Beiträge von Sir Thomas

    Die "Drei Erzählungen" habe ich mittlerweile beendet. Bleibenden Eindruck wird wohl nur "Ein schlichtes Gemüt" hinterlassen. "Hérodias" ist noch recht gelungen, die St. Julien-Legende hat mich hingegen arg gelangweilt. Das Nacherzählen mittelalterlicher Stoffe hat Thomas Mann eindeutig besser beherrscht ("Der Erwählte").


    Mittlerweile sind Flauberts Briefe eingetroffen. Schon nach wenigen Seiten kam ich aus dem Staunen nicht mehr heraus: Schon der siebzehnjährige Schüler Flaubert hatte nichts als Verachtung für seine mittelmäßigen und langweiligen Mitmenschen übrig!


    Das kann ja heiter werden ... :breitgrins:


    LG


    Tom

    Passend zum Wetter habe ich gestern "Schwüle Tage" gelesen - eine sehr stimmungsvolle und melancholische Sommergeschichte. Ich fühlte mich oft an Prousts "Combray" erinnert.



    Keyserling kann man uneingeschränkt empfehlen! Nicht nur, dass er, wie JMaria schrieb, seine Geschichten sehr sensibel psychologisch geschickt aufbaut, er malt auch wunderbare, impressionistische Bilder damit. Während Fontane immer auf einer realistischen Ebene bleibt, geht Keyserling einen Schritt weiter in Richtung Poesie.


    Ja, unbedingt! Wobei ich mit dem Etikett "Impressionismus" einige Schwierigkeiten habe, weil man mWn. einfach einen Begriff aus der bildenden Kunst auf die Literatur (und auf die Musik, z.B. Debussy) übertragen hat und von einer "Abgrenzung" gegenüber den realistisch-naturalistischen Strömungen spricht (so jedenfalls im wikipedia-Artikel über den literarischen Impressionismus).


    Wie dem auch sei: Schön ist es so oder so!


    LG


    Tom


    Was sagst du über Mathos Ende? Sein Todeskampf ist doch auf eine typische Flaubertsche Art und Weise beschrieben. Das hat mich schon in Madame Bovary so erstaunt und auch erschauern lassen. Aber im Grunde war das gesamte Buch eine Agonie ...


    Ja, Maria, das Ganze ist eine einzige Demontage der seit dem 18. Jahrhundert propagierten heroischen und edlen Antike. Flauberts "Helden" sterben einen erbärmlichen Tod, und selbst die siegreichen Karthager sind nach Kriegsende in ihrem Rachedurst so sehr degeneriert, dass keine Hoffnung auf eine friedliche Zukunft aufkommt. Die sich abzeichnende Diktatur Hamilkars und dessen unerschütterlicher Hass auf das Imperium Romanum haben den Keim des Untergangs in die karthagische Welt gepflanzt.


    Ein wenig rätselhaft bleibt bis zu ihrem plötzlichen Ende die einzige weibliche Hauptfigur: Salammbo. Matho ahnt schon sehr früh, dass diese karthagische Prinzessin seinen Untergang bedeuten wird. Trotzdem sperre ich mich gegen die stereotype Interpretation der femme fatale. Ich werde darüber noch ein wenig nachdenken.



    ich habe mir die Diogenes Übersetzung der L'Education sentimentale gekauft (Die Erziehung des Herzens) und werde demnächst damit weitermachen.


    Das ist eine gute Idee. Ich habe eine relativ schlaflose Nacht damit verbracht, Flauberts "Drei Erzählungen" zu lesen. Begonnen habe ich mit "Hérodias", was dazu führte, dass ich Oscar Wildes "Salomé" gleich im Anschluss lesen musste. Wildes Version gefällt mir eindeutig besser, was aber Flauberts Geschichte nicht schmälern soll.


    Viele Grüße und einen schönen Tag von


    Tom

    Hallo Maria,


    ich habe "Salammbo" beendet, inkl. dem recht ausführlichen Nachwort.


    Dort geht es u.a. um Flauberts Inspirationsquellen. In seinem Reisetagebuch notiert er: „Der erste Eindruck von Karnak ist der eines Palastes für Riesen; die steinernen Gitter, die sich noch an den Fenstern finden, sind gewaltigen Daseinformen angepaßt; wenn man durch diesen Wald von hohen Säulen geht, fragt man sich, ob da nicht ganze Menschen aufgetragen wurden, die wie Lerchen nebeneinander am Spieß steckten … In der Sphinx-Allee sieht man keinen einzigen Kopf mehr, alle Figuren sind enthauptet. Weiße Lämmergeier mit gelbem Schnabel umflattern einen Kadaver auf einem Erdhügel.“


    Zu den Ruinen von Baalbek heißt es: „Das ist eine historische Landschaft, wie meines Wissens noch kein Maler sie gemalt hat; … man sieht dort ungeheure zyklopische Steine … Die Trümmer scheinen tiefen Gedanken nachzuhängen. Olympischer Eindruck.“


    Flaubert sah "Salammbo" von Anfang an recht kritisch: „Was ich unternehme, ist unsinnig und wird wohl keinen Erfolg beim Publikum haben. Was soll's! Es gilt vor allem, für sich selbst zu schreiben. Dies ist die einzige Gelegneheit, es schön zu machen. .. Wenn ich einige edle Imaginationen zum Träumen bringe, so werde ich meine Zeit nicht vertan haben.“



    Weitere Auszüge aus dem Nachwort:


    „Die Republik Karthago ist der blinde Fleck auf der topographischen Karte heroischer Fabulation des Okzidents, der anti-mythische Ort an sich; aber gerade dies prädestiniert sie dazu, die Realisierungsstätte eines originellen poetischen Gestaltungswillens zu werden, der alle ästhetischen Klischees zu unterlaufen bemüht ist. ... Infolge der archäologischen Erschließung und einer ersten Woge des Kulturtourismus war der Vordere Orient längst zum exotischen Fluchtort der utilitaristischen Konsumästhetik des Zweiten Kaiserreichs verkommen.“


    „Der Stil, in dem die ungewöhnlichen Visionen Flauberts Gestalt annehmen, ist von einem ganz und gar antiheroischen Geist durchdrungen.“ Man kann „Salammbo als Angriff auf die Widernatürlichkeit der zeitgenössischen Herrschaftsideologie begreifen, welche sich im Medium überholter Heroismus-Konzepte zur Unterdrückerin der schöpferischen Natur des Menschen aufwirft.“


    Ich habe die Salammbo-Lektüre nicht bereut und werde mich nun mit den "Drei Erzählungen" aus Flauberts Spätwerk beschäftigen.


    Es grüßt


    Tom

    Warum ist es schön, dass jemand KEINEN Zugang zu einem Buch findet?


    Moin,


    ein Buch "trist" zu finden bedeutet nicht, keinen Zugang zu haben. Natürlich ist diese novembergraue Stimmung in "Madame Bovary" das eigentliche "Programm" Flauberts. Ich kann trotzdem nicht behaupten, dieses Buch gern gelesen zu haben und an die Sprache eines Prosagedichts kann ich mich auch nicht erinnern. Eine erneute Lektüre könnte daran etwas ändern, aber das hat Zeit.


    Viele Grüße


    Tom


    ... während unsere Befürchtung zum Überkandidelten neigt.


    Worauf stützt sich denn diese "Befürchtung"? Was hast Du von Flaubert gelesen? Oder hast Du einfach irgendwo irgendetwas aufgeschnappt, was diese, nennen wir es einmal Pauschal-Befürchtung, entstehen liess?


    Fragt sich


    Tom

    Hallo Maria,


    ich bin noch nicht ganz fertig, gedenke aber, den Roman in den nächsten Tagen abzuschließen.


    Vielen Dank für die Zitate aus Briefen und Tagebüchern.



    in meiner Ausgabe (Diogenes TB) gibt es noch einen Brief von Flaubert an seine Kritiker, darin nennt er u.a. seine Quellen, die er benutzte, um Karthago wieder auferstehen zu lassen. Das ist wirklich beeindruckend.


    In meiner Insel-Ausgabe ist dieser Brief leider nicht enthalten. Dafür werde ich mit einem umfangreichen Nachwort verwöhnt. Ich werde kurz berichten, falls dort interessante Aspekte auftauchen.


