Beiträge von Sir Thomas


    Ich hoffe, ihr lest bis dahin nicht allzu eilig, damit euer Lesevorsprung nicht uneinholbar wird.


    Ich hab es nicht ganz so eilig, mich weiter in der Hölle zu tummeln ... :teufel: Du kannst aber online schon mal loslegen, wenn Du scharf auf einen Haufen netter Teufel bist ... (einen Link zum englischen Original findest Du im Material-Ordner).


    So long


    Tom

    Nur eine kurze Wasserstandsmeldung:


    Ich habe die Geschichte von Josephs Versuchung durch Potiphars Ehefrau Mut-em-enet angefangen. Thomas Mann gibt sich viel Mühe, dieser in der Bibel als verachtungswürdige Verführererin geschilderten Person gerecht zu werden. Mal sehen, was noch kommt, aber soviel glaube ich riskieren zu können: Mit Mut-em-enet hat Thomas Mann der berühmten Frauenfigur Clawdia Chauchat ("Der Zauberberg") eine würdige Schwester verliehen. Das Thema "Thomas Mann und die Frauen (in seinem Leben und in seinen Werken)" scheint ohnehin sehr interessant zu sein. Leider fehlt mir die Zeit, neben der Primärlektüre Sekundäres (Biografien o.ä.) zu lesen.


    Es grüßt


    Tom


    Mir gefällt die sehr wortgewaltige Sprache Miltons.


    Mir auch. Der erste Gesang erinnert sprachlich an antike Epen und liefert erste Hinweise, in welche Tradition Milton sich einreiht bzw. welche Quellen ihn neben der Bibel inspiriert haben: Vergil, Homer und mit ziemlicher Sicherheit auch Dante. Bezüglich des Versmaßes bin ich mir nicht ganz sicher, aber es scheint sich um (reimlose) Jamben zu handeln.


    Anmerkungen zum Inhalt:
    Das Gespräch der von Gott abgefallenen und in die Tiefe gestürzten Engel Satan und Beelzebub entfaltet ein wortgewaltiges Programm des Bösen und der Korrumpierung von Gottes Schöpfung: „Nie wird mehr Gutes unser Handeln sein, / Das Böse tun wird unsre höchste Lust / Als Seines hohen Willens Gegenteil … Im Guten Stoff zum Bösen stets nur finden. / Dies wird uns gut gelingen ...“ Das scheint mir direkt das Vorbild für Goethes Mephisto zu sein.


    Zum Gut/Böse-Thema fallen mir Augustinus und dessen „Definition“ des Bösen ein: Das Böse führt danach keine eigenständige Existenz, sondern muss bewusst gewollt und praktiziert werden. Daran scheinen Satan und Beelzebub sich vorerst zu orientieren.


    Milton war überzeugter Puritaner und somit ein Anhänger der angelsächsischen Variante des protestantisch orientierten Calvinismus. Auch der Calvinismus hat eine eindeutige Meinung, was das Böse in der Welt anbelangt: „Man after the fall is evil. He is not deprived of will; he simply is incapable of willing anything but evil. He wills as he chooses, but his choice is determined by his sinful nature. … Man sins willingly through his corrupt nature, not by exterior compulsion. The corrupt will, indeed, creates its own necessity.“ (P. Westbrook, Free will and determinism).


    Der dem Menschen immanente freie Wille zum Bösen scheint im England des 17. Jahrhunderts mehr als ein theologisches Problem gewesen zu sein. Auch Miltons Landsmann und Zeitgenosse Thomas Hobbes hat sich in seiner gesellschaftsphilosophischen Schrift „Leviathan“ mit der Problematik der ungezähmten menschlichen Natur („Homo homini lupus“) auseinandergesetzt. Ich gehe davon aus, dass Milton dieses 1651 erschienene Werk kannte, zumal er es in Zeile 201 erwähnt (wenn auch wohl eher der biblische Leviathan Jesajas und Hiobs gemeint sein dürfte).


    Soviel zum Einstieg.


    Es grüßt


    Tom

    Das Werk habe ich erst heute morgen bestellt und man könnte es vielleicht bei Gelegenheit hier lesen?


