Beiträge von JHNewman


    Kann es evtl. sein, daß Euch momentan etwas der "Kritikgaul" durchgeht, so nach dem Motto, " wenn Lenz schon gelobt und sein Verlust betrauert wird", so muß das mal gerade gerückt werden?" :zwinker:


    Ich sehe hier eigentlich keine echte Kritik an Lenz, sondern einfach subjektive Erfahrungen und Einschätzungen von Leserinnen und Lesern.


    Wenn ein Autor wie Lenz es geschafft hat, Themen eine Generation so zu verarbeiten, dass er wirklich einen Nerv der Zeit getroffen hat, ist das ist ja schon eine große Leistung. Dass das nicht unbedingt auf die nachfolgende Generation passt, ist gar nicht verwunderlich und keine Kritik an seinem Werk.

    Mittlerweile haben sie vielleicht ein paar Exemplare aufgetrieben. :breitgrins:
    Hätte mich jetzt interessiert, ob dtv besser vorbereitet war ...


    Danke Lost für den Perlentaucher-Link. Place de ... werde ich mir wohl auch gönnen.


    Gruß, Gina


    Wahrscheinlich nicht. Wer schleppt schon die gesamte Backlist mit nach Frankfurt, weil ein Nobelpreisträger dabei sein könnte?? :breitgrins:

    Ich lese gerade Joshua Ferris "To Rise Again at a Decent Hour" (dt. Mein fremdes Leben).


    [kaufen='0141047380'][/kaufen]


    Den Autor kannte ich zuvor nicht, das Buch habe ich geschenkt bekommen. Mich hat schon lange kein Buch mehr so amüsiert. Rasant komisch und dabei überhaupt nicht platt. Herrlich! Schon das Motto des Buches hat bei mir schallendes Gelächter ausgelöst.

    Oh, viel Spaß und vor allem interessante Entdeckungen!!


    (Nach 18 Jahren Buchmesse war ich "satt". :breitgrins:)


    Oh, das geht mir ähnlich. Ich habe mindestens 20 Buchmessen in FFM mitgemacht, teilweise heftigst dort gearbeitet. Und meine Freudigkeit, mich auf den Weg dorthin zu machen, wenn ich nicht wirkliche Verpflichtungen habe, ist mittlerweile extrem gering. In diesem Jahr passt es terminlich ohnehin nicht. Leipzig: gerne jederzeit. Frankfurt: muss nicht sein.

    Gelesen habe ich nur Ismail Kadare und Haruki Murakami. Letzerer scheint mir zu leichtgewichtig, Kadare fand ich großartig. Jon Fosse habe ich schon mal gehört, aber nichts von ihm gelesen. Der Rest sind böhmische Dörfer für mich.

    Letztlich ist es Spekulation, wenn wir über die fernere Zukunft nachdenken, deshalb kann ich schlecht widersprechen. Die Romane von Lenz eignen sich jedoch gut für gewöhnlichen Leser, für den intellektuellen Pöbel sozusagen und weniger für die literarisch Gebildeten, die oft mehr auf Form als auf Inhalt achten. Außerdem erleben wir auch heutzutage die Wiederentdeckung von verschollenen Werken, selbst Fontane war zeitweise außer Mode und der Geist von Kafka musste erst über den Atlantik segeln um runderneuert auf seinen Heimatkontinent zurück zu kommen.


    Ja, solche Beispiele gingen mir auch durch den Kopf. Wahrscheinlich kann eine direkt nachfolgende Generation am schlechstesten einschätzen, die der bleibende Wert eines literarischen Werkes einzuschätzen ist. Für uns sind die Themen der Eltern meist einfach nicht unsere Themen. Ob es dann bei den Enkeln und Urenkeln wiederkommt und bleibt, ist schlecht abzuschätzen. Vom 'intellektuellen Pöbel' würde ich nicht sprechen. Aber ich frage mich schon auch, ob es so Phänomene wie Stefan Zweig oder meinetwegen Siegfried Lenz und Heinrich Böll überhaupt noch geben kann. In den fünfziger und sechziger Jahren konnte man davon ausgehen, dass durchschnittlich gebildete Menschen bestimmte Bücher kannten und Namen zur Kenntnis genommen haben. Das ist heute m. E. nicht mehr unbedingt so. Das Bildungsspektrum hat sich sehr viel mehr aufgefächert. Jeder kennt zwar bestimmte amerikanische Fernsehserien oder Filme und Popgruppen, aber ob es noch Bücher und Autoren jenseits von Harry Potter gibt, die wirklich jeder kennt, ist doch eher fraglich. Literatur als Kernbereich kultureller Kompetenz ist wohl eine Sache der Welt von Gestern (um bei Zweig zu bleiben).


    Zitat

    Allerdings frage ich mich auch, was außer Krimis, Fantasie und erotischen Werken noch an ernsthaften und tiefgründigeren Texten populär ist.


    Was da alles über den Tisch geht. Die Krimi-Ecke finde ich meist langweilig, weil ich den Eindruck habe, dass da nur noch das Immergleiche unter neuem Cover verlegt wird. Was mich aber amüsiert, sind die in fast jeder größeren Buchhandlung jetzt prall gefüllten Tische mit Rammelprosa a la '50 Shades of Grey'. Wer bitte kauft denn sowas? Ich meine, wenn ich Sex will, finde ich doch im Netz schnellere Angebote und muss mich nicht durch hunderte von Seiten schlechter Prosa quälen??

    Schriftsteller haben den Vorteil, dass sie eine Chance haben nicht zu sterben. "Deutschstunde" und "Heimatmuseum" liest man vielleicht in 50 Jahren so, wie wir heute Romane aus dem frühen 20. Jahrhundert lessen. Sie sind letztlich exemplarische Geschichten über historische Situationen, Stechline und Zauberberge.


    Hm, da habe ich meine Zweifel. So sehr ich die Leistung von S. Lenz für seine Zeit und die Leser seinerzeit schätze, so denke ich doch, dass sich erst noch erweisen muss, ob seine Romane die Größe haben, wirklich zu den bleibenden Werken zu gehören. Jüngeres, das ich von ihm las, schien mir schon etwas 'aus der Zeit gefallen'. Will sagen: Ich wähnte mich in einem Roman der fünfziger oder sechziger Jahre und war dann verwirrt, als ein ICE durchs Bild fuhr. Augenreibend stellte ich fest, dass die Handlung des Buches weitaus später spielte, als ich angenommen hatte. Will sagen: Gegenwärtig erscheint mir Siegfried Lenz ein wenig aus der Mode gekommen. Ob er nochmal wiederentdeckt werden wird, muss sich zeigen. Sein Tod ist allerdings ein Anlass, mal wieder in einen seiner Romane hineinzuschauen und zu überprüfen, ob das Urteil noch standhält.


    R. I. P.


    Ja. Irgendwie will mir scheinen, dass im Vorfeld des Preises ein derartiger Hype kreiert wird, dass der eigentliche Preis uninteressant geworden ist. Nun gut, das füllt wohl die Kassen der Verlage. :breitgrins:


    Ist ja auch nicht schlimm. Wenn Verlage mit (guten ) Büchern Geld verdienen, ist mir das allemal lieber, als wenn es irgendwelchen Finanzhaien in den Rachen geschmissen wird.


    Daß ein Hype kreiert wird, ist schon zutreffend. Allerdings wird dieser wohl hauptsächlich von den Eingeweihten wahrgenommen. Für das ganz breite Publikum zählt am Schluss vor allem der Preisträger/die Preisträgerin. Und vielen, die hilflos vor Weihnachten in den Buchhandlungen nach Geschenken suchen, kommt dann ein Aufkleber mit dem Hinweis 'Deutscher Buchpreis' sehr gelegen. Lutz Seiler kann sich also schon mal auf eine sehr stark erhöhte Auflage seines Romans freuen. Ob's dann gelesen wird, ist eine ganz andere Frage.

