Beiträge von finsbury

    Virginia Woolf: Mrs. Dalloway


    Virginia Woolfs Roman erschien 1925 im eigenen Verlag Hogarth Press.

    Eine richtige, fortlaufende und zielorientierte Handlung gibt es nicht. Erzählt wird multiperspektivisch und fast ausschließlich im Bewusstseinsstrom von einem Junitag in London, an dem die zweiundfünfzigjährige Clarissa Dalloway abends eine Gesellschaft gibt. Was ihr während ihrer Tätigkeiten in den Stunden vor und während des Empfangs durch den Kopf geht sowie den Personen, denen sie begegnet, bildet den Inhalt des Romans.

    Dabei ist als zweite Erzählebene am wichtigsten die von Septimus Warren Smith, einem jungen Mann, erst seit kurzem verheiratet, der mit einem Trauma aus dem Ersten Weltkrieg heimgekehrt ist und sich kurz vor Beginn von Clarissas Gesellschaft umbringt. Beide kennen sich nicht, sie begegnen sich nur kurz und ohne voneinander besonders Notiz zu nehmen. Nur Clarissa fühlt sich aufgrund dieses ihr von Bekannten berichteten Selbstmords beklommen, denkt sie doch, dass der junge Mann die Schwere der Welt ein wenig auch für sie auf sich genommen habe.

    Eine weitere wichtige Figur ist Peter Walsh, vor dreißig Jahren sehr in Clarissa verliebt und nun nach vielen Jahren aus Indien heimgekehrt, um eine juristische Angelegenheit zu klären.

    Keine diese Personen hat eine besondere, über sie selbst und ihren Kreis hinausgehende Bedeutung und auch ihre Gedanken sind über weite Strecke banal.

    Aber Woolf fängt damit den normalen Alltag des Denkens ein, die Verschränkung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, in dem was wir erinnern, womit wir gerade konfrontiert werden und was wir planen und uns wünschen. Der Roman ist ganz im gehobenen Bürgertum und Adel verhaftet, mit Ausnahme von Septimus, wenig sozialkritisch, aber sehr satirisch und auch kritisch gegenüber der Gemütskälte und Ichbezogenheit vieler Personen in seinen Einzelbeobachtungen. Auch bei der Zweitlektüre eine berührende Lektüre!

    Heinrich Böll: Gedichte; Klaus Staeck: Collagen, Köln 1975


    In dem 1. Querheft des Labbé & Muta-Verlages werden Bölls Gedichte, wohl überwiegend aus den Anfang Siebziger Jahren mit einer Collagen-Serie von Klaus Staeck in Verbindung gebracht, die sich auf eine Anzeige der „Welt“ vom 31.12. 1974 mit dem Titel „Der Wind hat sich gedreht“ bezieht.


    Dort hatte „Die Welt“ angebliche Überzeugungen der deutschen Bevölkerung, die einem rechtskonservativen Gesinnungsbild entsprechen, aufgelistet. Die Leitthese dazu ist „Viele Menschen in unserem Land sind der ideologischen Herausforderungen satt“. Eine Unterthese heißt dann beispielsweise „Sie wollen einen Staat mit Autorität“, was Staeck als Titel zu einem Foto mit den Hitlergruß zeigenden Richtern verwendet. Und so werden auch die anderen Unterthesen mit Fotos oder Montagen aus der Zeit des Nationalsozialismus zusammengebracht.


    Bölls Gedichte sind stark zeitgebunden und heute nur noch mit ausführlicher Recherche verständlich. Dennoch gehen sie in die gleiche Richtung wie Staecks Collagen: Sie zeigen, wie die nicht aufgearbeitete Zeit des Nationalsozialismus bis ins Privatleben auf das Zusammenleben der Menschen wirkt, wie bestimmte Medien, insbesondere des Springer-Hauses, diese Verdrängung und die Manifestation rückwärtsgewandter Werte massiv unterstützen.


    Einige Verse aus den drei Köln-Gedichten sind mir eindrücklich geblieben, weil sie die tiefe Verbundenheit Bölls mit seiner Heimatstadt und gleichzeitig seine Verzweiflung über die Stagnation bzw. sogar Rückwärtsgewandtheit der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung in den Anfang Siebziger Jahren aufzeigen. Gleichzeitig wird auch sein damit verbundenes Lebensthema des Katholizismus oft angesprochen.


    Ein Zitat aus „Köln 1“ verdeutlicht dies vielleicht:


    „Wer an Kanälen lauscht


    kann sie hören


    in Labyrinthen unter der Stadt


    über Geröll, Scherben, Gebein


    stolpert die Madonna


    hinter Venus her


    sie zu bekehren


    vergebens …“.

    Das merkt man seinen Büchern ja auch an. Gehört zum Naturalismus wohl auch dazu, wenn man's ernst meint. Und da fällt mir ein, dass ich zwei aus dem Zyklus gelesen habe, die nicht in Paris spielen, "Germinal" und "Die Erde". Manchmal macht diese Genauigkeit, gerade wenn es um die Schilderung von Armut geht, die Lektüre schwierig, aber gut

    Ich sehe gerade, dass "Der Bauch von Paris" nur ein Einzelband von den "Rougon-Marquart" ist. Irgendwie hatte ich im Gedächtnis, dass der ganze Zyklus so genannt wird. Sorry! :S

    Für die 20er Jahre gönne ich mir mal bei der deutschsprachigen Literatur etwas Leichtes und dennoch einen echten Klassiker:
    Erich Kästner: Emil und die Detektive.

    Die ganzen anderen Kinderbücher von Kästner hatte ich schon gelesen, dieses komischerweise bisher nur in Kürzungen oder Adaptionen, jetzt den Originaltext mit den schönen Illustrationen von Walter Trier. Gerade im Vorwort in Gestalt eines Eingangskapitels hat das Buch schon etwas Motten angesetzt und ist sicherlich nicht politisch korrekt (es geht um einen Südseeroman mit den entsprechend klischeehaft besetzten Personal), aber wer sich daran stört und nicht die Zeitumstände bedenkt, der sollte dann lieber doch nur Literatur der letzten zwanzig Jahre lesen.

    Ansonsten immer noch vergnügliche Lektüre, die auch heute wohl noch Kindern Spaß macht, wenn sie nicht von früh bis spät Horrorfilme oder entsprechende Computerspiele konsumieren.

    Unbenommen davon ist, vielleicht noch ein weiteres, ernsthafteres Buch aus diesem Zeitraum zu lesen. Mehr darf es ja immer sein!

    haukehaien, auch von mir ein herzliches Willkommen. Du hast dir ja schon einen prima Nickname für dieses Forum gewählt. Wenn du Fragen zum Posten, Zitieren usw. hast, kannst du das auch hier tun. Wir sind hier nicht besonders lebhaft, aber es kommt immer wieder jemand vorbei, die/der dir helfen kann. Wie Zefira schon im Listen-Thread geschrieben hat, geht es hier nicht um Wettbewerb, sondern um Ansporn für sich selbst und um Austausch über die gelesenen Werke.
    Wichtig beim Posten ist nur, das du in den Klassiker-Threads auch wirklich nur über literarische Klassiker schreibst, im Diskussionsforum "Nicht-Kanonisches" usw. kannst du über alle anderen Bücher schreiben.

    Viel Spaß hier und auf einen ergiebigen Austausch. Deine Sachinteressengebiete berühren auch einige der meinigen.

    ... und ich kann dir mit Mrs. Dalloway eine spannende und hochinteressante Lektüre versprechen. Ich habe das in 2022 in einer Leserunde gelesen, es war ein außergewöhnliches Leseerlebnis.

    Dankeschön. Gelesen habe ich den Roman ja schon einmal 2007 und erinnere mich recht gut daran, was schon ein Zeichen dafür ist, dass er mich angerührt hat. Auch jetzt finde ich den Anfang wieder grandios. Er hat viel vom Ulysses, den Woolf neben Proust ja auch zum Vorbild nahm, aber die weibliche Sicht ändert erstaunlich viel, oft für mich zum Positiven, z.B. das fehlende Renommieren mit der Hochbildung, die Abwesenheit von Drastik bei einigen Szenen.

    Ab nächster Woche nehme ich auch zu einer diesmal nicht digitialen Leserunde zum Werk teil, bin mal gespannt, wie die anderen es sehen.