    Bei Gelegenheit sicherlich, aber diese wird in nächster Zeit für mich nicht kommen. Frühestens im Herbst geht da was.


    LG


    Tom

    So langsam fühle ich mich hier recht einsam ...


    Nun gut, ich ziehe weiter meine Bahn:
    Joseph hat endlich, wenn auch nur von weitem, den Pharao gesehen. Der Herrscher Ägyptens macht auf ihn einen kränklichen Eindruck; er wird als wenig ansehnlich und korpulent beschrieben. Neben dem drahtigen, arroganten Beknechons sieht eine solche Figur naturgemäß schlecht aus. Ohne zu wissen, ob diese Schilderungen auf Wahrheit oder TMs Erfindungskraft beruhen, kann man feststellen: Der unmittelbare ägyptische Hofstaat (Pharao, Potiphar) wird als ziemlich degeneriertes und dekadentes Völkchen beschrieben.


    Auch Pharaos Sohn, der spätere Echnaton, taucht auf. Joseph weiß sofort, dass er sich auf den künftigen Machthaber konzentrieren muss, wenn er sein weiteres Fortkommen befördern will. Er ist nach wie vor davon überzeugt, im Auftrag Gottes dem "Höchsten" zustreben zu müssen - was für ein Sendungsbewußtsein!


    Sehr ergreifend hat Thomas Mann den Tod des getreuen Potiphar-Dieners Mont-kaw beschrieben. Ähnliches habe ich aus den "Buddenbrooks" in Erinnerung.


    LG


    Tom


    Was ist das große Werk, was man lesen sollte?


    "Der Nachsommer" gilt als sein Hauptwerk und als der Bildungsroman nach Goethes "Wilhelm Meister". Ich gestehe, ihn bislang noch nicht gelesen zu haben. "Der Hochwald" liegt schon lang zurück, hat aber eine positive Erinnerung hinterlassen: Eine trügerische Idylle, in der sich Abgründe auftun und menschliche Dramen ereignen ...


    Gut, dass man ab und zu erinnert wird an solche Autoren.


    LG


    Tom

    Unsere Leserunde sei hiermit eröffnet.


    Ich lese die Ausgabe des Wiesbadener Marixverlags, die 2008 anläßlich des 400. Milton-Geburtstags herauskam. Sie ist illustriert mit dem vollständigen Doré-Zyklus und übersetzt von Adolf Böttger. Die Übersetzung stammt aus dem Jahr 1846. Von Zeit zu Zeit werde ich sicherlich auch zum Original greifen.


    Ob ich allerdings schon über Ostern schon dazu komme, ein wenig durchs verlorene Paradies zu schweifen, ist fraglich.


    Es grüßt


    Tom

    Heute nur einige Zeilen zum Oberpriester Beknechons:


    Joseph (bzw. T. Mann) beschreibt ihn als einen kalten, hochmütigen und anmaßenden Charakter. Mit seinem totalitären Anspruch auf religiöse Wahrheit sowie seiner Angst vor einer drohenden Erschlaffung der ägyptischen Kräfte durch Überfremdung, sehe ich in Beknechons eine Parodie auf die Nazis.


    Wie unrecht der Oberpriester mit dieser Angst hat, demonstriert Thomas Mann nur ein Kapitel später. Joseph wird im Lauf der Zeit von der ägyptischen Kultur und Lebensweise assimiliert, er wird selbst zum Ägypter.


    Euch allen frohe Ostern!


    Tom

    Hallo riff-raff,


    wir sind wohl so etwas wie die letzten Mohikaner dieser Leserunde, wenn ich mich nicht irre ...


    Ich komme nur langsam voran. Ab Freitag steht zusätzlich die Milton-Runde an, was mein Lesetempo weiter drosseln wird.



    ... andererseits scheinen sich die Moralvorstellungen gewandelt zu haben und vor allem der Bruder, Huij, fürchtet, dass ihr Benehmen "den Mächten neuerer Tagesordnung" nicht mehr ganz genehm sei.


