Fräulein Else (1924)
Die junge Else, Tochter eines spielsüchtigen jüdischen Juristen und seiner naiven Frau, befindet sich mit Tante und Cousin in einem Hotel in den italienischen Alpen. Sie bekommt einen Expressbrief von ihrer Mutter aus Wien, die sie bittet, bei dem auch im Hotel weilenden Freiherrn Dorsday 30 000 Gulden zu erbitten, die sofort an einen Gläubiger des Vaters überwiesen werden sollen, andernfalls lande dieser im Schuldgefängnis. Dieser habe schon einmal dem Vater mit 8000 Gulden aus der Klemme geholfen. Das junge Mädchen, die den ältlichen Lebemann Dorsday äußerst unangenehm findet, grübelt darüber nach, ob sie ihn um das Geld bitten solle, denn sie weiß, dass ihr Vater wegen seiner Spielsucht dauernd in solche Krisen kommt, weswegen er auch niemand anderen mehr um Geld bitten kann. Else, die sich ansonsten darüber Gedanken macht, wen sie attraktiv findet und wie sie ihre Sinne ausleben würde, wenn sie frei wäre, wehrt sich innerlich gegen das Ansinnen der Eltern, bittet den Freiherrn dann aber aus Angst, ihr Vater könne sich das Leben nehmen, doch um das Geld. Dieser, der bereits die früher geliehenen 8000 Gulden verloren hat und weiß, dass er auch den jetzt zu leihenden Betrag nie wiedersehen wird, knüpft die Überweisung an eine Bedingung, die ihm seine Lüsternheit stellt: Er möchte, dass sich ihm Else in der gleichen Nacht um 12 Uhr für eine Viertelstunde nackt präsentiert. Else weist ihn zwar nicht sofort ab, ist aber empört und beschäftigt sich mehrere Stunden damit, wie sie der Situation entkommen könnte. Schließlich beschließt sie, sich öffentlich nackt zu zeigen, um damit der Forderung nachzukommen und den Freiherrn zu beschämen. Sie sucht ihn – nur mit ihrem langen Mantel bekleidet, im Musikzimmer auf und zeigt sich allen dort Versammelten nackt, bekommt einen Lach- und Schreianfall und fällt scheinbar in Ohnmacht. Ihre rasch herbeigerufenen Verwandten lassen sie notdürftig bedeckt auf ihr Zimmer bringen, wo sie sich in einem unbewachten Moment mit Veronal vergiftet, das sie sich schon vor der Aktion bereitgestellt hatte. Kurz nach der Einnahme möchte sie noch gerettet werden, kann sich aber nicht mehr artikulieren und dämmert weg.
Auch diese Novelle ist – wie „Leutnant Gustl“ - wieder vollständig als innerer Monolog geschrieben, das äußere Geschehen wird ausschließlich zeitgleich aus den Gedanken Elses geschildert. Ihr Bewusstseinsstrom zeigt ein intelligentes und sinnliches junges Mädchen, das sich die Freiheit wünscht, sich ihre(n) Partner selbst zu wählen und das nun durch die Forderungen ihrer Eltern, die sich durchaus denken können, dass der Freiherr so eine große Summe nicht so ohne weiteres hergeben wird, sich verschachert sieht, ohne dass sie das Schicksal ihres Vaters grundsätzlich würde ändern können. Der Leser erlebt die Tragik hautnah mit, wie ein junger Mensch an den Konventionen der Zeit und dem Egoismus seiner Nächsten zerbricht. Eine intensive und sehr berührende Erzählung.
Spiel im Morgengrauen (1927)
Leutnant Willi Kasda wird eines Morgens von einem ehemaligen Kameraden, der aufgrund von Spielschulden unehrenhaft aus der Armee entlassen wurde, aufgesucht. Dieser – inzwischen verheiratet, Vater und oft in finanziellen Nöten – hat mehrfach Gelder aus der Kasse des Büros, wo er jetzt arbeitet, „entliehen“. Nun droht eine Revision und er muss so schnell wie möglich an 1000 Gulden kommen. Er weiß, dass Willi aus armen Verhältnissen stammt, aber einen wohlhabenden Onkel hat. Kasda klärt ihn nun darüber auf, dass er vom Onkel keine Zuwendungen mehr bekommt und dieser auch den Kontakt zu ihm abgebrochen habe. Aber vielleicht – er fahre am Sonntag nach Baden (bei Wien), dort nehme er häufiger an einer Spielerrunde teil - winke ihm ja das Glück und dann könne der Kamerad die 1000 Gulden haben. In Baden gewinnt Willi zuerst mit seinen 120 Gulden, die er noch hat, wird dann immer risikobereiter, hat zwischenzeitlich 5000 Gulden gewonnen und verliert diese dann in der letzten Viertelstunde des Spiels an einen Honorarkonsul aus dubiosen Verhältnissen, der ihm obendrein sein Geld zum Spielen zur Verfügung stellt. So hat Willi innerhalb dieser kurzen Zeit nicht nur sein Geld und seinen Gewinn verspielt, sondern noch 11 000 Gulden Spielschulden gegenüber dem Konsul angehäuft. Dieser nimmt ihn zwar in seiner Kutsche in der Nacht nach Wien mit zurück, besteht aber auf Rückzahlung der Ehrenschuld bis zum Mittag des übernächsten Tages. Andernfalls melde er Willi dem Regiment, was zu seiner Entlassung führen würde. Willi ist verzweifelt und besucht seinen Onkel. Dieser aber hatte inzwischen geheiratet, eine junge Frau, mit der Willi mal eine Liebesnacht gehabt hatte und die danach Prostituierte wurde. Diese Frau hat den Onkel nur unter der Voraussetzung eines Ehevertrags geheiratet, der das Vermögen auf sie überschreibt und ihm nur eine geringe monatliche Rente sowie das Wohnrecht in seinem ehemals eigenen Haus überlässt. Willi besucht darauf diese Frau, die als Geschäftsfrau arbeitet und das Vermögen anlegt und vermehrt. Sie reagiert freundlich, aber zurückhaltend auf seine Bitte und will es sich bis zum Abend überlegen, dann werde sie ihm Nachricht schicken, ob er das Geld haben könne. Abends kommt sie selbst zu ihm in die Kaserne und die beiden verleben noch einmal eine gemeinsame Nacht. Am nächsten Morgen aber gibt sie ihm nur 1000 Gulden, denn er hat ihr nach der ersten Nacht auch 10 Gulden hingelegt als Lohn, obwohl sie sich ihm aus Zuneigung hingegeben hatte. Die 1000 Gulden schickt er durch seinen Burschen zu seinem ehemaligen Kollegen, damit der wenigstens gerettet ist und erschießt sich. Kurz darauf kommt der Onkel mit den restlichen 10 000 Gulden, die ihm seine Frau doch noch gebracht hat.
Im Gegensatz zu den meisten der hier vorgestellten Geschichten handelt es sich um eine an äußeren Handlungen reiche Erzählung. Aber auch hier schildert Schnitzler, wie ein junger, eigentlich ganz vernünftiger Mensch an einer einzigen Übersprungshandlung scheitert und letzten Endes daran zugrunde geht, dass er selber in der Vergangenheit konventionell gehandelt hat, indem er die junge Frau, ohne nachzudenken, wie eine Hure behandelt hatte. Nun muss er selber sterben, weil die Frau sich scheinbar rächt, die militärischen Konventionen eine Ehrenschuld nicht gestatten und er für sich keinen anderen Ausweg außerhalb des Militärs sieht, dem schon sein Vater und Großvater angehörten.
Fazit:
Schnitzler ist ein Erzähler des Scheiterns an einer empathielosen, dünkelhaften Gesellschaft, die den Konventionen eine viel stärkere Bestimmung über das Individuum gestattet als es über sich selbst hat.