Beiträge von montaigne


    Im Berliner Dialekt wird den Familiennamen gerne ein -en angehängt, besonders wenn sie im Dativ oder Akkusativ stehen. Also Schwarzkoppen seine statt die Arbeiter von Schwar(t)zkopff.


    Danke, für den Grammatikunterricht. Das ist ja nun wirklich nicht meine Stärke. Vielleicht kannst du mir auch noch erklären warum es dann nicht „Borsigen seine“ heißt, also warum Schwarzkoppen seine, aber Borsig seine?


    Wenige Sekunden darauf vergleicht sie die ihr verbleibenden Möglichkeiten mit der Situation Paulines, und redet damit höchstwahrscheinlich zum ersten Mal mit einem Menschen darüber, den sie noch gar nicht richtig kennen kann, zu dem sie jedoch Zutrauen gefasst hat:


    [i]"... ich will mich lieber mein Leben lang quälen und im Spital sterben als jeden Tag alte Herren um sich haben, bloß um Unanständigkeiten mit anhören zu müssen oder Anzüglichkeiten und Scherze, die vielleicht noch schlimmer sind."


    Verräterisch für die zunehmende Gereiztheit Stines ist dieses "jeden Tag", das ja nun so auf Paulines Lebenswandel nicht zutrifft


    Ob das „jeden Tag“ auf Paulines Lebenswandel zutrifft, wissen wir nicht. Von Pauline erfahren wir ja nur was im Zusammenhang mit der Geschichte von Stine und Waldemar interessant ist. Vielleicht ist das ja ein Hinweis darauf, dass es in Paulines Leben noch mehr gibt als den alten Grafen und sie jeden Tag alte Herren empfängt?

    Gestern abend habe ich in Bezug auf „Stine“ noch etwas in Seilers „Fontanes Berlin“ und in Nünrbegers „Fontanes Welt“ geblättert und dabei gelesen, dass es an der Invalidenstrasse nicht nur eine Kaserne sondern auch mehrere Exerzierplätze gab (, so dass Emil von Schwartzkoppen seine Soldaten – oder muss das jetzt Schwartzkoppenen heißen – dort täglich mehrmals vorbei kamen). Interessant fand ich, dass einer der Exerzierplätze Grützmacher hieß. Die Schauspielerin nach einem Truppenübungsplatz zu benennen finde ich von Fontane nicht sehr charmant, aber wahrscheinlich der Wahrheit entsprechend und deutet möglicherweise darauf hin, dass Wanda und ev. auch ihre Freundin Pauline sich doch nicht nur mit einem Freier begnügten?


    Ich fand dann noch den Hinweis, dass Wanda ja literaturhistorisch auch nicht unbelastet sei – kann mir da jemand auf die Sprünge helfen? Mir fällt da spontan nur die Witwe Wanda von Dunajew aus „Venus im Pelz“ ein.


    [Ich bin übrigens noch nicht weiter gekommen mit dem Buch


    Hallo Zusammen!


    Das stellt sich bei mir ganz anders dar. Mich hat der kleine Roman so gepackt, dass ich ihn Sonntag Nacht in einem Zug durchgelesen habe. Ja, der „alte“ Fontane kann richtig spannend schreiben. Natürlich werde ich das Buch noch nicht zur Seite legen, sondern mich weiter mit den u.a. von Karamzin gelegten Spuren beschäftigen.


    LG


    montaigne

    Bernd W. Seiler seit 1974 akademischer Rat an der Uni Bielefeld habilitierte 1981 (Neuere deutsche Literatur und ihre Didaktik). Von 1986 bis 2005 war er Professor an der Uni Bielefeld: Professor Seiler hat sich sehr mit Fontane und seinem Werk auseinandergesetzt. Sein neuestes Werk „Fontanes Berlin: Die Hauptstadt in seinen Romanen“ ist auch wegen der vielen Bilder von Berlin damals und heute nicht nur für Fontane-Freunde sondern auch für Berlinfans interessant. .


