Ich erwähnte ja schon weiter oben, dass ich mir auf einem Bücherflohmarkt ein Buch von Martha Grimes gekauft habe, dem ein Ausschnitt aus einem Gedicht von Wallace Stevens (die beiden letzten Strophen) vorangestellt war.
Dazu muss ich euch jetzt was fragen und hoffe, dass sich hier jemand im Englischen besser auskennt als ich.
Ich kannte von dem Gedicht anfangs nur das, was in dem Buch zitiert wird, also jene beiden letzten Strophen. Ich dachte sogar erst mal, das sei das ganze Gedicht.
Die Heldin in Mrs. Grimes' Buch, eine einfache Kellnerin, liest sehr viel und vertieft sich in dieses Gedicht in fast besessener Weise. Es interessiert sie dabei nicht, etwas über Key West zu erfahren, wer Ramon Fernandez ist oder etwas über Wallace Stevens. Sie will das Gedicht aus sich selbst heraus verstehen, weil sie meint, dass es ihr etwas Besonderes und Wichtiges zu sagen habe. Nun kann es ja kein Zufall sein, dass Mrs. Grimes gerade dieses Gedicht gewählt hat und aus diesem die beiden letzten Strophen. Ich habe über die die dem Roman vorangestellte Übersetzung (gibt es hier - bitte zu Seite 7 scrollen) gehirnt und am Ende gedacht, jene "schöne Sucht nach Ordnung" müsse der Grund sein, warum Dichter überhaupt dichten, und das sei das Thema der beiden Strophen. Der Drang, die Welt mit Worten zu erfassen, "in geistigeren Grenzen, kühneren Lauten" ordnet das Chaos, reduziert die Banalität der Wirklichkeit und gibt ihr Zauber.
Diese Deutung passt zu dem Grimes-Buch und der lesenden Heldin.
Ich wollte mir also einen Gedichtband von Wallace Stevens bestellen, forschte nach "der besten Übersetzung" und stieß auf diesen Artikel, in dem übrigens auch das Originalgedicht nachzulesen ist:
LitMag Weltlyrik - Wallace Stevens
Die Übersetzung von Rainer G. Schmidt hat einen völlig anderen Tonfall als die bei Mrs. Grimes zitierte (und als die, die ich mir gekauft habe, von Karin Graf). "Ordnungswut" und "in gespenstischeren Abgrenzungen, schrilleren Lauten" schafft eine ironische Distanz, die in den anderen Übersetzungen nicht anklingt, und ich frage mich, ob ich auf die oben genannte Interpretation gekommen wäre, hätte ich nur Rainer Schmidts Übersetzung gekannt.
Falls hier irgendjemand Lust hat, darüber nachzudenken - ich würde sehr gern eine andere Meinung hören. Vor allem, weil ich wie gesagt zwar Englisch lesen kann, aber nicht die Kenntnis habe, solche feineren Bedeutungsebenen zu erfassen.
Grüße von Zefira