    Das ägyptische Reich, das Joseph betreten hat, scheint im Umbruch zu sein. Wir haben schon erfahren, dass sich eine Machtverschiebung in das weit südlich gelegene Theben vollzogen hat (die Klagen der Menschen aus Memphis und anderen nördlichen Städten deuten das an). Der damals regierende Pharao Amenhotep III. (immerhin der Vater des "Ketzers" Echnaton) scheint einige Korrekturen im Olymp der Götter eingeleitet bzw. fortgesetzt zu haben. Das schafft Unruhe im Land. Ich hoffe, im weiteren Verlauf mehr darüber zu erfahren.


    Ich habe mittlerweile die Bekanntschaft Potiphars gemacht - einem sanften Riesen mit weicher Stimme und traurigen Augen. Das entspricht so gar nicht dem Bild, das ich von einem Gewaltigen des ägyptischen Reichs im Kopf hatte. Potiphar scheint ein gutmütiger Koloss zu sein. Seine Unterhaltung mit Joseph im Palmengarten deutet darauf hin.



    Huij und Tuij, Potiphars Eltern, sind ja Geschwister und dieser Inzest (wenigstens nach heutigen Massstäben)


    Dieses wichtige Detail war mir entgangen. Danke, dass Du mich darauf aufmerksam machst.


    Viele Grüße


    Tom

    Liebe Gralsfreunde,


    die dritte Welle des Westdeutschen Rundfunks bringt am Ostermontag ab 18 Uhr eine knapp zweistündige Sendung über die Gralsdichtungen (Chrétien de Troyes und Wolfram von Eschenbach). Untermalt wird das alles mit alter Musik (Gott sei Dank nicht mit Wagner!). Ich finde, das klingt ganz interessant.


    Hier der Link: http://www.wdr3.de/vesper/deta…tter-und-der-dichter.html


    Kleiner Tipp: Einfach den WDR-Radiorecorder downloaden, die Sendung aufnehmen und anhören, wenn einem danach ist. Funktioniert einwandfrei.


    So long


    Tom

    Interessante Fragen!



    Ich möchte trotzdem noch einmal gerne das Thema eröffnen, was uns, moderne Menschen, denn heute so an Fontane fasziniert: Ist es, provozierend gefragt, der Reiz einer "gala-"ähnlichen Adelsgesellschaft, also das Interesse am Leben der oberen Zehntausend des 19. Jahrhunderts?


    Das glaube ich nicht, denn dieses Bedürfnis wird eher durch "Sissi" o.ä. Filme befriedigt. Ist denn die preußische Adelsgesellschaft bei Fontane wirklich so glamourös? Ich habe sie als eher nüchterne Protestanten/Calvinisten in Erinnerung.



    Oder gar die konservative Erinnerung an ein "geordnetes" Leben mit dem jeweiligen "Oben" und "Unten".


    Fontane-Menschen leben nach Werten oder Kodizes, unabhängig von deren Sinngehalt. Das kann konservative Menschen sicher auch heute noch ansprechen.



    Immerhin stellt uns Fontane Figuren in sympathischer Weise vor Augen, die der Geschichtsunterricht der Schule doch immer als verachtenswert hingestellt hatte ...


    Diese Art der Darstellung "schuldet" der demokratische Staat seinen Bürgern. Ohne irgendwelche Sympathien für Preußens Glanz und Gloria zu empfinden, habe ich diese Einseitigkeit bedauern gelernt - nicht zuletzt dank Fontanes "Stechlin", den ich wirklich mag und der uns ein differenziertes Bild des damaligen Landadels vermittelt.



    Was fasziniert uns aber so an Fontane?


    Mich persönlich interessieren die Menschen Fontanes und eine Zeit, deren Kolorit irgendwo zwischen reaktionär/imperialistisch/chauvinistisch und humanistisch/fortschrittlich angesiedelt ist.


    Viele Grüße


    Tom


    Noch eine Bemerkung zur Geschichte selbst, unabhängig von der Übertragung. Hier wird über weite Strecken akribisch geschildert, wie hirnlose, rohe Haufen von Landsknechttypen aufeinander einstürmen und sich gegenseitig massakrieren. Ich bezweifle, dass dir die Schilderung zusagt.


