Beiträge von JHNewman


    Ihr macht mir gerade richtig Lust auf Thomas Mann. Aber komischerweise nicht auf Doktor Faustus sondern auf den Zauberberg :breitgrins:


    Ich denke mal dass ich endlich in einem Alter angekommen bin um den Berg zu bezwingen. Zweimal bin ich schon gescheitert. Aber aller guten Dinge sind drei.


    Auf mich wirkt er wie eine Droge. Am Schluss wollte ich TB haben und ins Sanatorium Berghof übersiedeln. Allein die tägliche Liegekur sprach mich sehr an. :bang:

    Vielleicht nur ein schwacher Trost: aber immerhin bietet TM im Doktor Faustus die Biographie des Protagonisten ja auch aus der Perspektive eines Menschen an, der an den entscheidenden Punkten den Freund ebenfalls nicht versteht, ihm nicht folgen und ihn nicht enträtseln kann. Statt eine Identifikation mit Leverkühn bietet er also eine Identifikation mit der unverstandenen und nicht verstehenden Liebe des Jugendfreundes an.


    Aber es hilft ja nichts. Wenn Euch das Buch nicht trifft, dann trifft es Euch nicht. Dagegen kann man nicht argumentieren, sondern nur empfinden. Mein Lieblingsbuch von TM ist es auch nicht, das wäre dann doch der Zauberberg, dicht gefolgt von den Buddenbrooks.

    Hey, Sir Thomas und Gronauer,


    danke für Eure Gedanken zum Doktor Faustus. Die Kritik am Buch kann ich nicht ganz nachvollziehen. Das hat aber wahrscheinlich viel damit zu tun, dass ich grundsätzlich einfach gerne Bücher lese, bei denen ich den Eindruck habe, dass der Autor/die Autorin klüger ist als ich, von denen ich etwas lerne und kennenlerne, das ich vorher nicht kannte. Dass der Doktor Faustus dabei von einer gewissen Höhe zu mir herabkommt, stört mich also nicht. Als Musiker liegt mir das Thema allerdings auch näher als vielleicht manchem anderen Leser, manch anderer Leserin. Ich finde manche musikalischen Gedankengänge in diesem Buch endlos faszinierend, etwa die Frage nach der Musik der pennsylvanischen Siebenten-Tags-Baptisten.


    Gleichwohl habt Ihr natürlich recht mit der Empfindung der 'Kälte', die auch von diesem Buch - vielleicht aber mehr noch von der Hauptfigur, Adrian Leverkühn, ausgeht. Diese Kälte entspricht aber nicht nur der Hauptfigur, sondern auch seiner Musik, wie auch der Musik Schönbergs. Die gesamte Zwölftönerei ist und bleibt ja letztlich eine kalte Kunst, die den Hörer nicht braucht, ihn sogar oft überfordert oder sogar malträtiert. Es ist Musik gegen den Menschen, bis in die Physiologie hinein. Auch darin erweist sich der Roman also seinem Thema durchaus angemessen...


    Um dieses kalte Herz herum (für das Leverkühn sich die Genialität erkauft), werden aber doch Elemente der Warmherzigkeit angeordnet: der Freund Serenus Zeitblom, Frau Schweigestill, und nicht zuletzt der kleine Echo. Deren Wärme allerdings reicht nicht aus, um das kalte Zentrum des Romans zu erweichen.

    Ich haue mir grade einen Krimi rein. Das Wetter und die Umstände lassen mich nach etwas entspannder Lektüre verlangen...


    Marc Elsberg, Blackout


    Das Buch ist - für ein Genrebuch - ziemlich klasse. Thema ist ein großflächiger Stromausfall, der weite Teile Europas lahmlegt. Das ist keine Panne, wie sich herausstellt, sondern gezielte Sabotage, ein terroristischer Akt. Die Folgen eines solchen über mehrere Tage sich hinziehenden Ausfalls werden sehr realistisch beschrieben. Beklemmend realistisch. Bin ich froh, in einem Haus mit Kaminofen und mehreren Festmetern Holz im Garten zu leben... :-)


    Fontane kann man immer lesen 8-) (zuletzt hab ich mal wieder Jenny Treibel gelesen). Ich bin immer wieder verblüfft, wenn ich mir vor Augen führe, wie spät im Leben er mit seinen Romanen angefangen hat, die sind ja praktisch alle Alterswerke ;-)


    Stimmt. :winken: Und daher hat er auch gleich mit seinem schönsten Roman angefangen: Vor dem Sturm. Mein persönliches Lieblingsbuch von Fontane, wobei natürlich der Stechlin auch großartig ist. Jenny Treibel ist sehr sehr witzig. Überhaupt liebe ich an Fontane seinen Humor ganz besonders. Und weil der in Effi Briest so sparsam eingsetzt wird, mag ich dieses Buch von ihm auch gar nicht so sehr.


    Es ist ein großartiges Buch, das dunkelste von Thomas Mann, aber mit tiefen Einblicken in Kunst, Welt und Seele. Mich beeindrucken auch die Dialoge, in denen vieles von dem deutlich wird, was die Menschen in Deutschland seinerzeit umtrieb. Das Buch geht für mich aber auch an Grenzen. Das Echo-Kapitel etwa kann ich kaum ertragen. Wie da die Zerstörung eines Kindes beschrieben wird, ist kaum auszuhalten.


    Neben der Lesefassung von Gert Westphal gibt es auch noch eine ausgezeichnete Hörspielfassung auf 10 CDs, die ich ebenfalls sehr empfehle.


    Federführend, aber in Zusammenarbeit mit einigen anderen Völkern...


    In der Tat war ja um 1900 herum der Antisemitismus in Deutschland weniger stark ausgeprägt als in anderen europäischen Nationen (Frankreich, Polen, Russland).


    Zum Teil schwer verdaulich, weil Schwarz-Weiß-Malerei zwischen bösen "Welschen"(Italier, Byzantiner, Franken) und guten, weil germanischen Goten, da merkt man, dass die Rassenideologie der Nazis auf fruchtbarem braunem Grund gedieh. Spätestens nach dem deutsch-französischen Krieg von 1870/71 (der Roman erschien 1876) war die Hybris vieler, auch und gerade intellektueller Deutscher gegenüber den westlichen und südlichen Nachbarn erschreckend.


    Nationalismus und Nationalchauvinismus waren leider Viren, die seinerzeit viele Völker befallen hatten. Da bilden die Deutschen keine Ausnahme.


    Milan Kundera - Die Unsterblichkeit
    Ich kann es kaum erwarten, bis ich mit dem Buch durch bin. Entweder entgeht mir da der tiefere Sinn oder das Buch ist einfach nur grausam. So schnell werde ich bestimmt nichts mehr von Kundera lesen, obwohl ich viel über die unerträgliche Leichtigkeit des Seins gehört habe.


    Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins war seinerzeit auch für mich ein wichtiges Buch. Ich habe es vor vielen Jahren gelesen und war auch durchaus beeindruckt. Nun habe ich mir für längere Autofahrten vor einigen Monaten einmal die Hörbuchfassung besorgt und gehört. Das Buch schien mir doch sehr in die Jahre gekommen zu sein. Als Roman hat es mich gar nicht mehr überzeugt. Mir war ganz entfallen, dass weite Strecken des Textes eher aus essayistischen Passagen zum Thema Liebe bestanden.


    Was ich von den Spätwerken Kunderas gelesen habe, hat mich nicht mehr sehr beeindruckt. Ich denke, es hat auch damit zu tun, dass für mich der frühere Kundera ein wichtiger Autor zum Kennenlernen der Tschechoslowakei und der politisch-gesellschaftlichen Situation dort war. Dieses Thema spielt verständlicherweise bei den neueren Büchern keine Rolle mehr.


    :lesen: Joseph Wittlin: Das Salz der Erde


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    Gruß, Gina


    Diese Buch war für mich eine Entdeckung. Ein interessanter Autor mit einem sehr eigenen Stil. Drauf gekommen bin ich nur, weil der Autor des Nachwortes (Martin Pollack) es in Leipzig auf der Messe am Rande einer Podiumsdiskussion zu Osteuropa und dem ersten Weltkrieg hochgehalten hat (da war es offiziell noch gar nicht erschienen). Für mich - wieder einmal - eine interessante Horizonterweiterung. Wie gefällt Dir das Buch, Gina??

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    "Morphin" von Szczepan Twardoch


    Oh, dazu würde mich Deine Meinung interessieren. Ich wollte Twardoch gerne in Leipzig auf der Messe sehen, konnte dann aber leider nicht bis zum SA bleiben. :-(


    Sein Buch hat mich nicht so überzeugt. Aus meiner Sicht war da eine literarische Technik zu sehr ausgewalzt, das Buch bewegte sich nicht. Auch der Roadmovie-Charakter, den es dann im letzten Drittel annahm, hat es für mich nicht mehr gerettet.

    Neben Colum McCanns sehr meisterlichem Roman 'Trans-Atlantic' lese ich gerade die nicht weniger meisterliche 'Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert' von Ulrich Herbert. Wird wohl auch etwas dauern, da über 1400 Seiten dick. Bisher aber ein ausgezeichnetes Buch.


    Vielleicht kannst Du mir und den hier Mitlesenden einmal berichten, welche Beiträge in "Sinn und Form" Dich in letzter Zeit besonders beeindruckt haben? Die Zeitschrift ist vielfach nicht sofort in einer nächstgelegenen Bibliothek einsehbar.


    Anhand der Informationen in dem von Dir beigegebenen Link kann man schon erkennen, dass sich die Zeitschrift viel mehr als früher internationalen Entwicklungen geöffnet haben dürfte.


    Das kann ich nicht sagen, da ich die Zeitschrift früher nicht kannte. Ja, es sind eine ganze Reihe internationaler Autoren vertreten. Dennoch gibt es immer wieder viele Beiträge, die sich auch mit dem Kulturleben der ehemaligen DDR beschäftigen, was wiederum für mich eine nicht geringe Horizonterweiterung bedeutet.


    Deiner Aufforderung, ein paar Beiträge zu nennen, komme ich gerne nach.


    Im aktuellen Heft (3/2014) gibt es einen kleinen Themenschwerpunkt zum Thema Bespitzelung/Stasi-Vorwürfe/Umgang mit der Stasi-Vergangenheit. Dazu gehört ein sehr interessanter Aufsatz von Sabina Kienlechner über die Aufarbeitung der Securitate-Mitarbeit innerhalb der deutschsprachigen Gemeinschaft in Rumänien, der sich u.a. mit der unverständlichen bundesdeutschen Rechtsprechung zu diesem Thema befasst. Dann Auszüge aus den Tagebüchern von Klaus Schlesinger aus dem Jahr 1991, einer Zeit, in der Gerüchte über eine Stasimitarbeit seinerseits kursierten, die später ausgeräumt werden konnten. Und schließlich ein Aufsatz über Helga M. Novak, die seinerzeit die Urheberin der Gerüchte über Schlesinger war. Das bildet insgesamt einen hochinteressanten Cluster an Beiträgen zu diesem komplexen Thema.


    Im Heft 2/2014 gab es Auszüge aus Erwin Strittmatters Tagebüchern, einen Essay von Patrick Modiano zu Joseph Roth und ein Gespräch zwischen Cecile Wajsbrot und Helene Cixous.


