Beiträge von finsbury

    Viele Sprachbilder haben schon den Weg in mein Zitatebuch gefunden. Hier tue ich mir aber eher in der Auswahl schwer, was ich weglassen und was ich notieren soll. Anderswo gibt es nicht so viel zu entdecken.

    Von dieser Warte betrachtet, ist das Buch schon jetzt ein großer Gewinn.

    So ähnlich empfinde ich es auch. Viele dieser Sätze sind wie edle Möbel mit blank geputzten Flächen, kleinen, nicht zu vielen verspielten Details und immer wieder überraschenden Ideen für praktische Lösungen. Deshalb versuche ich auch, zunächst mehr auf der Inhalts- und Beschreibungsebene zu bleiben, um mich in dieser Pracht ein wenig orientieren zu können.

    Die Neunziger Jahre im deutschsprachigen Bereich habe ich jetzt erstmal abgedeckt mit Peter Härtlings autobiografischem Roman "Herzwand".
    Ich sehe, dass ich bei den anderssprachigen Literaturen stark im Hintertreffen liege, weil ich mich im Bereich Aufarbeitung des 2. Weltkriegs und der Nachkriegsjahre in Deutschland etwas festgelesen habe. Mit Saul Bellows" Die Abenteuer des Augie March" will ich meinen Blickwinkel mal in eine Richtung schwenken und in einen etwas früheren Zeitraum. Der Roman behandelt wohl aber am Ende auch noch den 2. Weltkrieg aus den Augen der Hauptfigur.

    Zuletzt gelesen: Peter Härtling - Herzwand (1990)

    Neu begonnen: Saul Bellow - Die Abenteuer des Augie March (1949),


    ein in der Tradition des Schelmenromans stehender dickleibiger Roman über einen Jungen und Mann, der aus einer armen jüdischen Familie in Chicago stammt und die amerikanische und später auch europäische Welt der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts erlebt. Fängt spannend und furios an.

    Peter Härtling: Herzwand. Mein Roman (1990)


    Peter Härtlings (1933-2017) autobiografischer Roman erschien 1990.


    Zum Inhalt und zur Form


    Der Autor kommt aufgrund einer Verdickung seiner hinteren Herzwand – verursacht durch jahrelangen unbehandelten Bluthochdruck - in eine Rehaklinik am See. Dort hat und nimmt er sich die Zeit, auf sein bisheriges Leben zurückzublicken. In kürzeren und längeren Abschnitten erzählt er von prägenden Phasen vor allem in seinen jungen Jahren.


    Auf der Flucht von Sachsen über das ehemalige Mähren kommt der Autor (der in den Rückblicken perspektivisch zur dritten Person greift) mit seiner Mutter, Großmutter und Tante nach Nürtingen in Württemberg. Sein Vater wird nicht mehr lebend aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft heimkehren. Aber auch die Mutter verliert er 1946, da sie ihrem Leben ein Ende setzt. Sie konnte die Erlebnisse der letzten Jahre sowie eine letzte Liebesenttäuschung nicht mehr verarbeiten. Der Junge wendet sich von seiner wenig verständnisvollen Großmutter immer mehr ab und kommt zum Journalismus, zunächst in Nürtingen selbst, wo er auch beginnt, Gedichte unter dem Pseudonym Jamin zu schreiben. Später wechselt er zu einer Redaktion nach Heidenheim, wo er einige interessante Kollegen kennen lernt, die ihm Stoff für in den Roman eingeschobene „Novellen“ geben.


    So erhalten wir Leser eine stimmen- und aspektreiche Einsicht in die unruhigen Kriegs- und Nachkriegsjahre. Als einziges neueres Thema beschäftigt sich der Erzähler – der nun mit seiner Familie im hessischen Walldorf wohnte - mit seinem Engagement anlässlich des Protestes gegen die Startbahn West des Frankfurter Flughafens in den Anfang achtziger Jahren. Das Werk endet mit einem endoskopischen Eingriff zur Untersuchung des Herzens und zusammenfassenden Reflexionen bezüglich des autobiografischen Erinnerns.


    Meine Meinung


    Zunächst konnte mich das Buch nicht recht packen. Es ist das erste Werk, das ich von Peter Härtling bisher gelesen hatte, und ich musste mich auf seine Erzähl- und Denkweise erst einmal einlassen. Später packte mich der Stoff dann stärker, da ich mich in den letzten Wochen und Monaten recht intensiv mit den Kriegs- und Nachkriegsjahren in Mitteleuropa auseinandersetzte und die Erzählung hier interessante weitere zusätzliche Aspekte brachte – zum Beispiel über die Menschen aus dem ehemaligen Sudetenland und der Batschka, einem früheren Siedlungsraum der Donauschwaben im heutigen östlichen Kroatien. Dennoch konnte ich zum Stil und zur Aussage nicht so den rechten Draht finden, es kam mir alles recht ich- und auf eine intellektuelle Männerwelt bezogen vor. Einen Roman – Felix Guttmann - vom Autor habe ich noch, den ich sicher auch irgendwann noch lesen werde. Ansonsten werde ich vielleicht nochmal auf die oben gelobten biografischen Bücher von Härtling zurückgreifen.

    Vielen Dank, b.a.t. Das ist schon sehr erhellend. Mir war nicht bewusst, dass die Idee der ausschließlich subjektiv möglichen Perspektive und der dadurch stark eingeschränkten Gültigkeit von Wirklichkeit und Wahrheit von Nietzsche stammt. Sie ist ja heute in breiter Form anerkannt und wird gerade unter Autoren immer wieder thematisiert, unter anderem in allen vier Romanen, die ich letztens gelesen habe.

    Schöne Tage in Südfrankreich erstmal.

    R. L. Stevenson ist mehr, viel mehr als nur "Die Schatzinsel". (Wobei auch die nicht zu verachten ist, um mal Arno Schmidt zu paraphrasieren.)

    Ja, und da möchte ich doch wohl noch mein Allzeit-Lieblings- Gute-Laune-Buch, aus dem mein Nick stammt, in die Liste einreihen.
    Robert Stevenson /Lloyd Osbourne: Die falsche Kiste

    Vor kurzem habe ich ja die "Mutmaßungen über Jakob" von Johnson gelesen, das man als eine Art Prequel zu den "Jahrestagen" verstehen kann. Ich fand den dünnen Roman lohnend, aber auch sehr anstrengend. Deshalb glaube ich nicht, dass ich mir die "Jahrestage" antun werde, jedenfalls gewiss nicht auf kurze Sicht.

    Wie wäre es denn, wenn du ihm Jules Verne vorschlügest? Auf seine Art ist das auch ein Klassiker, darüber hinaus etwas für Naturwissenschaftler und dann auch noch spannend. Und wenn er repräsentative Bände für seine aufzubauende Bibliothek sucht, von Jules Vernes Romanen gibt es sehr schöne bibliophile Ausgaben.

    Gute Reise, b.a.t. und erhole dich gut. Es ist nicht eilig, aber sicherlich hilfreich, wenn du in kurzen Worten für uns zusammenfassen könntest, wozu man sonst ganze Bücher lesen muss. Aber jetzt erstmal gute und sichere Fahrt und dann schöne Tage.

    Habe gerade Sasa Stanisics "Vor dem Fest" beendet, eine furiose, welttheaterhafte Dorfgeschichte voller Witz und Tragik, und habe nun mit Peter Härtlings autobiografischem Roman "Herzwand" für mein 20. Jahrhundert-Projekt begonnen. 1990 erschienen und gleichzeitig ein Rückblick auf die eigene Geschichte im 20. Jahrhundert, passt also bestens.

