Beiträge von Gontscharow

    Das ist eine erste Ebene. Ich vermute aber dahinter eine zweite; eine, in der Silbersterns Beteuerungen eben wahr waren, von Vigoleis-Eulenspiegel aber nicht als solche wahrgenommen [!] wurden.


    Vom Autor Thelen aber schon? Thelen hätte dann also intendiert, den Erzähler Vigoleis als jemanden darzustellen, der seinem Klienten "niedere Motive" nur unterstellt, diese wissentlich oder unwissentlich als etwas der Wahrheit Entsprechendes hinstellt, mit den" richtigen Argumenten" verteidigt und damit scheitert? Habe ich Dich richtig verstanden?
    Wenn ja, ein interessanter Gedanke, würde mich mit einigem, was allzu platt daherkommt, versöhnen.


    [Was meinst Du mit "funktionslos"? Ich habe mich prächtig amüsiert dabei ... :?:


    Ich mich auch. Ich sprach ja auch im Irrealis ...wäre ...verpufft - nicht ...ist:
    Wenn Silbersterns Beteuerungen(wissenschaftl. Zwecke etc.) der Wahrheit entsprochen hätten, hätten Vigoleis Scherze und Anzüglichkeiten über Lustersatz, Lustbarkeiten und noch anderes Subtileres keine Funktion gehabt, wären sinnlos verpufft, ein blindes, den Leser in die Irre führendes Motiv.

    Lieber Sandhofer,


    Du beantwortest Dir Deine Fragen selber:


    Deine Frage:

    Man helfe meinem Erinnerungsvermögen nach (mein Buch ist zu Hause; ich nicht): Ist das so?


    Deine Antwort:


    Vigoleis-Thelen gibt das ziemlich unverblümt zu verstehen, ja.


    Deine Frage:


    Aber: erfahren wir etwas über die wirklichen Beweg- oder Hintergründe von Silbersterns Sammelinteresse?


    Deine Antwort:


    Silberstern aber ist eine Karikatur, die wir nur durch die widerwilligen Augen Vigoleis' kennen lernen.


    Eben! Nur. Alles, was wir über Silberstern erfahren, erfahren wir durch Vigoleis. Jede Spekulation über einen wirklichen Silberstern erübrigt sich. Obwohl..., auch ich hatte mal kurz an Wilhelm Reich und seine Sexpol gedacht, zumal ja Thelen mit Freud und Marx nicht viel scheint anfangen zu können . Aber der Text gibt solches nicht her.


    Zitat

    Wie kommt aber ein lüsterner, weinreisender, durch und durch eingegeilter Adelfried an politisch gefährliche Literatur?...


    Außerdem sagst du selbst über die Episode:


    dass er u.U. für einmal nicht geflunkert sondern die Wahrheit erzählt hätte ...


    Es gab Werke, die nicht einmal offen in den Handel kamen, sondern nur an Ärzte, Psychiater, Kriminalbeamte etc. verkauft wurden, aus Angst vor der Wirkung auf die allgemeine Bevölkerung


    Wohl wahr. Unter Silbersterns Büchern ist ja sogar ein Handbuch der Gynäkologie, das dann auch mit verbrannt wird.



    Was in den 30er Jahren als Pornographie galt, ist aus der heutigen Sicht doch wohl eher harmlos.


    Das ist richtig. Aber auf "soft" oder "hard" kommt es hier gar nicht an. Silbersterns Interesse an seinen Erotika ist nicht bibliophil, historisch, kulturell oder was auch immer. Der bittere Witz dieser Passage liegt darin, dass Vigoleis für die W...svorlagen des Silberstein die Wissenschaft, das Gute, Wahre und Schöne bis hin zu Gott (vgl.S.698) bemüht und das Ganze in einem Auto-de-castidad, einer Karikatur der Bücherverbrennung endet.


