Beiträge von JHNewman


    Irritierend finde ich die sexuelle Komponente im Roman. Ein seltsames mechanisches Gerät wird im 5. Kapitel beschrieben. Auch sexuell wird Marie ausgebeutet.


    Ja, das ging mir ähnlich, aber nachdem ich darüber nachgedacht habe, erschien es mir alles ganz folgerichtig. Marie ist als 'Zwergin' aus der Norm gefallen. Sie passt in kein System. Für die einen ist sie eine Märchenfigur, für die anderen ein Monster, für die Dritten einfach eine Anomalie der Natur, ein Fehler im System. Jeder erklärt sich ihre Existenz auf seine Weise, ganz und gar davon abhängig, welches Weltbild er vertritt. Der Mensch Marie spielt dabei kaum eine Rolle. Marie und ihre Existenz werden somit zur Projektionsfläche für Theorien und Weltbilder, aber genauso auch für sexuelle Wünsche und Obsessionen. Sie wird nicht als Frau wahrgenommen, nicht als gleichwertiger Mensch, daher meint man, mit ihr nach Gutdünken verfahren zu können, auch was die Befriedigung körperlicher Begierden angeht.


    JHNewmann, die Ausgabe kenne ich, hab mir damals als Teenie einen Band gekauft und die restlichen ausgeliehen. In der Sammlung sind sogar 2. Romane, the unbearable Baslington und when William came.
    Wie las sich der Baslington? Ich leese auf Englisch geschriebenes moeglichst im Original.


    Seinerzeit hat mir der Bassington gut gefallen. Es ist aber mindestens zwanzig Jahre her, daher kann ich nicht mehr viel dazu sagen. Meiner Erinnerung nach fand ich Saki aber in der kurzen Form überzeugender. Herrlich, diese Tobermory-Geschichten. :-)

    Genau das wollte ich auch fragen. Ich lese zirka alle 10 Jahre 1 Fantasybuch und würde gerne mehr Beratung auf diesem Gebiet erlangen.


    (Falls jemand fragt: In den 90ern war es "Stein und Flöte" und im Nachfolgejahrzehnt die Septalogie um einen Zauberschüler.)


    Uff, Stein und Flöte habe ich als Schüler gelesen, damals war das in unseren Kreisen sehr en vogue. Heute frage ich mich, wie ich die ca. 1000 Seiten damals durchgehalten habe. Das Genre reizt mich generell heute gar nicht mehr. Harry Potter habe ich natürlich auch zum Teil selbst gelesen und jüngst wieder vorgelesen. Das ist für mich eine ganz eigene Kategorie. Den Herrn der Ringe habe ich vor vielen Jahren mal begonnen, bin aber nicht sehr weit damit gekommen. Da geht es mir ganz ähnlich wie Giesbert: zu viel Irrealis.


    The Saki Megapack von H.H. Munro
    Sakis gesammelte Werke in Originalsprache als leichte Kost fuer zwischendurch. Ich kenne auf Deutsch schon viel und liebe den boesen Humor. Ob ich auch den Roman und das Drama lese weiss ich noch nicht.


    Saki ist großartig. Ich habe eine wunderschöne mehrbändige Ausgabe, die seinerzeit der Haffmans Verlag herausgegeben hat. Der Roman, den Du erwähnst: ist das der Unsägliche Bassington? Den habe ich in einer alten Insel-Ausgabe (alles natürlich in Übersetzungen, im Original habe ich ihn nie gelesen).


    Ich bin hin und her gerisssen ziwschen gruselig/erschreckend und komisch. Einiges könnte so passieren!


    Ja, wirklich. Und besonders gruselig sind die Szenen, in denen Hitler darlegt, wie er gewisse Probleme seinerzeit anging und heute angehen würde. Mit einer Folgerichtigkeit, die einen den Atem stocken lässt.

    Ich habe es als Hörbuch, gesprochen von Christoph Maria Herbst. Ich glaube, in der Form ist es noch besser als gedruckt. :winken:


    Das Hörbuch habe ich auch gehört. Man hat wirklich den Eindruck, Herr A. H. spricht persönlich. Teilweise gruselig, über weite Strecken aber unschlagbar komisch. :klatschen:

    Nachdem ich mich jahreszeitenabhängig wieder mal um die Russen kümmern wollte, habe ich nun Gontscharows hinreißenden 'Oblomow' beendet. Das Buch hat mich amüsiert, zum Lachen gebracht, zugleich auch angerührt und mit seiner psychologischen Einsicht und tiefen Menschlichkeit sehr erfreut.


    Danach blätterte ich in einem Band von Leskow und stolperte über den Anfang der Erzählung 'Der eisenerne Wille', die sozusagen einen Anti-Oblomow bildet. Bei Oblomow bildet der Deutsche Andrej Stolz einen positiven Gegenpol zum trägen und lebensuntüchtigen Titelhelden. In Leskows Erzählung wird hingegen ein Deutscher zum Gespött, weil er sich in allen passenden und unpassenden Situationen auf seinen eisernen Willen beruft, was ihm dann auch zum Verhängnis wird.


    Danach winkt Andrej Bitow mit seinem 'Puschkinhaus'.

    Weil die Restposten meist über spezielle Anbieter laufen, Amazon und der offizielle lokale Buchhandel ziehen da nie mit. Dürfen vielleicht in Deutschland nicht einmal, das weiss ich nicht.


    In der Regel läuft es so: der gebundene Ladenpreis wird vom Verlag aufgehoben. Der Restbestand wird an einen Anbieter verscherbelt (in diesem Fall wohl Zweitausendeins) und dann verbilligt angeboten. Andere Buchhandlungen können die Titel nicht mehr bestellen, da der Verlag sein Lager geräumt hat.

    Das ist zwar schon ein wenig älter, aber meine 2Cents gebe ich gerne noch dazu:


    ETA Hoffmann braucht es für mich nicht unbedingt, stattdessen wäre mir Novalis mit dem Heinrich von Ofterdingen lieber.


    Bei Raabe würde ich mich für den Hungerpastor stark machen, bin aber zufrieden, wenn er überhaupt auftaucht, meinetwegen also auch mit dem Stopfkuchen.


    Fontane: Unbedingt den Stechlin anstelle der Effi. Bei der Effi fehlt ein ganz zentrales Element der Fontane'schen Erzählkunst fast vollständig: der Humor. Deshalb ist sie nicht nur nicht repräsentativ für Fontane, sondern auch insgesamt eines seiner langweiligeren Bücher.

    Ich lese gerade ein ganz bezauberndes Büchlein von Reto Hänny, Blooms Schatten. Es ist der literarische Versuch, die Handlung von Joyces 'Ulysses' in einem Satz nachzuerzählen. Meiner Meinung nach ausgesprochen geglückt und sehr schön gemacht. Und eine Alternative für alle, denen das Originalwerk etwas zu umfangreich ist. :breitgrins:


    Danach, so merke ich, treiben mich das schwindende Licht und die Stimmung der Jahreszeit wieder zu den Russen. Oblomow liegt bereit.


    Danke für die Antwort.
    Mich hatte immer die Heidenreich abgeschreckt, besonders ihr Dazwischenquatschen ging
    mir ziemlich auf den Keks.


    Gruß, Lauterbach


    Das hat sich leider nicht gebessert. Sie geriert sich immer als Anwältin der 'einfachen Leser', was manchmal durchaus Charme hat, in ihren zunehmend schärfer werdenden Auseinandersetzungen mit Stefan Zweifel aber dazu führte, dass sie dessen meist sehr tiefgründigen und fundierten Urteile einfach weggeplappert hat. Zum Eklat kam es dann, als sie ein falsches Heidegger-Zitat in die Sendung einbrachte, das Zweifel sofort als falsch entlarvte, was bei E. Heidenreich zu einem Wutausbruch führte. Ironischerweise wurde vom Sender dann Stefan Zweifel herausgeworfen, was im Netz und in der Presse einiges an Aufsehen erregte. Lässt sich leicht über die üblichen Suchmaschinen herausfinden.

