Gerade angefangen: der letzte Band meiner antiquarisch ergatterten Dostojewski-Sammlung, die Brüder Karamasow. Die anderen Bände (Der Spieler, Erniedrigte und Beleidigte, Schuld und Sühne, Die Dämonen, Der Idiot) sind absolviert, und es setzt sich ganz langsam ein aussagekräftiges Bild des Werks zusammen. Kurz: es ist irgendwie gemischt.
Danke für Deine Eindrücke!
Dahingehend habe ich das Pferd von hinten aufgezäumt. Mein erster Dostojewskij war dessen letzter, "Die Brüder Karamasow". Mit dem Einordnen wird das also noch eine Weile dauern. Was das Sprachliche angeht, stimme ich Dir da weitgehend zu, insbesondere was das flüssige Lesen anbelangt. Ich bin da recht schnell in einen guten Rhythmus gekommen und habe das Buch jeden Abend gerne zur Hand genommen. Einen Vergleich zwischen der Übersetzung Geiers zu vermeintlich angestaubteren, weniger gut lesbaren Übersetzungen kann ich hier allerdings nicht anstellen. Ich denke, dazu müsste man dann eigentlich auch das Buch nochmals lesen. Das wird so schnell nicht passieren.
Der Roman selbst ist nun nicht nur im Umfang außerordentlich mächtig, sondern insbesondere was die Konstruktion der Figuren, ihre inneren Konflikte und die Tiefe betrifft, gewaltig. Die universellen (Sinn-)Fragen des Lebens, beispielsweise die nach Gott, Werten und Moral, sind ja zeitlos und die Auseinandersetzung damit immer wieder aktuelles Thema. Mir ging es jedenfalls so, dass diese Fragen, die meist in Gesprächen aufgeworfen und aus unterschiedlicher Sicht beleuchtet werden, lange in mir nachhallten.
Diese Zerrissenheit der Seelen vieler Charaktere, die Geier mit dem Wort Nadryw unübersetzt lässt und dessen zentrale Bedeutung im Anhang herausgehoben wird, erklärt die schwermütige Stimmung. Ich empfand diese Charakterstudien der Brüder und anderer Figuren als hochinteressant und die große Stärke des Romans.
Ich musste beim Lesen der Kapitel, in denen Aljoscha als Mönch auftritt und seine Beziehung zu Starez Sossima näher dargestellt wird, an Parallelen zu Wodolaskins "Laurus" denken, da die Lektüre noch nicht allzu lange zurück lag. Auch da steht ein Mann Gottes im Mittelpunkt, wenngleich die Geschichte in einer anderen Zeit spielt, ein paar Jahrhunderte früher, meine ich Einflüsse in der Figur des Laurus erkannt zu haben. Zudem kam mir da das erste Mal der Begriff der Hagiographie unter, also die Darstellung des Lebens von Heiligen (Wodolaskin ist Literaturwissenschaftler und beschäftigt sich u.a. mit altrussischer Literatur), die ja gerade in den ersten Kapiteln um das Starzentum und Starez Sossima einen prominenten Raum einnehmen.
Die Querverweise auf andere Schriftsteller, neben Puschkin z.B. auch auf Schiller, dem Dostojewskij besonders zugeneigt gewesen war (im Anhang ist zu lesen, dass der jüngere Bruder in seinem Auftrag "Die Räuber" ins Russische übersetzt hat) und beispielsweise den Maler Kramskoi, dessen "Die Unbekannte" eines meiner Lieblingsgemälde ist, laden zum Weiterverfolgen ein.
Die Rezeption habe ich nur kurz im Netz recherchiert, fand die wenigen Schnipsel aber schon so spannend, dass ich dahingehend gerne mehr erfahren würde. Wenn also jemand eine Lektüre in diese Richtung empfehlen kann, wäre ich dankbar. Einige Kritikpunkte kann ich durchaus nachvollziehen (manche Stellen sind ein wenig pathetisch, z.B. wenn es um den russischen Bauern geht), stießen mir aber keinesfalls so sauer auf, als dass sie mir die Lektüre hätten verleiden können.
Was ich persönlich ein bisschen schade finde, dass so ein Narr wie ich die sporadischen französischsprachigen Sätze nicht im Anhang nachschlagen kann. Das ging mir schon bei den Neuübersetzungen Flauberts im Hanser Verlag auf die Nerven. Ja, es war nie einfacher über das Internet, über eine App oder ganz altmodisch, mittels Wörterbuch mal was nachzuschauen, aber wenn ich ein Buch lese, dann bevorzuge ich doch, mir es in meinem Lesesessel bequem zu machen und für eine ganze Weile höchstens an das Ende des Buches zu blättern. Ich liebe die französische Sprache und würde mich, vor allem was das Kino anbelangt, schon als frankophil bezeichnen, bin aber hier , was das Sprachenlernen betrifft, nicht so weit gekommen, wie geplant. Da wünschte ich mir dann doch einen Kommentar, wie in den Bänden des "Deutscher Klassiker Verlag" (was hier wohl einen weiteren Band bedeutet hätte).
Ich habe jedenfalls Lust bekommen, mehr von Dostojewskij zu lesen – weitere Bände liegen schon bereit.
Edit: Die Lektüre liegt jetzt 3 oder 4 Wochen zurück, danach habe ich "Frau Berta Gerlan" von Arthur Schnitzler gelesen (ein Geschichte, der wohl jeder eigene Erfahrungen entgegenstellt, sei es die Begegnung mit einer Jugendliebe oder das Ausbrechen aus der Enge der Kleinstadt in die vermeintliche Freiheit, die (Groß-)Stadt) Hat mir sehr gut gefallen.
Momentan bin ich in den letzten Zügen von Dickens' "Oliver Twist" - wunderbar!