Demnächst erscheint Jan Philipp Reemtsma Wieland-Biographie: Christoph Martin Wieland. Die Erfindung der modernen deutschen Literatur (704 Seiten, 38 Euro). Die Leseprobe ist schon mal großartig.
Beiträge von giesbert
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Ich hatte mir für dieses Jahr, gewitzt durch die Erfahrungen der letzten Monate, eigentlich vorgenommen, erstmal nur kürzere Texte, so bis 100 Seiten, zu lesen. Und was mache ich? Ich fang aus einer Laune heraus Bulwers 1200-Seiten-Schmöker "Was wird er damit machen?" in der Übersetzung von Arno Schmidt an (die dritte Lektüre, btw). Ein wahres Lesefest,wenn, tja: wenn ich dazu Zeit hätte. Ich lese da im Schneckentempo, bin aber ziemlich begeistert. Schmidt erlaubt sich in den opulent ausholenden Romanen, die er im Alter übersetzt hat – neben "Was wird er damit machen" noch Bulwers "Dein Roman" (nóch dicker, aber den kenne ich noch nicht) und Coopers Littlepage-Trilogie (jeweils rd. 600 Seiten: die drei Brocken hab ich seinerzeit quasi im Rausch gelesen) – einen Tonfall, den er sich sonst versagt. Schmidts Übersetzungen sind ein Thema für sich, aber eines scheint mir klar: Die dt. Fassungen von ihm sind wohl besser als die Originale, also: schlechte Übersetzungen. Aber unglaublich gute, sehr eigene deutsche Texte. Er hat Bulwer in ein flüssiges, ja: süffiges Deutsch übersetzt, mit gelegentlich absichtlich platzierten Stolperern und meinethalben auch Manierismen. Er produziert da gewissermaßen einen Sprachstrom, in dem der Erzählfluss breit und gemächlich dahinfließt, um unversehens über Steine und Klippen zu springen. Ziemlich toll (auch wenn seine Übersetzungen eher mehr über das Welt- und Literaturverständnis des Übersetzers als über das Original sagen – ich denke, AS sehnte nach der Literaturwelt des 18./19. Jahrhunderts, aber die war Paradise Lost, das er über den Umweg der Übersetzung wiederzubewohnen versucht hat. Oder so ähnlich ;-)).
Und da mich Bulwer selbst eher weniger, AS dagegen sehr interesssiert: passt das so ;-).
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Leute, es ist soweit. (Gefunden: hier)
Das ist doch albern: Nicht nur, dass es - wenn schon, denn schon - wohl eher "Briefe & E-Mails" heißen müsste, weil "Mails" ja schlicht "Briefe" heißt: Sind E-Mails keine Briefe? In Briefausgaben werden üblicherweise auch Postkarten oder Telegramme aufgenommen, ohne dass die Ausgabe dann "Briefe, Karten, Telegramme" hieße. Vielleicht einfach "Korrespondenz"? Oder müssten dann auch die Antworten der Empfänger aufgenommen werden? Da ich das kürzlich gelesen habe: Hans Wollschläger hat in den späten Jahren neben Papier- auch elektronische Post verschickt, das wird in der Briefe-Ausgabe dann entsprechend vermerkt (imho etwas unglücklich mit "als E-Post") - ähnliches hätte man für Wolfang Pohrt ja auch machen können. Ts.
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Hatte ich befürchtet. Je nun, ein Buch weniger, das ich lesen "müsste".