    Bei uns wurde im Leistungskurs Deutsch auch vereinzelt Weltliteratur in den Unterricht einbezogen. Im Semester zum Thema Theater/Dramatik lasen wie u.a. Shakespeare. Nun kann man dessen Stücke in der Schlegel/Tieck'schen Übersetzung ja problemlos zu den Deutschen Klassikern zählen - aber auch dessenungeachtet ergibt die Einbeziehung seiner Stücke in einen Literaturkurs Deutsch in der gymnasialen Oberstufe durchaus Sinn.


    Mit Arno Schmidt hat man uns glücklicherweise nicht traktiert. Dazu war unser Deutschlehrer dann doch zu gut. :breitgrins:


    Einmal eine Frage in die Runde, gibt es noch eine anschauenswerte Literatursendung im
    Fernsehen? Ich bin da leider nicht mehr up to date.


    Gruß, Lauterbach


    Ich schaue regelmäßig nur den Literaturclub von SF1. Diese Sendung hat allerdings in den letzten Jahren eine rasante Entwicklung durchgemacht. Mehrere Re-launchs, einen Wechsel der Moderation von Iris Radisch zu Stefan Zweifel, der dann vor wenigen Monaten auf abstoßende Weise von Elke Heidenreich mehr oder weniger herausgemobbt und vom Sender fallengelassen wurde. Jetzt gibt es eine neue Moderation und eine neue Zusammensetzung der Kritikerrunde. Die erste Sendung im neuen Kreis war aber nicht schlecht. Meines Erachtens ist dies die lebhafteste und interessanteste Literaturrunde, die von der Dramaturgie auch am ehesten ans Literarische Quartett heranreicht.


    Die Sendung ist als Podcast abonnierbar und auch auf der HP von SF1 abrufbar.


    http://www.srf.ch/sendungen/li…utiert-in-neuer-besetzung


    Ich denke, man wird mit zunehmendem Alter auch literarisch immer mehr zum Einsiedler. Der Geschmack akzentuiert sich; der Gleichgesinnten werden es immer weniger ...


    Ich mache diese Erfahrung nicht in der gleichen Weise. Zwar gibt es bestimmte Autoren und Genres, die mich nicht mehr so interessieren wie früher. Allerdings finde ich immer wieder interessante Anregungen und Gesprächspartner - das hängt aber vielleicht auch mit meinen Berufen und den Kreisen zusammen, in denen ich mich bewege. Und es erscheint auch viel Neues, auf das ich immer wieder neugierig bin. Zwar ist davon bei weitem nicht alles von bleibendem Wert, aber es gibt doch auch immer wieder viel Gutes dabei. Wenn ich allein auf meine persönliche literarische Ausbeute dieses Jahres zurückblicke, in dem ich so beeinduckende Bücher und Autoren kennengelernt habe wie Per Leo, Sasa Stanisic, Katja Petrowskaja, Wolfgang Herrndorf oder Etty Hillesum, dann kann ich nur sagen: es bleibt einfach spannend. :zwinker:


    Ich würde ihn nicht als typisch bundesrepublikanische, sondern als Vertreter einer untergegangenen Welt, der Welt der ehemaligen deutschen Gebiete im Osten, bezeichnen. Das, wird ihn dir als Schweizer wohl auch fremd machen, aber ich hatte, wie viele aus dem Großen Kanton, einen ostpreußischen Vater, so dass mir vieles bei Lenz, wie übrigens auch bei Grass, aus den Erzählungen meines Vaters bekannt ist. Lenz schrieb Erinnerungsliteratur, ob diese überlebt, wird sich daran zeigen, inwiefern seine Leser diese als exemplarisch ansehen.


    Guter Punkt, finsbury! :winken: Ich sehe Lenz nicht nur als ostdeutschen, sondern auch als explizit norddeutschen Autor. Sehr stark ja auch in Hamburg verwurzelt. Die Radfahrten des Siggi entlang des Nordseeküstendeichs sind mir eindrücklich in Erinnerung.


    Wobei sich wieder die Frage stellt, ob es wirklich eine Trennung in einen norddeutschen und einen süddeutschen Kanon gibt. Marcel Reich-Ranicki schreibt in seiner Autobiographie ja sehr schön darüber, wie sehr seine literarische Schulbildung eine preußisch-norddeutsche war. Bei mir war es ganz ähnlich. Autoren wie Storm, Fontane, Goethe, Thomas Mann, Gerhart Hauptmann, Günter Grass usw. waren gut vertreten. Stifter, Doderer, Musil - Fehlanzeige. Bei uns ging es sehr preußisch-protestantisch zu, bis hin in die Lesegewohnheiten. Und in diesem Kontext war und ist Siegfried Lenz einfach ein Norddeutscher.


    Aber das finde ich gar nicht! Ein großer Teil des Romans beschäftigt sich doch gerade mit diesen existenziellen Fragen. Nur dass die Erzählerin eben nicht im elaborierten Code darüber referiert, sondern sich mit nüchterner Beharrlichkeit und gut verständlichen Bildern ausdrückt. Gerade in ihrer Auseinandersetzung mit dem Unterschied zwischen Mensch und Tier vergewissert sie sich ihres einsamen Menschseins.


    Ja, wahrscheinlich war es genau der 'elaborierte Code', der mir fehlte. Ich habe wahrscheinlich auf den philosophischen Diskurs gewartet. Dass er nicht kommt, spricht womöglich gar nicht gegen das Buch, sondern einfach für meine falsche Erwartung. Vielleicht fehlt mir auch diese Art der existenziellen Erfahrung.

    Danke finsbury und @Gina für Eure feinen Antworten!


    Bei der Wand habe ich es nicht mehr so detailliert im Gedächtnis, aber bei Thomas Glavinic fehlte mir diese Reflexionsebene sehr. Es wird sehr viel beschrieben, was unternommen wird. Jedoch stellt sich der Protagonist die entscheidende Frage eigentlich gar nicht: wer bin ich als Mensch, was macht mich zum Menschen, wenn alle anderen Menschen plötzlich weg sind? Vielleicht bin ich einfach jemand, der solche Fragen dann mit der Holzhammermethode angegangen sehen möchte. Dem verweigert sich Thomas Glavinic, und - meiner Erinnerung nach - zum Teil auch M. Haushofer. Das hat dazu beigetragen, dass die Bücher für mich beide innerlich fern blieben.

    Da Ihr Euch hier so enthusiastisch über den Roman äußert: Mögt Ihr ein bisschen mehr dazu sagen, warum Euch das Buch so sehr gefällt? Mich hat es seinerzeit überhaupt nicht erreicht. Die ersten ca. 100 Seiten waren interessant, danach folgten gefühlte 300 Seiten Kuh melken und Katze streichen bis zum Gewalteinbruch am Schluss. Mir haben da einige Dimensionen gefehlt. Ähnlich ging es mir aber auch mit Thomas Glavinic' Roman 'Die Arbeit der Nacht'. Auch dort wird ja eine Existenz nach einer apokalyptischen Katastrophe beschrieben. Der Protagonist findet sich allein auf der Welt wieder aus der alle anderen Menschen verschwunden sind. Vielleicht fehlt mir für derartige existenzielle Situationen einfach die Antenne.


    [quote author=Karamzin]
    Zu Immermanns Zeiten ging das noch durch, selbst bei Goethe dürfte man da fündig werden.


    Wissen konstruiert mit Akkusativ: Ich wüsste niemand als Sie, dem ich lieber helfen möchte. Ich denke, das ist völlig korrekt so, oder?
    [/quote]


    Denke ich auch. Ich würde zwar sagen: "Ich wüßte niemanden als Sie ..." -- aber grammatisch ist es m. E. korrekt.


    edit sandhofer: Ich habe die Quotes richtig gestellt. Nix für Ungut! :winken: