Hallo Friedrich Arthur,
vielen Dank für Deine Willkommensgrüße und auch für die Verlinkung des Buchs!
Was Du bezüglich der „Geisteskranken“ geschrieben hast, finde ich sehr schön. Mit der Bezeichnung sind hier vor allem Menschen mit psychischen Störungen gemeint. Es handelt sich also nicht um eine Minderung der geistigen Fähigkeiten. Sie haben eine Krankheit, die sich auf ihr Erleben und Empfinden auswirkt und sie in vielen alltäglichen Dingen stark einschränkt, jedoch bleibt ihre Persönlichkeit und die Intelligenz erhalten. Es gibt tatsächlich keinen Grund, warum man ihnen weniger zutrauen sollte (allerdings wird die Schaffenskraft häufig durch einen Mangel an Konzentrationsfähigkeit beeinträchtigt – was das ganze aber nur noch erstaunlicher macht). Die von Dir angeführten handwerklichen Fähigkeiten erstaunen mich auch immer wieder. Gerade weil sie sich meist völlig endogen, ohne Anleitung, Schule und Unterstützung entwickeln.
Zu dem, was mit geisteskrank gemeint ist:
Betrachte ich die von Prinzhorn skizzierten Patientenbiografien, so komme ich zu dem Ergebnis, dass es sich hauptsächlich um Künstler mit Störungen aus dem Schizophrenen Formenkreis handelt. Auch bipolare affektive Störungen meine ich zu erkennen. Denn bei einigen Künstlern scheinen die manischen Phasen doch recht offensichtlich (aber das ist ja allgemein bei vielen Künstlern zu erkennen). Ich habe den Eindruck, dass auch die Neurose bzw. das Zwanghafte eine Rolle spielt. Depressive Züge sind ebenfalls erkennbar. Allerdings darf einen das nicht verwundern, da die meisten psychischen Störungen komorbid sind. Das heißt es treten mehrere unterschiedliche Störungsbilder zu gleich auf. Die eine Störung bedingt die anderen und umgekehrt, so dass die ursprüngliche Störung zum Teil kaum noch feststellbar ist und man nicht weiß, was zu erst da war. Bei Prinzhorn sehe ich aber die Psychosen (also vor allem Halluzinationen, die alle Sinneswahrnehmungen betreffen können, und Wahnzustände) im Vordergrund.
Die Werke sind sehr häufig das Ergebnis des halluzinatorischen Erlebens. Die Künstler malten also zu einem großen Teil das, was sie in ihren Psychosen sahen. Sehr deutlich wird dies z.B. durch einen in der Prinzhornsammlung vorgestellten Künstler, der malte, was er in seinen Schuhsohlen sah. Er sah Gesichter, Gebilde und Geschichten in seinen Sohlen und fertigte auch seine Zeichnungen in Schuhsohlenform an.
Für mich macht diese Tatsache das ganze doppelt interessant, denn das tatsächliche Bild der Psychose ist sonst kaum beschreibbar. Verfügt ein Mensch aber über die künstlerische Fähig- und Fertigkeit, findet sich dadurch ein Schlumpfloch, das der Außenwelt Einblicke in seine rein subjektive, einzigartige Realität gestattet. Man hat also mit Glück nicht nur ein schönes Werk, sondern auch eine Art Einsicht, die normalerweise verwehrt bliebe. Interessant sind z.B. auch die Fotografien einiger Autisten, die sehr deutlich machen, dass einige Betroffene nur im Detail leben können, ein zusammenhängendes Ganzes jedoch nicht erkennen.
Dazu finde ich auch den Aspekt mit der Fantasie sehr interessant. Da scheint es teilweise einen Unterschied zwischen psychisch kranken und gesunden Künstlern zu geben. Beide Werke scheinen für den Betrachter oft mehr oder weniger fantastisch. Bei den einen wurde tatsächlich die Fantasie bemüht, bei den anderen die ureigene, fantastische Realität gezeigt. Vielleicht ist das ein Punkt, der gerade den schizophrenen Künstlern hilft. Sie müssen ein Kriterium weniger erfüllen, denn sie brauchen keine große Fantasie, um fantastisch zu wirken.
Andererseits bin ich aber auch immer ein bisschen hin und her gerissen, ob es überhaupt gerecht ist, dass ich diese Bilder oft nur unter dem Aspekt der Krankheit des Künstlers zu betrachten. Es gibt einige, die auch ganz für sich allein, nur durch ihre Schönheit als Kunstwerk bestehen könnten. Ich würde mir einmal einen völlig unverfälschten Blick wünschen, frei von jeder Vorannahme. Leider lerne ich die meisten Werke aber überhaupt nur durch den Aspekt der Krankheit kennen.
Bei einigen Künstlern muss man sich im Nachhinein aber auch fragen, inwiefern die Diagnose überhaupt gerechtfertigt war. So galt früher z.B. das „wahnhafte Erfinden“ als ein Symptom der Schizophrenie. Einige Erfinder landeten demzufolge in geschlossenen Anstalten. Ein interessantes Beispiel zu diesem Thema im weitesten Sinne ist auch Karl Hans Janke.
Betrachtet man diese Fälle, kommt sehr schnell wieder zu der Idee von Genie und Wahnsinn oder der des verkannten Genies, das seiner Zeit voraus war.
Friedrich Schröder-Sonnenstern ist auch ein interessantes Beispiel. Bei ihm finde ich es spannend, dass er erst so spät mit dem Malen angefangen hat. Das scheint ganz typisch. Auch viele von Prinzhorns Künstlern fingen erst an, nachdem sie dazu angehalten wurden. Die meisten erst während einer Psychiatrieaufenthalts. Trotzdem fanden sie gleich ihren eigenen Stil und es sind zum Teil kaum Unterschiede zwischen dem ersten Bild und den viel später entstandenen festzustellen. Das finde ich sehr spannend und kann es mir auch nicht wirklich erklären. Zum Teil scheint es, als hätte man etwas losgelassen, das schon lange zuvor existierte, und das dann nur noch vom Kopf auf das Papier fließen musste. Ganz ähnlich ist ja auch der Anspruch der Art Brut – etwas ganz unverfälscht hinaus zu lassen.
Dass auf der Prinzhornseite nur so wenige Bilder gezeigt werden, finde ich sehr schade. In dem Buch sind ein paar sehr schöne Bilder, die auf der Homepage fehlen, und die ich leider auch nirgendwo im Netzt finden konnte, um sie hier zu zeigen. In der Sammlung selbst gibt es sicherlich noch viel mehr zu sehen. Irgendwann werde ich sie mir anschauen und dann berichte ich noch mal.
sandhofer
Deine Empfindungen bezüglich Wölflis Arbeiten kann ich sehr gut nachvollziehen. Eigentlich gefallen mir seine Bilder sehr gut, aber es scheint doch eins wie das andere. In der Komplexität liegt auch eine Starrheit, die unflexibel und ohne Entwicklung wirkt. So ähnlich geht er mir vor allem bei den Werken von schizophrenen Schreibern. Die schizophrene Gedankenwelt und Sprache ist gekennzeichnet durch Phänomene wie Neologismen, Gedankenabrisse, Ideenfluchten, die Auflösungen grammatikalischer Strukturen und vor allem auch die Unfähigkeit Wörter und Redewendungen anders als wortwörtlich zu nehmen (so gibt es z.B. die Geschichte eine Bäckereiangestellten, der die Aufgabe erhielt Blätterteig zu fertigen. Am nächsten Morgen fand man den Gesellen in einem Baum sitzend. Er bestrich die Blätter des Baumes mit Teig – hierzu fiel mir gleich Till Eulenspiegel ein, mit seinen Eulen und Meerkatzen). Dinge, die für den Kranken völlig logisch erscheinen, sind für den nicht Betroffenen kaum nachvollziehbar. Das mag auch den Zugang zu der schizophrenen Kunst teilweise erschweren. Bei Bildern kann dies noch ganz gut funktionieren (wobei auch hier die ständigen Wiederholungen nerven können, da sich ihr Sinn für den Betrachter nicht erschließt), bei der Literatur wird es jedoch schon viel schwieriger. Ich habe schon Texte von Schizophrenen gelesen, viele Seiten lange leidenschaftliche und fast manisch verfasste Auseinandersetzungen, die absolut unverständlich und nahezu unlesbar waren. In der Literatur muss das „Irre“ angepasst werden, um überhaupt wirken zu können. Die Schizophrenie, und sie als der Wahnsinn schlechthin, ist sicherlich immer wieder ein interessantes Motiv, kann aber meiner Meinung nach kaum authentisch dargestellt werden. Zumindest nicht aus Betroffenensicht. Ich kenne nur ein Buch, in dem das recht gut gelungen ist: Hannah Greens „Ich habe dir nie einen Rosengarten versprochen“. Hier erhält der Leser tatsächlich authentische Einblicke in die schizophrene Welt, die jedoch immer wieder rechtzeitig unterbrochen werden, so dass ein angenehmes Lesen dennoch möglich bleibt. Allerdings handelt es sich hierbei wiederum nicht um große Literatur. Ich habe festgestellt, dass ich nicht ein einziges Prosastück von größerem Wert kenne, dass von einem (im klinischen Sinne) Schizophrenen, während einer akut psychotischen Episode verfasst wurde (sollte allerdings doch jemandem eins einfallen, wäre ich sehr interessiert daran :breitgrins:).
Lese ich „schizophrene“ Lyrik fühle ich mich häufig an expressionistische Werke erinnert oder auch an den Dadaismus. Allerdings geht es mir da größtenteils ganz ähnlich wie Dir mit Wölfli; diese Werke erscheinen mir zu zwanghaft und Die Wirkung ihre Schönheit leidet unter den ständigen Wiederholungen.
Allerdings handelt es sich hierbei zum Teil ja auch „nur“ um klare Auftragsarbeiten. Navratil in seiner Rolle als Psychiater sagte beispielsweise zu Herbeck („Alexander“) er solle Heute z.B. etwas zum Thema „Der Morgen“ schreiben und der Beauftragte schrieb eben. Hierdurch fehlt allein schon die Idee des künstlerischen Schaffens. Es geschah nicht aus einer intrinsischen Motivation heraus, sondern war, zu mindest den Ursprung betreffend, Produkt der äußeren Einwirkung. Ich weiß es nicht, aber vielleicht erkennt der Leser oder Betrachter dies unbewusst. Vielleicht ist es auch das, was die Werke so ermüdend, so gleichmäßig oder einfarbig erscheinen lässt – irgendetwas scheint zu fehlen.
Falls sich jemand für die Gedichte interessiert, hier mal ein Link zu einer Stelle, an der ich vor einiger Zeit drei Gedichte von Herbeck online gestellt habe: http://www.hhesse.de/phpBB2/viewtopic.php?t=2229. Direkt kann ich die Gedichte hier nicht einstellen, weil Herr Herbeck erst 1991 verstorben ist. Das verlinkte Forum existiert mittlerweile nicht mehr, die meisten Beiträge, auch einige von mir, zu diesem Thema sind inzwischen verschwunden, die Anzeige der Daten scheint mir ebenfalls nicht korrekt. Diese drei Gedichte gefallen mir persönlich übrigens recht gut.
Ich will noch kurz etwas zu dem Titel „Bildnerei der Geisteskranken“ schreiben. „Geisteskrank“ das klingt leider immer etwas diffamierend. Das ist sowieso das Elend der psychischen Krankheit; sie belustigt oder verängstigt. Ich kenne keine Krankheitsbilder, die so häufig im alltäglichen Sprachgebrauch anzufinden sind, wie die psychischen (zumal teilweise als etwas Negatives und Beleidigendes). „Depressiv“ hört man ständig und in allen möglichen Zusammenhängen, eine Frau ist nur allzu schnell „hysterisch“ und alles, was widersinnig erscheint, wird als „schizophren“ betitelt. Mit Krebs oder selbst einer simplen Erkältung sind solche Wortspiele fast undenkbar. Vielleicht ist die negative Verwendung der Begriffe „geisteskrank“, „wahnsinnig“, „irre“ und „verrückt“ das, was bei netten Menschen das Mitleid ob des Stigmas auslöst. Das Buch wird (bzw. wurde) jedoch immer noch unter dem Originaltitel von 1922 publiziert. Damals war die Bezeichnung normal. Sie hatte bestimmt immer schon einen negativen Beiklang, aber nicht in der Form (in der Form eines Schimpfworts) wie Heute.
Oh Schreck, jetzt habe ich aber viel geschrieben.... :redface:. Muss daran liegen, dass mich die Materie sehr interessiert (ich sollte mich wohl lieber mal wieder meiner eigentlichen Arbeit zu diesem Thema widmen, die vernachlässige ich nämlich im Moment ganz sträflich :breitgrins:).
Schöne Grüße
Tia