Es gibt schon hier & da Briefe, die allgemeiner gehalten sind und sich zu kleinen Essays mit vielerlei Andeutungen auswachsen - aber das sind Ausnahmen und besonders da hätte man gern mehr Kontext. Es gibt da z.B. einen Brief zu Fragen der Textedition. Da bezieht sich HW auf einen Brief, den man leider nicht lesen kann. Und auf eine Ausgabe, über die man nichts erfährt. Das wäre mit mehr Kontext sicherlich interessant, aber so hat man nur Fäden in der Hand, deren Ursprung man nicht kennt und bei denen man nicht weiß, wo sie hinführen, man platzt da gewissermaßen in eine Diskussion, der man gern folgen würde, der man aber nicht folgen kann. Und auch wenn sich die Ausgabe vor allem auf Briefe konzentriert, in denen es um sagenwirmal "das Werk" geht - es gibt ein paar private Briefe, deren Lektüre zumindest für mich eher peinlich war (das dort Verhandelte geht außer den Betroffenen nun wirklich niemanden etwas an), und die ich nicht veröffentlich hätte (jedenfalls nicht mit so kurzem zeitlichem Abstand).
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Außer, meines Wissens, zigtausend Seiten Angria und Gondal
Davon gab's mal eine kleine Auswahl (hg. v. Elsemarie Maletzke, Frankfurt/Main 1987, knapp 400 Seiten). Ich hab da mal so 200 Seiten gelesen, hat mich nicht unbedingt vom Hocker gehauen (Arno Schmidt hin oder her ;-))
Ich lese derzeit, mit eher gemischten Gefühlen, die jüngst erschienen Briefe von Hans Wollschläger. Die sind praktisch unkommentiert und es sind nur die Briefe von HW, keine Antworten oder Reaktionen der Briefpartner. Was insofern bedauerlich ist, da man zum einen relativ viel Vorwissen benötigt, um die Briefe überhaupt in ihrem Kontext zu verstehen und zum anderen, weil HW mitunter ziemlich austeilt und schimpft – da hätte man gern auch die andere Seite gehört/gelesen …. Für Leute, die sagenwirmal "mit der Materie vertraut" (Wollschläger, Karl May/KMG/KMV, Arno Schmidt/Stiftung und die verschiedenen Fraktionen & Grabenkämpfe der Fans) sind, ist das eine durchaus reizvolle Lektüre. Für alle anderen eher nicht.
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Es gibt ja recht viele Webseiten mit kostenlosen (public domain) Ebooks. Aber auf diesem hohen Niveau findet man da sellten was:
Etwas vergleichbares für deutsche Texte ist mir noch nicht untergekommen. Mobileread ist zwar umfangreich und meist auch sehr gut, aber auf die Typographie achtet man da nicht unbedingt.
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Na, das ist schon eine sehr persönliche Sicht der Dinge
Ich denke nicht, dass Rosendorfer das wirklich so gesehen hat, das war wohl eher die Freude am Ausfabulieren eines eher absurden Einfalls.
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»Ein ungelesenes Buch sträubt sich mitunter gegen das Gelesenwerden. Der ungelesene Inhalt stemmt sich über die erste Seite hinaus dem Leser entgegen. Man muß den Widerstand brechen (es gibt auch andere, sozusagen feile und geile Bücher, die den Leser ansaugen; ob das die besseren sind, ist noch die Frage), man muß eine Bresche schlagen, das Vertrauen der ersten Seiten gewinnen, die dann, wenn sie einmal beruhigt und mit ihrem Schicksal, gelesen zu werden, zufrieden hinter einem liegen und einem den Rücken stärken, den Leser den weiter hinten liegenden Seiten als harmlos und ungefährlich weiterempfehlen. Und wenn man einmal die Mitte des Buches überschritten hat, fühlt man sogar einen leisen Druck in den Rücken. Die letzten Kapitel, die letzten Seiten weichen zurück, zur Seite, das Buch will den Leser nach hinten loswerden, verdaut haben oder absondern, so daß es sich wieder schließen und seine Wunde vernarben kann. In einem anderen Exemplar des gleichen Buches, das man angefangen hat, weiterzulesen, ist fast unmöglich. Da sträuben sich die schon gelesenen, aber eben in diesem Exemplar nicht gelesenen Seiten von vorn und zwingen den Leser mit dieser nahezu allmächtigen Zange förmlich aus dem Buch hinaus.«
Herbert Rosendorfer, Großes Solo für Anton (Diogenes, Zürich 1981, S. 111 f.)
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Also, der Bösewicht heißt Seidelmann.
mag es ein angemessen schlimmes Ende mit ihm nehmen
Der ganze Romanteil nimmt, wenn ich mich da richtig erinnere, ein denkbar schlimmes Ende für viele Beteiligte, da wird am Schluss nichts geschönt. Findet man bei May eher selten. Am Schluss wird eine junge Frau, die vom Schurken verführt und geschwängert wurde und eine Totgeburt erleidet, für Kindsmord verurteilt und versucht, sich umzubringen, sie wird aber rechtzeitig gefunden – nicht "gerettet". So endet der 2. Teil:
ZitatBereits am Nachmittage zog sie als Kindesmörderin wieder in das Untersuchungsgefängniß ein, welches sie gestern verlassen hatte. Die Aerzte hatten begutachtet, daß sie transportabel sei, wenn man die nöthige Vorsicht anwende. Sie sagte kein Wort und sie weinte auch nicht. Warum auch weinen? Es war nun doch Alles aus! –
Der 2. Teil ist für Mays Verhältnisse ziemlich realistisch, da konnte er auf eigene Erfahrungen zurückgreifen. Eigentlich erzwingt der ganze Roman die "Systemfrage", aber natürlich wird sie nicht gestellt: das System ist gottgegeben und gut, es sind einzelne Schurken, die schuld sind. Naja.
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Ist das der, in dem u.a. auch das Weberelend in seiner Heimat geschildert wird? Das waren sehr eindrückliche Passagen, aber ich weiss beim besten Willen nicht mehr, in welchem seiner Schinken das war.
Ja, kommt im zweiten Teil, "Sclaven der Arbeit"
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Falls Du das Buch noch nicht da hast, kannst Du es ja einfach mal anlesen:
Oh, seit wann geht das denn wieder? Da gab es doch einen Rechtsstreit mit Fischer, der dazu führte, dass Gutenberg einen Zeitlang aus Deutschland überhaupt nicht erreichbar war, dann haben sie nur den Zugriff auf Thomas Mann gesperrt - und jetzt ist er offen, obwohl Mann hierzulande noch nicht "frei" ist?
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Es ist vielleicht etwas früh für ein Jahresresümee, aber zumindest ich kann absehen, dass bei mir nicht mehr viel passieren wird, also fang ich einfach mal an ;-).
Ende 2021 hab ich ja Marcel Proust für mich entdeckt und hatte mir vorgenommen, "Auf der Suche nach verlorenen Zeit" weiterzulesen. Das ging schon mal schief, ich bin immer noch auf dem "Weg nach Guermantes", also bei Band 3. Ich hab einfach nicht die Zeit und Muße gefunden, dort weiterzumachen, wo ich 2021 aufgehört habe. Stattdessen habe ich Niebelschütz’ "Blauen Kammerherr" noch einmal gelesen, wg. eines Projekts sehr viel Karl May, zwischendrin ein wenig ETA Hoffmann (Murr, Nussknacker, Sandmann etc), Hanuscheks Schmidt-Biographie (in dem Rahmen dann noch dies & das von Schmidt selbst), Ror Wolfs Tagebuch und diverse Kleinigkeiten. Mitte Oktober hab ich dann auf einer längeren Bahnfahrt Tergits "Effingers" angefangen, kam da auch gut voran, musste dann aber aus privaten Gründen die Lektüre ziemlich genau in der Mitte unterbrechen und lese seither immer mal wieder 20, 30 Seiten, aber nie wirklich mal längere Zeit am Stück. Naja. Das werd ich in diesem Jahr noch beenden, wenn dann noch etwas Zeit bleibt, widme ich mich in der Weihnachtszeit wohl wieder einmal Adairs Evadne-Mount-Trilogie, ein amüsantes und leicht lesbares Agatha-Christie-Pastiche. Zu mehr langt's aktuell einfach nicht.
