Charles Baudelaire

  • Zitat

    "Dein Schoß ist ein rundes Becken, welchem der gemischte Wein nicht fehlen darf; dein Leib ein Weizenhaufen, mit Lilien eingefaßt;
    deine beiden Brüste wie zwei Rehkälbchen, Gazellenzwillinge; ...
    Dieser dein Wuchs ist der Palme gleich, und deine Brüste den Trauben.
    Ich denke, ich will die Palme besteigen und ihre Zweige erfassen ..."


    Pfui, wie dekadent!


    Oder eventuell doch nicht?


    Handelt es sich hierbei doch um das Hohelied Salomons, Kapitel 7, Vers 2 ff.


    Blasphemie oder hohe Dichtkunst?


    Ein Diskussionsanstoss.

  • na, blasphemie ist es doch sicher nicht, es beschreibt ja nur die schönheit der schöpfung im allgemeinen und die der weiblichen wesen im besonderen :zwinker: .

    spring ihr doch nach! aber du hast angst, das glas zwischen dir und den anderen könnte zerbrechen. du hältst die welt für eine schaufensterauslage.

  • Zitat

    na, blasphemie ist es doch sicher nicht, es beschreibt ja nur die schönheit der schöpfung im allgemeinen und die der weiblichen wesen im besonderen


    Genau. :zwinker:


    Nehmen wir nun einfach (fast wahllos) einen Baudelaire-Auszug:


    Deinen Leib unstreifen Rüche
    Wie aus einem Weihrauchfasse,
    Du betörst mich wie der Abend,
    Dunkle heissblütige Nymphe.


    Mehr als alle Liebestränke
    Wirken deine trägen Reize,
    Und du weisst von Zärtlichkeiten,
    Dass selbst Tote auferständen!


    (Auszug aus dem "Lied am Nachmittag")


    In beiden Fällen wird die Schönheit des weiblichen Leibes und die Schönheit der Liebe besungen (sehr vereinfacht gesagt). Einmal in der Bibel, einmal von Baudelaire.


    Wer will nun beurteilen, welche dieser beiden Texte "genehm" ist und welcher nicht?


    Mich betrübt die Tatsache, dass manchmal vorgefasste Meinungen den Sinn für grosse Lyrik verstellen. Manchmal auch einfach nur ein Mangel an Erfahrung, was an sich ja kein Vorwurf ist. Wenn jedoch der Mangel an Erfahrung Hand in Hand mit vorfassten Meinung daher kommt, dann wird es traurig. Für denjenigen, der dann bestimmt nicht in den Genuss grosser und bewegender Werke der Literatur kommt.

  • ich denke, von blasphemie kann man in beiden fällen nicht reden, und céleste hat das auch sicher auf ihr zitat bezogen. seltsam, aber rein subjektiv empfinde ich den bibelauszug als geschmackloser (oder: weniger geschmackvoll) als den baudelaire-auszug... das sind ja nicht mal schöne worte! vielleicht liegt das aber auch am alter des werkes.


    man sollte in der tat hier keinen derartig extremen unterschied machen, aber irgendwo ist eine grenze zu ziehen. nur weil in der bibel die schönheit der liebe und der weiblichem wesen gepriesen wird, rechtfertigt das für mich keine pornographie.


    ich denke auch, dass es gar nicht mal so schlimm ist, wenn man vorurteile über eine bestimmte art von literatur hat und sie obendrein zu wenig kennt. nicht gut zwar, aber der springende punkt ist doch eigentlich der wille, seine meinung an immer mehr prüfsteinen zu testen und sie gegebenenfalls zu ändern. wenn der fehlt, sind hopfen und malz verloren, wie man so schön sagt.

    spring ihr doch nach! aber du hast angst, das glas zwischen dir und den anderen könnte zerbrechen. du hältst die welt für eine schaufensterauslage.

  • Auch wenn die Diskussion schon fortgeschritten ist, jetzt ein paar Worte zu Baudelaire...


    Erst mal schnell ein paar Bücher und Links die ich zum Thema kenne...
    Für einen kurzen Überblick zu seinem Leben empfehle ich http://de.wikipedia.org/wiki/Baudelaire, dort wird das Elementarste angeschnitten. Eine wirkliche Baudelaire-Biographie ist meines Wissens gerade nicht erhältlich, auch die Rowohlt-Monographie wird nicht mehr aufgelegt. Ansonsten gibt es zwei Essays von Sartre und Benjamin. Sartre interpretiert Baudelaire exsistentialistisch und ziemlich originell, aber kaum anhand seiner Gedichte sondern über Briefe etc. Benjamin's Essay war sehr enttäschend für mich, ich hab ihn nicht zu Ende gelesen;
    es ist allerdings eine Frechheit B. streng sozialistisch zu interpretieren und im zum Vorkämpfer des Proletariats zu machen. Letztendlich ist es Geschmackssache (Benjamin ist aber ohne Vorkenntnisse nur schwer verständlich, Sartre ist machbar)



    Sartre
    http://www.amazon.de/exec/obid…_ka_5/302-9307787-8813626


    Benjamin
    http://www.amazon.de/exec/obid…6_xgl/302-9307787-8813626


    Baudelaire wurde früh entmündigt, er nahm regelmäßig Opium und Haschisch, er nahm sich mit Vorliebe häßliche, kranke und ausgestoßne Frauen ,pflegte sein Außenseitertum mit Marotten wie sich die Haare grün zu färben und trug angeblich beim Sex immer Handschuhe. Auch folgendes entbehrt nicht einer gewissen Absurdität:


    "Von 1852 bis 57 himmelte er platonisch in Briefen und Gedichten die großbürgerliche Mme Apollonie Sabatier an – und machte ihr bittere Vorwürfe, nachdem sie sich ihm schließlich hingegeben hatte und damit in seinen Augen als Idealbild und Inspirationsquelle für Gedichte untauglich geworden war." (Wikipedia)


    Ich will jetzt nicht Hobbypsychologe spielen und verweise bei Interesse auf den Sartre-Essay der versucht einigen Morbitäten genauer auf den Grund zu gehen.


    Baudelaire ist aber auch ein Perfektionist des Dichtens, der stundenlang an einem Gedicht feilen konnte. Der instinktive Moment rückt vollständig in den Hintergrund, die Paradiese und Höllen die Baudelaire erschafft sind künstlich. Dem Irrationalismus seines Leben stellte er formstrenge Sonette entgegen und steht in seiner Gebrochenheit in der Übergangszeit zur Moderne.

  • Zitat

    Wieder völlig offtopic, mea culpa und so.


    Warum? Wir reden von Baudelaire, es entspannt sich eine Diskussion über Dekadenz und es werden Beispiele genannt mit der Frage "was, bitte schön, unterscheidet diese Texte?"


    Ich finde die Entwicklung der Diskussion sehr logisch und aufschlussreich.

  • Ich kann Baudelaires Gedichte einfach icht nachvollziehen.
    Was will der Mann denn mit seinen Satanslitaneien sagen??
    Das ist mir völlig unverständlich. Aber bevor mir wieder vorgehalten wird, wie wenig ich doch verstehe, frage ich euch mal: Was haltet ihr denn von diesen Satanslobliedern, bwz. was sagen sie aus, was will Baudelaire damit ausdrücken?
    Ich kann's einfach nicht verstehen. Aber das ist wohl normal, dass man sich nicht mit allem identifizieren kann. Man kann ja nicht jeden Dichter, auch wenn er sein Werk noch so gut versteht, mögen.
    Das ist wie in der Philosphie: Mit manchen Philosophen kann man symphatisieren, mit anderen nicht..
    Und Baudelaire hat scheinbar nicht meine Ansichten.. :zwinker:

  • Da ich gerade ein recht interessantes Buch mit dem Titel "1857 - Flaubert, Baudelaire, Stifter" lese, nutze ich diesen Ordner, um einen Teil der Ausführungen des Autors Wolfgang Matz zu Protokoll zu geben.


    Worum geht es? Ausgangspunkt der Matzschen Thesen ist das Jahr 1857. In Paris erschienen mit wenigen Monaten Abstand zwei literarische Werke, die, zunächst skandalisiert, später als Jahrhundertbücher gefeiert wurden: Flauberts „Madame Bovary“ und Baudelaires „Blumen des Bösen“. Ein drittes Werk des Jahres 1857, Stifters „Nachsommer“, blieb jahrzehntelang weitgehend unbeachtet, gilt aber heute in seiner radikalen Artifizialität als zukunftweisend für die Moderne.


    Das Jahr 1857 ist eine Geburtsstunde der modernen Literatur. Ausgehend von den tiefgreifenden technischen und sozialen Veränderungen des 19. Jahrhunderts standen Kunst und Literatur vor den Herausforderungen des bürgerlichen Zeitalters. Die neue Gesellschaft verlangte vom Künstler nicht mehr als ein wenig Dekor für die Salons und eine angenehme Bettlektüre. Wie der Künstler die veränderte Realität erfährt, für sich deutet und in Kunst verwandelt, waren essentielle Fragen, auf die Flaubert, Baudelaire und Stifter jeweils eigene Antworten gaben.


    In diesem Ordner interessiert uns Baudelaire. Hier eine kurze Zusammenfassung der Thesen von W. Matz:


    Ausgangspunkt der Baudelaireschen Ästhetik ist die Ablehnung der zeitgenössischen, bürgerlichen Oberflächlichkeit, vor allem der modernen Weiblichkeit, die für ihn “auf Stöckelschuhen” daherkam. Diese “fahlen Rosen” entsprachen nicht dem “(blut)roten Ideal” des Dichters.


    Baudelaire nimmt eine Umwertung der Werte vor: Er feiert die exotische, durch Leiden beschädigte Schönheit, stilisiert Frauen zu Engeln des Bösen und spielt geschickt, zum Teil auch pervers, mit den Ängsten seiner Zeitgenossen vor diversen Krankheiten, die das Lotterleben des 19. Jahrhunderts mit sich brachte (B. selbst hatte Syphilis).


    Baudelaire lebte das großstädtische Leben eines Dandys und stilisierte sich zum letzten großen Dichter eines (längst vergangenen) heroischen Zeitalters. Mit seinen “Blumen …” hat die Poesie noch ein letztes Mal die Vollkommenenheit des Klassischen erreicht. Den Skandal rund um das Buch hat der Autor bewusst provoziert; er war aber zutiefst gekränkt durch die gerichtliche Verurteilung eines Teils der Verse – hatte er doch immer mit einem Freispruch à la Flaubert gerechnet.


    Fazit: Mit Abstand das Beste, was ich bisher über Baudelaire gelesen habe (und ich gestehe gern, dass die die oben erwähnte Sartre-Abhandlung nicht kenne).


    Viele Grüße


    Tom


  • Ich hab mir die Blumen des Bösen gekauft, in der Hoffnung einen schönes, zusammenhängendes Prosawerk zu lesen. Deshalb war es ziemlich enttäuschend festzustellen, dass das ganze Buch aus blöden Gedichten besteht, die kein Mensch versteht, und die noch dazu ziemlich blasphemisch sind!
    Ich habs geshalb aufgegeben!
    Und außerdem: Wie kann man denn Dekadenz gutheißen?
    Das will mir einfach nicht in den Kopf gehen.


    Nun zu deinem Problem der Gattung:
    Deine Enttäuschung auf Lyrik statt auf Prosa gestoßen zu sein, lässt entweder auf dein bereits fortgeschrittenes Alter schließen: "auch die Empfänglichkeit für Poesie ist in der Jugend oft leidenschaftlich: der Jüngling hat Freude an Versen (...). Mit den Jahren nimmt diese Neigung allmälig ab, und im Alter zieht man die Prosa vor."
    Schopenhauer, "Welt als Wille und Vorstellung" Viertes Buch,Kap.37
    oder aber du hast aus reiner Torheit die "blöden Gedichte" gekauft, deren Einfluss die Moderne einleitete und ungemeine Resonanz in der nachfolgende Generation um Mallarmé, Verlaine und Rimbaud, wie auch die deutschen Dichter des Ästhetizismus / Dekadenz, wie Stefan George und Hugo von Hofmannsthal erfuhr. Es ist allseits bekannt, dass der Gegenstand Baudelaires Dichtung, du nutzt den Begriff Blasphemie, ich will´s in den Worten Adorno sagen: " Protest gegen die Archetypen der literarischen Tradition ist und gegen die Gesellschaft überhaupt". (ich habe den Wortlaut zwecks Verständnisses geändert). Gehen wir beispielsweise von den Gedichten aus, wie "Parfum exotique", die besonders die Sinnlichkeit einer Frau ( sei es seine Muse Jeanne Duval) in all ihren Facetten hervorheben. Sicherlich gleitet Baudelaire häufig ins Frivole ab, aber er wünscht sich die Frau nie nackt, sondern bekleidet, umhüllt von Düften und Stoffen. Baudelaire ist Ästhet, und es geht ihm um die ästhetische Rehabilitation von allem "Natürlichen und Gewöhnlichem"-also auch Nacktem.
    Dies ist auch der Grund, weshalb er die Bürger verteufelt und sich mit dem Leser gegen diese "Ausgeburten des Normalen" verschwören möchte. Wenn Baudelaire nun über Ekel, Sex ect schreibt, dann protestiert er entweder gegen die Verrohung und Verdummung der Gesellschaft, indem er das in seine Gedichte aufnimmt, wogegen er eigentlich protestieren will („Mimesis am Verhärteten“ nennt es Adorno in seiner Ästhetischen Theorie), was natürlich die Gefahr der Bejahung in sich birgt, oder aber er versucht, und das ist im ersten eingeschlossen, gegen die literarischen Traditionen zu wettern, die für die Vergangenheit überhaupt stehen (die Elegiker oder Dante). Du musst dir nämlich das Paris der 70er Jahre des 19. Jahrhunderts so vorstellen, als dass besonders das Konservative und Mimetische (das Nachempfinden der Klassiker) gefragt, und das Kreative, Neue und (natürlich) Avantgardistische verfemt ist. Du kennst sicherlich die Impressionisten um Monet, Manet, Degas und Pissarro, deren Bilder, weil sie neu und anders waren, auch das kaschierte Elend von Prostituierten, zwar ästhetisch aber überhaupt dargestellt haben, zeitweise genauso gesehen wurden, wie die Dichtung Baudelaires. Nun noch einen kurzen Satz zur decadence; die decadence gefällt, weil sie Kunst vom Moralischen befreit, Nietzsche schreibt dazu, speziell zur l´art pour l´art Bewegung: „ Lieber gar keinen Zweck als einen moralischen Zweck! So redet die bloße Leidenschaft“-natürlich ist nicht die gesamte decadence Bewegung, zu der Baudelaire an sich noch nicht gehört, weil er doch, vielleicht nicht bewusst, ein sehr großes Anliegen, das der Abbildung der verrohten Gesellschaft hat, frei von moralischen Zwecken, aber sie gefällt, weil für sie die Kunst alles ist; das Schaffen von Kunst ganz oben steht.


    Lg Martin Holzer-


    Edit sandhofer: Fehlendes End of Quote ergänzt. Nix für Ungut! :winken:

  • Ich habe es am Wochenende endlich geschafft, Jean-Paul Sartres Essay „Baudelaire“ zu lesen. Es handelt sich dabei um eine Absage an den Kult des poète maudit, eine Demontage, nein: eine Hinrichtung des Schöpfers der Fleurs du mal. Sartre muss Baudelaires Rollenspiele als „tragischer Poet“ und „Großstadt-Dandy“ heftig verabscheut haben. Er nennt ihn eine zutiefst künstliche, gefühlskalte und frigide Persönlichkeit. Die Blumen des Bösen sind für Sartre „eine Schöpfung mit begrenzter Verantwortung für das darin enthaltene Böse, an das er nicht wirklich glaubt und an dem er nicht wirklich leidet, so wie er es vorgibt. Im Grunde seines Herzens herrschen Gleichgültigkeit, Unredlichkeit sich selbst gegenüber und die Unfähigkeit, sich selbst ernst zu nehmen. Sein Charakter setzt sich aus künstlichen Formen eines verheimlichten Nichts sowie aus den trost- und leblosen Elementen einer seelischen Mondlandschaft zusammen.


    An anderer Stelle heißt es: „Baudelaires Dandytum ist Exhibitionismus, ein Traum, der von Tag zu Tag kultiviert wird und symbolische Handlungen auslöst. Es ist ein Drang nach Kompensation, denn Baudelaires Stolz leidet unter seiner Deklassierung (sprich: seiner Entmündigung) so stark, dass er sich bemüht, ihr durch sein Leben eine andere Bedeutung zu geben: die einer freiwilligen Lossagung vom Bürgertum.


    Bleibt die Frage, ob Sartre hier tatsächlich Charles Baudelaire charakterisiert oder eher eine zeitlose Studie über den sich selbst inszenierenden Décadent abliefert.


    Lesenwert, wenn auch mit leichten Einschränkungen.