    Besonders gelungen auch Heft 2/2013 (das ich erst gerade gelesen habe, ich lese die Hefte nicht immer sofort nach Erscheinen und im Stapel geraten sie dann gern auch mal durcheinander...): Darin zwei Beiträge zu Richard Wagner (von Nike W. und Friedrich Dieckmann), Auszüge aus den Erinnerungen von I. M. Lange zu Walter Benjamin, zwei Beiträge zu Stefan George - von Wolfgang Graf Vitzthum zu Georges Demokratieverständnis und von Martin Mosebach zu Stefan Georges Religion (letzterer handelt freilich mehr von Martin Mosebach und seinen Lieblingsthemen als von Stefan George selbst). Dazu ein sehr schönes Gespräch zwischen Jörg Magenau und Peter Nadas.


    Das alles ist aber nur eine Auswahl, in den Heften ist auch noch mehr zu finden.

    Ich bin num zum Ende des Romans vorgedrungen.


    meine oben genannten Irritationen am überbordenden Idealismus des dritten Buches wurden durch das Nachodine-Kapitel etwas besänftigt. In diesem Kapitel behandelt Goethe doch recht breit den Konflikt und die existenziell-wirtschaftliche Bedrohung, die durch die Industrialisierung und das 'um sich greifende Maschinenwesen' entsteht. Auswanderung erscheint also nicht mehr nur als gewünschter Aufbruch, sondern auch als (erzwungener) Ausweg aus einer Notlage.


    Der Höhepunkt ist aber für mich das Makarienkapitel. Hier kommt Goethe wieder zu dem, was er im Tiefsten sagen will. Da zeigt sich für mich Goethe als 'Seher' - und das sind die Kapitel, die für mich den Roman wirklich lesenswert machen.


    Was in den Jahren 1991 bis 1993 an Schroffem, Verletzenden geschehen ist, mag vielleicht die Generation meines Sohnes, mag die der Enkel erforschen.
    Für die Einheit in Würde traten damals Weizsäcker, Bahr, Gaus, Dönhoff, Schorlemmer, der unvergessene Wolfgang Ullmann, in stillen Broschüren "Weil das Land Versöhnung braucht" ein, was in einem schrillen Chor der Verdammung des "Unrechtsstaates" und seiner Helfershelfer unterging.


    Hallo Karamzin,


    ich dachte mir, dass Dir die Zeitschrift bekannt ist. :smile:


    Icn bin ja Wessi durch und durch. Was aber in den von Dir genannten Jahren besonders im Hinblick auf die Kultur der ehemaligen DDR geschehen ist, erfüllt mich noch heute mit Scham, Zorn und Abscheu. Damit meine ich nicht die Aufarbeitung der Stasi-Vergangenheit. Das halte ich schon für einen wichtigen Klärungs- und Selbstreinigungsprozess. Nur ist ja in diesem Zusammenhang viel zerstört worden, was erhaltenswert gewesen wäre. Was man auch dringend hätte erhalten müssen. Die verheerenden Auswirkungen, die etwa der Beitritt der sog. 'Neuen Bundesländer' zur Bundesrepublik auf das Verlagswesen hatte, hat damals wohl niemand bedacht. Das ging alles im Rausch und im Wunsch nach der Westwährung unter. Die Folge war ein Bruch, eine Vernichtung von Identität und von kulturellem Erbe, das damit unwiederbringlich verloren ging.


    LG
    JHN


    Hallo Karamzin,


    Ja, das ist wohl so. Ich finde den Kommentar von Trunz sehr hilfreich und in vielem sehr erhellend. Dass er sehr klassisch und ein wenig betulich daherkommt, ist auch nicht zu übersehen. Aber er hat ja nun auch schon einige Jahre auf dem Buckel. Ich lese Goethe übrigens gar nicht als 'heidnisch'. Er ist in gewissen Maße ein post-christlicher Schriftsteller, oder besser: Ein Denker, der das Christentum als Form (und ganz gewiss als Dogma) hinter sich gelassen hat. Im Gehalt hingegen finde ich bei ihm sehr viele genuin christliche Bezüge. Weniger natürlich in der Aussage als in der Haltung. Aber da mag es andere Lesarten geben...


    LG
    JHN