Liebe Tenar,
danke für das Verständnis, hab leider beruflich gerade viel los. Aber trotzdem bleibe ich dran. Was mir noch spontan dazu einfällt bei den beiden Brüdern, ist die unterschiedliche Zuwendung, die sie genossen haben. Der eine wurde überbehütet und der andere vernachlässigt. Gerade diese zwei Aspekte werden im Jugendstrafrecht als typische Auslöser für jugendkriminelle Karrieren genannt, da sie beide schädlich sind für eine gesunde Entwicklung zum jungen Erwachsenen. Die beiden Brüder waren ja beide auf ihre jeweils eigene Art kriminell. Die Überbehütung des Hauptprotagonisten hat dazu geführt, dass er später eine übertrieben starke Naivität und Gutgläubigkeit entwickelte, die ihn in größter Desillusionierung auf impulsive Weise aus der Bahn warf, während der vernachlässigte Bruder von vornherein keinerlei Vertrauen in sein Umfeld entwickeln konnte aufgrund der fehlenden Liebeszuwendung durch den Vater und selbstsichernd kriminell auf pathologische Weise überrational vorging.
Dieses Grundmotiv der beiden Brüder gibt es schon mehrfach in der Bibel, Kain und Abel, Esau und Jakob, Josef und seine Brüder. Die beiden Brüder stellen zwei Seiten von Kriminalität dar, nämlich diejenige aufgrund von unkontrollierter Impulsivität oder dann die kalte, empathielose Ratio. Der eine wird zur äußerlich antisozialen Persönlichkeit und der andere zum scheinbar angepassten Narzissten und Psychopathen. Beide stellen die Gegenpole einer fehlgesteuerten Emotionsregulation dar (überschießend impulsiv und unkontrolliert bzw. gegenpolig verdrängt-zwanghaft kontrollierend). Schiller entwickelt ihre Verläufe auf Kausalitäten, wo im Prinzip auch eine veränderte innere Haltung aufgrund der Willensfreiheit den Handlungsverlauf hätte spontan verändern können. Aber das geschieht hier nicht. Auch dort, wo scheinbar ein inneres Erkennen stattfindet, werden diese Momente immer von dazutretenden Personen angestoßen.