    Ich höre gerade bei längeren Autofahrten 'Lotte in Weimar', gelesen von Gert Westphal. Es ist ein Genuss. Es gibt zwar auch andere Sprecher, die ich auf Hörbüchern sehr gerne höre, aber G. W. ist einfach eine Klasse für sich. Besonders Fontane und Thomas Mann sind für mich untrennbar mit seiner Stimme verbunden.


    JHNewman: Viel Spaß damit, ich werde mir das Buch bei Gelegenheit auch besorgen.


    Ich finde es sehr beklemmend. Und durchaus schon auch realistisch. Das Problem: etwas, das als gut erkannt wird, wird allen so sehr aufgezwungen, dass es sich in sein Gegenteil verkehrt. Und die Gespräche, mit denen die Mitarbeiter des Circle auf das Teilen von privaten Informationen eingeschworen werden, erinnern ganz fatal an die Gespräche, die ich (wenn auch nur aus der Literatur) aus dem Sozialismus kenne, wenn der Parteisekretär sich nach dem Klassenstandpunkt der Genossen erkundigt. Das Problem der wundervollen virtuellen Welt ist nur, dass wir uns unsere Diktatur hier selbst schaffen.

    Noch zwei weitere Beispiele aus 'Kruso':


    Zitat

    In seinem Amtsbereich sei keiner der von mir beschriebenen Fälle aktenkundig, erklärte Allan Lappenborg vom Sekretariat der Polizei Südseeland und Lolland-Falster, ein Gebiet, das zwei Drittel der Südküste Dänemarks umfasst. (S. 450)


    Zitat


    Auch er hatte im Bispebjerg Kirkegard nachgefragt - eine Dokumentation über die Beisetzungen gebe es nicht, kein Vermerk im Totenregister. (S. 452)

    Liebe Leute,


    mir fällt immer häufger auf, dass sehr vielen Menschen Grammatikfehler in der deutschen Sprache unterlaufen, ganz besonders bei den Kasuskongruenzen. Es scheint nicht mehr selbstverständlich zu sein, dass die richtigen Fälle verwendet werden, besonders bei Relativanschlüssen oder Appositionen. Das fällt mir sehr oft im Radio auf, mittlerweile aber auch zunehmend in gedruckter Literatur. Am häufigsten ist dabei der falsche Anschluss eines Dativs an einen Genitiv. Hat mit dem Aussterben des Letzteren zu tun, nehme ich an. Aber Sätze wie den folgendend hört und liest man immer häufiger:


    Zitat

    Der Palast des Dalai Lama ist das größte Gebäude in der Hauptstadt Tibets, dem höchstgelegenen Land der Erde. Urks.


    Auch jetzt im neuen Roman von Lutz Seiler gibt es sehr häufig falsche Kasus - meist setzt er Nominative, wo ich als Leser Akkusative erwarte und wo sie m. E. auch hingehörten. Ein Kasuswechsel innerhalb eines Satzes ist aber stilistisch einfach schlecht, wenn nicht gar ein echter Fehler.


    Hier mal zwei Beispiele, wahllos herausgegriffen:


    Zitat

    "Er klatschte und sah Ettenburg, den Urklausner, dessen Asche ins Meer geschüttet worden war, Ettenburg, der Wiedergänger." (S. 430)


    Zitat

    "Im Bug klebte ein Milchbeutel mit persönlichen Sachen, etwas Geld, Zeugnisse, kein Ausweis, aber das Foto, seine Partnerin, soviel ich weiß..." (S. 403)


    usw.


    War nicht Reich-Ranickis Antwort auf diese Frage: Alles, was sich um Tod und Liebe dreht? Oder so ähnlich?


    Umgekehrt wird ein Schuh draus - wenn ich mich recht erinnere: MRR meinte, alle große Literatur drehe sich nur um die Themen Liebe und Tod. Leider ist nicht alles, was sich um Liebe und Tod dreht, große Literatur... :zwinker: