Beiträge von Sir Thomas


    Stendhal war es, anders als Flaubert, nicht wichtig, dass seine Romane stilistisch perfekt sind, aber er war, wie Dostojewski, ein guter Beobachter sowie ein brillanter Analyst menschlicher Antriebe und gesellschaftlicher Regeln und da sein Personal zeitlos ist, lohnt es sich auch heute noch seine Romane zu lesen.


    Ja, einverstanden.



    ... und in diesem Zusammenhang finde ich natürlich Deine Idee den Roman "Rouge et Noir" noch mal ins Auge zu fassen nicht schlecht ...


    Warten wir es mal ab, Hubert. Im Moment bin ich nicht sicher, ob ich die Lektüre in Form einer Leserunde haben möchte. Wahrscheinlich hole ich "Rouge ..." spontan aus dem Regal.


    LG


    Tom

    Zeit, diesen Ordner zu entstauben ...



    Tatsache ist aber, dass jede(r) pianistisch Interessierte eine Phase hat, wo er Chopinfan ist.


    In dieser Phase stecke ich momentan.


    Neben den manchmal verspotteten Nocturnes sind es vor allem die kleinen Juwelen Préludes Op. 28, die in letzter Zeit meinen CD-Spieler (und gelegentlich meine Finger am Klavier) beschäftigen. Mein Tipp: Die Préludes No. 2, 4, 6, 15 und 24 sind bestens geeignet, folgende Sätze Robert Walsers zu verifizieren: „Töne sind zarte Dolchstiche. Die Wunden brennen, aber Wehmut und Schmerz träufeln statt des Blutes hervor.“ (aus: Fritz Kochers Aufsätze)


    Eleganter, blasser Frauenschwarm und virtuoser Liebling der Pariser Salons: Das ist das Bild, das von Frédéric Chopin überliefert ist. Nicht ganz zu Unrecht, hat er doch selbst aktiv an diesem Image gearbeitet. Er war nicht der Dandy Baudelairschen Ausmaßes, aber er verbreitete um sich eine künstlerische Noblesse und weltmännische Eleganz, die der etwas plump-behäbige und schüchterne Zeitgenosse Robert Schumann nie verstanden und nur sein ein Jahr jüngerer Freund Franz Liszt in gleichem Ausmaß erreicht hat.


    Dabei war Chopin weit davon entfernt, dem Salon gefällige Stücke als Hintergrundrauschen für sinnreiches oder -loses Geplauder zu liefern. Seine Musik entstammte dem Dunst nächtlicher Herbstlandschaften, dem Fieber der Tuberkulose und einer sich daraus entwickelnden Todessehnsucht. Chopin war, wie sein „Konkurrent“ John Field bemerkte, ein „Krankenzimmertalent“ - melancholisch und morbid von Kopf bis Fuss.


    Das Traumverlorene, Ausschweifende und Phantastische der deutschen Romantiker lag ihm fern. Die Musik Schumanns blieb ihm zeitlebens wesensfremd. Mit einem Hang zu formaler Perfektion bei der Ausarbeitung seiner klanglichen Visionen und einer aristokratisch-morbiden Musikästhetik wird er mit Edgar Allan Poe verglichen. So wie Schumann die Schauergeschichten und Nachtgestalten E.T.A. Hoffmanns in Musik verwandelte, hat Chopin das musikalische Programm zu Poes Lyrik und shorts stories geliefert. Diese These vertreten zumindest W. Oehlmann und W. Kaempfer in ihrem „Klavierführer“. Ich bin mir nicht sicher, ob man das so stehenlassen kann, ob Chopin Poe überhaupt kannte bzw. zur Kenntnis genommen hat. Interessant ist es allemal.


    Stendhal war es, anders als Flaubert, nicht wichtig, dass seine Romane stilistisch perfekt waren, aber dafür war er mit seinem psychologischen Blick seiner Zeit weit voraus.


    Hallo Hubert,


    ich stimme Dir grundsätzlich zu.


