Beiträge von Sir Thomas

    Nach der "Ilias" in der Schadewaldt-Übertragung lese ich nun auch dessen "Odyssee" aus dem Jahr 1958. Seine Prosaübersetzung gefällt mir. Im Nachwort beschreibt er ein wenig die Mühen des Übersetzens und betont, dass eine Prosaübertragung der Homerischen Sprache wohl am ehesten gerecht werde. Die Probleme des deutschen Hexameters, mit denen Voß sich beispielhaft herumgeplagt hat, wollte Schadewaldt elegant umschiffen, was ihm meiner Meinung nach gelungen ist.


    LG


    Tom


    Jetzt tauche ich wieder in die Vergangenheit ein, und ich genieße die Weitschweifigkeit, die Verträumtheit der Jugend, die alltäglichen Blüten eine Bedeutung beimißt, die im Laufe des Lebens verlorengeht. Ich verstehe mehr, weil ich die handelnden Personen bereits kenne, und weil ich nicht mehr “durchkommen”, sondern einfach noch einmal die verlorene Zeit durchleben will.


    Ja, Dolores, das hast Du sehr schön beschrieben. So ähnlich erging es mir auch.



    Proust muß man mehrmals lesen.


    Mal abgesehen davon, dass niemand müssen muss, habe ich meine Zweifel, ob ich je eine Wiederholungslektüre anstreben werde. Manche Dinge sollte man einfach so belassen, wie sie abgespeichert sind.



    Proust und Balzac sind einander ähnlich ...


    Ganz entschieden nein! Balzac ist ein miserabler Stilist, ein Schreibautomat im Vergleich zu Proust.


    LG


    Tom


    Der Frontalangriff gilt der Romantik. ... Wogegen er auch im Huckleberry Finn anschrieb, war nicht Amerika schlechthin, sonden eine spezifisch am alten Europa orientierte Spielart amerikanischer Kultur in seinen Südstaaten.


    Das "alte" Europa mit seinem Feudalismus und seiner Romantik war Twain suspekt, das ist richtig. Ebenfalls richtig ist es, dass die Südstaatenkultur wesentlich stärker am europäischen "Lifestyle" orientiert war als der rationalistisch-kapitalistische Norden der USA. Andererseits waren zu Twains Zeiten die mittelalterlichen Zustände (Leibeigenschaft, Grund-und-Boden-Aristokratie, religiöser Wahn, Fehdewesen ...) in Europa weitgehend überwunden, während sie in den Sklavenhalterstaaten des amerikanischen Südens seltsame Blüten trieben. Vielleicht treffen wir uns in der Mitte: Mark Twain attackiert das schlechte Amerika, dessen Wurzeln er in alten europäischen "Traditionen" sieht.


    LG


    Tom

    Seit über einem Jahr liegt die Neuübersetzung (Hanser Verlag) der beiden Romane "Tom Sawyer" und "Huckleberry Finn" ungelesen im Regal herum. Nach positiven Kommentaren in einem anderen Forum habe ich jetzt den Huck Finn fast beendet. Ich bin sehr angetan von der Übersetzung und der Geschichte, die ich seit meinen Jugendjahren nicht mehr gelesen habe. Während ich "Tom Sawyer" als reines Jugendbuch in Erinnerung habe (und daher zunächst einmal nicht lesen werde), ist die acht Jahre später erschienene Fortsetzung schon ganz harter Stoff. Diese als simple Abenteuergeschichte getarnte Floßfahrt des Helden den Mississippi herunter ist ein realistisch-satirisches Werk erster Güte und ein Frontalangriff auf die amerikanische "Kultur" der Bigotterie, des Rassismus, der Schusswaffen und der Lynchjustiz.


    Ernest Hemingways Diktum "Huckleberry Finn ist das beste Buch, das wir gehabt haben" kann ich trotz aller Begeisterung nicht so ganz zustimmen. Denn wo bleibt da bitteschön "Moby Dick"? Möglicherweise hat es aber nicht nur Hemingway, sondern auch Faulkner beeindruckt und beeinflusst.


    LG


    Tom

    So, ich habe nun mit der "Entstehung ..." begonnen. Es handelt sich um eine Mischung aus Tagebuchnotizen und allerlei Belanglosigkeiten (ich hatte es befürchtet). Interessant sind bislang nur die Quellen, die Thomas Mann verwendet hat. Auf das Studium des Faustschen Volksbuchs und eines Berichts über Nietzsches Siechtum wäre ich wohl noch von allein gekommen. Aber: Der Zauberer hat auch die Briefe Hugo Wolfs (der ja auch im kompletten Irrsinn endete) und Martin Luthers ausgewertet, über das deutsche Städtewesen der Lutherzeit recherchiert, die Memoiren Strawinskys, Paul Bekkers "Musikgeschichte" gelesen und und und ...


    Mal sehen, wie sich die Lektüre weiterentwickelt.


    LG


    Tom


    ... jetzt weiß ich, dass das bei Melville zunächst Gullivers Reisen, Shakespeare und Ovids Metamorphosen und später Goethe, Schiller und Balzac waren ...


    Hi Hubert,


    steht dort nichts über John Milton, von dem Melville mMn. auch arg beeindruckt und beeinflusst war?


    LG


    Tom

    Manchmal notiere ich mir das eine oder andere Autoren-Bonmot über die Freuden und Leiden des Schreibens.


    Flaubert: "Schreiben, das heißt die Welt in Besitz nehmen, ihre Vorurteile, ihre Tugenden, und sie in einem Buch zusammenfassen. Es heißt sein Denken zur Welt kommen, wachsen, leben sehen, sich auf sein Piedestal stellen und dort für immer bleiben."


    Kafka: "Das Schreiben ist ein süßer wunderbarer Lohn, aber wofür? In der Nacht war es mir mit der Deutlichkeit kindlichen Anschauungsunterrichtes klar, daß es der Lohn für Teufelsdienst ist."


    Kafka, Teil 2: "Schreiben heißt ja sich öffnen bis zum Übermaß."


    W. Koeppen: „Das Schreiben ist gelegentlich ein Rettungsboot im Meer der Sinnlosigkeit."“


    F. Pessoa: "Schreiben heißt vergessen. Die Literatur ist die angenehmste Art, das Leben zu ignorieren."


    Kennt Ihr evtl. weitere Zitate?


    LG


    Tom

    Ich genieße derzeit in regelmäßigen Abständen die Schmidtschen Rundfunk-Essays und bin sehr animiert von diesen Kronjuwelen der Literaturkritik. Hier spricht ein echter Liebhaber, der niemals verächtlich über seinen "Gegenstand" urteilt und nur dann knurrt, wenn es wirklich angemessen ist. Was für ein fundamentaler Unterschied zu dem tollwütig um sich beissenden Großkritiker (wie heisst er doch gleich?), der mir um vieles ärmer erscheint als Arno Schmidt - ärmer an literarischen Kenntnissen aber auch ärmer an ästhetischer Urteilskraft!


    LG


    Tom


    ... vielen Dank für die Empfehlung, ich habe mir die Jendis-Übersetzung gestern noch in einer Buchhandlung besorgt (war vorrätig!) und mein erster Eindruck ist, dass es eine gute Empfehlung war ...


    Hi Hubert,


    Du sollst den Geistern des Forums vertrauen - immer, ohne Wenn und Aber! :breitgrins:


    LG


    Tom


    In der Übersetzung von Goethe ist der Text nahezu unlesbar. ... Hält man die Rütten-Übersetzung daneben, geschieht ein kleines Wunder. Der Text bekommt Leben und Tempo, es beginnt zu funkeln und zu blitzen – das ist Diderot!


    Angeregt durch Philipp Bloms "Böse Philosophen" und Deine Kritik, Gronauer, habe ich soeben die Rütten-Übersetzung des Diderot-Klassikers bestellt und bin sehr gespannt.


    LG


    Tom


    Philipp Blom "Böse Philosophen: Ein Salon in Paris und das vergessene Erbe der Aufklärung"


    [kaufen='3446236481'][/kaufen]


    Das Buch ist mittlerweile eingetroffen und angelesen - wunderbar! Vielleicht die unerwartete Entdeckung des Jahres!


    LG


    Tom


    Hi Hubert,


    die Jendis-Übersetzung ist sehr zu empfehlen. Das btb-Taschenbuch glänzt außerdem mit einem guten Kommentarteil.


    Die andere Übersetzung kenne ich nicht.


    LG


    Tom


    In diesem Fall z.B. können wir gemeinsam mit Wolf Schneider, dessen Buch ich mir gelegentlich ansehen werde, da ich es nicht kenne, über den „Klavierführer“ spotten, der ja den Allgemeinplatz „Geistes- bzw. Seelenverwandschaft“ in die Diskussion einbrachte.


    Hi Hubert,


    der zweibändige Reclam-Klavierführer enthält eine reiche Sammlung an Stilblüten - und das, obwohl sich dort Musikwissenschaftler, -dozenten und -kritiker als Autoren versammeln. Ich finde die meisten Texte recht drollig; wenn man den oft pathetischen "Sound" mal beiseite lässt, bieten sie einen guten Einstieg und Überblick. Schlimm für mich als Laie wird es, wenn die Modulationen, Kadenzen etc. einer "Grand Sonate Pathétique" seitenlang erörtert werden. Dann fange ich immer an, hektisch zu blättern ...


    LG


    Tom


    Auch eine Geistes- und Seelenverwandschaft zwischen dem Schöngeist Chopin, der einen großen intellektuellen Freundeskreis (Franz Liszt, Heinrich Heine, Balzac, Delacroix u.a. Musiker, Dichter und Maler) hatte und mit der emanzipierten Schriftstellerin George Sand zusammen lebte und dem in der Pubertät stecken gebliebenen Alkoholiker Poe, der seine 13-jährige Kusine heiratete kann ich mir nur schwer vorstellen.


    Hallo Hubert,


    wenn Du diese biografischen Aspekte losgelöst von den Werken der Beiden betrachtest, dann fällt es in der Tat schwer, hier eine Geistesverwandschaft anzunehmen. Gehen wir die Sache mal etwas grundsätzlicher an. Was besagt "Geistes-/Seelenverwandschaft" eigentlich? Je länger ich darüber nachdenke, umso unschärfer wird der Begriff, umso mehr bin ich geneigt, darin die Verkürzung oder Vereinfachung einer Sache zu sehen, an die man glauben kann oder auch nicht. Ich bin in letzter Zeit ein wenig allergisch gegen solche "Denkfiguren", zu der mMn. auch die in einem anderen Thread umkämpfte Aussage "Er/sie war seiner/ihrer Zeit voraus" zählt. Ich weiß nicht, ob Du Wolf Schneiders Buch "Deutsch für Profis" kennst. Ich habe es vor Urzeiten gelesen, meine aber heute noch seinen ätzenden Spott zu vernehmen, der den sich auf solche Allgemeinplätze zurückziehenden Schreiberling trifft.


    Nun sei bitte so gut und fass das nicht als persönlichen Angriff auf. Das liegt mir fern. Betrachte es nüchtern oder heiter als "Haarspalterei" - nicht mehr und nicht weniger.


    So long


    Tom


    PS:


    Gibt der „Klavierführer“ da nähere Hinweise?


    Leider nein.

    Dass Chopin E.A.Poe kannte halte ich für eher unwahrscheinlich. Zwar verbrachte Chopin einen großen Teil seines Lebens in Paris und Poe wurde in Europa durch den Franzosen Baudelaire bekannt, der 1857 einen Band mit Erzählungen von Poe publizierte, aber 1857 war Chopin schon acht Jahre tot.


    Hi Hubert,


    ich habe das mal eben nachgelesen. Im "Klavierführer" wird nicht behauptet, Chopin habe die Werke Poes gekannt. Es wird lediglich eine Geistes- und Seelenverwandschaft der beiden Künstler unterstellt. Ich bin geneigt, dem zu folgen.


    LG


    Tom