Beiträge von Sir Thomas


    Den darin zu findenden Pathos fand ich etwas ermüdend zu lesen.


    Ich habe "November" vor langer Zeit gelesen und als lässliche "Jugendsünde" abgetan. Ich zähle es mittlerweile nicht einmal auf, wenn ich mir die gelesenen (und noch zu lesenden) Flaubert-Werke vor Augen führe. Pathos und Kitsch scheinen mir treffende Charakterisierungen für den Erstling des später so kritisch mit sich selbst ins Gericht gehenden Flaubert zu sein. Aller Anfang ist eben schwer ...


    LG


    Tom


    Wo in der Wirklichkeit stehen die Vorbilder für diese beiden bei Stifter im Asperhof angesiedelten Möbel? Richtig - bei Stifter zu Hause ...


    Apropos Möbel: Stifter verwendet konsequent den Begriff "Geräte", was mich anfangs ein wenig irritiert hat. Ist dies ein gebräuchliches Wort in Österreich? Oder hat man früher überall "Geräte" statt "Möbel" aufgestellt?

    Mitten im dritten Band äussert sich Risach zur Künstlerproblematik:
    “Der Künstler macht sein Werk, wie die Blume blüht, sie blüht, wenn sie auch in der Wüste ist und nie ein Auge auf sie fällt. Der wahre Künstler stellt sich die Frage gar nicht, ob sein Werk verstanden werden wird oder nicht. … Und sollte der Künstler das wirklich Schöne nicht für die Geweihten schön halten? … Es sind dies die Größten, welche ihrem Volk voran gehen und auf einer Höhe der Gefühle und Gedanken stehen, zu der sie ihre Welt erst durch ihre Gedanken führen müssen. Nach Jahrzehnten denkt und fühlt man wie jene Künstler, und man begreift nicht, wie sie konnten mißverstanden werden. Man hat durch diese Künstler erst so denken und fühlen gelernt.”


    Für mich wirft das folgende Fragen auf:
    Hat Stifter geahnt, dass sein „Nachsommer“ das Schicksal des über Jahrzehnte Unverstandenen teilt?
    Vermutlich nicht, denn er war wohl sehr enttäuscht über die ablehnende Aufnahme des Romans.


    Hat Stifter sich auch zu den Künstlern gezählt, die „das wirklich Schöne für die Geweihten schön halten“? Wahrscheinlich, denn wenn man bedenkt, dass in der Mitte des 19. Jahrhunderts die literarische Auseinandersetzung auf dem weiten Feld des Realismus stattfand, dann steht „Der Nachsommer“ mit seinen schöngeistigen Idealen und Ideen vollkommen außerhalb dieser Diskussion. Die beiden gesellschaftlichen Krankheiten des 19. Jahrhunderts, Beschleunigung und Ennui (das kleinbürgerliche Syndrom aus geistiger Versumpfung, diffuser Sehnsucht und gelebter Verantwortungslosigkeit), scheint Stifter zwar wahrgenommen, aber als das „Nicht-Schöne“ bewusst aus seinem Werk herausgehalten zu haben.


    Last but not least: Was haltet Ihr von einem derartigen Kunstverständnis? Anfangs hielt ich es für arg elitär, aber je länger ich darüber nachdenke, umso bereitwilliger möchte ich Stifter zustimmen.



    Das letzte Kapitel ist übrigens äußerst originell. Wer hätte gedacht wie sich das alles zusammenfügt. ( :breitgrins:)


    Der Schluss ist eigentlich nicht mehr als das Rondo nach einer anstrengenden Sonate. Wahrscheinlich bleibt alles, wie es ist, denn: „Werde wie Dein Vater!“ Was für eine Aufforderung zum Zementieren der Verhältnisse und zum Stillstand! Irgendwie erzreaktionär – wenn nicht diese außergewöhnliche Sprache und der ausgeprägte Hang zum Schönen wie ein ständig blauer Himmel über dem Roman läge.


    Fazit: Zwiespältig, aber gut.



    Um es mit eigenen Worten zu sagen: Heinrich mir grauts vor dir.


    :breitgrins: :breitgrins: :breitgrins:


    Ich bin trotz allem froh, den „Nachsommer“ gelesen zu haben. Vielleicht berichte ich im allgemeinen Stifter-Ordner über das Spätwerk „Nachkommenschaften“.


    Ladies & gentleman: Es war schön mit Euch.