    Ja, Lauterbach, man muss davon keine Krise bekommen. Ich kenne aber durchaus Personen in meinem Bekanntenkreis, die zu Depressionen neigen und denen ich dieses Buch wirklich nicht ans Herz legen würde. Obwohl ich trotz der spürbaren Qualität und Aussagekraft des Romans nicht in jedem Moment die Lektüre genossen habe, glaube ich nicht, dass ich mehr (Dach)schäden davon getragen habe, als ich ohnehin schon aufweise :clown:.
    Ein Wiederlesen ist aber bestimmt eine gute Option!

    Im Rahmen meiner Lektüre von Werken des 20. Jahrhunderts habe ich jetzt folgenden Roman gelesen:


    Sylvia Plath: Die Glasglocke /The Bell Jar


    Plaths einziger Roman erschien 1963, in dem Jahr, in dem die Autorin einen Monat später ihrem Leben mit 30 Jahren in London ein Ende setzte.


    Autobiografische Elemente prägen weite Teile der Romanhandlung. Plath ist neben ihrem Roman hauptsächlich für ihre Lyrik bekannt, gesammelt in den beiden Bänden „ The Colossus and other Poems“ und „Ariel“.


    Esther Greenwood, Plaths Alter ego, gewinnt als College-Stipendiatin einen einmonatigen Aufenthalt in New York, um an einer Ausgabe einer Frauenzeitschrift mit elf anderen Stipendiatinnen mitzuwirken. In diesem Monat wird den jungen Frauen viel geboten, sie erhalten Einladungen zu Veranstaltungen, bekommen Geschenke und dürfen für die Modezeitschrift Artikel schreiben. Doch dieses Leben, von dem Esther glaubt, dass sich viele junge Frauen danach sehnen würden, kann die Ich-Erzählerin nicht genießen. Sie fühlt sich oft isoliert vom Geschehen, sieht diesem nur von außen zu und neigt zu unerklärlichen Weinkrämpfen. Auch die Bekanntschaft mit der unkonventionellen, dem Lebensgenuss ergebenen Doreen ändert daran nichts.

    In Rückblicken wird von Esthers bisherigem Leben erzählt, den fleißigen und erfolgreichen ersten Collegejahren und der Beziehung zu ihrem Jugendfreund Buddy.

    Nach der Rückkehr nach Hause versinkt Esther in eine tiefe Depression. Eigentlich hatte sie gehofft, an einem Sommerschreibkurs in den Semesterferien teilnehmen zu können, dafür aber keine Einladung bekommen. Trotz zahlreicher Versuche ihrer Mutter und anderer, sie aufzumuntern, kommt es zu einem Selbstmordversuch, wonach sie in eine Klinik eingeliefert wird. Die Stifterin ihres Stipendiums sorgt dafür, dass sie von dieser düsteren Einrichtung in eine Privatklinik für psychische Erkrankungen verlegt wird. Dort rappelt sie sich langsam wieder auf, aber fühlt sich nicht wirklich geheilt. Sie erkennt, dass sie lange unter einer Glasglocke gelebt hat und dass diese jederzeit wieder über sie hereinbrechen kann. Das Buch endet offen vor dem Entlassungsgespräch in der Klinik.


    Der Roman wurde zu einem Schlüsselwerk des Feminismus, da die Zerrissenheit der Hauptperson von ihr selbst immer wieder auch mit der restriktiven Rolle der Frau in den USA der Fünfziger Jahre in Verbindung gebracht wird. Das Studium zum Beispiel bereitet die Frau nicht auf ein eigenbestimmtes Leben in einer entsprechenden beruflichen Stellung vor, sondern bestenfalls darf sie auf eine dienende Funktion zum Beispiel als Assistentin eines Wissenschaftlers rechnen. Die Heirat und das damit verbundene Leben als Hausfrau und Mutter ist immer noch das eigentliche Ziel der bürgerlichen Frau. Die hochintelligente und ebenso sensible Esther verzweifelt an diesen Engführungen ihrer Existenz und fühlt sich davon gelähmt.


    Die Lektüre dieses Werks fiel mir nicht leicht, weil die lähmende Stimmung der depressiven Ich-Erzählerin intensiv wirkt. Aber gerade deshalb hat das Buch wohl auch so eine immense Wirkung erzielt, natürlich auch im Kontext mit dem unglücklichen Leben der Autorin. Neben diesen düsteren Elementen enthält das Buch aber auch viele satirische Gesellschaftsbeschreibungen, die die Lebensbedingungen und Reglementierungen der jungen Generation zu der Zeit sowie ihre zum Teil kläglich scheiternden Ausbruchsversuche aufs Korn nehmen.


    Ein Buch, das man vielleicht nicht lesen sollte, wenn man sich selbst in einer düsteren Phase befindet, das aber erstens wirklich gut geschrieben ist (Achtung, die Monotonie mancher Satzanfänge und viele Wiederholungen sind gewollt) und einem zweitens viel über das Lebensschicksal vieler Frauen in der Mitte des letzten Jahrhunderts vermittelt.

    Eine kurze Bemerkung zu der Biografie von Klaus Schröter in der Reihe "Rowohlts Bildmonografien":
    Wenn man eine Bio sucht, die den Werdegang Bölls darlegt und also die Geschehnisse, Personen und Bildungserfahrungen, die ihn prägten, so wird man in dem schmalen Büchlein kaum fündig. Hier geht es eher um Kritiken seiner Werke, zum Teil auch recht polemisch.

    Das kann ich gut verstehen, b.a.t.. Deshalb habe ich mir dieses Jahr hier auch nur ein Gerüst vorgegeben, weil ich bei Durchsicht meiner Regale bemerkte, dass besonders viel aus dem 20. Jahrhundert hier ungelesen rumsteht, ich aus diesem Jahrhundert einige Bücher habe, die ich gerne wieder lesen würde und ich eben auch mehrere Jahrzehnte in diesem Jahrhundert verlebt habe.


    Bei "Ansichten eines Clowns" und jetzt bei der Böll-Biografie erlebe ich auch wieder so einiges neu, was meine Kindheit und Jugend geprägt hat und was ich gar nicht mehr so genau auf dem Schirm hatte. Bei dem Roman eher das Rheinische und die Hinweise auf Bonn, in der Bio diese Bedrohungslage, aber auch die ganze Hysterie rund um die R.A.F., dann später die großen Demonstrationen gegen den Doppelbeschluss in Bonn.

    Und dann springe ich über den großen Teich und kann im Moment die Verlogenheit der 50er Jahre US-Gesellschaft in Sylvia Plaths "Die Glasglocke" mit ihrem Chauvinismus gegenüber den Frauen nachvollziehen und welche deformierenden Auswirkungen das hatte.

    Und so hoffe ich, mich mithilfe vieler Leseeindrücke mehr diesem monströsen Jahrhundert mit den wohl meisten Umbrüchen in der Geschichte der Menschheit zu nähern.

    Es ist lange her, dass wir uns hier über Heinrich Böll unterhalten haben. Einen seiner Romane habe ich jetzt wieder gelesen. Anknüpfend an obige Einschätzungen möchte ich erwähnen, dass der Roman "Ansichten eines Clowns" einige formale Schwächen aufweist, aber zeitgebunden kann man ihn nicht nennen, wenn man sich anschaut, was hier (wieder) passiert. Da kann er uns auch heute noch gut den Spiegel vorhalten.


    Bölls Roman „Ansichten eines Clowns“ erschien erstmalig 1963 bei Kiepenheuer & Witsch in Köln.


    Der Roman schildert einen halben Tag im Leben des Hans Schnier, Abkömmling einer Braunkohledynastie und von Beruf Clown mit dem Schwerpunkt gesellschaftliche und politische Pantomime.

    Der Ich-Erzähler kommt nach einer katastrophal verlaufenen Tournee nach Bonn, wo er eine Wohnung besitzt. Seine langjährige Geliebte Marie hat ihn vor einem Jahr verlassen, und seitdem sackt er immer mehr ab, betrinkt sich und kann die Standards für seine Auftritte nicht mehr einhalten. Sein Agent ist nur noch bereit, ihn wieder zu vertreten, wenn er einen Neuanfang versucht und dafür zunächst mindestens ein halbes Jahr intensiv trainiert.


    In seiner Wohnung angekommen versucht er, bei allerlei Bekannten und Familienmitgliedern an Geld und Informationen über Marie zu kommen, macht sich dabei aber auch Luft und kritisiert die Einstellungen und das Verhalten der Gesprächsteilnehmer. Dabei werden in Rückblenden seine Familienverhältnisse und seine Liebesbeziehung zu Marie geschildert.

    Hans‘ Schwester Henriette wird in den letzten Kriegstagen mehr oder weniger von seiner Mutter als Flakhelferin an die Heimatfront geschickt, um den „heiligen deutschen Boden“ zu verteidigen und kommt dabei um. Die gefühlskalte und extrem sparsame Mutter hält ihre Kinder an der kurzen Leine, ist während des Dritten Reiches leidenschaftlich nationalistisch, tritt danach aber sofort einem „Zentralkomitee der Gesellschaft zur Versöhnung rassischer Gegensätze“ (sic!) bei und reist für dieses umher. Der Vater, Braunkohlemillionär und nach dem Krieg eine Art Fernsehstar als Wirtschaftsweiser, lässt seine Frau machen und erholt sich bei einer Geliebten. Seinen Sohn Hans will er nur unterstützen, wenn dieser seine Kunst richtig studiert, was Hans aber nicht will, denn er hat seine Themen gelernt und trainiert. Sein Bruder Leo ist zum Katholizismus konvertiert und lebt in einem Konvikt.

    Schließlich gibt es noch einen großen Kreis von Bekannten aus Maries Zirkel, die ebenfalls überzeugte Katholikin ist. Ihre Beziehung zu Hans leidet von Anfang an darunter, dass sie beide „in Sünde“ leben. Zu Beginn distanziert sich Marie zwar von der Kirche und ihren Moralvorstellungen, wird dann aber immer mehr wieder in den Zirkel hineingezogen, vielleicht auch, weil zwei Fehlgeburten ihr die Vorstellung von göttlicher Bestrafung nahelegen. Schließlich zerbricht die Beziehung daran, dass Marie bei Hans nicht genügend Aufrichtigkeit hinter seinem Bekenntnis zu einer katholischen Erziehung möglicher weiterer Kinder vermutet. Sie wendet sich dem aufrichtigen, schon seit langem in sie verliebten Katholiken Heribert Züpfner zu und heiratet ihn.

    Hans jedoch findet in den Gesprächen dieses Nachmittags und Abends keinen Halt, durchschaut die Abgründe dieser nur scheinbar konsolidierten Nachkriegsgesellschaft und beschließt, auf den Stufen des Bonner Hauptbahnhofs durch Gitarre spielen und Betteln sein Lebensnotwendigstes zu verdienen und dabei auf die Rückkunft Maries aus deren Flitterwochenreise nach Rom zu warten.


    Ich habe den Roman schon einmal am Ende der Siebziger Jahre gelesen, konnte mich aber während der Lektüre an nichts erinnern. Die satirischen Elemente, die die Fassade der Nachkriegsgesellschaft zerlegen, sind leider auch heute noch aktuell, denn sowohl der nur dünne bürgerliche Anstrich über nationalen und rassistischen Vorstellungen ist auch heute noch oder leider wieder erkennbar als auch in den Skandalen der katholischen Kirche und ihrer Haltung zur Homosexualität und Stellung der Frau in der Kirche, deren Verharren auf inhumanen und undemokratischen Positionen.

    Schwierig sind einige Stellen, die denn doch auch zeigen, dass Böll ein Kind seiner Zeit war und hinsichtlich seines Frauenbildes und seiner Haltung z.B. zur Homosexualität sicherlich heute Probleme hätte, aber über welche Schriftsteller vergangener Generationen kann man das nicht sagen?

    Der Roman ist nicht unbedingt der beste Bölls, aber er hat uns auch heute noch eine Menge zu sagen. Und er ist sehr rheinisch: Wer wie ich viele Jahre dort gelebt hat, wird seinen Spaß haben an den vielen rheinischen Eigenheiten und der geschilderten Umgebung.

    "Ansichten eines Clowns" von Heinrich Böll und dessen Romo-Biografie von Klaus Schröter. Ersteres ist ein Reread nach 46:boah:Jahren. Der Roman spielt 1962 und vorher hauptsächlich in Bonn. Da bin ich dann ein Jahrzehnt später zur Schule gegangen und habe danach dort auch studiert. Es ist schön, wenn man sich das alles vorstellen kann, was der Protagonist sieht. Und dennoch ist gerade diese katholische Welt so weit weg ... .