Zeit, diesen Ordner zu entstauben ...
Tatsache ist aber, dass jede(r) pianistisch Interessierte eine Phase hat, wo er Chopinfan ist.
In dieser Phase stecke ich momentan.
Neben den manchmal verspotteten Nocturnes sind es vor allem die kleinen Juwelen Préludes Op. 28, die in letzter Zeit meinen CD-Spieler (und gelegentlich meine Finger am Klavier) beschäftigen. Mein Tipp: Die Préludes No. 2, 4, 6, 15 und 24 sind bestens geeignet, folgende Sätze Robert Walsers zu verifizieren: „Töne sind zarte Dolchstiche. Die Wunden brennen, aber Wehmut und Schmerz träufeln statt des Blutes hervor.“ (aus: Fritz Kochers Aufsätze)
Eleganter, blasser Frauenschwarm und virtuoser Liebling der Pariser Salons: Das ist das Bild, das von Frédéric Chopin überliefert ist. Nicht ganz zu Unrecht, hat er doch selbst aktiv an diesem Image gearbeitet. Er war nicht der Dandy Baudelairschen Ausmaßes, aber er verbreitete um sich eine künstlerische Noblesse und weltmännische Eleganz, die der etwas plump-behäbige und schüchterne Zeitgenosse Robert Schumann nie verstanden und nur sein ein Jahr jüngerer Freund Franz Liszt in gleichem Ausmaß erreicht hat.
Dabei war Chopin weit davon entfernt, dem Salon gefällige Stücke als Hintergrundrauschen für sinnreiches oder -loses Geplauder zu liefern. Seine Musik entstammte dem Dunst nächtlicher Herbstlandschaften, dem Fieber der Tuberkulose und einer sich daraus entwickelnden Todessehnsucht. Chopin war, wie sein „Konkurrent“ John Field bemerkte, ein „Krankenzimmertalent“ - melancholisch und morbid von Kopf bis Fuss.
Das Traumverlorene, Ausschweifende und Phantastische der deutschen Romantiker lag ihm fern. Die Musik Schumanns blieb ihm zeitlebens wesensfremd. Mit einem Hang zu formaler Perfektion bei der Ausarbeitung seiner klanglichen Visionen und einer aristokratisch-morbiden Musikästhetik wird er mit Edgar Allan Poe verglichen. So wie Schumann die Schauergeschichten und Nachtgestalten E.T.A. Hoffmanns in Musik verwandelte, hat Chopin das musikalische Programm zu Poes Lyrik und shorts stories geliefert. Diese These vertreten zumindest W. Oehlmann und W. Kaempfer in ihrem „Klavierführer“. Ich bin mir nicht sicher, ob man das so stehenlassen kann, ob Chopin Poe überhaupt kannte bzw. zur Kenntnis genommen hat. Interessant ist es allemal.