    So long,


    Tom


    ... was Veredelung ist, weiß ich jetzt :smile:


    "Veredelung" ist in der Tat so etwas wie das Leitmotiv des Buchs; Veredelung durch Bildung und vor allem durch Kunst.



    Für mich ist der Nachsommer im Grunde genommen ein riesiges, sprachlich in höchstem Masse durchformtes Gedicht. Lyrik.


    Die Stiftersche Sprache verfügt über einen enormen Gestaltungswillen. Die Sätze sind einfach (nicht simpel) und schön; vieles klingt antiquiert, passt aber in die kultivierte Sphäre der Figuren.


    Der Germanist Wolfgang Matz hat es so formuliert: "Der “Nachsommer” nahm eine zentrale Idee der sprachverliebten Moderne vorweg: Ein Roman besteht nicht aus Wirklichkeit und aus wirklichen Dingen, er besteht aus Worten; sein Sinn liegt nicht in der Evozierung des Wirklichen, sondern in den Worten selbst. ... Stifter zeigt, dass das sprachliche Kunstwerk das einzige ist, welches das wahrhaft künstliche Paradies zu schaffen vermag. " (Quelle: W. Matz: 1857 - Flaubert, Baudelaire, Stifter, 2007). Das ist, wie ich finde, eine des Nachdenkens werte These.


    LG


    Tom


    Ich habe - weder im ersten noch im zweiten Teil des Faust - Mephistofeles eigentlich nie als asexuelles Wesen wahrgenommen.


    Unser kleines Faust-Geplänkel hat bei mir dazu geführt, das Werk auf die Wiederholungsliste des laufenden Jahres zu setzen. Mal sehen, ob die Jahrzehnte alten Sichtweisen ins Wanken geraten.


    Ich bin durch.
    Kein Fazit von mir, aus Respekt vor den Mitlesern. :winken:


    Och, wie schade ...


    Ich melde mich gehorsamst zurück - mit einigen Bemerkungen zum Thema "Natur". Bisher kannte ich von Stifter nur die frühe Erzählung "Der Hochwald". Da spielt die Natur eine Hauptrolle - und zwar nicht als Idylle, sondern als wilder, unzugänglicher Raum, in dem der Mensch verloren ist und der ihm manchmal sogar verschlossen bleibt.


    Wenig bis nichts dergleichen habe ich bislang im "Nachsommer" gespürt. Hier ist die Natur freundlich, sie kommt in sanft gewelllten Hügellandschaften daher, verschönert das Leben der Menschen (z.B. als Rosenwand) und ist ihnen grundsätzlich untergeordnet und dienlich (wie der Park des Rosenhauses). Meistens scheint die Sonne, das Klima ist angenehm und selbst im Winter scheint im "Nachsommer" niemand zu frieren.


    Mitten im zweiten Teil (übrigens mein aktueller Lesestand) schildert unser Erzähler eine Expedition ins Hochgebirge. Erstmals bricht der zum Teil bedrohlich wirkende Aspekt einer wilden, unkultivierten Landschaft mit nassen, endlos dunklen Tannenwäldern, Felsen und Eiskuppen hervor. Stellt sich die Frage, ob das etwas zu bedeuten hat ...


    Es grüßt


    Tom


    Man kann intellektuell sein und sexuell zur gleichen Zeit, oder?


    Ja. Ich verstehe "asexuell" nicht als zwingende Ergänzung zu "intellektuell", sondern als geschlechtsneutral. Deshalb ist die Besetzung der Mephisto-Rolle mit einer weiblichen Schauspielerin für mich in keinster Weise provozierend oder innovativ, sondern einfach nur eine interessante Variante.


    Aber ich möchte dann doch der Minderheit beipflichten, die im Theater nicht nur das Bemühen würdigt, den Vorstellungen der Dichter möglichst nahe zu kommen, sondern die der Vielschichtigkeit der Figuren und ihrer Wandlung in der Zeit nachspürt.


    Meinst Du wirklich, dass es sich dabei um eine Minderheit handelt? Mein (zugegeben subjektiver und gefühlter) Eindruck ist ein anderer, nämlich dass man den Modernisierern kaum entkommen kann, ob man möchte oder nicht.


    LG


    Tom


    Bitte berichtigt ev. Fehler ...


    Moin Hubert,


    sehr schöne Fleißarbeit! Offensichtliche Fehler habe ich nicht entdeckt.