    Den Verlust seiner Handbibliothek fand ich ja noch interessant (ich habe da wohl auch einen persönlichen Bezug, da ich eine ähnliche Sammlung besitze.


    Kein Scherz? Du hast wirklich so eine Handbücherei wie Silberstern?


    Zitat

    Die Kisten mit der angefochtenen Literatur seien (...) im Grunde genommen nur die Handbücherei (...) Bei der beschlagnahmten Fracht handele es sich um eine kleine Sammlung erotischer - Silberstern hob einen Wurstfinger - und rein wissenschaftlicher Literatur! Zu Studienzwecken!


    Es ist - der Leser ahnt es schon - schlicht Pornographie. Köstlich Vigoleis' Auseinandersetzung als "Rechtsberater" mit den Zollbeamten, die aber letztlich nur dazu führt, dass der Zolldirektor nun ohne Zweifel (...) über die beste erotische Bildersammlung auf den Balearen (S.701) verfügt.

    Ja? Da sieht man, wie schnell man in seiner Erinnerung den gelesenen Text ändert und anpasst ... :sauer:


    Und hier, weil's so schön ist: O-Ton Thelen (S.729, Taschenbuchausgabe List):

    Zitat

    Ich bestellte das Buch, aber der Lauf der Geschichte wollte, dass die alten Dummheiten vergriffen waren. Nach einigen Monaten trudelte eine neue Auflage ein, die von einem Herrn Schulze der Generaldummheit des Dritten Reiches angepasst war und in der auch ein Motto Görings nicht fehlen durfte: ...


    Kennt eigentlich jemand von Euch das Hörbuch, das die Fragmente der Fortsetzung der Insel enthält?


    Warum fragst du nach dem Dessert, wenn du noch beim Hauptgericht bist? :teufel:


    Nein, das Hörbuch kenne ich nicht. Der Titel klingt interessant! Vor vielen Jahren sah ich ein Grafitto an einer Genueser Hauswand: Dio è ateo ( Gott ist Atheist). Den Gedanken fand ich schon sehr witzig und einleuchtend und hab ihn bis heute nicht vergessen. Nach dem, was Thelen in der Insel an Religionskritischem und - philosophischem äußert, kann ich mir gut vorstellen, dass er über die "Gottlosigkeit Gottes" Vorzügliches zu sagen weiß!
    Schade, dass so viele von Thelens Manuskripten verschwunden sind bzw. vernichtet wurden. Ich gäb was drum, z.B. in seinen satirischen Roman Hünengräber ohne Hünen, von dem er in der Insel berichtet und an dem er wohl monate- wenn nicht jahrelang geschrieben hat, einen Blick werfen zu können!

    Erstaunlicherweise noch nicht genannt:


    Moritz August Thümmel: Reise in die mittäglichen Provinzen Frankreichs
    Georg Forster: Reise um die Welt (mit Cook)
    Heinrich Heine: Harzreise


    Nicht ganz uninteressante Reiseliteratur neueren Datums:


    Friedrich Christian Delius: Reise von Rostock nach Syrakus
    Wolfgang Büscher: Berlin - Moskau. Eine Reise zu Fuß


    Ich verstehe, glaube ich, die Frage nicht ... Ich habe, egal ob bei Villon, Grass oder Thelen, das eigentlich immer als Beschreibung, als Utensil, der condition humana verstanden.


    Warum hast du Benn weggelassen?


    Dafür, dass Du die Frage nicht verstanden hast, beantwortest Du sie sehr gut. Ich sehe das auch so. Nur, warum das Primat der Darstellung des Abstoßenden bei der conditio humana thelensis?


    (Irgendwo in dieser Leserunde hat ein Teilnehmer erzählt, dass Beatrice im Altersheim regelmässig von einem Seelsorger besucht wurde. Aber die Basler sind halt Protestanten ... :breitgrins: )


    So entstehen Legenden. Dieser protestantische Seelsorger hat Beatrice nur einmal im Altersheim besucht, wahrscheinlich hocherfreut über eine Protestantin am tiefschwarzen Niederrhein. Ich habe ihn neulich nochmal danach gefragt. Leider kann er sich an Details nicht mehr erinnern, so auch nicht an ihren Basler Akzent (rollendes R oder nicht). Die Frage bleibt ungeklärt. :breitgrins:


    Stecke in 4/XIII.


    Gemeint war natürlich 4/XXIII! Ansonsten: Ho finito. Ich habe fertig!



    Ich finde es ja immer interessant, ob/wie in einem Buch ein Autor versucht, seine "Ästhetik" zu erklären.


    Ich auch! Deiner Zitatenliste möchte ich eins hinzufügen, das - wie ich finde - einen wichtigen Aspekt seiner Ästhetik beleuchtet:

    Zitat

    ...ich ...hielt mich an das Unwandelbare, das gereimt oder ungereimt Gedichtete. Geschichtsschreibung kann auch für mich faszinierend sein, wenn das Geschehene einseitig betrachtet wird, gewissermaßen mit dem Auge des Huhns, das auf den Boden blicken muss, um den Himmel zu sehen.

    (S.378)
    Ein herrliches Bild für die Art, wie Vigoleis mit seiner Geschichte verfährt. Er erzählt und beschreibt ja mit Vorliebe, Minutiosität und Ausdauer das Kleine, Geringe, Hässliche, Elkelhafte: Die fliegenverkrusteten Fleischbänke, die herumturnenden Ratten im Hurenturm, die Faszination, die der Rattenkönig auslöst, die an Bosch gemahnende im Golf von Palma schwimmende Katze, die einer Ratte zum Floß und als Nahrung dient... Nur kurz erwähnt wird der Brief des sorgenvollen Vaters, während eingehend und liebevoll über das Verrottungsstadium der im Brief angekündigten Mastgans und ihr Ende in der Bucht von Palma berichtet wird... Man denkt an andere Ästhetiker des Hässlichen, Geringen wie Villon (Ballade vom Mäuslein z.B.), Benn (Schöne Jugend u.a. ) oder Grass (der von Aalen wimmelnde Pferdekopf in der Blechtrommel etwa), um nur einige zu nennen.
    Wie wirkt diese Vorliebe fürs Hässliche, Niedrige auf Euch? Ist es ein notwendiger Umweg zu etwas anderem, ist es notwendig, um den Himmel zu sehen?

    Stecke in 4/XIII. Thelen beschreibt darin ein Bild des 1935 verstorbenen Malers und Lyrikers Jacobo Sureda ( Bruder Pedros) Almocrebe so eindrucksvoll als Veranschaulichung dessen, was für Thelen Spanien ist und war, dass ich dieses Bild im Internet gesucht habe. Ich habe es nicht gefunden, dafür aber viel Interessantes über Sureda, u.a., dass er zum Ultraismo, einer avantgardistischen Literaturströmung der span. sprechenden Welt gehörte, die Jorge Luis Borges während seines Mallorca-Aufenthalts in der 20ern dort initiert hat. Borges war Freund des Sureda. Auf eine Erwähnung Borges' durch Thelen mit seiner Vorliebe für Lyrik und iberische Mystik hatte ich schon längst gewartet ... Kurz, wo man sich in der Insel auch festliest, man findet eine Menge von interessanten Bezügen und Querverbindungen . Schon allein deswegen ist das Buch äußerst lesenswert ... Was ist übrigens mit Garcia Lorca? Erwähnt worden ist er schon, kommt er noch vor?


    Ich werde dieses WE - wie angekündigt - das Buch beendet haben, muss aber jetzt nach Berlin und werde erst frühestens Sonntagabend wieder zu Hause sein.
    :winken:

    sandhofer: Was Du über die Lesbarkeit der Insel sagtest:

    Zitat

    Es ist wie alter Burgunder . Geht 'runter wie nix...


    gilt leider nicht für mich. Thelens digressiver Stil verführt mich häufig zu eigenen gedanklichen Abschweifungen. Auch fühle ich mich oft bemüßigt, mäandernde Gedankengänge zurückzuverfolgen, um mich zu vergewissern, was der Ausgangspunkt war und worauf die Erzählung eigentlich hinauslaufen soll. Beides beeinträchtigt das Lesetempo. Habe aber immerhin 4/XV abgeschlossen und hoffe, bis zum kommenden WE das Buch beendet zu haben.
    Imrahil:

    Zitat

    Was die Einordnung in den Kanon angeht, so würde ich - nicht eindeutig, aber mit guten Gründen für die Rubrizierung unter "Exilliteratur" votieren.


    Der Weidle-Verlag nimmt uns das ab. Thelen ist unter "Exilliteratur" eingeordnet.
    Sehr interessieren würde mich der in diesem Verlag erschienene Band Die Literatur in der Fremde - Thelens gesammelte aus dem Niederländischen übersetzte Rezensionen deutscher Exilliteratur für "Het Vaderland". In 4/VII schreibt er , wie er durch Ter Braak zu diesem Auftrag gekommen ist! Hätte nicht gedacht, dass es diese Rezensionen in Buchform gibt.
    BigBen: Hast Du das Buch bereits bekommen und kannst etwas darüber sagen?

    Merci vielmals
    G.

    Natürlich war mit Nachkriegszeit die Enstehungszeit gemeint, nicht die Epoche! Dass Thelen altersmäßig und von der Thematik her nicht zu den genannten Schriftstellern passt, war mir schon bewußt! Hans Werner Richters Diktum vom Emigrantendeutsch war mir auch bekannt. Die Äußerung ist völlig unsinnig. Emigrantendeutsch, was ist das? Außerdem war Richter als Linker und zeitweiliges Mitglied der KPD selber Emigrant in Frankreich gewesen, wenn auch nur kurz. Er kehrte, da er sich dort finanziell nicht über Wasser halten konnte, nach Hause zurück, war Kriegsteilnehmer und damit nolens volens verstrickt. Thelen hatte Deutschland schon vor 33 verlassen, war nie heimgekehrt und hatte die Kriegsjahre auf einem portugiesischen Weingut verbracht! Ich habe sehr stark das Gefühl, dass von Richters Seite Ressentiments dem vermeintlich Unbelasteten gegenüber am Werk waren und die literarische Qualität des Textes keine Rolle gespielt hat. Martin Walser , der bei der einstündigen Lesung dabei war und sie übrigens sehr gut fand, erinnert sich, dass Richter ganz gegen seine sonstigen Gepflogenheiten die Diskussion an sich riss und durch sein harsches Urteil beendete.
    Ja, wen hätte ich in einem Atemzug mit Thelen nennen können? Th. Manns Doktor Faustus ist ja eher im Krieg als in der Nachkriegszeit entstanden. Serenus Zeitblom, der fiktive Biograph, schreibt in Echtzeit, beginnt im Mai 1943 - wie Thomas Mann. Felix Krull und Der Erwählte sind etwa zeitgleich mit der Insel, aber inhaltlich weit entfernt. Gut, Felix Krull ist auch ein Schelmenroman. Die Schriftsteller, selber Emigranten, die das Exil zum Thema gemacht haben ? Anna Seghers mit Transit, Erich Maria Remarque mit Arc de Triomphe? Zu früh, 44 bzw.45 sind die Romane erschienen. So komme ich wieder zu Arno Schmidt. Die Parallelen der Insel zu den Umsiedlern habe ich in einem Posting schon dargelegt. Übrigens war Arno Schmidt ebenfalls 1953 zu einer Lesung vor der Gruppe 47 geladen, lehnte aber ab. Was hätte man dort zu den Umsiedlern gesagt?



    Während ich auf Borchert, Böll und Lenz gerne verzichte ...


    Ich nicht! :grmpf: Aber wenn diese ihren Platz in der Literaturgeschichte gefunden haben, dann hat Thelen allemal einen verdient.


    So, ich bin mit 4/XI fertig.


    Und ich mit 4/XII, das ich hiermit zu meinem (bisherigen) Lieblingskapitel erkläre! Es enthält alles, was die Insel lesens-und liebenswert macht:
    - Kabinettstückchen der Beschreibung wie die des Kramladens der Frau Carmen
    Thelen ist ein Meister der Akkumulation!
    - Wortwitz und hohe Sprachkunst
    Man achte nur mal auf die Synonyme für Nachttopf: Geschirr, Gescherbe, Gral, Urinal,
    Urne, Brunzscherbe ... oder auf Inliterationen wie ..räumten die frömmelnden
    Schachteln das Feld
    - virtuose Erzählkunst
    Hier ist sie wieder, die Tölpelhaftigkeit des Protagonisten (Dichtung oder Wahrheit?)
    - köstliche Schilderung der mallorquinischen Lebensart
    - originelle philosophische, theologische und ethnologische Überlegungen
    - Einbeziehung der Zeitgeschichte, wobei sogar noch deren literarische Verarbeitung durch
    Bernanos berücksichtigt wird.


    Eine Frage Sandhofers aus einem frühen Post, deren Beantwortung ich mir eigentlich bis zum Schluss aufheben wollte, werde ich jetzt schon beantworten:


    Zitat

    Sollte sein Buch "von Rechtes wegen" zum Kanon gehören ...?


    Ja.
    Dieses Kapitel, das gut separat zu lesen ist , gehört ins Lesebuch als auch ein Beispiel für deutsche Literatur der Nachkriegszeit, neben die Texte von Borchert, Böll, Grass, Lenz und Co.
    Thelens Text gehört zu den Versäumten Lektionen .


    Den Anti-Faschisten schon. Aber diese Dezidiertheit, mit der er Abgesandte des neuen Deutschland vor die Tür stellt?


    Ja, das meinte ich mit "stramm". Dieses dezidierte, geradlinige, konfrontative Verhalten passt irgendwie nicht zu Thelen, wie wir ihn bislang kennengelernt haben und es passt erst recht nicht zu seiner Kunstfigur Vigoleis. Es sieht mir irgendwie nach Klitterung aus.



    Wenn er in einen prospektiven Job angeboten kriegt (um den er sich ja nicht aktiv beworben hat!), mit prospektiver dazugehörender Wohnung, und nun det Janze hinschmeisst, weil in der prospektiven Wohnung kein Kleiderschrank steht. Und zurückgeht in seinen Hurenturm, wo er auch keinen Kleiderschrank, ja im wörtlichen Sinn nicht einmal ein Dach überm Kopf hat.


    Das hast Du in einem vorangegangenen Post schon einmal geschrieben. Durch Wiederholen wird's nicht richtiger :zwinker: Es ist ja nicht so, dass Vigoleis und Beatrice Job und Zimmer nur wegen eines fehlenden Kleiderschranks sausen lassen. Es geht um mehr als nur den Schrank , es geht um "Ehre". Als den beiden nämlich klar wird, dass es keinen Schrank in dem Zimmer gibt, spitzt Beatrice ihren Vigoleis an, sich nun endlich mal durchzusetzen. Vigoleis will beweisen, dass er auch anders kann, legt sich bei seinem künftigen Chef mächtig ins Zeug, die Situation eskaliert, nun gibt es kein Zurück mehr - weder von seinem Chef noch von ihm aus, aus Prinzip nicht. Das ist dann zwar auch dumm gelaufen und "deppert", aber anders, auf eine donquichoteske Art.



    Das ist so deppert, dass ich nicht glauben kann, dass das erfunden ist.


    Interessante Theorie. Ich glaube, es ist eher umgekehrt. Thelen stilisiert Vigoleis zum Don Quichote und lässt ihn bei dem Versuch, seiner Dulcinea zu imponieren, in etwas hineinreiten, was sich in Wirklichkeit wahrscheinlich viel weniger absurd und deppert abgespielt hat. Stilisierung und Pointierung des Geschehens, das ist wohl das "Angewandte" an den Erinnerungen des Albert Vigoleis Thelen.


    Wenn man Thelen so liest, hat man den Eindruck, Mallorca habe da kurz nach Hitlers Machtergreifung eine zentrale Rolle im nationalsozialistischen Hegemoniestreben gespielt.

    :breitgrins:
    Genau das war auch mein Eindruck bei der Lektüre des 4. Buches, das ich im übrigen noch lange nicht beendet habe! Deshalb hatte ich schon mal ein wenig recherchiert.
    Was ich bestätigt gefunden habe:
    - starke Nazi-Präsenz auf der Insel
    - seit 32 gab es eine Ortsgruppe der NSDAP
    - Wählen auf Urlaubschiffen hat stattgefunden
    - Gestapo-Spitzel seit 33
    - aktive Unterstützung der Falange durch die Nazis von Mallorca aus
    seit 33 ist der SS-Obersturmbannführer Johannes Bernhard in Denia ansässig, der Hitlers Hilfe für
    Franco eingefädelt hatte


    Natürlich darf man in den "angewandten Erinnnerungen " nicht alles für bare Münze nehmen. Es ist eben kein historisches Dokument... Besonders den strammen Anti-Faschisten nehme ich Vigoleis/Thelen nicht ganz ab.

    Die Arno-Schmidt-Mailingliste ist ja eine exzellente Einrichtung!
    Vielen Dank fürs Nachfragen und die Informationen!


    Dass Schmidt - wie es scheint - Thelen gekannt, gelesen und eher nicht gemocht hat, überrascht mich nicht. Ich fürchte, die Ablehnung hat etwas mit der Ähnlichkeit ihres Schreibens, mit Rivalität zu tun.
    Hat Schmidt überhaupt je einen schreibenden Zeitgenossen neben sich geduldet und geschätzt?


    Danke, Wolf, für Deine Trouvaille. Das Wort "kielen" war mir auch aufgefallen, hab es aber nicht mit
    Federn in Verbindung gebracht. Schön, die von Dir gefundenen Zusammenhänge!


    Nach Thelen könnte man da noch an Arno Schmidt denken.


    An Arno Schmidt fühle ich mich auch erinnert, besonders natürlich, was ihren kreativen Umgang mit Sprache, ihre Wortschwelgerei, ihren Wortwitz angeht!
    Aber nicht nur: 1953, im Erscheinungsjahr der Insel, kam Schmidts kurze Prosastudie Die Umsiedler heraus. An diesen von mir zuletzt gelesenen Arno-Schmidt- Text musste ich besonders denken: Auch hier ein Ich-Erzähler, Büchernarr und Übersetzer, Schreibtisch-Philologe mit Sitzfleisch wie Vigoleis. Auch hier eine Partnerin, mit der der Protagonist in renitenter Gemeinsamkeit den Widrigkeiten der Zeitläufte trotzt und geistige Vorlieben teilt. Beide Paare heimatlos, freilich vor anderem zeitlichen und geographischen Hintergrund, "displaced persons" auf der Suche nach einer Bleibe ...
    Es kann eigentlich nicht sein , dass Thelen und Schmidt sich nicht kannten und lasen. Weiß jemand, ob es Äußerungen Schmidts über die Insel gibt? Würde mich interessieren, besonders auch vor dem Hintergrund der Ablehnung der "Insel" durch die Gruppe 47. Vielleicht können die Schmidt-Kenner hier weiterhelfen.