    Nun ja, die Geschichte ist mir hinlänglich bekannt durch meine Schwab-Lektüre. Das kann mich also nicht schrecken. Trotzdem vielen Dank für die Warnung.


    Viele Grüße


    Tom


    Erster Eindruck von R. Schrotts Übersetzung der Ilias: Lebendig, sehr lebendig. ... Kein Schrott!


    Vielen Dank! Das reicht mir vorerst, um diese Übersetzung auf die watch list zu setzen.


    Viele Grüße


    Tom


    Schostakowitsch soll versteckte Botschaften in seine Symphonien eingebaut haben, z.B. gegen Stalin usw.


    Das, lieber mombour, stelle ich mir äußerst schwierig vor ... :zwinker:


    Ansonsten möchte ich diese Diskussion über die postbeethovensche Symphonie nicht fortsetzen. Ich respektiere Eure Begeisterung ohne sie zu teilen.

    Es grüßt


    Tom

    Dank des gestrigen Regentages konnte ich einen Einblick nehmen in die Verhältnisse des Hauses Potiphar, Josephs neuem Dienstherrn. Unser Held begreift sehr schnell, dass die Stellung seines Herrn am Hofe Pharaos formal eine enorme Machtfülle darstellt, die aber kaum mit Inhalt gefüllt ist. So ist Potiphar zwar u.a. oberster Scharfrichter des Reichs, übt dieses Amt aber nicht eigenhändig aus, sondern lässt untergeordnete „Fachkräfte“ dieses schmutzige Handwerk erledigen.


    Auch erfahren wir, dass Potiphar von den Eltern (den Greisen Huij und Tuij) schon im Kindesalter auf seine Rolle als „Höfling des Lichts“ systematisch vorbereitet wurde. Wenn ich das von Joseph belauschte Gespräch zwischen Huij und Tuij richtig deute, dann gehörte die Kastration Potiphars zu den „Unannehmlichkeiten“, die der angehende Höfling auf sich nehmen musste (oder wie lest Ihr den „kleinen Schnitzer“ sowie die Kinderlosigkeit der Ehe Potiphars mit Mut-em-enet?).


    „Hohle Würde“ nennt Joseph die Verhältnisse im Hause Potiphar und bezeichnet damit das Selbstverständnis einer Elite, die sich auf das Repräsentieren (bzw. auf die Inkarnation der mythologischen Gesellschaftsfundamente) beschränkt und die Regierungsgeschäfte von einem Beamtenapparat erledigen lässt, dessen Loyalität für sie überlebenswichtig ist. Mir fiel auf, dass Thomas Mann in seinem Roman „Königliche Hoheit“ früher schon diese künstliche Identität eines Würdenträgers aufgegriffen hat und sie nun genüsslich auf die dekadente ägyptische Zivilisation überträgt.


    Joseph jedenfalls hat all das schnell durchschaut. Er ist entschlossen, seine Kenntnisse zu nutzen, um seinen persönlichen Aufstieg zu forcieren. Denn nach wie vor ist er davon überzeugt, dass Gott noch viel mit ihm vorhat.


    Viele Grüße


    Tom


    ... das Dortmunder Konzerthaus hat sich inzwischen dank seiner hervorragenden Akustik und des begeisterten Publikums zu einem der großen Konzerthäuser Deutschlands entwickelt, mit dem Orchesterzentrum Westfalen und der Chorakademie direkt nebenan.


    Ja, davon lese und höre ich gelegentlich. Ich meide dieses Haus aus Gründen, die nicht hierher gehören.



    Und willst du wirklich ohne Schubert, Schuhmann, Mendelssohn und Brahms auskommen ...


    Ja, zumindest ohne deren Symphonien. Die von dir genannten Komponisten haben mit Ausnahme Mendelssohns ihre Stärken gerade nicht auf dem Gebiet der Großorchestermusik.



    Entschuldige, aber solche "nachgeplapperten" Äußerungen ärgern mich. Es gibt mindestens genauso viele Kenner der Materie, die die nachbeethovenschen Sinfonien durchaus zu schätzen wissen.


    Wer "plappert" denn hier?


    Es grüßt


    Tom