Ich würde vermuten, dass unsere Empfindungsfähigkeit gegenüber Musik sich aus dem Sprachsystem weiterentwickelt hat. Wir können ja in unserer sprachlichen Kommunikation jenseits des sachlichen (d.h. durch die Worte an sich ausgedrückten) Inhalts durch Modulation der Stimme eine Vielzahl von emotionalen Nuancen ausdrücken und auch beim Hören verstehen.
Hallo Harald,
ich zitiere einige Stellen aus "Klang und Eros" von Paul Bekker (1922):
Klang (bzw. Musik) ist hörbar gewordene Sinnlichkeit. ... Wenn man über die Natur des Klanges nachdenkt, dann rückt die menschliche Stimme in den Mittelpunkt. Sie beherrschte große Epochen der Musikgeschichte, hinter ihr verbarg sich der Eros als Urkraft musikalischer Kunst. Instrumente waren früher Diener der Stimme, geschaffen, diese zu schmücken, nicht aber mit ihr in Wettbewerb zu treten.
Im Instrumentenklang lebt die Stimme weiter ... Instrumentenklang bedeutet einen Wechsel vom natürlichen zum nachgeahmten Gesangston, in dem man ein Zeichen reizsteigernder Dekadenz und verfeinerter Geistigkeit des Klangempfindens sehen kann. Dann wäre allerdings das Aufblühen der Musik ein Verfallssymptom. Was vorliegt, ist Wandlung des erotischen Empfindens durch Zugänglichmachung neuer Sinnesgebiete.
Eine Zeit, in der die Menschenstimme das vorherrschende Mittel des Klangausdrucks ist, dokumentiert damit die unbefangene, unverhüllte Sinnlichkeit der Musik. Eine Zeit aber, die sich vom vokalen dem instrumentalen Ton als Grundklang musikalischen Empfindens zuwendet, zeigt eine Metamorphose des Eros zum Denaturalistischen, Symbolischen, Gleichnishaften.
Paul Bekker war Musikkritiker und Dirigent. Ich finde seine Überlegungen z.T. heute noch lesenswert, auch wenn sie vielleicht keine wissenschaftlich befriedigenden Antworten auf die Natur unseres Musikempfindens liefern.
Den vollständigen Aufsatz findest Du hier: http://commons.wikimedia.org/w…iften_Band_2.pdf&page=334
Einen schönen Tag wünscht
Tom