    Flaubert hat durch "Salammbo" eine andere Qualität für mich bekommen. Während ich "Madame Bovary" und "Lehrjahre des Gefühls" als präzise, wenn auch triste Studien über die bürgerliche Verlogenheit in Erinnerung habe (und dabei immer an Balzac, Stendhal und Zola denken musste), entdecke ich in dem Karthago-Roman eine Farbigkeit und einen "apokalytischen Sound", der manchmal fast ein wenig trivial anmutet. Aber das ist nicht schlimm angesichts der prächtigen "Rekonstruktion" einer Zivilisation, die sehr viel mit der bürgerlichen Epoche des 19. Jahrhunderts gemein zu haben scheint.



    In meinem Roman aus Karthago zum Beispiel will ich etwas Purpurnes machen. Das Übrige, die Figuren, die Intrige, ist dann nur ein Detail ...


    Die Figuren sind tatsächlich etwas hölzern geraten. Sie machen einen fremdbestimmten, von höheren Mächten getriebenen Eindruck. Einzige Ausnahme: Hamilkar. Ihn zeigt Flaubert als eiskalten und skrupellosen Machtmenschen, der den Götter-Hokuspokus seiner Mitmenschen verachtet und der stets auf seinen Vorteil bedacht ist. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Flaubert gerade in diese Figur seine Verachtung der bürgerlichen Zeitgenossen projizierte.


    Einen schönen Lesesonntag wünscht


    Tom

    Hallo Maria,



    ich habe diese ----->Reisetagebücher in 3 Bänden. (ISBN 3-378-00529-7)


    vielen Dank für den Hinweis.


    ...inbesondere geht das von den „Alten“ aus.


    Flauberts Verachtung gilt, wie schon in "Madame Bovary" und später in "Education sentimentale", dem Groß- und Besitzbürgertum. Die "Alten" Karthagos sind Vorläufer der verhassten Großbourgeoisie.



    wie weit bist du?


    Kapitel 7. Hamilkar hat seinen ersten Aufritt vor dem Großen Rat der Republik.


    Viele Grüße


    Tom


    Flaubert verbreitet eine gewaltbereite Atmosphäre ...


    Hallo Maria,


    ich stecke auch mitten in "Salammbo" und finde die Atmosphäre nicht nur gewalttätig, sondern nahezu sadistisch. Dieses Flaubertsche Phantasie-Karthago ist ein steinerner, gieriger Moloch - geschaffen, um die Völker ringsherum zu unterwerfen und auszubeuten. Die Karthager sind hinterlistige Kaufleute, die vor Betrug und anderen Schändlichkeiten nicht zurückschrecken. Flaubert entwirft ein wahrhaft grausiges Bild der orientalischen Antike und ich frage mich, aus welchen Quellen er seine Weisheiten nimmt.


    Maria, Du erwähntest Flauberts "Reise nach Karthago". Dieses Buch kann ich nicht finden. Ist es vielleicht ein Ausschnitt der "Reisen in den Orient"?


    Viele Grüße und einen guten Start in die Woche von


    Tom


    ... sozusagen als Parallellektüre zu Salammbô ...


    Hallo Maria,


    ich bin irritiert. Das klingt, als ob Du "Salammbo" angefangen hättest ... :rollen: Oder liest Du die "Reise nach Karthago" als Vorbereitung?


    Ein schönes Wochenende von


    Tom

    Im Juni beendet:


    Gabriel Garcia Márquez - Der Herbst des Patriarchen (schillernde Innenansicht einer fiktiven südamerikanischen Diktatur)


    Thomas Mann - Das Gesetz (eine schöne "Nachlese" zur Joseph-Geschichte)


    aktuell:


    Hermann Burger - Schilten (ein Landschullehrer rechnet ab; sarkastisch, skurril, makaber und morbid - sehr empfehlenswert! (Hier der Link zu einer Leserunde in einem Nachbarforum: http://litteratur.ch/SMF/index.php?topic=222.0


    Einen schönen Sommertag wünscht


    Tom


    Herman Bang


    Hallo Maria,


    von Bang kenne ich nur "Stuck" - und das bringe ich aus dem Gedächtnis weder mit den Themen noch dem Stil Keyserlings in Verbindung. Möglicherweise täusche ich mich aber auch (die Lektüre liegt sehr lang zurück).


    LG


    Tom