Februar 2010: Th. Mann: Die Geschichten Jaakobs (Joseph I)


  • Warum wolltest du den Zuklus so schnell wie möglich vergessen? Oder besser, weshalb liest du ihn dann überhaupt erst? Ich weiß, das geht mich nichts an, neugierig bin allerdings trotzdem.


    Die Fragen halte ich durchaus für zulässig.


    Die Josephromane hatte ich mir seit einiger Zeit vorgenommen (ich mag weit ausgebreitete Epen). Die Leserunde war dann der Impuls es zu wagen und nach dem ersten Band kam noch falscher Ehrgeiz hinzu.
    Thomas Manns Version sagt mir nicht mehr, als die Version die ich in der Bibel las. Das liegt sicher auch daran, dass mich Theologie, Metaphysik und Mystik überhaupt nicht interessieren, deren Erörterung in den Romanen für mich zu viel Raum einnimmt. Dann gibt es noch eine Jugendreliquie, nämlich "Sinuhe der Ägypter" und dieses Buch habe ich so spannend in Erinnerung, dass ich Manns Schilderungen dagegen als langweilig empfinde.
    Also Schwamm drüber.

  • "Sinuhe der Ägypter"? Von wem ist das? Weil bei mir ist es eigentlich ganz umgekehrt. Durch Thomas Mann wurde bei mir das Interesse geweckt, auch endlich einmal die Bibel zu lesen. Das geht allerdings wirklich nur Häppchenweise. Zumindest, was das alte Testament betrifft. Aber den diesbezüglichen Anreiz erhielt ich eben durch die Josephromane. Liest du es nun zu Ende? Weil, insgesamt fand ich es von Band zu Band unterhaltsamer. Ich erinnere mich an eine Stelle, als Joseph beim Pharao vorsprechen soll, und einem dessen Diener, den Joseph bereits kannte, so übertrieben kratzbucklerisch seine Aufwartung macht, dass ich um ein herzliches Lachen nicht umhin kam. Aber die Geschmäcker sind verschieden. Mich hat es aber wirklich sehr gut unterhalten.


    Freundliche Grüße
    F. Hermann


  • "Sinuhe der Ägypter"? Von wem ist das?
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    Liest du es nun zu Ende? Weil, insgesamt fand ich es von Band zu Band unterhaltsamer. Ich erinnere mich an eine Stelle, als Joseph beim Pharao vorsprechen soll, und einem dessen Diener, den Joseph bereits kannte, so übertrieben kratzbucklerisch seine Aufwartung macht, dass ich um ein herzliches Lachen nicht umhin kam. Aber die Geschmäcker sind verschieden. Mich hat es aber wirklich sehr gut unterhalten.


    Die Josephromane habe ich durch. Es gibt einige Kapitel, die ich auch sehr anregend finde. Zum Beispiel die Verkaufsverhandlung in Ägypten.


    "Sinuhe der Ägypter" wurde von Mika Waltari, einem finnischen Autor, geschrieben.

  • Nur eine kurze Wasserstandsmeldung:


    Ich habe die Geschichte von Josephs Versuchung durch Potiphars Ehefrau Mut-em-enet angefangen. Thomas Mann gibt sich viel Mühe, dieser in der Bibel als verachtungswürdige Verführererin geschilderten Person gerecht zu werden. Mal sehen, was noch kommt, aber soviel glaube ich riskieren zu können: Mit Mut-em-enet hat Thomas Mann der berühmten Frauenfigur Clawdia Chauchat ("Der Zauberberg") eine würdige Schwester verliehen. Das Thema "Thomas Mann und die Frauen (in seinem Leben und in seinen Werken)" scheint ohnehin sehr interessant zu sein. Leider fehlt mir die Zeit, neben der Primärlektüre Sekundäres (Biografien o.ä.) zu lesen.


    Es grüßt


    Tom

  • Jetzt könnte ich aber mit mir selber hadern, dass ich seinerzeit den Zauberberg nicht zu Ende gelesen habe :grmpf:. Irgendwie fesselte er mich damals nicht ganz so sehr wie seinerzeit die Buddenbroks. Ich komme darauf, weil mir beim Thema Frauenfiguren und Thomas Mann diese "Tony" als sehr positive Gestalt noch in so guter Erinnerung ist, die trotz einiger "unglücklicher Vermählungen" immer ihren Stolz, ihre Großherzigkeit und die Liebe zu ihrer Familie bewahrte. Ich bin auch immer wieder erstaunt über den Sprachstil, der bereits den früheren Werken Thomas Manns eigen war. Aber das gehört vielleicht alles eher in einen allgemeinen Thomas Mann Ordner. Trotz alledem...


    Freundliche Grüße
    F. Hermann


  • Für mich trotzdem erstaunlich dass Joseph nicht gleich hingerichtet wurde, immerhin musste es für die Hausbediensteten wie versuchte Vergewaltigung aussehen, was sicherlich damals kein Kavaliersdelikt gewesen ist.


    Als der Zwerg Dûdu seinem Herrn einflüstert, was sich da hinter seinem Rücken zwischen Joseph und Mut-em-enet abspielt, ja, dass die beiden sogar ein Mordkomplott gegen ihn planen, war ich über Potiphars Nicht-Reaktion sehr überrascht. Er verprügelt zwar den intriganten Zwerg (was ich sehr genossen habe :smile:), aber ansonsten unternimmt er rein gar nichts, jedenfalls lesen wir nichts davon. Erst als die Angelegenheit solche Ausmassen angenommen hat, dass sie sich nicht mehr leugnen oder verdrängen lassen, ist er bereit ein Strafgericht zu halten. Und fällt ein Urteil über Joseph, dass Angesichts der Schwere der Beschuldigungen nur als milde bezeichnet werden kann. Die Bestrafung scheint "nur dem Streben nach Erhalt des gesellschaftlichen Status geschuldet", wie Lost richtig angemerkt hat. Aber wieso?


    Potiphar wurde ja schon als Knabe von seinen Eltern ungefragt zum Eunuchentum verurteil, trotzdem ist er verheiratet. Er weiss, dass es da einige natürliche Dinge gibt, die er Mut-em-enet niemals bieten werden kann. Könnte das nicht zu einer gewissen Nachsicht führen, wenn er jetzt sieht, dass seine Gemahlin zur Befriedigung ihrer rechtmässigen Wünsche als Frau sich anderweitig umsieht?


    Dass die Hauptinitiative bei Mut-em-enet und nicht bei Joseph liegt scheint er zu vermuten, warum ansonsten sein so mildes Urteil gegenüber Joseph? Und dass er Mut nicht bestrafen kann und will liegt auf der Hand, schliesslich ist er ja schuld an ihrem Verhalten, auch wenn er nichts dafür kann. Bezeichnend fand ich es jedenfalls, dass er mit ungewohnter Strenge darauf bestand, dass seine alten Eltern dem Prozess beiwohnen, obwohl sie sich anfänglich dagegen sträuben. So als wolle er ihnen damit zeigen, seht her, was ihr mir mit eurem selbstsüchtigen Verhalten angerichtet habt.


    Gruss


    riff-raff


  • Auch Pharaos Sohn, der spätere Echnaton, taucht auf. Joseph weiß sofort, dass er sich auf den künftigen Machthaber konzentrieren muss, wenn er sein weiteres Fortkommen befördern will. Er ist nach wie vor davon überzeugt, im Auftrag Gottes dem "Höchsten" zustreben zu müssen - was für ein Sendungsbewußtsein!


    Joseph ist gewillt, ganz nach oben zu gelangen. Schon als die midianitischen Kaufleute in gen Ägypten führen, hat er beschlossen, "dass, gehe man schon gen Westen, man wenigstens der Erste werden müsse der Dortigen". In seinen Träumen hat ihm Gott schon früh zu verstehen gegeben, dass sich grosse Dinge in seinem Leben erfüllen werden. "Von selbst indessen würden sie es nicht tun, - man musste nachhelfen." Und so entwickelt Joseph einen regelrechten Ehrgeiz, die Karriereleiter so schnell und so hoch zu erklimmen, wie irgendmöglich. Sein Bestreben ist aber nicht so selbstsüchtig, wie man meinen könnte, sondern hängt eng mit seiner Gottesvorstellung zusammen: Je weiter er es im Leben bringt, je mehr Ruhm und Ansehen er erlangt, desto grösser und mächtiger der Gott, der ihm solches prophezeite. Das eine bedingt das andere und umgekehrt. Deshalb heisst es auch im Text, dass "Ehrgeiz" nicht das rechte Wort für Josephs Ambitionen sei, "denn es ist Ehrgeiz für Gott, und der verdient frömmere Namen".


    Kleiner Einschub: Mich hat das an die theologische Bewegung des Calvinismus erinnert, wo wirtschaftlicher Erfolg im Leben als augenfälliges Zeichen dafür gilt, wie sehr Gott einen liebt und bevorzugt, oder eben nicht. Eine für die Ökonomie eines Landes sicherlich äusserst förderliche Einstellung, ansonsten aber mehr als bedenklich, wie ich finde.


    Josephs Drang nach oben und an die Spitze zieht noch eine andere Charaktereigenheit nach sich. Abraham war es ja, der für sich entschied, dass, wenn er sich einem Gott beugen müsse, es nur der Höchste sein solle. Bei Joseph aber scheinen sich oben und unten, göttliche und weltliche Autorität seltsam zu vermischen und eins zu werden. Schon für den Joseph-Jüngling war das Bild, das er sich von seinem Vater Jaakob und von Gott machte, beinahe deckungsgleich. Deshalb sind auch seine schonende Dienertreue und Ergebenheit gegenüber Potiphar (später auch gegenüber dem Pharao) nicht bloss Mittel zum Zweck oder wohlkalkulierte Taktik, sondern Gefühle, die ihm nur allzu natürlich fallen:


    Vor allem war der Ägypter sein Herr, dem er verkauft war, der Höchste in nächster Runde; und die Idee des Herrn und Höchsten schloss für Joseph von Natur und von Alters ein Element liebesdienstlicher Schonung ein.


    Josephs Verhältnis zum "Herrn des Himmels" (Gott), heisst es weiter, habe "in einem gewissen Grade auf das zum Herrn der Feuerräder" (Potiphar) abgefärbt. Eine Unzulässigkeit, die Abraham wohl in den schärfsten Worten getadelt haben würde.


    Gruss


    riff-raff


  • Mich hat das an die theologische Bewegung des Calvinismus erinnert, wo wirtschaftlicher Erfolg im Leben als augenfälliges Zeichen dafür gilt, wie sehr Gott einen liebt und bevorzugt, oder eben nicht.


    Ja, riff-raff, das ist die berühmte Prädestinationslehre des Calvinismus. Max Weber hat das vor über 100 Jahren in einem äußerst lesenswerten Buch (dessen Titel mir gerade nicht einfallen will) analysiert. Er bringt den Calvinismus direkt in Zusammenhang mit dem frühneuzeitlichen Aufstieg protestantisch-calvinistischer Länder wie bspw. den Niederlanden und England, wo es die Puritaner-Bewegung gab (vgl. die aktuelle Milton-Leserunde).


    Ob Thomas Mann derartiges im Sinn hatte, als er die Joseph-Figur entwarf, ist schwer zu beurteilen, zumal mir über seine religiöse Ausrichtung so gut wie nichts bekannt ist. Da er aus dem protestantischen Norden stammt und Sohn eines Kaufmanns war, liegt es jedoch nahe, dass er mit calvinistisch geprägten Ideen vertraut war. Ich meine mich zu erinnern, dass Teile der Buddenbrook-Familie fromme Protestanten waren, wenn auch nicht unbedingt Calvinisten.


    Joseph vergleicht seine Berufung zum Höchsten oft mit dem vergleichbaren Streben seines Urahnen Abraham. Für mich gibt es jedoch einen fundamentalen Unterschied zwischen den beiden: Joseph ist ein Hedonist und Narzisst, mehr ein Schöngeist als ein grübelnder, sich mit theologischen Fragen plagender Sinnsucher. Ihm ist bewusst, dass sein hübsches Äußeres auf die Menschen wirkt, und deshalb freut es ihn auch so sehr, dass er von Potiphars Frau wahrgenommen wird (um mal wieder auf meinen derzeitigen Lesestand zurück zu kommen). Ein Bewußtsein für die Gefahren, die sich aus dieser Entwicklung ergeben, fehlt ihm. Joseph mag einen gewissen Weitblick, meinetwegen auch eine "Vision" haben, versagt jedoch aus Gefallsucht erneut bei der Einschätzung aktueller Risiken.