    Es freut mich natürlich, wenn der Ruhrpott von einem "Externen" gelobt wird. Wenn wir selbst pro domo sprechen, hält man uns immer für ein wenig bekloppt ("Wie kann man da nur leben? Allein dieser Dauerstau und Lärm auf der A 40 ..."). Wir tragen es mit Fassung - wie der Träger eines T-Shirts mit der Aufschrift "Ruhr 2010 - woanders isses auch sch...e".


    LG


    Tom


    Mephisto ist eine Frauenrolle.


    Wenn man sich genau anschaut, wie ... M. Faust umgarnt und umschmeichelt, dann ist hier eine Frauengestalt nicht abwegig.


    Moin Lost,


    abwegig nicht, aber die Namensendung (Mephistopheles) deutet mWn. eher auf ein männliches "Konstrukt" hin (sonst hieße der Geist, der stets verneint, wohl Mephistophela).


    Andererseits scheint es mir, dass Mephisto als asexuelle, meinetwegen auch hermaphroditische oder geschlechtsneutrale Figur angelegt ist - weniger ein Individuum als vielmehr ein Prinzip, eben das Böse, die Versuchung o.ä.


    LG


    Tom


    Manchmal habe ich den Eindruck, dass das Ruhrgebiet, was die Dichte der Theater und Opernhäuser betrifft, Berlin oder Wien in nichts nachsteht. Kann das sein?


    Schon möglich, Hubert. Aber wir wollen bescheiden bleiben und daran erinnern, dass "Dichte" nicht alles ist und dass man Qualität oft mühsam suchen muss in dem Fünf-Millionen-Moloch zwischen Hamm und Duisburg.


    LG


    Tom


    Was treibt Stifter dazu, als Gegenwentwurf zur zeitgenössischen Literatur, wohl auch zur zeitgenösischen Kultur eine quasi konfuziansiche Kultur zu beschwören?


    Hi Lost,


    gute Frage! Denkbar sind folgende Möglichkeiten:


    Dieser (durch und durch utopische) Gegenentwurf soll den Zeitgenossen einen Spiegel vorhalten: Seht her, so könnte die Welt funktionieren, aber wir haben alle Chancen verspielt, Revolutionen vergeigt und eine Verflachung des geistigen Lebens zugunsten einer Überbetonung ökonomischer Interessen zugelassen.


    Das halte ich für etwas zu kurz gesprungen, daher bevorzuge ich folgende Erklärung:


    Stifter war gewiss nicht naiv. Seine Rosenhausidylle war ihm möglicherweise selbst nicht geheuer, d.h. er hat vielleicht an all die schönen Bildungsideale und -theorien keinesfalls geglaubt und gibt diese schwärmerischen Gedanken (die mWn. dem Idealismus entsprungen sind) angesichts der traurigen gesellschaftlichen und politischen Realität indirekt der Lächerlichkeit preis.


    Du nennst es


    ... Hymnen auf ... intellektuelle Speichellecker ...


    Schöne, wenn auch arg überspitzte Formulierung! Anti-Hymne wäre aber wohl der angemessenere Ausdruck ...


    LG


    Tom

    Nach etwas mehr als der Hälfte des Romans stellt sich eine gewisse Ratlosigkeit ein. Wenn Stifter mit mindestens einem Auge in Richtung Goethes “Wilhelm Meister” schielte und den “Nachsommer” als sog. Entwicklungsroman angelegt hat (wenn er ihn auch nicht so bezeichnet hat), so fragt sich der geneigte Leser mittlerweile, ob sich der Erzähler wirklich “entwickelt”, oder ob das, was er angeblich an Erkenntnissen und Erweiterungen erfährt (z.B. Kunstverständnis), nicht ohnehin in ihm vorhanden war und lediglich durch zufällige Eindrücke (wie z.B. den der Marmorstatue) geweckt werden musste.


    Alle Erklärungen, die der Gastgeber dem Erzähler gewährt, sind ausführliche Belehrungen im Nachhinein – und das auch noch mit der Begründung, man habe halt warten wollen, bis der junge Mensch sensibel und offen für ein ganz bestimmtes Thema sei. Mit anderen Worten: Der Erzähler lernt nur von Dingen, die er bereits weiß (aus der häuslich-elterlichen Atmosphäre), greift zu Büchern, die er bereits kennt und widmet sich immer wieder den Kunstwerken, die er schon mehrfach bestaunt hat und wird – Kulminationspunkt seiner Bildung - anschließend einer extrem konservativen “Gehirnwäsche” über die Kunst der alten Meister oder des naturgerechten Gärtnerns unterzogen. Hat Stifter das beabsichtigt? Was will er uns eigentlich vor Augen führen?


    Was für ein seltsames Buch! Faszinierend – und irritierend ...


    Diese total vergeistigten Figuren ... sie bleiben mir in Allem fremd, Aliens.


    Natürlich sind uns diese Menschen, deren Gefühle und Empfindungen in edel knisterndes Seidenpapier eingewickelt sind und die sich gegenseitig mimosenhaft schonen zutiefst fremd. Ich glaube aber, dass Stifter für uns noch etwas bereithält und dass unter der Oberfläche des schönen Scheins der eine oder andere Abgrund sich öffnen wird.


    LG


    Tom

    Stifters Kunstverständnis und -ästhetik


    Obwohl der sog. „Gastfreund“ das geschriebene Wort der Dichter in einem seiner langen Monologe als die höchste aller Künste preist und verehrt (und damit sicher die Meinung des Autors wiedergibt), verwendet er später ein Werk der bildenden Kunst, um seine ästhetischen Ansichten zu erläutern – und zwar die griechische Marmorstatue.


    «Das ist eben das Wesen der besten Werke der alten Kunst, und ich glaube, das ist das Wesen der höchsten Kunst überhaupt, dass man keine einzelnen Theile oder einzelnen Absichten findet, von denen man sagen kann, das ist das schönste, sondern das Ganze ist schön, von dem Ganzen möchte man sagen, es ist das schönste; die Theile sind blos natürlich.» Darin scheint mir so etwas wie des Pudels Kern zu liegen. In diesem Sinne hat Stifter vielleicht auch den „Nachsommer“ als Werk konzipiert, dessen Einzelteile nur in der Gesamtschau zur Wirkung gelangen.


    Mir ist übrigens aufgefallen, dass die Werke der griechischen Antike als Ausdruck heiterster Gemütsverfassung interpretiert werden. Hier fällt Stifter weit zurück in die Zeiten Winckelmanns, Schillers und Goethes. Auch wenn Nietzsches „Geburt der Tragödie ...“ erst 15 Jahre nach dem „Nachsommer“ erschien: War die Sichtweise der griechischen Antike („glücklich, unbefangen und heiter“) zu Stifters Zeiten nicht längst einer realistischen Betrachtung gewichen? Ich bin nicht sicher und wüsste auch nicht, wo man das einmal nachschlagen könnte.


    LG


    Tom


    Billige Laienpyschologie. Da hat einer zu viel Freud gelesen.


    Ich kann dieses Psychologisieren auch nur schwer bis garnicht ertragen. Wenn ich bedenke, wie viel Stuss in der Sekundärliteratur zu Kafka verfasst wurde, sollten wir Stifter vielleicht ein wenig verschonen ... :zwinker:


    Ich bin mittlerweile tief in den zweiten Band vorgestossen. Die Betrachtungen und Reflektionen über Literatur und Kunst gefallen mir ausgesprochen gut - jedenfalls besser als die naturwisschenschaftlichen Gedanken des ersten Bands. Ich muss meine Eindrücke noch ein wenig sortieren und komme ggf. später darauf zurück.


    Viele Grüße


    Tom

    Moderne Operninszenierungen sind manchmal hart an der Grenze dessen angesiedelt, was ich als originell oder geschmackvoll empfinde. Die jetzt letzmalig in Dortmund gespielte Gluck-Oper „Orpheus“ ließ diesbezüglich Schlimmes ahnen. Schon allein die Verkürzung des Originaltitels (Orpheus ed Eurydike) klang wie eine unausgesprochene Drohung und nach Solisten, die auf Leitern, Baugerüsten oder Ähnlichem herumturnen müssen.


    Ich war deshalb positiv überrascht, wie frisch und schnörkellos die Inszenierung des Spiels an der Grenze zwischen Leben und Tod angegangen wurde. Im Mittelpunkt der Bühne stand der Chor, die Solisten kreisten auf einer leicht erhöhten elliptischen Bahn um das Chorgeschehen und schlugen sich sehr tapfer. Orpheus und Eurydike entsprachen den Erwartungen, die Interpretation Amors hingegen war eine Überraschung: Mal als strenger Hohepriester, dann als seltsames Vogelwesen gekleidet, hatte sein Spiel etwas Dämonisches und Beunruhigendes. Die wenigen Auftritte, die Gluck ihm zusprach, hat der Dortmunder Amor jedenfalls optimal genutzt.


    So macht Oper Spaß!


    Eine schöne Woche wünscht


    Tom