Hallo!
Ich bin noch langsamer als Katrin und habe erst gut die Hälfte vom „Malte“ gelesen, was aber auch an der gleichzeitigen Proust-Lektüre liegt. Die beiden Texte bremsen sich gegenseitig etwas aus. Ich finde nicht, dass man die „Recherche“ und den „Malte“ vergleichen kann. Natürlich gibt es Gemeinsamkeiten: die Handlungsarmut, die Subjektivität der Wahrnehmung, das assoziative Erzählen. Aber schon die Buchtitel deuten auf die unterschiedliche Konzeption hin. Bei Proust handelt es sich um ein kontinuierliches, bei allen Abschweifungen planvoll wirkendes Unterfangen, bei Rilke um eine tagebuchartige, bruchstückhafte Aneinanderreihung von Eindrücken, Gedanken und Erinnerungen, die um bestimmte Themen kreisen. Rilke hat seinen „Malte“ auch nie als Roman, sondern als Prosabuch bezeichnet. Dementsprechend lese ich die „Aufzeichnungen“ wie einzelne Prosastücke, langsam, manche mehrfach, ohne zu fragen, worauf das Ganze hinausläuft und welchen Sinn es haben könnte.
Mir gefällt der „Malte“. Rilkes Beschreibungen und Bilder sind sehr eindringlich und anschaulich. Eigentlich kann ich ihnen ganz gut folgen, zumal sich die assoziativen, reflektierenden Passagen immer mit den erzählenden abwechseln. Natürlich ist mir nicht alles auf Anhieb zugänglich, aber das geht mir bei Kafka, Musil, Proust usw. auch nicht anders. Ich freue mich dann einfach nur am Klang und Rhythmus von Rilkes lyrischer Sprache wie an Musik, da muss man auch nicht immer verstehen, was sie nun genau ausdrücken will. Die thematischen Schwerpunkte sind im „Malte“ die gleichen wie in seiner Lyrik: Krankheit, Tod, Vergänglichkeit, Angst, Künstlertum, Einsamkeit und Schicksal. Interessant, wie er das, was er sonst auf engem Raum zusammenfasst, hier erzählerisch entfaltet und ausbreitet. Das Ringen um den Ausdruck, um das sprachliche Erfassen der Wirklichkeit, damit sie im Dichterwort existiere, die Angst, dass etwas unsagbar sei oder das Gesagte nicht verstanden würde, wird im Text selbst zum Thema. Bis jetzt scheint mir Rilkes Prosa-Experiment gelungen, aber ich habe ja noch einige Seiten vor mir.
Das klingt reichlich harsch. Sicher kippt es bei Rilke manchmal ins Süßliche um. Ich erinnere mich da beispielsweise an das „Florenzer Tagebuch“, wo ihn irgendwelche Blumen (Stiefmütterchen, Margariten, Ranunkeln?) ernst anschauen, als ob sie ihm einen Auftrag erteilen wollten oder so ähnlich. Bei solchen Stellen bin ich immer etwas peinlich berührt. Auch wenn er auf junge Mädchen oder Frauen zu sprechen kommt, geht es mit Rilke regelmäßig ein bisschen durch. Aber ätherische Zuckerwatte? Du scheinst mit Lyrik wirklich nicht viel anfangen zu können. Aber folgende Stelle wird wohl Deinen Beifall finden:
Zitat
„Wenn Maman mal eine halbe Stunde kam und Märchen vorlas […], so war das nicht um der Märchen willen. Denn wir waren einig darüber, dass wir Märchen nicht liebten. Wir hatten einen anderen Begriff vom Wunderbaren. Wir fanden, wenn alles mit natürlichen Dingen zuginge, so wäre das immer am wunderbarsten.“
So sehe ich es auch: Die Realität in all ihren Erscheinungsformen ist interessant und faszinierend, während das Erdachte, das Außerordentliche und Übersinnliche mich nur kurz fesseln kann (wenn überhaupt).
Gruß
Anna
Mich wundert auch, dass Eva so sang- und klanglos entschwunden ist und auch noch all ihre Beiträge nachträglich gelöscht hat. So hätte ich sie gar nicht eingeschätzt. Wahrscheinlich ist sie von unserer unergiebigen und unsensiblen Leserunde enttäuscht. Oder lag es an scheichsbeutels „ätherischer Zuckerwatte“? Dieses abfällige Urteil kann einen Rilkeverehrer aber auch in den Grundfesten erschüttern. :rollen: