Hallo,
habe mein Novellenprojekt zu Meyer noch im alten Jahr abschließen können, jedenfalls sofern es die Novellen angeht, die sich in meiner Werkausgabe finden.
Stellungnahmen zu zweien stehen noch aus:
Das Leiden eines Knaben
1883 veröffentlicht
Die nicht sehr umfangreiche Novelle spielt zur Zeit Ludwigs des Vierzehnten. Dessen Arzt erzählt diesem in einer - Meyer-typischen - Rahmenhandlung, wie der wenig geistvolle, gutartige und warmherzige Julian, Sohn eines Feldherrn, nach dem Tod seiner Mutter in einem Jesuitenkolleg von einem böswilligen Pater, der sich an seinem Vater rächen will, buchstäblich zu Tode gequält wird.
Wie immer bei Meyer geht es um Macht und den schuldhaften Umgang mit ihr. Auch in dieser Novelle versteht es der Autor trotz des dazu auffordernden Themas auf Rührseligkeit zu verzichten.
Am meisten gefallen haben mir die Nebenfiguren, Fagon, der alte und polterige Arzt, der auch gegenüber der allerhöchsten Majestät kein Blatt vor den Mund nimmt und sein Freund, ein analphabeter Künstler namens Mouton, der einen Pudel gleichen Namens besitzt und mit diesem ausschweifende Gespräche führt.
Die Versuchung des Pescara
Diese späte und umfangreiche Novelle (in meiner Ausgabe 120 Seiten) wurde 1887 veröffentlicht und spielt in der italienischen Spätrenaissance 1525, als das Herzogtum Mailand von dem spanisch-neaplischen Feldherrn Pescara erobert wurde. Dieser - verheiratet mit der italienischen Dichterin Vittoria Colonna - ist tödlich verwundet - was aber kaum jemand ahnt und wird in diesem Zustand aufgefordert, die Seiten zu wechseln und für die italienische Liga zu kämpfen, die sich der spanischen Besatzung erwehren will. Pescara interessiert sich scheinbar für das Angebot und lässt den mailändischen Kanzler, Girolamo Morone, eine genial gestaltete Persönlichkeit, dadurch seine Pläne verraten. Auch seine Frau Vittoria, vom Papst dazu überredet, versucht Pescara für die italienische Sache zu gewinnen, doch auch ihr widersteht er und erklärt, dass die intriganten italienischen Staaten diese Befreiung nicht wert seien, er sich aber in seiner Position für eine sanfte Besatzung einsetzen werde. Dies tut er auch und stirbt, nachdem er seine zurückhaltenden Maßnahmen durchgesetzt hat, nach der Eroberung Mailands.
Auch hier geht es Meyer darum, wie der Mächtige richtig handelt: Pescara ist nicht von selbst der edle Held, sondern macht im Bewusstsein seines bevorstehenden Todes eine Wandlung durch, bei der für ihn Treue gegenüber seinem König und Milde gegenüber dem Feind im Vordergrund stehen.
Das dargestellte Intrigenspiel ist amüsant und auch leider überzeitlich; Der edle Machtmensch, der seine Treue über die Freiheit der Unterdrückten stellt (die allerdings auch unter den italienischen Herrschern nicht freier wären) ist ein heute wohl nicht mehr ganz so angemessenes Vorbild.
Dennoch schon allein Morones und des Schweizer Soldaten wegen, der Pescara die tödliche Wunde beibrachte und später diesem wiederbegegnet, von Meyer landsmännisch-liebevoll geschildert, eine sehr lohnende Lektüre!
Fazit: Für mich ist Meyer der größte Lesegewinn des vergangenen Jahres: Roman, Novellen und vor allem auch die Lyrik: ein großartiges Werk!
finsbury