    Zwei Bemerkungen:


    1) Ich glaube nicht, dass ein Mensch seiner Zeit voraus sein kann. Das ist, sorry Hubert, nur eine Floskel. Stendhal war ein guter Beobachter sowie ein brillanter Analyst menschlicher Antriebe und gesellschaftlicher Regeln. Sein Personal ist zeitlos - und nicht etwa "der Zeit voraus". Julien Sorel u.a. arbeiten heute auf allen Ebenen des politischen Betriebs und in den Chefetagen der Konzerne. Das macht den "vormodernen" Schnellschreiber zum Klassiker - wie auch Balzac, den wir hier ebenfalls erwähnten.


    2) Der offensichtlich bewusste Verzicht auf stilistische Anstrengungen ist ein interessanter Aspekt - zumindest innerhalb der sog. Hochliteratur. Dass Volksschriftsteller wie Dickens, Balzac oder Eugène Sue ihre Feuilletonromane nicht anders als "schlampig" schreiben konnten, war mir bewusst. Wenn Kehlmann (danke übrigens für den Link!) nun aber auch Stendhal und Dostojewski in diese Riege einreiht, macht mich das nachdenklich.


    Nur am Rande: Diese Diskussion wird vermutlich dazu führen, dass "Rouge et Noir" demnächst eine Wiederholungslektüre wird.


    Soviel für den Augenblick. Die Arbeit ruft.


    LG


    Tom


    Philipp Blom "Böse Philosophen: Ein Salon in Paris und das vergessene Erbe der Aufklärung"


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    Klingt sehr interessant! Da ich Amazon-Rezensionen nur bedingt über den Weg traue, interessiert mich Deine Meinung. Kaufen?


    LG


    Tom


    „Die Entstehung des Doktor Faustus“ stammt vom Zauberer selbst ...


    Ist mir bekannt, Hubert. :zwinker:



    ... und dann Furcht vor Enttäuschung? Was haben wir als nächstes von Dir zu erwarten – Gotteslästerung? :breitgrins:


    Ich befürchte einen allzu trockenen "Werkstattbericht", eine Rechtfertigung o.ä. Andererseits ist meine Neugier zu groß, um das Buch zu ignorieren. Ich werde berichten.


    Gotteslästerung? Über dieses Stadium bin ich längst hinaus ... :breitgrins:



    ... wenn ich Helmut Koopmanns Erläuterungen zum "Doktor Faustus" lese, scheint die "Entstehung..." doch sehr wichtig zu sein und Thomas Mann war sie wichtig.


    Vielen Dank für diesen Hinweis, Maria. Koopmann ist notiert.


    LG


    Tom

    Kann jemand eine Empfehlung für "Die Entstehung des Doktor Faustus" abgeben? Ich schleiche darumherum wie die Katze um den berühmten heißen Brei, fürchte aber eine Enttäuschung. Also: Kann man das lesen? Soll man das lesen? Oder muss man es gar lesen?


    LG


    Tom


    Der Essay „Gegenwart der Gestalt“ stammt aus dem Bändchen „Drei Dichter ihres Lebens. Casanova, Stendhal, Tolstoi.“ von Stefan Zweig.


    Danke, Hubert. Von Stefan Zweig halte ich aus dem von Dir genannten Grund nicht allzuviel.


    LG


    Tom


    Definition, warum nicht? Schließlich hast Du den Begriff der "Langeweile" im Zusammenhang mit Frisch in den Raum gestellt! Ich denke schon, daß es hier völlig unterschiedliche Begriffe der "Langeweile" gibt! :breitgrins:


    Hallo josmar,


    ich hab das mal an einen gewissen Gustave Flaubert delegiert. Er schreibt folgendes: Kennen Sie die Langeweile? Nicht die gewöhnliche, banale Langeweile, die vom Müßiggang und der Krankheit kommt, sondern diese moderne Langeweile, die den Menschen in seinen Eingeweiden zerfrisst und aus einem verständigen Wesen einen wandernden Schatten macht, ein denkendes Phantom. … Die schönsten Dinge nehmen, wenn man sie durch sie hindurch betrachtet, ihre Farbe an und spiegeln ihre Trauer wider. (Brief an Louis de Cormenin, 7. Juni 1844)


    LG


    Tom


    Das Frisch hier so „wenig gemocht“ wird, liegt sicherlich nicht daran, daß er „langweilt“ (was i. ü. erst einmal zu definieren wäre), sondern eher daran, daß er „zu modern“ ist! :zwinker:


    Hallo josmar,


    ist Frisch tatsächlich "zu modern"? Ich kann das nicht erkennen. Dem Argument, dass die schriftstellerische Intelligenz der des lesenden Fußvolks überlegen sein soll ("er war seiner Zeit voraus" o.ä.), konnte ich noch nie Überzeugungskraft zubilligen.


    Eine "Definition" der Langeweile? :entsetzt: Wozu soll das gut sein?


    LG


    Tom

    Ich habe es am Wochenende endlich geschafft, Jean-Paul Sartres Essay „Baudelaire“ zu lesen. Es handelt sich dabei um eine Absage an den Kult des poète maudit, eine Demontage, nein: eine Hinrichtung des Schöpfers der Fleurs du mal. Sartre muss Baudelaires Rollenspiele als „tragischer Poet“ und „Großstadt-Dandy“ heftig verabscheut haben. Er nennt ihn eine zutiefst künstliche, gefühlskalte und frigide Persönlichkeit. Die Blumen des Bösen sind für Sartre „eine Schöpfung mit begrenzter Verantwortung für das darin enthaltene Böse, an das er nicht wirklich glaubt und an dem er nicht wirklich leidet, so wie er es vorgibt. Im Grunde seines Herzens herrschen Gleichgültigkeit, Unredlichkeit sich selbst gegenüber und die Unfähigkeit, sich selbst ernst zu nehmen. Sein Charakter setzt sich aus künstlichen Formen eines verheimlichten Nichts sowie aus den trost- und leblosen Elementen einer seelischen Mondlandschaft zusammen.


    An anderer Stelle heißt es: „Baudelaires Dandytum ist Exhibitionismus, ein Traum, der von Tag zu Tag kultiviert wird und symbolische Handlungen auslöst. Es ist ein Drang nach Kompensation, denn Baudelaires Stolz leidet unter seiner Deklassierung (sprich: seiner Entmündigung) so stark, dass er sich bemüht, ihr durch sein Leben eine andere Bedeutung zu geben: die einer freiwilligen Lossagung vom Bürgertum.


    Bleibt die Frage, ob Sartre hier tatsächlich Charles Baudelaire charakterisiert oder eher eine zeitlose Studie über den sich selbst inszenierenden Décadent abliefert.


    Lesenwert, wenn auch mit leichten Einschränkungen.


    Interessant finde ich allerdings, dass Frisch auf die Entstehung des Menschen sogar eingeht und zwar auf Seite 28, wenn er schreibt: Im Pleistozän erscheint nach bisheriger Auffassung der Mensch, die erdgeschichtliche Gegenwart spielt sich im Holozän ab.


    Dennoch ist der Titel des Buches ein anderer, stellt sich die Frage, was uns Frisch damit sagen will?


    Hallo Katrin,


    das könnte zum einen ein Hinweis auf die langsam beginnende Zersetzung des Geiserschen Denkvermögens sein. Auch könnte Frisch damit andeuten, wie wenig Relevanz Lexikonwissen für das praktische Denken und Handeln hat. Denn mal ehrlich: Wer hätte vor der Lektüre gewusst, dass der Buchtitel eine unhaltbare Behauptung enthält? Und selbst wenn man weiss, dass der Mensch nicht im Holozän (in der erdgeschichtlichen Gegenwart), sondern bereits im Pleistozän erschien: Ist das wichtig? Ich bleibe bei meiner These: Frisch demontiert unsere Fakten- und Wissensgläubigkeit. Angesichts einer feindlichen Umwelt versagt der moderne Mensch. Er ist, wie Herr Geiser, kaum noch in der Lage, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden, wie man an der Auflistung der spärlichen Lebensmittelvorräte und an der Tatsache, dass Herr Geiser diese für ausreichend hält, sehen kann.


    LG


    Tom


    Die Amis haben ja die Qualität dieses Werkleins lange vor den Deutschen erfasst. Reich-Ranicki versuchte es gar totzuschweigen.


    Warum? Weißt Du mehr darüber?



    Habt ihr schon eine Vorstellung welche Zeit für dieRunde angemessen ist? Zwei Wochen vielleicht?


    Bis Ende des Monats können wir locker durch sein - auch ohne große Hektik. Ich werde leider ab September nicht mehr viel Zeit für das Forum haben.