Ich grabe den Thread wieder aus, weil ich für den Klassiker-Listen-Wettbewerb nun ebenfalls Bel-Ami gelesen habe.
Das Buch steht seit Jahren bei mir, und beim Lesen wurde mir klar, dass ich es schon einmal begonnen und dann abgebrochen haben muss. Ich kann mir auch denken, warum. Kurz gesagt, im ersten Teil möchte man die Hauptfigur Georges Duroy - er nennt sich später Du Roy und noch später Du Roy de Cantel, was schon viel über ihn aussagt - in den Hintern treten und im zweiten Teil in der Luft zerreißen.
Als die Erzählung einsetzt, schlägt er sich - nach seiner Militärzeit bei einem Algerienfeldzug - als kleiner Angestellter in Paris durch. Ein alter Freund, dem er zufällig begegnet, verschafft ihm eine Stelle als Journalist bei einer Zeitung. Duroy kann insbesondere von seiner Algerienzeit nett erzählen und eine Damengesellschaft damit unterhalten, aber überhaupt nicht schreiben. Die Frau seines Freundes, Madeleine Forestier, will ihm helfen, was darauf hinausläuft, dass sie seine Artikel an seiner Stelle schreibt.
Bel-Ami (den Spitznamen bekommt er von der Tochter einer seiner Geliebten) ist der Prototyp eines Mannes, der durch weibliche Protektion Karriere macht. Während die verschiedenen Frauen, die ihn lieben und beim Vorankommen unterstützen, eingehend und bildhaft beschrieben werden, bleibt Duroy selbst ein wenig blass und ungreifbar. Oft erschien er mir hoffnungslos borniert oder schlicht unverschämt. Vermutlich sieht er nett aus, aber er ist keine blendende Dorian Gray-Gestalt. Mehrfach erwähnt Maupassant, wie er sich selbst im Spiegel sieht, und zwar an (nach meiner Zählung) drei entscheidenden Stellen: einmal, wie er das erste Mal einen Gesellschaftsanzug trägt; das zweite Mal, als er durch ein geschicktes Manöver auf Kosten seiner Frau steinreich geworden ist, und das dritte Mal beim Betrachten eines Christusporträts, das eine auffallende Ähnlichkeit mit ihm selbst hat, also praktisch auch ein Spiegelbild ist. Ich hatte den Eindruck, dass er selbst, abgesehen von einigen sehr krassen Unverschämtheiten, als Person kaum existiert, jedenfalls nicht als Person mit Verdiensten oder Fähigkeiten. Er weiß eiinfach im richtigen Moment die richtigen Fäden zu ziehen. Maupassant hat ihn, habe ich im Nachwort zum Roman gelesen, selbst als "Lumpen" bezeichnet.
Ich kann nicht sagen, dass mir das Buch besonders gefallen hat. Natürlich ist es großartig geschrieben, aber Duroys Dreckigkeit - ich habe mehrmals beim Lesen rote Ohren bekommen vor lauter Fremdschämen - macht einfach keine Freude. "Ein Leben", Maupassants erster Roman und zwei Jahre vor "Bel-Ami" entstanden, hat mir wesentlich mehr zugesagt. Das ist natürlich ein reines Geschmacksurteil.