    Das Buch enthält 191 Seiten und ist in 9 Kapitel eingeteilt:


    1. Theodor Fontane und die Stadt Berlin
    2. L’Adultera oder Entlang der Spree
    3. Irrungen, Wirrungen und der Westen
    4. Stine und der Norden
    5. Frau Jenny Treibel und der Osten
    6. Effi Briest und das Zentrum
    7. Die Poggenpuhls und der Süden
    8. Hier und dort: Cécile – Mathilde Möhring – Der Stechlin
    9. Das poetische und das reale Berlin


    Ein gutes Beispiel für eine solche Inszenierung stellt das Epigramm von Heinrich von Kleist über seine Novelle dar, in der eine sexuelle Übergriffsszene durch den wohl berühmtesten Gedankenstrich der deutschsprachigen Literatur angedeutet wird:


    Die Marquise von O ...


    Dieser Roman ist nicht für dich, meine Tochter. In Ohnmacht!
    Schamlose Posse! Sie hielt, weiß ich, die Augen bloß zu.


    Vielleicht sollten wir mal den Begriff „Gedankenstrich“ definieren. Ich jedenfalls habe in deinem Zitat nichts gefunden, was meinen Vorstellungen von einem Gedankenstrich auch nur entfernt entspricht.
    :breitgrins:


    sowohl Karamzin als auch Dir stimme ich in der grundsätzlichen Frage dazu, dass die Witwe Pittelkow der Protagonistin Stine schon fast ebenbürtig ist.
    Das Vertrauen in den Autor kann verwerflich sein.


    Ich z.B. habe in solchen Fällen überhaupt kein Vertrauen in einen Autor, weshalb ich auch der Meinung bin, dass in „Stine“ die Männer viel besser gezeichnet sind als die Frauen. Schon der spatzenbeobachtende Baron und der liberale Graf, der aber nur liberal ist so lange es nicht die eigene Familie betrifft finde ich sehr gut getroffen, aber unübertrefflich ist der junge Graf der noch kurz vor seinem Freitod folgendes aus Don Carlos zitiert:


    [i] Unser Kranker sog das alles in vollen Zügen ein, Duft und Melodie: »Wie lange, daß ich nicht so frei geatmet habe. ›Königin, das Leben ist doch schön‹ – unsterbliches Wort eines optimistischen Marquis, und ein pessimistisches Gräflein plappert es ihm nach.«


    Zu meinen Favoriten der belletristischen Literatur gehören die beiden Weimarer Klassiker, Fontane und Heinrich von Kleist. Aber auch andere Texte, wie Heines Harzreise, inspirieren mich.


    Hallo Vita activa,


    auch von mir ein herzliches Willkommen. Goethe, Schiller Kleist, Heine und Fontane, ich denke du bist hier genau richtig.


    Grüße
    montaigne


    bei Fontane wiederholen sich die Entwürfe der Figuren so, dass sie teilweise auch austauschbar wirken. Die Protagonistin Stine erinnert doch stark an die Romanfigur Lene aus Irrungen, Wirrungen, während sich der Graf Haldern als alter ego von Botho deuten lässt


    Natürlich war „Stine“ als Pendant zu „Irrungen Wirrungen“ angelegt und es gibt auch Übereinstimmungen, aber nicht umsonst hat Fontane an „Stine“ sehr viel länger gearbeitet, austauschbar sind die beiden Paare keineswegs. Lene und Botho sind ein gesundes Liebespaar die einen glücklichen Sommer erleben und dann untragisch auseinander gegen, wie das damals sicher vielfach geschehen ist. Waldemar ist da viel weiter als Botho, er nimmt die Standesunterschiede nicht als gegeben hin und versucht zumindest dagegen anzukämpfen, wenn er den Kampf auch noch verliert. Dietrich Bode schreibt über Waldemar: und ich bin geneigt dem zuzustimmen


    „Dieser junge Offizier, der sagt: „Ich bin krank und ohne Sinn für das, was die Glücklichen und Gesunden ihre Zerstreuung nennen“, und der dann gleich darauf „von nichts als von der Schönheit“ eines Sonnenuntergangs „hingenommen „ ist, dieser feinnervige und todesselige Waldemar stellt schon gleichsam einen Übergang zu Thomas Mann und zur Dekadenzthematik der Jahrhundertwende dar.“


    mir kommt der Begriff "Prostituierte" weder bei Pauline noch bei Melanie in den Sinn. Und auch Pauline wird ihrem "Ollen" treu sein, oder?


    Fest steht, dass beide ihre Beziehungen wegen der materiellen Sicherheit eingingen, nur dass man diese Beziehung bei Melanie "Ehe" nennt.


    Natürlich ist Pauline dem Grafen treu, aber doch nur weil er ausreichend bezahlt. Ob Melanie die Ehe nur wegen der materiellen Sicherheit eingegangen ist weiß ich nicht, außerdem besteht ein Unterschied zwischen Ehe und Nichtehe.


    Nun gut, wir sind hier unterschiedlicher Meinung und ich möchte das Thema nicht weiter vertiefen.


    der Begriff "Prostituierte" verweist im modernen Sprachgebrauch auf eine Person, die sich für Geschlechtsverkehr bezahlen lässt.


    Zustimmung, und genau das lese ich im Falle der Witwe zwischen den Zeilen. Klar ist ja wohl, dass der alte Graf für den Lebensunterhalt seiner "Königin der Nacht" aufkommt. Glaub' nur nicht, das tut er um dort ab und zu mal eine Party zu feiern. Und das Baby um das sich Olga kümmert, wird ja auch nicht vom Himmel gefallen sein


    Für mich ist Pauline eine der interessantesten Frauencharaktere des späten Fontane.


    Na ja, darauf hat Fontane ja selber immer wieder hingewiesen. Z.B. in folgendem Knittelvers in einem Widmungsexemplar:


    „Will Dir unter den Puppen allen
    Grade „Stine“ nicht recht gefallen,
    Wisse, ich finde sie selbst nur so so,


    Aber die Witwe Pittelkow!
    Graf, Baron und andere Gäste,
    Nebenfiguren sind immer das Beste,


    Und einmal soll sich Fontane geäußert haben: „Die Pittelkow ist mir als Figur viel wichtiger als die ganze Geschichte.“. Solche Sätze kann man natürlich nur richtig einordnen, wenn man weiß, dass Fontane in der Pittelkow vermutlich die Mutter eines seiner unehelichen Kinder charakterisiert hat.


    Leider liebt es Fontane viele Anspielungen durch Musik und Malerei dem Leser näher zu bringen. Vielleicht ist das der Grund warum ich in das Buch einfach nicht reinkomme. In den anderen, die ich bisher gelesen habe, fand ich das Thema nicht ganz so ausgeprägt.


    Hallo Katrin,


    aber im 4. Kapitel muss es doch auch bei dir geklingelt haben:


    [i]»Meine Gnädigste«, begann Papageno, »was dürfen wir demnächst an Neuigkeiten auf Ihrem Kunstinstitut erwarten?«
    »Unser Alter«, erwiderte Wanda, »will es mit einem Ausstattungsstück versuchen. Er meint, es sei noch das einzige...«
    »Da hat er recht. Ist es eine Reise nach dem Mond oder in den Mittelpunkt der Erde?«
    »Hoffentlich das letztere«, warf der alte Graf ein. »Ich bin für Mittelpunkte.«


    Der "Lärm", der in dem Erzählwerk Stine erzeugt wird, zeigt sich bereits am ersten Satz, indem von "klingelnden Pferdebahnwagen" und dem mittäglichen Gang der "Maschinenarbeitern" gesprochen wird. Interessant ist, dass diese Kulisse "gewöhnlich" charakterisiert wird. Wenngleich die Erzählinstanz in dem Roman nicht auf den Fabrikenlärm direkt eingeht, so deutlich sie den Berliner Lärm durch solche Details an.


    Ja, danke, Vita activa, du hast ja so Recht, bei Fontane kommt es vor allem auf die Anspielungen an, nichts wird direkt ausgesprochen, aber deshalb liebe ich ja Fontane, weil er immer das Mitdenken fordert


    Vielen Dank, Karamzin, für deine Ausführungen zum Polen-Motiv in Fontanes „Stine“ Es ist schon erstaunlich wie viel Anspielungen Fontane in einem kleinen Werk unterbringt und man darf wirklich keinen Satz überlesen, wenn man nichts verpassen will.



    Sowohl Pauline als auch Wanda wehren sich gegen das Spiel des alten Grafen und des Barons mit den Gestalten aus Mozarts "Zauberflöte". Die Witwe Pittelkow mißdeutet die Bezeichnung als "Königin der Nacht", weil sie die Oper offensichtlich nicht kennt. Sie erblickt darin eher eine Herabsetzung, eine Anspielung auf etwas Gemein-Unsauberes in ihrem Abhängigkeitsverhältnis vom Grafen.
    In Mozarts Oper ist die "Königin der Nacht" eine freimaurerisch inspirierte hoheitsvolle Verkörperung eines mystisch aufgeladenen Dunkels, das dem Licht der Aufklärung weichen muß. Das Humanitätsideal Mozarts in der "Zauberflöte" ist ihm (kurz vor seinem Tode)ein ernstes Anliegen, der Klamauk mit dem Pärchen Papagena/Papageno erfreute das Herz des Wiener Bühnenpublikums, das an solche Späße gewohnt war.


    Es gibt eine Einführung: G. H. Hertling: Theodor Fontanes Stine. Eine entzauberte Zauberflöte? Zum Humanitätsgedanken zweier Jahrhunderte. Bern/Frankfurt/Main 1982.


    Auch für deine Anmerkungen zur Zauberflöte und den Hinweis auf Hertlings „Eine entzauberte Zauberflöte“ vielen Dank


    ich nehme an, dass es hier über den Begriff der Prostituierten wenig Dissens gibt. In Bezug auf Pauline habe ich ihn auch nicht gebraucht, würdest Du es tun?


    Na ja, da müsste man den Begriff wirklich erst einmal definieren. Da dieser Begriff in letzter Zeit mehrere Male einen Bedeutungswandel durchlief, bin ich mir nicht sicher, ob jede(r) darunter dasselbe versteht. Die amtsdeutsche Umschreibung für Prostituierte war früher z.B. „Person mit häufig wechselndem Geschlechtsverkehr“, das trifft heute sicher nicht mehr ins Schwarze. Tatsache ist, dass wenn auch nicht ausgesprochen, aber angedeutet, Pauline von dem alten Grafen lebt, sie hat sonst keine Einkünfte, und ihm dafür sexuell zur Verfügung steht. So was nennt man heute „Edelprostituierte mit Stammfreier“.



    Natürlich kann man Begriffe immer sehr weit fassen und dann auch Frauen, die Beziehungen hauptsächlich wegen materieller Vorteile eingehen, als Prostituierte bezeichnen. Aber dies würde ich nie tun. Könnte man dann nicht auch eine Melanie Van der Straaten zu dieser Kategorie zählen?


    Melanie lebt in einer Ehe und ist ihrem Ehemann zehn Jahre lang treu und auch von ihrem späteren Geliebten wird sie nicht bezahlt. Da käme mir der Begriff Prostituierte niemals in den Sinn.


    auch am 27. Juli 2012 wenn die Olympischen Spiele in London mit der Eröffnungszeremonie „The Isles of Wonder“ starten wird Sir Paul dabei sein und sein Konzert wird die feierliche Eröffnung beschließen.


    Ich hatte mir die Eröffnungsfeier im TV angesehen und es war schon beeindruckend als am Schluss 60.000 Athleten zusammen mit Sir Paul "Hey Jude" im Stadion sangen aber um ehrlich zu sein der Schluss der Abschlussfeier gestern Abend mit der Rockband "The Who" hat mir persönlich besser gefallen.


    Die gesellige Runde der drei Frauen und drei Männer erinnert mich ein wenig an das Sextett, dem Lene und Botho bei Hankels Ablage in "Irrungen, Wirrungen" begegnete. Hier wie dort die Damen von kleinbürgerlicher, die Herren von adeliger Herkunft, hier wie dort mit Pseudonymen versehen (dort aus Schillers Jungfrau, hier aus Mozarts Zauberflöte). Dennoch sind Unterschiede vorhanden. Dort waren es Prostituierte (wie man zumindest mit Hilfe der Anmerkungen vermuten konnte), hier sind es Damen aus dem Kleinbürgertum, die sich von dem Verhältnis mit solchen Herren materielle Vorteile versprechen, aber nicht mit dem Herzen dabei sind. Das gilt zumindest für Pauline:


    Hallo Klaus,


    zumindest mit Blick auf Pauline, müsste man den Begriff Prostituierte mal definieren.


    Gruß
    montaigne


    Die Wechselwirkung von Lärm und Stille lässt sich als erzähltechnischer Eingriff auffassen. Was man als rein auditiven Effekt wahrnehmen kann, lässt sich auch synästhetisch visuell begreifen.


    Hallo Vita activa,


    Karamzin hatte ich so verstanden, dass es in „Stine“ keine Wechselwirkung von Lärm und Stille gibt, da Fontane den Berliner Lärm ausblendet. Kannst du mal eine Stelle in „Stine“ angeben, wo Fontane zwischen Lärm und Stille wechselt um erzähltechnisch einzugreifen.


    Gruß
    Montaigne