    Wie würdest du dieses "eigenschaftslos" definieren, @b.a.t? Da ich bisher kaum Sekundärliteratur gelesen habe und mir selber noch nicht richtig klar ist, was der Begriff bedeutet, wäre ich da für ein paar Anmerkungen sehr dankbar!

    Auch über die Verbindung zu Nietzsche und Schopenhauer könntest du vielleicht etwas schreiben?! Von Nietzsche habe ich nur wenig, von Schopenhauer nichts gelesen.

    pengulina, ich glaube, mit dem Moosbrugger werden wir uns noch mehr auseinandersetzen müssen, scheint eine wichtige Gestalt zu sein.

    Vapeurs in der Bedeutung, die Übersetzer Widmer ihr gibt, finde ich nicht.

    Ich hatte - typisch !! - gemeint, es könne Blähungen heißen.


    Ist jemand hier dieser seltsamen Sprache mächtig und kennt ein französisch-deutsch-Wörterbuch der Zeit? (Das digital vorliegt.)

    Ich kenne in alten Übersetzungen "Wallungen" für "vapeurs", gerne auch bei unbeschäftigten, sich langweilenden Damen der besseren Gesellschaft, das kann von Wechseljahresbeschwerden bis zu nervösen Zuständen reichen.

    Die Erzählungen von Stifter, gerade die Steine, sind toll, und " Der Nachsommer" ist einer meiner Lieblingsromane. Man muss sich halt auf den ruhigen Fluss des Erzählens einlassen, nicht darüber einschlafen. Reiseführer sind halt keine Literaturführer, auch wenn hin und wieder ein Tipp abfällt. ;-)

    Nun bin ich mit den ersten 23 Kapiteln fertig. Zu Beginn des zweiten Teils (Kap. 20-22) beginnt nun die Schilderung der "Parallelaktion" (70. Thronjubiläum 1918) und der an ihr beteiligten Personen. Die Grafen Stallburg und Leinsdorf sind adelsstolze konservative Politiker im nahen Umkreis des Kaisers, die sich der Würde ihres Monarchen und ihrer Stellung so sehr bewusst sind, dass sie schon vom Aussehen her sich völlig assimilieren (Stallburg) bzw. sich gar nicht vorstellen können, dass andere Meinungen oder Weltbilder überhaupt existenzberechtigt sind:

    [Leinsdorfs politische Anschauungen hatten]" aber ein außerordentliche Festigkeit und jene Freiheit eines großen Charakters, die nur durch die vollkommene Abwesenheit von Zweifeln ermöglicht wird. " :elch:

    Und die dritte im Bunde ist schließlich Ermelinda Tuzzi, von Ulrich Diotima benannt, die ehrgeizige Frau eines Bürgerlichen, der im Außenministerium Karriere gemacht hat und dem Außenminister unmittelbar zuarbeitet. Sie ist ebenfalls an der Parallelaktion beteiligt. Sie ist weitläufig mit Ulrich verwandt, der sie aber bisher gemieden hat und eigentlich überhaupt nichts mit der Parallelaktion zu tun haben will. Dennoch wird er wohl da hinein gezogen werden.

    Ermelinda ist aber im Moment gar nicht sehr an Ulrich interessiert, weil sie einem superreichen deutschen Industriellen - Dr. Paul Arnheim - begegnet ist, der sie aufgrund dieses Reichtums fasziniert (Kap. 23). In diesem Kapitel zeigt Musil wieder besonders seine Sprachkunst durch griffige Bilder bei der Charakterisierung:


    [Über Ermelinda] "Sie hatte in ihrer Mädchenzeit nichts gehabt als ihren Stolz, und da dieser hinwiederum nichts hatte, worauf er stolz sein konnte, war er eigentlich nur eine eingerollte Korrektheit mit ausgestreckten Taststacheln der Empfindsamkeit gewesen."


    Ich mache jetzt erstmal Lesepause und warte mal ab, was von eurer Seite kommt. Sollte jemand über das 23. Kapitel in diesem Monat hinauslesen wollen, lese ich auch wieder weiter.