ob sich diese Ablehnung auch auf angeblichen oder tatsächlichen Antisemitismus bezieht, ist mir entfallen. Wäre ein solcher Vorwurf überhaupt berechtigt? Ich kenne mich mit W. Raabe nicht aus.


    LG


    Tom
    (der ganz gewiss nicht alle MRR-Weisheiten auf die Goldwaage legt ...)


    Ein weiterer Beweis für meine These, dass Bösewichter interessanter und besser darzustellen sind, als Gutmenschen ... :breitgrins:


    Milton spielt deutlich mit der Faszination des Bösen. Er stattet seinen Satan mit dem Hass des Rebellen aus, dem es darum geht, seinen Gegner und Widersacher so empfindlich wie möglich zu treffen. Heute würde er wohl als Al Kaida-Kämpfer „Karriere“ machen …


    Diese Rebellion gegen Gott ist ein gewagtes, beinahe schon ketzerisches Spiel, das Milton mit seinen Zeitgenossen treibt. Ich vermute darin auch eine Art „theologische Rechtfertigung“ für die Auflehnung der Cromwell-Anhänger und Puritaner gegen die als Anmaßung empfundenen Machtansprüche des britischen König (dessen Hinrichtung Milton konsequent begrüßte).


    Literarisch fällt mir dazu noch Goethes „Prometheus“ ein, der den olympischen Göttern Zorn, Hohn und Verachtung entgegenschleuderte. Den christlichen Gott ähnlich wie Milton herauszufordern (wenn auch nur literarisch), hat allerdings selbst Goethe nicht gewagt.


    Mein Lesefortschritt ist ein eher gemächlicher. Das Verlorene Paradies ist zu schön, um es mal eben durchzuhecheln.


    Es grüßt


    Tom


    Doch vielleicht hat Thomas Mann dennoch den Namen "Kröger" benutzt, um noch die Nähe zu den Buddenbrooks anzuzeigen. Denn die Novelle "Tonio Kröger" (erschienen 1903) hat einen Auftakt, der gut zu den "Buddenbrooks" (erschienen 1901) passt. Das "gieblige" Lübeck, das namentlich in beiden Büchern nicht genannt wird. Die dunkle Mutter. Tonio Krüger wie Hanno Buddenbrook Söhne von Kaufleuten, doch für diese Tätigkeit nicht geboren. Das ist jetzt nur ein Gedankenspiel von mir, angeregt durch deine Frage. :winken:


    Für mich sieht es so aus, als habe Thomas Mann im "Tonio Kröger" die Geschichte Hanno Buddenbrooks fortgeschrieben. Er hat vielleicht das Potenzial dieses Außenseiters erkannt. Da Hanno aber bekanntlich am Ende der "Buddenbrooks" stirbt, hat er einfach eine neue Figur erfunden.


    LG


    Tom

    Ich habe den ersten Gesang noch einmal in Ruhe Revue passieren lassen und eine Menge Details nachgeschlagen und nachgelesen. Es hat sich dabei bestätigt, dass Milton seinen Satan ein mehr oder weniger vollständiges Pandämonium der vorchristlichen und alttestamentarischen Welt zur Versammlung rufen lässt, um seinen Plan in die Tat umzusetzen. Moloch, Mammon, Tammuz, Osiris, Astaroth, ...: Die Liste der Unterweltgestalten ist lang, und Milton vergisst dabei nicht, auch dem Islam eine Breitseite zu verpassen, indem er von einem "Sultan" spricht, wenn er Satan meint.


    Die sehr bildhaft beschriebene Schar des Bösen hat mich an Fantasy-Filme wie "Der Herr der Ringe" erinnert. Es würde mich nicht wundern, wenn der Philologe Tolkien unseren Milton recht genau studiert hätte und seine Orks etc. ihre Vorläufer in den Höllengestalten des Verlorenen Paradieses finden.


    Mittlerweile komme ich Gott sei Dank mit der deutschen Übersetzung besser zurecht. Trotzdem lese ich ab und zu die eine oder andere Passage im Original, um ein Gefühl für dieses wunderbare Englisch zu bekommen. Dennn die Sprache ist - ob deutsch oder englisch - einfach grandios.


    Viele Grüße


    Tom


    ... Lessingschen Gedanken zur Kunstbetrachtung ...


    Meinst Du den Aufsatz "Laokoon oder über die Grenzen der Mahlerey und Poesie" (1766)? Darin befindet sich ein wichtiger Satz: "Soweit auch Homer sonst seine Helden über die menschliche Natur erhebt, so treu bleiben sie ihr doch stets, wenn es auf das Gefühl der Schmerzen und Beleidigungen, wenn es auf die Äußerung dieses Gefühls durch Schreien, oder durch Tränen, oder durch Scheltworte ankömmt. Nach ihren Taten sind es Geschöpfe höherer Art; nach ihren Empfindungen wahre Menschen."


    Das war zu jener Zeit nicht mehr und nicht weniger als die Stimme der Vernunft in einem Meer von Jubelchören, die den antiken Griechen den Status von stets heiteren, Gott gleichen Kreaturen verleihen wollten (u.a. Winckelmann, Goethe, Schiller).


    Viele Grüße


    Tom


    Mich hat das an die theologische Bewegung des Calvinismus erinnert, wo wirtschaftlicher Erfolg im Leben als augenfälliges Zeichen dafür gilt, wie sehr Gott einen liebt und bevorzugt, oder eben nicht.


    Ja, riff-raff, das ist die berühmte Prädestinationslehre des Calvinismus. Max Weber hat das vor über 100 Jahren in einem äußerst lesenswerten Buch (dessen Titel mir gerade nicht einfallen will) analysiert. Er bringt den Calvinismus direkt in Zusammenhang mit dem frühneuzeitlichen Aufstieg protestantisch-calvinistischer Länder wie bspw. den Niederlanden und England, wo es die Puritaner-Bewegung gab (vgl. die aktuelle Milton-Leserunde).


    Ob Thomas Mann derartiges im Sinn hatte, als er die Joseph-Figur entwarf, ist schwer zu beurteilen, zumal mir über seine religiöse Ausrichtung so gut wie nichts bekannt ist. Da er aus dem protestantischen Norden stammt und Sohn eines Kaufmanns war, liegt es jedoch nahe, dass er mit calvinistisch geprägten Ideen vertraut war. Ich meine mich zu erinnern, dass Teile der Buddenbrook-Familie fromme Protestanten waren, wenn auch nicht unbedingt Calvinisten.


    Joseph vergleicht seine Berufung zum Höchsten oft mit dem vergleichbaren Streben seines Urahnen Abraham. Für mich gibt es jedoch einen fundamentalen Unterschied zwischen den beiden: Joseph ist ein Hedonist und Narzisst, mehr ein Schöngeist als ein grübelnder, sich mit theologischen Fragen plagender Sinnsucher. Ihm ist bewusst, dass sein hübsches Äußeres auf die Menschen wirkt, und deshalb freut es ihn auch so sehr, dass er von Potiphars Frau wahrgenommen wird (um mal wieder auf meinen derzeitigen Lesestand zurück zu kommen). Ein Bewußtsein für die Gefahren, die sich aus dieser Entwicklung ergeben, fehlt ihm. Joseph mag einen gewissen Weitblick, meinetwegen auch eine "Vision" haben, versagt jedoch aus Gefallsucht erneut bei der Einschätzung aktueller Risiken.


    Viele Grüße


    Tom