Insgesamt ein eher trübes Lektürejahr mit sehr überschaubarer Ausbeute. Aber mei – es ist, wie es ist. Fürs nächste Jahr hab ich mir vorgenommen, bei meinen Lesevorhaben realistisch zu bleiben und zu akzeptieren, dass ich mit 61 einfach anders und vor allem langsamer lese als mit 20. Die Zeiten, in denen ich locker so um die 150 Seiten am Tag gelesen habe, sind einfach vorbei. Und an Leseräusche wie Coopers "Satanstoe", Jean Pauls "Flegeljahre" oder Wollschlägers "Herzgewächse" an einem Tag ist überhaupt nicht mehr zu denken.
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151 Kapitel & 1 Epilog
ich bin jetzt bei Kapitel 31 und sehr angetan.
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Ah, ja dann führt kein Weg am Spätwerk vorbei: A & D, Winnetou IV, Babel & Bibel.
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Wie ist "Im Reich des silbernen Löwen" so, kennt das jemand?
Kenne ich. Ist seltsam. Bd 1 und Bd 2 spielen die alten Motive durch, kompletter Leerlauf, es wiederholt sich alles, die Handlung kommt nicht von der Stelle, was selbst dem Romanpersonal auffällt, der Ich-Erzähler ist komplett handlungsunfähig (was ihm auch von seinen Feinden höhnisch entgegengehalten wird). Bd 1 probiert den Westen aus, funktioniert nicht, also ab in den Orient, funktioniert auch nicht. Also wirft May seine Helden buchstäblich nackt in die Wüste, ohne Waffen, ohne Proviant, ausgeraubt und geplündert. Und fängt ganz von vorn an. Und dann - Bd 3 und 4 - wird's eigenartig.
Das ist auf einer Meta-Ebene sehr interessant - aber als Lektüre, weil man mal was von May lesen möchte, gänzlich ungeeignet. Gilt auch für Ardistan & Dschinnistan. Ich denke ja, dass man, wenn man May nicht als Kind gelesen hat, damit später kaum noch wird etwas anfangen können.
Wenn, dann wären vielleicht die Kolportagemonster geeignet. Wer Sue oder Dumas gelesen hat, kann auch das Waldröschen oder den Verlorenen Sohn lesen
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Ach, nebenbei: Auf Seite 21 liest Paul Effinger "Der Börsen- und Gründungsschwindel in Berlin und Deutschland". Da war ich doch mal neugierg: Ja, das Buch hat es tatsächlich gegeben. Autor ist ein gewisser Otto Glagau. Das Buch hatte 1876 lt. Meyer bereits seine 4 Auflage. Bei Google Books wird es nur verzeichnet, steht aber nicht zur Verfügung.
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Ich hab nächste Woche zwei längere Bahnfahrten vor mir, insgesamt rd. 11 Stunden. Da hab ich nach viel Fach-, aber überhaupt keiner Belletristiklektüre jetzt auch mal die viel gelobten "Effingers" angefangen. Hab erst 50 Seiten, gefällt mir aber ziemlich gut. Mal sehen, wie weit ich während der Bahnfahrt komme (ich muss auch ein paar fachliche Dinge vorbereiten). Und ob ich nach dieser Lektüreauszeit noch Zeit finde, den Roman auch tatsächlich zu beenden. .Dieses Jahr war und ist lektüremäßig bei mir eine einzige Katastrophe :-(.
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Tipp: Bücher brennen schlecht. Verbrennt lieber die Bücherregale. Und den Parkettboden ...
Das hat mich bei dem Film dann doch geärgert. Witz hin oder her - aber Papier hat im Vergleich zu Holz einfach einen extrem schlechten Brennwert.
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Was lest ihr gerade? Leider: Gar nichts. Das muss sich ändern ;-).
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Die historisch-kritische Ausgabe der Briefe Jean Pauls gibt's jetzt auch digital: