Hallo!
Sehr weit bin ich immer noch nicht, Kapitel 32, aber das wird heute dank eines katholischen Feiertags noch mehr werden. Wie könnte man diesen auch besser begehen als mit Rabelais? :breitgrins:
Noch ein Wort zur Obszönitätsdebatte:
Ich denke es greift doch deutlich zu kurz, wenn man die heutige Debatte zu diesem Thema ins 16. Jahrhundert transferiert. Die kulturellen Hemmschwellen damals sind mit den heutigen nicht wirklich zu vergleichen, weshalb ich vorsichtig wäre, hier allzu große Linien zu ziehen. Es stimmt sicher, dass skatologischer Humor ein zeitloser Renner ist (findet sich ja auch in den antiken Komödien reichlich), trotzdem muss man den kulturhistorischen Kontext immer mitdenken (etwa die medizinischen Praktiken oder die sanitären Verhältnisse). Damals stand man mit der Scheisse einfach noch auf vertrauterem Fuß.
Aus dem Stand heraus würde ich es deshalb kein Urteil darüber wagen, ob diese Passagen für die zeitgenössischen Leser- / Hörerschaft "nur" lustig war, oder ob sie auch provokatives Potenzial hatten (von anderen Inhalten rund herum mal abgesehen).
Inzwischen habe ich ebenfalls gut eingelesen. Der Text ist erstaunlich progressiv sowohl was konkrete Inhalte angeht als auch die "Frechheit" der Rhetorik (samt Zielgruppen). Zum Teil finde ich ihn erkenntnistheoretisch sogar avantgardistisch. Damit meine ich jetzt nicht die polemische Kritik an der Spätscholastik, die sich in der Renaissance ja oft findet, sondern Rabelais' Kritik an der Kritik. Nimmt man etwa das berüchtigte Kapitel über das "Arßabwischen", dann macht er sich offenbar bereits über quasi experimentelle Erkenntnisverfahren lustig. Angesichts der Tatsache dass Francis Bacons "Organon" 90 Jahre nach "Gargantua" erschienen ist, finde ich das schon erstaunlich. Wobei Rabelais sich darüber wohl nur gemäßigt lustig macht. Zumindest verstehe ich die Passagen, in denen Naturphänomene immer Plinius und anderen Klassikern gegenüber gestellt werden, als implizite Kritik an der scholastischen Buchgläubigkeit.
Die bisherigen "Kriegskapitel" sind ebenfalls ziemlich progressiv. Pikrocholus beginnt aus lächerlichen Gründen einen Krieg, auf den Grandgoschier und sein Abgesandter doch hochgradig vernünftig reagieren.
Abschließend noch die hübsche Stelle, wie Gargantua körperliche Ertüchtigung und Lektüre vorbildlich kombiniert:
"Schwamm in vollem Strom, grad, rücklings, auf der Seit, mit ganzem Leib, mit den Füßen allein, eine Hand in der Luft, darin er ein Buch hielt; so rudert er, ohn daß dies naß ward [...]"
CK