    Viele Grüße


    Tom

  • Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus :winken:


    Ja, genau das ist es, danke. Ich werde langsam alt und vergesslich ... :redface:


    Meine Lektüre stagniert leider im Augenblick. Daher an dieser Stelle zunächst einmal nichts Neues.


    LG


    Tom

  • Ich komme langsam, aber stetig voran.


    Das Verhängnis zwischen Joseph und Mut-em-enet nimmt seinen Lauf. Bemerkenswert fand ich die Passage, in der Thomas Mann beschreibt, wie Potiphars Gattin den geliebten Joseph in einen Gott ähnlichen Status erhebt, um in „seiner Vergöttlichung die Erniedrigungsgefühle“ aufzuheben, die „sonst von ihrer Schwäche für den Fremdsklaven untrennbar gewesen wären“. So beschließt sie, in Joseph „einen niedergestiegenen Gott in Knechtgestalt zu sehen, ein Wesen, von dem Glück und Elend abhängig sind.“ Auch ohne Worte versteht die sensible Frau, dass es mit Joseph eine besondere Bewandnis hat, das er, ähnlich wie die ägyptische Elite, von der „Beschattung Sterblicher durch den Gott“ profitiert. Das düstere Geraune Potiphars über Josephs „Geweihtheit und Aufgespartheit“ (ein schönes Wort!) ergänzt ihre zwiespältigen Gefühle um den Faktor Angst.


    Ich finde die Beschreibung der Liebesqualen aus der Sicht Mut-em-enets sehr gelungen.


    LG


    Tom

  • Von einem Lektor des S. Fischer Verlags erfuhr ich, dass die beiden ersten Joseph Romane im Rahmen der GkFA in den nächsten zwei Jahren erscheinen sollten. Der Text- und Kommentarstatus sei schon sehr gut. Da einer der Herausgeber und Gegenleser, Hermann Kurzke dazu kräftig nickte, scheint die Aussage kein reines Wunschdenken zu sein. Vielleicht werde ich mich dann, mit Unterstützung des Kommentars, wenigstens partiell noch Mal mit diesem Roman beschäftigen.


  • Von einem Lektor des S. Fischer Verlags erfuhr ich, dass die beiden ersten Joseph Romane im Rahmen der GkFA in den nächsten zwei Jahren erscheinen sollten.


    Mit kommentierten Ausgaben ist das so eine Sache ...


    Einerseits mag ich es, den Verästelungen im Anhang nachzuspüren. Bei Proust habe ich das zumindest intensiv getan und genossen.


    Andererseits hemmt das u.U. den Lesefluss, zumindest, wenn man so wie ich gestrickt ist und Fußnoten sofort liest.


    Die Joseph-Romane habe ich mir bislang ganz gut ohne Kommentar erklären und erschließen können. Und wenn mal nichts mehr ging, habe ich das Thomas Mann-Figurenlexikon im Internet konsultiert - was nicht immer, aber manchmal hilft (zumal es nicht strikt auf die Romanfiguren beschränkt ist, sondern auch Erklärungen zu religiösen Namen und Göttern bereit hält).


    Trotzdem ist natürlich die GKFA mit Sicherheit ein interessanter Quell der Weisheit. Wenn sie nur nicht so teuer wäre ... (die kommentierte Faustus-Ausgabe habe ich mir aus eben diesem Grund geknickt).


    So long


    Tom

  • An den Romanen interessiert mich nur noch welche konkreten Ereignisse und Erlebnisse T.M. verarbeitet hat, und da erwarte ich vom Kommentar Aufschluss. Die Preise schrecken zunächst tatsächlich ab.Ich hatte auch vor zu fragen, ob sich so ein gewaltiges Projekt wie die GkFA für einen Verlag überhaupt wirtschaftlich rechnet, habe es dann allerdings, wegen des Bemühens der Veranstalter die Diskussion zu beenden, nicht mehr getan. Es wäre sowieso ein Massaker geworden, nachdem das historische Umfeld der "Betrachtungen eines Unpolitischen" in den Vordergrund der Diskussion rückte.


    Hermann Kurzke, einer der Herausgeber und Kommentator der Betrachtungen, gab sich übrigens nicht theologisch, sondern ansatzweise eher deutschnational.


  • Ich finde die Beschreibung der Liebesqualen aus der Sicht Mut-em-enets sehr gelungen.


    Da stimme ich dir völlig zu :winken:


    Amüsant fand ich die Stelle, als Mut-em-enet dem Hohepriester Beknechons beichtet, wie hartnäckig Joseph sich ihren Liebesumstrickungen entwindet, weil er unbedingt seinem Gott treu bleiben will. Der "gewaltige Blankschädel" ist es ja gewöhnt, in grossen Dimensionen zu denken und da kann er gar nicht anders, als Josephs Verweigerung als einen Affront gegen Amun hochstpersönlich aufzufassen, dem ja auch Mut-em-enet geweiht ist. "Im Sinne der Sittenregel und der gesellschaftlichen Ordnung" und als persönlicher Freund Potiphars tadelt er zwar Muts sexuelles Begehren, aber als oberster Priester Amuns müsse er darauf drängen, dass Amuns Ehre gewahrt bleibe und der widerspenstige Ausländer ihm gefälligst seinen Tribut zolle. So müsse er es Mut "gebieterisch abverlangen, dass sie alles, auch das Äusserste, aufbiete, den Störrigen zur Unterwerfung zu bringen [...] und nötigenfalls sei der Säumige auf dem Wege zwanglicher Vorführung zur Willfährigkeit anzuhalten". Er fordert Mut also in aller Entschiedenheit zum Ehebruch auf, selbst wenn man Joseph mit Gewalt zum Geschlechtsverkehr zwingen müsse ...


    Aber als Joseph davon Wind kriegt verstärkt das seine Halsstarrigkeit bloss umso mehr und er findet sich "in seiner Ansicht bestärkt, dass dies eine Sache und Kraftprobe sei zwischen Amuns Grossmacht und Gott dem Herrn, und dass auf keinen Fall und um keinen Preis [...] der Herr, sein Gott, den Kürzeren dabei ziehen dürfe".


    Der Liebeskampf wird zu einem Wettstreit der Götter hochstilisiert. - Wenn das nicht ulkig ist ...


    Gruss


    riff-raff


  • ... Er fordert Mut also in aller Entschiedenheit zum Ehebruch auf, selbst wenn man Joseph mit Gewalt zum Geschlechtsverkehr zwingen müsse ...


    ... wohl wissend, dass der verhasste Emporkömmling über diese amour fou stürzen wird. Für mich ist diese Ermunterung ein Teil der Intrige, die Beknechons und Dudu gegen Joseph schmieden.


    Seit Goethes "Werther" und Brontes "Sturmhöhe" habe ich derartig intensive Schilderungen verzweifelter Leidenschaft nicht mehr gelesen. Ein Zitat Mut-em-enets möchte ich hervorheben: ... uns bleibt nichts, als die Niederlage zu zwein, ... du schöner Gott, mein Schwan ..., dass wir zusammen ersterben und untergehn in die Nacht verzweifelter Seligkeit!" Wenn das kein Rückfall in Wagnersche Schwüle ist (v.a. "Tristan und Isolde")! Aber TM war bekennender Wagner-Adept, also sei es ihm erlaubt, seinem Idol zu huldigen.


    Es grüßt


    Tom

  • Mittlerweile ist der vierte und letzte Band eingetroffen - Zeit für einige Gedanken zum Schluß des dritten Buchs.


    Weiter oben ist gefragt worden, warum Potiphar, dieser sanfte, kastrierte Riese, dem es nur darum gelegen ist, seine persönliche Ruhe zu bewahren und in "sanfter Schonung" (schöne Formulierung!) schöngeistigen und leiblichen Genüssen nachzugehen, warum dieser Vertraute des Pharao den angeschuldigten Joseph nicht einfach hinrichten ließ.


    Ich nehme an, dass Thomas Mann Potiphar mit weit mehr Sympathie gesehen und entworfen hat, als auf den ersten Blick deutlich wird. Denn die am Ende gefällten milden Urteile über Joseph und Dudu (in dem er zurecht den wahren Verderber der Ruhe seines Hauses sieht) sprechen für einen klaren Blick auf die tatsächlichen Verhältnisse. Er weiß insgeheim, dass seine Gattin Mut-em-enet Joseph nur aus Frustration beschuldigt, was er deutlich macht durch die kühl abweisende Behandlung, die er ihr zuteil werden lässt. Auch weiß er sehr genau um die Mitschuld seiner Eltern Huij und Tuij an der ganzen Katastrophe, weshalb er deren Anwesenheit bei Gericht zornig anordnet. Die Tatsache, dass er überhaupt ein Urteil gegen Joseph verhängt, ist allein der Tatsache geschuldet, dass er unmöglich seine Gattin der Lüge bezichtigen kann und wohl auch ein gewisses Verständnis für deren Begehren aufbringt.


    Was Mut-em-enet anbelangt, die unsere Geschichte jetzt wohl für immer verlassen wird, so bewegt sie sich ganz in der Mannschen Tradition der Figuren, deren Leben durch den Einbruch zerstörerischen Verlangens und unzügelbarer Leidenschaft ruiniert wird. Ich denke da vor allem an Gustav von Aschenbach ("Der Tod in Venedig") und den "Kleinen Herrn Friedemann" aus der gleichnamigen Novelle. Auch im "Doktor Faustus" wirkt diese Zerstörungskraft, wenn auch in eine ganz andere Richtung. Möglicherweise ist dieses unkontrollierbare Einbrechen der Emotionen in ein geordnetes Leben eines der Hauptthemen des Dichters, der selbst arg damit zu kämpfen hatte.


    Den dritten Joseph-Band habe ich mit viel Gewinn gelesen, was die beiden vorherigen Bände nicht schmälern soll. Auf den vierten Teil bin ich nun sehr gespannt.


    Es grüßt


    Tom


  • Ich finde die Beschreibung der Liebesqualen aus der Sicht Mut-em-enets sehr gelungen.


    Nach einiger Zeit warf die Frau seines Herrn ihren Blick auf Josef und sagte: Schlaf mit mir!


    So lakonisch und mundfaul äussert sich der Erzähler in der Bibel diesbezüglich. Ein einziger Satz, den Thomas Mann zu über hundert Seiten hat anschwellen lassen. Zu Recht, wie ich finde. Im ersten Band des Romans haben wir noch darüber diskutiert, wie schlecht die Frauenrollen bei Mann wegkommen, hier aber erleben wir ihn, wie er Mut-em-enet endlich jene Ehre und Würde wiedergibt, die ihr gebührt. - Zwar, so genau können wir das gar nicht wissen ... Vielleicht war ja Mut wirklich eine so liderliche Person, wie die Bibel andeutet, und hat Joseph tatsächlich so scham- und taktlos angebaggert. Angesichts ihrer sozialen Stellung aber und den überfeinerten ägyptischen Sitten halte ich das eher für ausgeschlossen und bin dankbar über Manns Korrektiv.


    Offen gestanden, erschrecken wir vor der abkürzenden Kargheit einer Berichterstattung, welche der bitteren Minuziosität des Lebens so wenig gerecht wird [...], und haben selten lebhafter das Unrecht empfungen, welches Abstutzung und Lakonismus der Wahrheit zufügen, als an dieser Stelle.


    Und so dauert es bei Mann drei Jahre (und mehrere Kapitel), drei Jahre in denen Mut verzweifelt ihrer Leidenschaft zu widerstehen versucht, ehe es zu obiger Szene kommt:


    Als sie das Wort schliesslich mit zerbissener Zunge flüsterte, kannte sie sich selbst nicht mehr; sie war weit ausser sich, aufgelöst von Leiden, ein Opfer der geisselschwingenden Rachlust unterer Mächte.


    Für einmal seien Mann seine Weitschweifigkeit und Detailversessenheit verziehen, sie bescheren uns einige der bewegendsten Passagen des Romans.


    Andererseits, wenn ich mir überlege, dass Mann die ganze Bibel so überarbeitet hätte ... :smile:


    Gruss


    riff-raff

  • Abgesehen von der göttlichen Vorhersehung, dem Segen von oben und unten, wie es so schön immer wieder heisst, sind es hauptsächlich zwei Eigenschaften, die Joseph im Leben den Weg ebnen und die ihm helfen, die Menschen für sich einzunehmen: sein gutes Aussehen und seine Redegewandtheit. Zweiters stufe ich höher ein. So beruht sein Aufstieg im Hause Potiphar einzig und allein auf einem Gespräch, dass er eines Abends mit dem Hausherrn im Garten führt. Joseph hat eigens auf so einen Augenblick gewartet und als er sich im endlich bietet, lässt er sich nicht lumpen. Böse Zungen mögen behaupten, er schmiere dem Hausherrn gehörig Honig ums Maul, aber ich finde es nicht verkehrt, wenn jemand seine Stärken kennt und sie auch nutzbringend einzusetzen vermag. Und Josephs Stärke ist nun mal sein Verstand gepaart mit einer betörenden Rhetorik.


    Es ist daher bezeichnend, dass er nach seinem Aufstieg zum Stellvertreter des Hausverwalter ganz allgemein als "Mont-kaws Mund" bezeichnet wird.


    Denn das war er nun schon seit Jahr und Tag, und auch sein Auge, sein Ohr oder seinen rechten Arm hätte man ihn nennen können. Die Leute des Hauses aber nannten ihn einfach den "Mund", denn das ist ägyptische Art und Ausdrucksweise, eines Herrn Bevollmächtigten, durch den die Befehle gehen, so zu nennen, und im Falle Josephs wurde ihnen die Gewohnheit aufgefrischt durch den Doppelsinn, den hier der Name gewann; denn der Jüngling sprach wie ein Gott, was höchst wünschenswert, ja ein Lachen und Hochgenuss ist bei den Kindern Ägyptens, und sie wussten wohl, dass er durch schöne und kluge Rede, wie sie sie nicht fertiggebracht hätten, seinen Weg gemacht oder ihn sich doch bereitet hatte beim Herrn und beim Meier Mont-kaw.


    Und nach dem Dahinscheiden des Alten wird Joseph gar zum "Mund des Hauses".


    Zuhause, bei seinen Schafe hütenden Brüdern, hätte er mit seiner Eloquenz wohl kaum gross punkten können. Aber hier, in dieser späten, schon etwas dekadenten ägyptischen Kultur stehen Manierismus und raffinierte Gespreiztheit hoch im Kurs. "Darum war ihm hier gleich als wie dem Fisch im Wasser", heisst es deshalb auch im Text.


    Der Erzähler macht sich sogar lustig darüber, wie leicht die Ägypter zu beeindrucken sind, so ...


    ... dass es für einen aufgelesenen Asiatenjungen nur einer gewissen Durchtriebenheit im Gutenachtsagen und in der Kunst bedurfte, aus null zwei zu machen, um eines ägyptischen Grossen Leibdiener und was nicht noch alles zu werden!


    Thomas Mann war ja selbst ein Sprachzauberer. Ob er aber auch mündlich so versiert war, dazu weiss ich zu wenig über ihn. Es soll ja nicht wenige Schriftsteller geben, die sich bloss auf dem Papier richtig auszudrücken wissen und privat eher wortkarg sind. Ich weiss bloss, dass Mann ein guter Vorleser war, vor allem auch seiner eigenen Werke.


    Gruss


    riff-raff

  • Ich bin auch noch dabei und habe mittlerweile die ersten Kapitel des 4. Buchs gelesen. Das Glück bleibt Joseph auch im Unglück bzw. im Gefängnis treu. Durch sein selbstbewusstes Auftreten und die "Geringfügigkeit" seiner Tat beeindruckt er den Amtmann der Gefängnisinsel, der als ruhiger und sachlicher Zeitgenosse geschildert wird. Statt Joseph zu harter Zwangsarbeit abzustellen, macht Mai-Sachme ihn zu seinem Adlatus. Ich bin übrigens nicht überrascht, dass Josephs Schicksal an einem Tiefpunkt erneut eine positive Wende erfährt.



    Abgesehen von der göttlichen Vorhersehung, dem Segen von oben und unten, wie es so schön immer wieder heisst, sind es hauptsächlich zwei Eigenschaften, die Joseph im Leben den Weg ebnen und die ihm helfen, die Menschen für sich einzunehmen: sein gutes Aussehen und seine Redegewandtheit. Zweiters stufe ich höher ein.
    riff-raff


    Zustimmung. Wie ist eigentlich Dein aktueller Lesestand?


    Viele Grüße


    Tom