Beiträge von JHNewman

    Zitat

    Dies alles geschah am Anfang des wirren Jahres 1918, genau das Jahr der Ernennung unseres Landsmannes (...) zum Befehlshaber der damals von Trotzki gegründeten Armee. Genau das Jahr, in dem die Bolschewiken ein Dekret erließen, mit dem Titel Das sozialistische Vaterland in Gefahr, in dem es unter Paragraph 8 lautete...
    (Nino Haratischwili, Das achte Leben (für Brilka), S. 79)


    Aua.


    Forever young? Juvenilia 2.0


    Mark Twain, Edgar A. Poe, Robert L. Stevenson, James Fenimore Cooper und Karl May: Mit diesen Namen verbinde ich Leseerlebnisse im Alter von 15 oder 16 Jahren. Haben diese Bücher mir heute, nach rund 35 Jahren, noch etwas zu sagen? Bedeuten sie mir noch etwas? Stellt sich erneut der damalige Reiz des hemmungslosen, weltvergessenen Schmökerns ein? Kann man diese Autoren heute noch so unbefangen lesen wie damals?


    Danke, Sir Thomas, für diesen schönen Bericht. Ich hatte letzte Woche ein ganz ähnliches Erlebnis. Ich habe mir die 5-CD-Hörspielfassung des Buches aus der Bücherei entliehen und beim Autofahren gehört. Die basiert auch auf der neuen Übersetzung von Andreas Nohl. Ich kannte die Geschichten auch aus der Kindheit - von damaligen LPs und aus dem Fernsehen. Mich hat die Hörspielfassung jetzt sehr begeistert, aber besonders gefreut hat mich auch, dass ich viele Szenen bis in die detaillierten Formulierungen hinein wiedererkannt habe. Das ist wirklich ein Jugendbuchklassiker, den man wiederentdecken sollte!


    fast vergessen:


    ein Hörspiel mit Erich Ponto als Nathan in der Hörspiel-Ursendung SDR 1956:


    Nathan der Weise


    Maria, you made my day. Hatte mich schon gefragt, was ich heute auf der langen Autofahrt hören soll. :winken:


    Und nachdem ich in einem unsäglichen katholischen Fundamentalistenforum dieser Tage einen Beitrag las, in dem der Nathan als literarisch bedeutend, inhaltlich aber zweifelhaft bewertet wurde, ist es dringend Zeit, ihn mal wieder zu hören. :grmpf: :rollen:


    Ich lese zur Zeit: Vor dem Fest von Sasa Stanisic,
    gefällt mir gut, man muß aber gut aufpassen, um nichts
    zu verpassen.


    Gruß, Lauterbach


    Ja, das ist sehr geschickt konstruiert und mit vielen kleinen Details und Querbezügen. Zudem sprachlich sehr fein gearbeitet.


    Ich habe jetzt von Wassil Bykau die Novelle 'Die Schlinge' gelesen. Bykau ist ein weißrussischer Autor, von dem ich bisher nichts kannte. Das Buch war sehr dunkel und düster, jedoch exzellent geschrieben.


    Dann habe ich schnell ein wenig book porn zwischengeschoben: Petra Hartlieb, Meine wundervolle Buchhandlung. Die Geschichte eines Ehepaars, das sich aus einer Laune heraus in Wien eine alte Buchhandlung kauft und dann über Jahre hinweg ausbaut. Sehr heiter und für Bücherfreunde munter zu lesen.


    Jetzt von Esther Maria Magnis, Gott braucht dich nicht. Eine Bekehrung.


    So wie Raulff den Begriff einordnet ist es bestimmt nicht nur auf den Roman bezogen, noch nicht ein Mal allein auf das 19. Jahrhundert, und es ist richtig allegorisch wie er schreibt. So finden wir den Epigonen in jeder Zeit und in uns selbst und erst Recht, wenn wir die Literatur lesen, die wir vor 40 Jahren gelesen haben sollten, bevor die Inhalte schal und faul geworden sind.


    Als Leser ist man ja immer Epigone - also Nachläufer der Schreibenden. Das ist auch nicht schlimm. Die Leser müssen ja zwangsläufig rückwärts lesen. Ob der Lesestoff dabei schal und faul geworden ist, hängt wohl an der Qualität der Bücher. Mir erscheint manches, das schon hundert Jahre und älter ist, heute immer noch sehr frisch und aktuell. Raulff hat - denke ich - eher die Schreibenden im Auge. Mit denen geht er weniger barmherzig um als mit den Lesern.

    Das hat Präzision und ist für mich auch etwas demütigend. :grmpf:


    Ich finde es sehr treffend beobachtet, kann aber nicht beurteilen, ob es sich direkt auf den Roman bezieht (da ich ihn nicht kenne) oder nur allgemein auf den Epigonenbegriff allgemein. Raulff schreibt ja in seinem Buch über eine ganz andere Epoche und das Auftreten der Epigonen damals.

    Ich stieß gerade auf dieses schöne Zitat:


    "Anders als der Renegat ist der Epigone die Hauptfigur des 19. Jahrhunderts; Karl Immermann hat ihn beschrieben und in der Abendröte der Goethe-Welt angesiedelt. Der Epigone ist der klassische Nachläufer oder Nachfahre. Er ist der Gast, der zu spät zum Mahl kommt und nur noch leere Teller findet und Pfützen in den Gläsern. Man kann es auch umdrehen: Wenn der Epigone kommt, ist die Party vorbei. Er tut so, als hätte er mitgefeiert und zu den Attraktionen des Fests gehört, dabei schleicht er sich erst durch die Hintertür, wenn die anderen schon gegangen sind und die Musik ausgespielt hat."


    (Ulrich Raulff, Wiedersehen mit den Siebzigern, 2014, S. 125)

    Von der Buchhandlung Proust in Essen:


    Zitat


    Zum 155. Geburtstag Hermann Balsens, dem Erfinder des nach Gottfried Wilhelm Leibniz benannten Leibniz-Butterkeks.



    Ein Fehler, ein Zweifelsfall.
    Dass 'dem Erfinder' falsch ist, ist klar. Aber was macht man mit dem Keks?


    des Butterkekses?
    des Butterkeks'?



    EDIT: Laut Duden ist 'des Keks' korrekt, 'des Kekses' allerdings auch.

    Damit schickst Du große Teile der Literatur des 19. Jahrhunderts in den unverdienten Ruhestand - von den "Wahlverwandtschaften" über "Rot und Schwarz" bis hin zu "Madame Bovary" und "Anna Karenina" - um nur die wichtigsten "Erotika" zu nennen. :zwinker:


    Nein, keineswegs. :zwinker: Es ging mir primär um die Frage, ob dieser Roman als Schullektüre tauge. Und sekundär natürlich um die Frage, wie er im Werk Fontanes zu verorten sei. Ich ziehe die großen Romane (Vor dem Sturm, Stechlin) bei weitem vor. Aber man muss vielleicht auch konzedieren, dass beides ausgesprochene 'Männerbücher' sind. Die vergleichsweise hohe Popularität der Effi liegt möglicherweise auch darin begründet, dass die Hauptfigur eine Frau ist. Wobei man in dieser Hinsicht ja dann auch noch bei Fontanes kleineren Romanen eine große Auswahl hat. Und was den Humor angeht, ist sicher 'Frau Jenny Treibel' kaum zu überbieten.


    Effi Briest mag auf ihre Weise ein Meisterwerk sein, aber für junge Menschen ist das Thema zu weit weg und wie gesagt, Fontane kann sehr humorvoll und ironisch schreiben, aber eben wenig davon findet sich in der Effi.


    Das Problem mit 'Effi' ist auch, dass sich der zwischenmenschliche Umgang, insbesondere der Umgang der Geschlechter miteinander, heute so sehr verändert hat, dass die Problempunkte des Beziehungskonflikts zwischen Instetten und Effi und Major Crampas jungen Lesern heute kaum bewusst werden. Wir lasen die Effi seinerzeit auch in der Schule und weiß noch, dass mir lange Zeit völlig unklar blieb, was zwischen Effi und Crampas eigentlich vorgefallen war, denn im Roman wird ja nichts erzählt. Die zarten Andeutungen eines auch sexuellen amourösen Verhältnisses versteht man im Zeitalter nach der sog. Sexuellen Revolution einfach nicht mehr.


    Übersetzungen sind ein spannendes Thema, und ich bin froh, dass auch bewährte Klassikerübersetzungen von Zeit zu Zeit unter die Lupe genommen werden. Zumindest bei dem einen oder anderen „Großwerk“ der Literatur kann das recht erhellend sein.


    Auch ein interessanter Punkt: Während Übersetzungen von Zeit zu Zeit unter die Lupe genommen werden und neue, zeitgenössischere Übertragungen auf den Markt kommen, bleibt das Original ja unverändert. Mich würde mal interessieren, ob ein Spanier das Werk heute ebenso einfach lesen kann wie wir die neue Übersetzung.


    Und damit sind wir schon mitten in der Diskussion um die beste Art des Übersetzens. Kultur-/Sprachspezifische Fachbegriffe mit einer Umschreibung übersetzen, wenn es den bezeichneteten Gegenstand in der Zielsprache gar nicht gibt? Mit dem Risiko, dass der Leser sich etwas anderes, vielleicht gar etwas völlig Falsches vorstellt? Oder den Fachbegriff Fachbegriff sein lassen? Im Wissen, dass der Leser sich vielleicht nicht genau vorstellen kann, was mit dem Originalbegriff gemeint ist? Beides hat sein Pro und sein Contra; beides ist wohl nicht ideal.


    Ja, die Diskussion zeigt, dass Übersetzung immer auch Verlust bedeutet - an Genauigkeit, an konkretem Inhalt, an Nuancen.


    Aber Deine Aussage, der Leser könne sich nicht genau vorstellen, was gemeint sei, oder er stelle sich etwas völlig Falsches vor, kann ich nicht recht teilen. Als Beispiel: Wenn ich mit einem Begriff wie der 'Telega' konfrontiert werde, kann ich mir gar nichts vorstellen. Das Wort kenne ich nicht. Ich muss dann im Endnotenverzeichnis nachblättern. Da dieses in meiner Ausgabe (Manesse) nach Kapiteln angeordnet ist und mit jedem Kapitel die Zählung neu beginnt, muss ich erst nach dem Kapitel suchen, dann die Fußnote finden und nachlesen, was eine Telega ist. Das unterbricht mich in der Lektüre. Hätte der Übersetzer hier 'Kutsche' geschrieben, hätte ich ohne Bildverlust weiterlesen können. Sicher hätte ich mir die Kutsche möglicherweise nicht konkret genug vorgestellt, aber immerhin wäre ein Bild dagesessen. Bei 'Telega' war natürlich kein Bild da.

    Die Frage ist: Sagen sie einem etwas in einer Übersetzung, die ja auch nur annähernd sein kann, weil es gewisse Dinge im deutschen Sprachraum so nicht gibt, oder wohl auch nicht in der römisch-katholischen Kirche?


    Manche Begriffe gibt es so sicher nicht. Man müsste dann Umschreibungen wählen (etwa Vorsteher statt Starost, Kutsche statt Telega, Gutsherr statt Barin, Hilfsgeistlicher o.ä.). Dann könnte man für die Interessierten eine Endnote setzen und den Originalbegriff nennen und erklären. Somit wäre der philologischen Genauigkeit Genüge getan, zugleich aber wäre es Leserfreundlicher als die Verwendung von sperrigen Originalbegriffen.

    Kleine Anekdote am Rande:


    Wir besprachen gestern in unserem Lesekreis Kafkas Roman 'Der Proceß'. Dabei sprachen wir auch über die schlackenlose, schlanke und unglaublich moderne Sprache Kafkas, die sich sehr von der Prosa der meisten seiner Zeitgenossen abhebt. Eine Mitleserin erzählte verschämt, sie habe sich das Buch in der Ausgabe einer Schullektüre (Klett-Verlag) besorgt und zu lesen begonnen. Nach einigen Seiten sei sie davon überzeugt gewesen, einen für Schüler bearbeiteten Text vor sich zu haben. So glasklar könne Kafka damals nicht geschrieben haben. Also besorgte sie sich eine andere Ausgabe, nur um dann festzustellen, dass auch die Schülerausgabe den Originaltext enthielt. :breitgrins:

    Die Anfrage liegt ja nun schon ein wenig zurück. Da ich aber gerade etwas zu Peter Urban schreiben wollte, hänge ich es einfach mal hier an. Ich lese derzeit Turgenjews Aufzeichnungen eines Jägers in der Übersetzung von Peter Urban. Urban wird ja gemeinhin als Übersetzer gepriesen. Eines muss ich sagen: Ganz sicher sind seine Übersetzungen nah am Original. So sehr, dass er sehr viele Begriffe überhaupt nicht übersetzt, was ich zunehmend mühsam finde. Häufig muss ich im Apparat nachschlagen, was ein Begriff bedeutet, mitunter wird es aber auch gar nicht erklärt. Da frage ich nun mich und die hier versammelte Forengemeinde: Ist das Sinn einer Übersetzung? Sicher: ein gut Teil der Atmosphäre kommt dabei besser rüber. Aber die Dienstbezeichnungen der agrikultururellen hierarchischen Struktur, die Dorfämter, die Stufen der orthodoxen Geistlichkeit - all diese Begriffe sagen mir zumeist nichts und es hilft mir gar nicht, wenn sie dort im russischen Original stehen bleiben.


    Wie geht es Euch mit solchen Übersetzungen? Schätzt Ihr diesen touch des Originalen oder bevorzugt Ihr die Verwendung übersetzter Begriffe?