Nun habe ich eine Schnitzler- Biogafie gelesen, die mich etwas ratlos zurücklässt.
Hartmut Scheible: Schnitzler (Rowohlts Bildmonografien, 1976)
Inhalt
Arthur Schnitzler wurde 1862 in Wien als Sohn des jüdischen Arztes und Klinikchefs Prof. Dr. Johann Schnitzler und seiner Frau Louise Schnitzler geboren. Vom Vater für die Nachfolge bestimmt studierte er Medizin und arbeitete auch lange in diesem Beruf. Nebenbei baute er sich aber auch eine schriftstellerische Karriere auf, bei der in den ersten Jahrzehnten seines Schaffens die Dramatik in ihrer öffentlichen Wirkung überwog. Schnitzler verarbeitet in seinen Werken die grundlegende Unstimmigkeit seiner Epoche, die einerseits an den überkommenen patriarchalischen Machtverhältnissen mit ihrer monarchisch - feudalen Struktur sowie dem aufklärerischen Gestus des liberalen Bürgertums festhielt und andererseits aber durch die Industrialisierung und Verstädterung, das Aufkommen neuer Gesellschaftsschichten und die explosionsartige Entwicklung der Wissenschaften zu einer Orientierungslosigkeit bzw. zu einer Flucht in Ideologien führte, seien diese nun nationalistisch-rassistisch oder positivistisch, weil viele Menschen die Diskrepanz nicht anders verarbeiten konnten. Schnitzler nahm sich nun in diesem Umfeld sehr oft literarisch der Geschlechterbeziehung an und enthüllte in seinen Dramen und seiner Prosa die Hohlheit der überkommenen Beziehungen in Ehe und Liebschaft, innerhalb und zwischen den Gesellschaftsschichten. Dabei gelingen ihm gekonnte Portraits gebrochener Persönlichkeiten, wie zum Beispiel „Leutnant Gustl“ und „Fräulein Else“. Vor allem bei den Frauencharakteren stellt er einfühlsam die Einwirkung der gesellschaftlichen Verhältnisse auf das Leben und die Psyche der Protagonistinnen dar, denen meist die Möglichkeit des selbstbestimmten Lebens versagt ist. Die tiefgehende Analyse der psychischen Persönlichkeit weisen Schnitzler als einen Zeitgenossen Freuds aus, der aber sich weigert, das Unbewusste als schicksalhaften Einflussfaktor zu akzeptieren. Schnitzlers große Zeit der öffentlichen Anerkennung liegt in dem Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg, wo die Aufführung seiner Werke, insbesondere des „Reigens“ und der „ Liebelei“ zu regelrechten Theaterskandalen führt. Nach dem Krieg kann Schnitzler, obwohl hier entscheidende Prosawerke - wie „Fräulein Else“ und die „Traumnovelle“ – entstehen, nicht mehr an frühere Erfolge in der Öffentlichkeit anknüpfen. Vom Selbstmord seiner Tochter Lilli 1928 zutiefst erschüttert, erholt er sich davon nicht mehr und stirbt 1931 an einer Gehirnblutung.
Zur Gestaltung und meine Meinung
Scheible ist ein beinharter Literatursoziologe, der in seiner Darstellung Schnitzlers weniger dessen Lebensereignisse und -eindrücke als die Analyse seiner Stücke aus der entsprechenden Richtung zugrunde legt. Ich halte die Literatursoziologie – in Kombination mit anderen Interpretationsansätzen – für eine legitime und sinnvolle Art der Herangehensweise an literarische Werke, aber in dieser Biografie fehlt mir so ziemlich das Biografische, das ja nun jenseits der gesellschaftlichen Verhältnisse auch Einfluss auf das Werk nimmt. Zusätzlich erschwert wird die Lektüre durch den typischen literatursoziologischen Duktus, der zwar auch mein Studium bestimmte, aber dennoch ziemlich anstrengend war und ist. Ich schätze diesen Band trotzdem, weil ich ihn nach der Lektüre weiterer Werke Schnitzlers bestimmt noch öfter in die Hand nehmen werde, um Scheibles Interpretationsansätze mit meinen eigenen Leseeindrücken zu vergleichen, aber er lässt mich in Bezug auf die sehr interessante Persönlichkeit Schnitzlers und seine privaten Lebensumstände etwas orientierungslos zurück.