Beiträge von enigma


    Auf wenn können wir in der Leserunde noch zählen?


    Ich wollte ja auch mitlesen und täte ich dies, so mit der offenbar gekürzten Ausgabe "mit zeitgenössischen Abbildungen von DAUMIER und anderen" aus dem Verlag Ralph Suchier, Wiesbaden, Copyright (c) ohne Jahresangabe, beginnend auf Seite 5, endend mit dem Wort "ENDE" auf Seite 743, eingeteilt in römisch durchnummerierten CXLVIII Kapiteln, von denen das "erste" keine Nummer trägt und das "zweite" ab Seite 15 die Nummer III - also mit irgendeiner anonymen Ramschausgabe in Hardcover ohne Vor- und Nachwort, von einem ungenannt bleibenden Übersetzer. Gekürzt ist nicht nur die Ausgabe, sondern auch das Rotwelsch: bei mir heißt der Tschurimann einfach nur Schurimann, was phonetisch vielleicht sogar richtiger ist.


    Jedoch, euer Lesetempo ist (wie immer) viel zu hoch für mich, mit Kapitel III kann ich erst am Wochenende wieder weitermachen - wenn ich nicht erst noch die letzten paar Seiten vom Gutzkow lese, mit dem ich mir so viel Zeit gelassen habe wie notgedrungen die damaligen Original-Leser :-)


    Gibt es irgendwo einen Stadtplan von Paris aus der Zeit, auf dem man das Geschehen verfolgen, bietet die Cité touristische Rundgänge, auf denen man den Geheimnissen von Paris auf die Spur kommen kann?


    Seine Bilder sind Meisterwerke der altniederländischen und spätmittelalterlichen Feinmalerei und lassen handwerklich viele Kunstwerke hinter sich.


    kürzlich war ich in der Londoner Nationalgallerie, um mir die Ausstellung Renaissance Faces: van Eyck to Titian anzuschauen. Dort hing auch van Eycks "Arnolfini-Hochzeit", sicherlich ein schönes Beispiel für die "Feinmalerei". Die Farben des Originals sind übrigens deutlich "farbiger" als der doch etwas zu bräunlich verwischte Grundton des verlinkten Bildes ahnen lässt. Das grüne Kleid ist viel heller grün, das rote Bett auch kräftiger. Solche Bilder im Original zu sehen, ist schon einen Billigflug wert.


    Beeindruckender fand ich allerdings Tizians Portrait von Papst Paul III. und zwar wegen seiner Augen. Auf dem Bild hier sieht man sie nur ungenau, im Original in der Londoner Gallerie auch nur aus der gebotenen Entfernung, aber vor einem Jahr sah ich das Bild im Palazzo Crepadona in Belluno, in der Ausstellung "Tiziano. L'ultimo atto". Der Palazzo ist kein Kunstmuseum, sondern eine Art Rathaus, die Bilder von Tizian standen in einem Obergeschoss, das niedrige Decken hatte, nicht viel mehr als 2 Meter hoch, auf dem Fußboden an die Wände gelehnt. Der herrliche Effekt war, dass ich Papst Paul in Augenhöhe und mit praktisch Null Zentimeter Abstand in die Augen sehen konnte. Es war phantastisch: die kugelrund aussehenden, wirklich fast 3-dimensionalen Augäpfel, die farbschiillernde Iris, die schwarzen Pupillen und der geradewegs auf mich gerichtete Blick - wie im richtigen Leben. Aus einer italienischen Privatsammlung gab es noch das Portrait einer Frau mit Kind und ebenso schönen Augen (das Bild finde ich leider nicht im Internet). Seitdem versuche ich allen Portraitbildern in die Augen zu schauen, und was ich so erkennen kann: kein Maler kommt an Tizians Augen heran. Viele Bilder - auch die berühmter Vorgänger in der Londoner Gesichter-Ausstellung - schauen schief schielend oder ausdruckslos irgendwohin und haben nicht mehr als schwarze Löcher im Auge (wobei es natürlich sein kann, dass die Portraitierten tatsächlich so stierten).


    Die Ausstellung, die weitere Bilder von van Eyck zeigt, läuft noch bis 18. Januar 2009.


    Ich würde dafür das erste Quartal nächsten Jahres anvisieren.


    Früher könnte ich keinen-, interessiert wäre ich jedenfalls. Ich habe eine ISBN-lose Hardcover-Ramschversion ohne Jahrgang, ohne Übersetzerangaben, ohne Vor- oder Nachwort vom Verlag Ralph Suchier Verlag, dafür "mit zeitgenössischen Abbildungen von Daumier und anderen" - wer immer das sei. Insgesamt CXLVIII Kapitel, verteilt auf die Seiten 5-743: offenbar massiv gekürzt also ...

    damit ist wohl nicht die zeitliche Dimension, sondern sind die gesellschaftlichen Schichten gemeint.


    Int'ressante Beobachtung. Ich hatte das auch zeitlich verstanden. Und in der mir bekannten, ersten Hälfte spielt sich in der Tat nur sehr wenig nebeneinander = gleichzeitig ab bzw. wird auch, zwar hintereinander, aber doch als gleichzeitg erzählt: die Szenen oben auf Schloss Hohenberg und Dankmars Aufstieg zum Schloß durch Thurm und Wald mit Ackermann, also die Kapitel ab I.11 "Melanie Schlurck", bis die Erzählstränge in II.11 "Melanie-Späße" sich vereinen. Oder Guido Stromers Audienz bei Prinz Egon neben Louis Armands Rückkehr in seine Werkstatt im V. Buch ... Alles andere ereignet sich nacheinander in der Reihenfolge wie es erzählt wird (von Rückblicken abgesehen). Passiert denn in der zweiten Hälfte des Werkes mehr zeitlich nebeneinander? Ich lass mich überraschen.


    Im Vorwort (S. 8f.) spricht Gutzkow erst vom Roman alten Stils des Nacheinanders. Das verstehe ich, auch wenn Gutzkow sich nicht besonders klar ausdrückt, doch im Wesentlichen als zeitliches Nacheinander. Aber dann (S. 9f.): "Der neue Roman ist der Roman des Nebeneinanders", in dem die ganze Welt da liege, Könige und Bettler sich dort begegneten, "Thron und Hütte, Markt und Wald sind zusammengerückt." Das ist in der Tat gesellschaftlich gemeint, und zeitliche Aspekte lässt er ganz unerwähnt. Insgesamt eine recht konfuse Art der Argumantation.


    Und dann noch: "Der Stumme redet nun auch, der Abwesende spielt nun auch mit. Das, was der Dichter sagen, schildern will, ist oft nur Das, was zwischen zweien seiner Schilderungen als ein Drittes, dem Hörer Fühlbares, in Gott Ruhendes, in der Mitte liegt." Die Theorie ist also, eine Unmenge Personal auftreten zu lassen und in deren Kakophonie des Gesagten (und Ungesagten?) das Zwischen-den-Zeilen-Liegende, vom-Dichter-Gemeinte im Leser erstehen zu lassen.


    Und irgendwie gelingt dies Gutzkow. Ich begebe mich jedes Wochenende immer wieder gern in dieses mikrokosmische Panaroma, in dem die Zeit still zu stehen scheint - wenn sie nicht gerade einen 6-Wochen-Sprung macht ...


    Egal, ob zeitliches oder gesellschaftliches Nebeneinander: waren die Romane vor 1850 wirklich alle solche des Nacheinander? Die Insel Felsenburg könnte ein Gegenbeispiel zu Gutzkows Behauptung sein, zumindest geographisch ist das Spektrum der Lebensläufe der dortigen Personen recht breit.


    ie Bastarde sind übrigens m.M.n. schon relativ früh klar - ein Nachteil der sauberen, konsequenten Konstruktion, die Arno Schmidt so lobt.


    Zum Thema Früherkennung: Ich glaube jetzt an der Stelle zu sein, die Du gemeint hast. In Kapitel V.9 "Stilles Leid und stille Schuld" erzählt Förster Heunisch von Ursula Marzahns Erzählungen vom Geld und vom Windelpaket, vom Baron und der Gräfin; und, aha!: vom Waisenhaus in der Nähe des Kaufmann Hackert, nach dem Fritz benannt ist, wie wir bereits seit wenigen hundert Seiten wissen. "Relativ früh" heißt hier als "auf Seite 1.662 von 3.610" ...


    Den Funkessay "Der Ritter vom Geist" von Arno Schmidt habe ich mir gerade eben noch einmal durchgelesen, das dritte Mal in in den letzten 30 Jahren. AS fand an dem Roman lesenswert:


    [li]die Konzeption, dass das 'Heil der Nation' nur von einer 'Organisation der Élite' kommen kann und nicht von oben durch Herrscheradelgeistlichkeit oder von unter durch das Volk[/li]
    [li]die lupenrein fotografierten 'Dias' der Einzelbilder: Fortunaball und Brandgasse ("die Schilderungen der callerersten Mietskaserne der deutschen Literatur"), Weinlesefest und Ratskeller[/li]
    [li]die Schaffung des Begriffs und des Dings=selbst: den 'Roman des Nebeneinander'[/li]


    Ich kenne zwar noch nicht alle der genannten 'Dias', aber in den beiden letzten Punkten muss ich AS bisher recht geben.


    weiter tapfer dabei!


    Klar, und trotz allem finde ich das Machwerk weiterhin interessant :-)



    Da das Schloss Solitüde auf einem terrassierten Hügel steht, wenn ich mich recht erinnere und 1 1/2 Fahrstunden entfernt ist, ist es relativ leicht als Sanssouci in Potsdam zu orten. Da flösse dann die Havel


    Da hätte ich auch selbst drauf kommen können. Ich bin 1990 dort einmal gewesen, kann mich aber an keinerlei Fluss, schon gar nicht an einen weit ausgedehnten, erinnern. Als ich dann Jahre später das erste Buch von Oppermanns "Hundert Jahre" und dort über den Pavillon in den Gärten des Ferienschlösschens der dänischen Königin (war doch so, oder?) las, habe ich mir bildlich die Gärten von Sanssouci vorgestellt. Und als ich dann wiederum Jahre später diese Woche vom Gutzkowschen Pavillon in des Fürsten Palais las, habe ich mich des Oppermannschen Pavillons erinnert - dass ich in Wirklichkeit dessen Original vor mir hatte, war mir gar nicht klar ...


    Klar ist mir auch nicht, trotz aller "Verständigungen" in Kapitel V.5, wie Dankmar in nur sechs Wochen sich in seinen Erbprozess stürzen, wegen drohenden Geldmangels pseudonym juristische Kompendien zum Verkaufe verfassen, Fehdehandschuhe kirchlicher Behörden aufgreifen, Heiratsanträge erbschleichender Frauenzimmer abwehren, zum Einsiedler werden, sich in Studien von Macchiavelli, Montesquieu, Hume, Junius, Leibniz und Herder vertiefen und sich von aller modernen Geniehascherei und an den Universitäten trotz septemberlicher Semesterferien grassierdenden Titanenhaftigkeit fernhalten kann: in nur sechs Wochen!


    Und Berlin habe ich immer für eine Stadt der weiten Fußwege gehalten (anders als richtige Großstädte :-). Aber Dankmar schafft es, nach seinem zufälligen Treffen mit dem aus der prinzlichen Audienz kommenden Förster Heunisch rasch nach Hause zu gehen, Toilette zu machen und dem Anlass entsprechend eingekleidet in die Residenz zu eilen, um dort rechtzeitig von Egon umarmt zu werden - just, als Pfarrer Stromer seine Ausführungen über seine literarischen Pläne beendet, die er dem Prinzen direkt nach Heunischs Weggang vor sagen wir höchstens einer halben Stunde darzulegen begonnen hatte: Dankmar ist wirklich gut zu Fuß und/oder alle für Gutzkows Plot wichtigen Örtlichkeiten Berlins liegen dicht beieinander.


    Aber auch Egons Genesung macht rapide Fortschritte, wie man der (Tages- und Wochenpresse?) "Welt und Zeit" in Kapitel V.6 entnehmen kann: Dankmar berichtet Egon, der nach eigener Auskunft erst heute so richtig genesen sei und seinen ersten Audienztag abhalte, von Gerüchten aus der berliner Gesellschaft die besagten, Egon strebe nach Popularität und vermehre durch Aufstellung eines neuen Parteiprincipes die Verwirrung, die an Grundbau und Fachwerke des Staates rüttele und diesen dem Sturze näher gebracht habe, als äußerlich beobachtbar sei ... auch eine beachtliche Leistung innert weniger Stunden öffentlichen Auftretens.


    Also ich favorisiere Dystra als interessanteste Figur (wenn er auch leider nur kurz an der Handlung teilnimmt).


    Ich bin inzwischen so weit, dass der Name Dystra schon einmal - auf dem Fortunaball - gefallen ist. Ich habe jetzt 1.500 Seiten und 10 Tage Handlung hinter mir. Einmal Umblättern, und es sind 6 (in Worten: sechs) Wochen vergangen und Prinz Egon ist auf dem Wege der Genesung. Im Garten des Palais erzählen sich Louis und Egon einmal mehr die Geschichte ihres Kennenlernens - für den Fall, dass sie dem Leser entfallen sein sollte. Neu war nur die Info, dass Egons Alias Franz Rudhard hieß - oder wussten wir Leser das schon aus dem Materialband?


    Im Pavillon, wo Helene bzw. ihr Spiegelbild schlafend auf Egon wartet, ereignen sich physikalisch und psychologisch gänzlich unmögliche Dinge:


    a) Egon öffnet von innen die Jalousien und entdeckt ein Spiegelbild. Heutzuage haben zwar nur Fenster Jalousien, und da es tagsüber draußen hell ist und sich somit in den Fenstern nichts spiegeln kann, hängen damals also die Jalousieen vor einem Spiegel - soweitsogut, die Zeiten ändern sich. Hinter der Jalouise spiegelt sich also die Schlafende Helene und es beginnt eine hektische Suche über Haus und Hof nach dem Urbild: wie kann man im Spiegel erkennen dass es Helene war, wo diese weit und breit nirgends zu finden ist. Was für eine ausgefeilte phantasmagorische Spiegeloptik damals! Oder war es kein Spiegel, sondern ein Monitor mit abgebildeten Gebäudekameraaufnahmen ...


    b) Helene schreibt seit 4 (vier) Wochen täglich im wesentlichen gleichlautende Liebesschwüre auf verlockend nach Patschouli duftendes Briefpapier, ihr gelingt es durch einen Complot mit Sanitätsrath Drommeldey und dem hüstelnden (aha: Fortunaball: grüne Brille?) Professor Rafflard, sich in den Pavillon zu schleichen um den Geliebten zu erhaschen - und schläft einfach ein?


    Vielleicht schaffe ich heute noch "Alte Bekannte" zu Wort kommen zu lassen, hoffe aber, dass die vergangenen sechs Wochen nicht über die nächsten 6.000 Seiten von diesen nacherzählt werden. Bin mal gespannt, was aus Melanie und Dankmar und dem Bild und dem Erbschaftsprozess und dem Bein des Schrein-schnüffelnden Kläffers Bello geworden ist ...


    Das ganze soll doch in und um Berlin spielen: Gibt es da ein königliches Schloss Solitüde an einem "sich mächtig ausdehnenden Fluss" (S. 1506), eindreiviertel Wagenstunden vom Prinzenpalais entfernt? Welcher Fluss soll das wohl sein?


    Den Ergänzungsband habe ich noch nicht durch, aber gibt es dort Hinweise darauf, wie der Roman veröffentlicht wurde? Klar, als Fortsetzungsroman, aber wie lang war eine Folge: Kapitellänge? Alle wieviel Tage kam eine neue Folge raus? Gab es Unterbrechungen (wie die sechs Wochen zwischen Buch IV und V)? Hat Gutzkow alles auf Vorrat oder immer nur eine Folge geschrieben? Laut Vertrag mit Brockhaus musste Gutzkow alles zwischen 20.07.1850 und 31.03.1851 abliefern, es konnte aber bis ins zweite Quartal 1852 hinein fortlaufend veröffentlicht werden. Hat sich Gutzkow daran gehalten? Gibt es Brüche im Romangeschehen, die auf Unregelmäßigkeiten bei der Werklieferung zurückgeführt werden können? Da schweigt sich der Ergänzungsband leider aus, oder?


    Och, Ihr könnt einem glatt die Lust nehmen weiterzulesen. :zwinker:


    Dem kann ich mich beinahe anschliessen: Die Enthüllungen der diversen Bastardisierungen einfach so vorwegzumehmen! ("Beinahe" deswegen, weil ich ja schneller hätte lesen können :-)


    Ich bin jetzt in Kapitel IV.4 und somit erst am ca. 8. oder 9. erzählten Tag. Wenn das so in dem Tempo weiter geht, umspannt der Roman gerade mal einen Monat. Egon ist seit mehreren hundert Seiten nervenfiebernd ans Bett gefesselt. Wie kann es da sein, dass Egon sogar noch irgendwelche Regierungsgeschäfte übernimmt und sich vor Überanstrengung davon krank meldet. Da muss das Romantempo ja rasant zunehmen.


    Ich bin derweil ein zweites Mal entsetzt über das Spitzelwesen, dass mich ja schon auf dem Dorf Plessen gewundert hat. Aber in der berliner Brandgasse ist es ja noch schlimmer als auf dem Land. In jedem Hinterhof dieser Wohnsilos, die später nach Zille noch idyllisiert werden werden, gibt es mindestens einen Vizewirth, der gegen Informationen über das Privatleben und den Umgang der Bewohner mietfrei wohnen darf, nachts um 12 auf Tanzbälle geschickt wird um herumzuspionieren und dergleichen mehr. Was für eine Gesellschaft - in der guten alten Zeit!


    Nun noch etwas zum Anmerkungsteil der Zweitausendeins-Ausgabe: Den finde ich z.g.T. obsolet


    Zu Seite 839 den Unterschied zwichen links und linkisch zu erklären, statt die Herkunft dieser politischen Seiteneinteilung, ist wirklich unbefriedigend.


    Oder zu Seite 945

    Zitat

    [Der Tag] wiegt schwerer als seit lange einer, und doch gehört er zu denen, die ich in anderem Sinne als Kaiser Titus einen verlorenen nenne!

    nur zu kommentieren, dass Kaiser Titus mit Vornamen Flavius hieß, statt zu erklären, was es mit dessen verlorenem Tag auf sich hat, ist ärgerlich.


    Aber zu Seite 799

    Zitat

    Auf einem Sockel von grauem Marmor stand in einer Ecke eine Copie der mediceischen Venus von Alabaster.

    anzumerken, dass hier wahrscheinlich die "Venus von Urbino" von Tizian oder die "Geburt der Venus" von Botticelli gemeint sei, ist sicherlich zur Hälfte falsch. Während die Venus bei ihrer Geburt unschwer auf einen Sockel zu stehen kommen mag, ist die lasziv-unartig, geradezu lacerten-artig auf einem an den Wänden der Uffizien des mediceischen Florenz hängenden Canapé hingebettete Venus von Urbino nur schwerlich auf einem Sockel stehend vorstellbar.


    Mehr als ein Buch pro Monat scheine ich nicht zu schaffen - bei den neun Büchern eine schwere Geburt ...


    Allerdings benutzt Gutzkow dafür des öfteren haarsträubende Beziehungsgeflechte zwischen den handelnden Personen, die plötzlich auftauchen. [...] Nach Gutzkow ist das Europa des 19. Jahrhunderts familiär und sozial so eng miteinander verflochten wie eine Steinzeitsippe


    Es wundert mich auch immer wieder bei so manchem Kino- oder Fernsehfilm, dass die Drehbuchautoren ihre Protagonisten in derartige Beziehungsgeflechte meinen einbinden zu meinen. Ich stelle dann oft fest, dass mir die Handlung dadurch unglaubwürdig und lächerlich vorkommt. Jüngstes Beispiel ist die Echtzeitserie "24", in der Jack Bauer mit den schlimmsten Terroristen, die er jagt, entweder bereits geschlafen hat oder seit langem verbrüdert ist, die amerikanische Präsidentschaft in der Palmer-Familie herumgereicht wird, und ansonsten immer wieder irgendwelche Verwandte und Bekannte auftauchen ...


    Ich bin immer noch im Buch II, das im 13. Kapitel mit der Traumgeschichte einen weiteren erzählerischen Tiefstand erreicht hat: Wie Gutzkow den Traum bzw. das nächtliche Geschehen in Dankmars Dachstube im Heidekrug, als Ackermann das Bild gegen die Locke eintauscht, nacherzählt, erinnert mich an eigene sextanerhafte Versuche, mir Erlebnisaufsätze aus den Fingern saugen zu müssen, die üblicherweise tags darauf als mangelhaft eingestuft wurden, auch wenn sie das Niveau Gutzkowscher Traumdeutungen unschwer erreichten. Warum kann sich der Mann nicht auf seinen Standpunkt des "allwissenden Erzählers" zurückziehen und muss sich, in Dankmar versetzend, diesen jeden Mist erleben und in Worte fassen lassen? Oder die Information, dass der Uhrmacher Eisold, Hackerts Vermieter, in der Brandgasse 9 wohnt: muss diese von Bartusch in vollem Galopp aus seinem Wagen Dankmar & Co. zugerufen werden, nachdem er bei all dem Pferdegetrappel und Wagengequietsche beim zufälligen Vorbeifahren den Namen Eisold aus der Unterhaltung herausgehört haben will? Physikalisch nicht unmöglich, aber doch recht unwahrscheinlich.


    Aber ansonsten ist die Geschichte weiterhin unterhaltend, und fast so spannend wie 24.


    Ansonsten plätschert das Ganze so vor sich hin. Ich muß mich immer mal wieder zur Ordnung rufen, um weiterzulesen und meine Zeit nicht mit einem anderen Buch zu "verschwenden".
    Regina und enigma: Lest ihr den noch mit?


    Ich lese in kleinen Portionen weiter, habe es aber aufgegeben, euch einholen zu wollen. Daher habe ich auch kein schlechtes Gewissen mehr und lass es ruhig angehen.


    Ich bin immer noch im II. Buch ...



    Mal abgesehen von sandhofers Hinweis auf das auch heute noch engere soziale Leben auf dem Dorf darf man auch nicht vergessen, dass fast die einzige Unterhaltung der unteren sozialen Klassen damals in Klatsch und Tratsch bestand, da sie kaum an Medien partizipierten und auch wenig Anteil am kulturellen Leben hatten. Da war man wohl gerne unterwegs, um dem Nachbarn das Neueste zu erzählen und / oder ebensolches zu erfahren. Wobei es die Bürgerlichen und Adligen, wie auch einschlägige Kapitel dieses Romans beweisen, auch kaum anders hielten.


    ... und mir läßt die Gerüchteverbreitung keine Ruhe. Am Anfang des Kaptels II.4 "Der Thurm." wird Dankmar an der Krone vom Wirt, seinen Angestellten und anderen Schaulustigen hutziehend und ehrehrbietig verbeugt empfangen mit den Einladungen aufs Schloss und in den Turm. Die Anwesenden, zu denen noch Bartusch hinzukommt, erwecken den Eindruck zu wissen, dass Dankmar der Prinz sei. Im Turm wird er aber nicht von den dortigen Wärtern und Schaulustigen respektvoll begrüßt: die wissen nichts von Dankmars Prinzentum - was mich irritiert. Selbst als Pfannenstiel in die Krone geht um aus der dortigen Küche für Dankmar und Egon Essen zu holen, kommt er zurück und scheint nichts aus der Gerüchteküche des Kronenwirtes mitbekommen zu haben. Irgendwie weiß die eine Seite des Dorfes nicht was die andere zu wissen glaubt. Mehr noch: selbst die "Gesellschaft" auf dem Schloss um Lassaly und Co. weiß von nichts - außer Bartsusch und Melanie versteht sich - wie auf Seite 570 klipp und klar gesagt wird: "Das Gerücht, das ihn zum Prinzen Egon machte, hatte sich bis zu ihnen noch nicht verbreitet ..."


    Das erscheint mir doch sehr unglaubwürdig. Gutzkow ist ein Meister des Großen Wurfs und, wenn ich euch richtig verstanden habe, klärt jede offene Frage des Romans in dessen Verlaufe auf, aber den Plot im Kleinen hat er an dieser Stelle doch recht nachlässig dahingeworfen.


    Dafür weht uns der der damalige Zeitgeist bis heute entgegen: Turmwärter von Zeisel entschuldigt sich in seine ärztlich verordnete Mittagsruhe bis 3 Uhr, aus der er nach Pfannenstiel vor 4 nicht wieder erwachen wird. Das waren noch güldene Zeiten. Heutzutage hat man innerhalb der Kernzeit gefälligst zu arbeiten. Und die Mittagspause wird nur noch Kindern im privaten gutnachbarschaftlichen Umfeld von hellhörigen, scharfzüngigen Blockwarten als strikt einzuhalten angeordnet.


    Weitere Merkürdigkeiten: eine Obduktion wildgewordener Reitpferde; eine den Kleinohresel Harder zu Hardenstein in seinen Gardinen und den Prinzen Dankmar in dessen Garten je gesondert in den Liebeswahn treibende Melanie; ein Shakespeare und Goethe zitierender zwischen Turm und Schloss geschriebener und kroneversiegelter inhaltsloser Brief von Dankmar an Siegbert ...

    Zum Thema Zeitdehnung:


    Ich bin zwar schon etwas weiter, aber am Ende des ersten Buches sind noch keine 2 Tage erzählte Zeit vergangen: Siegbert begegnet am Nachmittag des ersten Tages Hackert und abends im Pelikan seinem Bruder Dankmar; dieser fährt nachts los in Richtung Schloss Hohenberg und kommt dort am Nachmittag oder Abend des zweiten Tages an; am frühen Morgen des dritten Tages lässt sich von Harder zu Hardenstein von Bartusch über die neusten Vorkommnisse unten im Dorfe briefen. Das sind keine 40 Stunden auf 360 Seiten. Viel schneller lese ich übrigens auch nicht :-)


    Bemerkenswert fand ich, dass Bartusch, der abends noch oben auf dem Schloss weilte, früh morgens gegen halb neun schon bestens über alles Wesentliche aus dem Dorf Bescheid wusste, ihm zugetragen vom Wirt des einzigen Gasthofes am Platz und anderen Informanten. Auch Dankmar wusste, kaum war er im Dorfe Plessen angekommen, dass gerade ein Amerikaner mit Sohn angekommen sei. Irgendwie hingen die Leute in solchen Käffern so eng aufeinander, dass selbst Wildfremde in kürzester Zeit in den Dorfklatsch eingeweiht waren. Eine beengende Vorstellung für einen heutigen Großstadtmenschen. Vielleicht liegts aber auch nur daran, dass der allwissende Erzähler Gutzkow den Leser nicht durch umständliche Schilderungen sondern durch Wiedergabe angeblicher Dialoge an seinem Wissen hat teilhaben lassen wollen, auch wenn diese Dialoge (z.B. Dankmars mit dem Gastwirt über die Familienverhältnisse der übrigen neuen Gäste, oder Bartuschs mit seinen Informanten) gar nicht stattgefunden haben.


    Heutzugtage würde man einen jungen Menschen wie Selmar Ackermann, der durchaus gut durchdachte politische Vorstellungen zu äußern sich nicht geniert, kaum einen "holden Knaben" nennen, selbst wenn er aus anderen Gründen noch gerne kindlich errötet. Und dass Dankmar davon ausgeht, dass die buntgeschmückten Krieger in funkelnden Waffen bei kriegersichen Klängen unserer Heerschauen den jungen Amerikaner Selmar so begeisterten, dass dieser Amerikas ganze Freiheit dafür hingeben würde, ist fürchterlich genug: diese Verrlichung kriegerischen Gehabes sollte Deutschland 100 Jahre später teuer bezahlt haben ...

    Inzwischen habe ich auch die erste deutsche Übersetzung von Maria Lazar durch, die 1928 im "Verlag von Th. Knaur Nachf." in Berlin W 50 erschien und für 1 Mark zu kaufen war.


    Insgesamt gesehen ist diese Übersetzung nicht besser als die von 1953 und zeigt manchmal gewisse Schwierigkeiten der Übersetzerin entweder mit dem englischen Original oder der deutschen Wiedergabe. Sie benutzt an zwei Stellen Fußnoten, um englische Begriffe zu erklären, statt wie Schürenberg eine deutsche Übersetzung zu suchen: am Anfang des 4. Kapitels erklärt sie "Bootlegger" (ML:87) mit "Amerikanische Bezeichnung für den seit der Prohibition einträglichen Beruf des geheimen Alkoholhandels." und gegen Ende des 5. Kapitels "Drugstores" (ML:154) mit "Drugstore = eine Art Drogerie, in der neben medizinischen Waren auch alkoholische Getränke (neuerdings nur heimlich), Benzin usw. verkauft werden." Auch das Längenmaß "Yard" lässt sie einmal unübersetzt, wo Schürenberg ein "Meter" daraus macht (Angang 2. Kapitel, ML:37 bzw. WS:28), ein anderes Mal übersetzt sie "Elle", bei den Augen von Doctor T. J. Eckleburg:


    FSF:29 - "their retinas are one yard high"
    ML:35 - "ihre Netzhaut allein ist eine Elle lang"
    WS:27: - "allein ihre Pupillen haben einen Meter Durchmesser"


    Oft bleibt sie enger am Original, wie eben - richtigerweise - mit der Netzhaut, oder: die "ashheaps" (FSF:30) sind "Aschehaufen" (ML:37), nicht die "Schutthalde" (WS:28) von Schürenberg; und immer wieder etwas schief und steif (obwohl Schürenberg hier auch nicht viel besser ist):


    FSF:31- "when the proprietor himself appeared in the door of an office, wiping his hands on a piece of waste. He was a blond, spiritless man, anemic, and faintly handsome."
    ML:38 - "da erschien der Eigentümer des Geschäfts selbst in der Tür eines Nebenraumes und wischte sich eben die Hände an irgendeinem Fetzen ab. Er war ein blonder, anämischer, unlebendiger Mensch, kaum hübsch zu nennen."
    WS:29 - "Da erschien, seine Hände an einem Lappen abwischend, der Eigentümer selbst in der Tür seines Büros, ein leidlich gut aussehender blonder, energieloser Mann, der offenbar an Blutarmut litt."


    Besser an der Erstübersetzung finde ich, dass man ihr ihr Alter ansieht, Lazar benutzt heute "veraltete" Ausdrücke: damals war eine "pneumatic mattress" (FSF:167) eben noch keine Luftmatratze, sondern eine "pneumatische Matratze" (ML:226), oder als im 5. Kapitel Gatsby kurz einen Telefonanruf beantwort und dann auflegt: "He rang off" (FSF:101), was damals vielleicht wirklich so hieß: "Er läutete ab" (ML:133). Und in der Telefonvermittlung saßen noch "Beamte". Andererseits bedeutete "jemanden anrufen" damals nicht automatisch "antelefonieren":


    FSF:27 - "I decided to call him." (Als Nick abends von seinem Haus aus das erstemal Gatsby sah)
    ML:34 - "Ich beschloß, ihn anzurufen."
    WS:26 - "Ich entschloß mich, ihn anzusprechen."


    An wenigstens einer Stelle aber blitzt bei Lazar ein ungleich besseres Sprachgefühl durch als bei Schürenberg: s. Materialordner, 5. Kapitel:


    FSF:94 - "Amid the welcome confusion of cups and cakes"


    Die vielen K-Laute, die beiden knackigen Einsilber hinter dem u-betonten, weich verschliffenen "confusion" und dem schwungvoll vornbetonten "welcome", sind kaum zu übersetzen. Schürenberg schlägt mit der Brechstange zu und hinterlässt den Trümmerhaufen des "willkommenen Durcheinander mit den Teetassen und den Kuchenstücken" (WS:91), während Lazar immerhin sich etwas löst vom Wort hin zum Laut des "willkommenen Wirrwarr von Tassen und Kuchen" (ML:123). Sie traut sich zwar nicht das freier übersetzte "Kaffee und Kuchen" zu, wählt aber das viel besser passende Wirrwarr. "Chaos" ist vielleicht zu stark, aber "das willkomene Chaos von Kaffee und Kuchen" käme wenigstens lautlich etwas näher an die viele K's und den Originalrhythmus heran ...


    Bei Gelegenheit lese ich auch noch die neue Übersetzung von 2006. Vorher aber sehe ich mir den Film an, und zwar erst die Fassung von 1949 auf Englisch, die ich kürzlich auftat (pando.com machts möglich), dann die von 1974 auf Deutsch. Aber damit lasse ich mir noch ein paar Wochen Zeit.

    was sich seit den 150 Jahren aber geändert hat, ist, dass heute niemand mehr - wie die blaue Blouse in Kapitel I.8 - über die Franzosen lästert, weil sie, unverändert wie seit 150 Jahren, schon mit 50 in Rente gehen und von ihrem (an der Börse erspekulierten) Ersparten bis zu ihrem Ableben mit 70 gut leben, also bis zu dem erst Jahrzehnte später von Bismarck eingeführten deutschen Renteneintritssalter. Und "die Arbeit als eine Quelle der höchsten Freuden" (S. 191) würde nach den KdF- und Arbeit-macht-frei-Kampagnen des Dutzendjährigen Reich heute auch keiner mehr auszusprechen wagen.


    Interessant, einen so alten Schmöker in so gut lesbarer, wohlgesetzter und liebevoll gebundener Ausgabe heutzutage lesen zu können.


    Na gut, dann mache ich halt das Schlußlicht. :zwinker: Ich bin jetzt in II.3.


    Den Titel reklamiere ich für mich, gerade zum Spion in I.8 umblätternd. Die Nacht im Heidekrug war lang und in der Tat langweilig, und ich habe nicht den Eindruck, dass mir dieses mit politisch klingenden Schlagworten durchsetzte Gerede viel vom geschichtlichen Hintergrund erleuchtet hat: außer, dass auch damals Nachweise der eigenen Bildung durch beiläufige Verweise auf anderleuts Dramen zur Konversationsstrategie gehörten. Die Rahmenhandlung ist weiterhin das interessanteste an dem Roman.


    Ich habe inzwischen doch - in der Verwandtschaft - die Geheimnisse von Paris meines Vaters aufgetrieben und bin versucht, einen Ausflug dorthinein zu machen. Bei Gelegenheit tippe ich den dort gefundenen Zeitungsauschnitt von 1982 für den Materialordner ab. In der gleichen Aufmachung des Verlags Ralph Suchier haben sich auch noch die Elenden des Victor Hugo gefunden, die ebenfalls gelesen werden wollen ...

    Aus dem achten Kapitel:


    [hr] [hr]
    FSF:162 When I passed the ashheaps on the train that morning I had crossed deliberately to the other side of the car. I supposed there'd be a curious crowd around there all day with little boys searching for dark spots in the dust, and some garrulous man telling over and over what had happened, until it became less and less real even to him and he could tell it no longer, and Myrtle Wilson's tragic achievement was forgotten.
    ML:218f Als ich an diesem Morgen mit der Bahn an dem Aschenhaufen vorbeigefahren war, hatte ich mich absichtlich gleich an die entgegengesetzte Seite des Wagens gesetzt. Ich dachte mir nämlich, daß da sicher den ganzen Tag lang eine neugierige Menge herumstehen würde, daß kleine Jungen im Straßenstaub nach dunklen Flecken suchen würden und daß sicher ein geschwätziger Mensch ununterbrochen erzählte, was geschehen war; so lange, bis es sogar ihm selbst immer weniger und weniger wahrscheinlich vorkam, bis er nicht länger davon sprechen konnte und Myrtle Wilsons tragisches Ende der Vergessenheit anheimfiel.
    WS:160 Als ich an jenem Morgen mit dem Zug an den Aschenbergen vorbeigefahren war, hatte ich absichtlich an der anderen Seite aus dem Fenster geblickt und es vermieden, nach Wilsons Garage Ausschau zu halten. Ich vermutete dort den ganzen Tag eine neugierige Menschenmenge. Kleine Jungen würden im Straßenstaub nach den dunklen Blutflecken suchen, und irgendein geschwätziger Alter würde wieder und wieder erzählen, wie alles gekommen war, bis das Ganze für ihn immer unwirklicher werden und seine Erzählung versichern würde, so daß schließlich Myrtle Wilsons tragisches Ende in Vergessenheit geriete.
    [hr] [hr]
    FSF:168 It was after we started with Gatsby toward the house that the gardener saw Wilson's body a little way off in the grass, and the holocaust was complete.
    ML:228 Erst nachdem wir mit Gatsby auf das Haus zugegangen waren, sah der Gärtner etwas abseits im Grase Wilsons Leichnam liegen; und der Hexenkessel war fertig.
    WS:167 Erst als wir uns mit Gatsby dem Hause zu bewegten, entdeckte der Gärtner ein wenig abseits im Grase die Leiche Wilsons, und damit war das Blutopfer vollbracht.



    Aus dem neunten Kapitel:


    [hr] [hr]
    FSF:182f When we pulled out into the winter night and the real snow, our snow, began to stretch out beside us and twinkle against the windows, and the dim lights of small Wisconsin stations moved by, a sharp wild brace came suddenly into the air. We drew in deep breaths of it as we walked back from dinner through the cold vestibules, unutterably aware of our identity with this country for one strange hour, before we melted indistinguishably into it again.
    That's my Middle West - not the wheat or the prairies or the lost Swede towns, but the thrilling returning trains of my youth, and the street lamps and sleigh bells in the frosty dark and the shadows of holly wreaths thrown by lighted windows on the snow. I am part of that, a little solemn with the feel of those long winters, a little complacent from growing up in the Carraway house in a city where dwellings are still called through decades by a family's name. I see now that this has been a story of the West, after all - Tom and Gatsby, Daisy and Jordan and I, were all Westerners, and perhaps we possessed some deficiency in common which made us subtly unadaptable to Eastern life.
    ML:247f Wenn wir dann in die Winternacht hinausfuhren und der echte Schnee, unser Schnee, draußen in weiten Strecken zu fallen begann und an den Scheiben blinkte und wenn die trüben Lichter der kleinen Bahnhöfe von Wisconsin sich an uns vorbeibewegten, dann schien die ganze Luft plötzlich wie durchdrungen von einer heftigen und wilden Spannung. Und wir atmeten, wie wir so von dem Speisewagen durch die kalten offenen Gänge gingen, diese Spannung in langen Zügen ein, indem wir uns unserer Zusammengehörigkeit mit diesem Lande ganz unsagbar tief bewußt wurden, eine seltsame Stunde lang, bis wir dann wieder unmerklich und selbstverständlich mit ihm verschmolzen waren.
    Das ist mein Mittelwesten - und darunter verstehe ich nicht die Weizenfelder, die Prärien oder die verlorenen schwedischen Städte, sondern die wiederholte aufregende Rückkehr in dieses Land meiner Jugend, die Straßenlaternen, die Schlittenglocken in der frostigen Dunkelheit und die Schatten der Weihnachtskränze, die aus den erleuchteten Fenstern in den Schnee hinausfielen. Ich bin ein Teil dieses Landes, fühle mich seinen langen Wintern verbunden und bin es recht zufrieden, daß ich in einer Stadt, wo jedes Heim Jahrzehnte hindurch den Namen einer Familie trägt, im Haus der Carraways aufgewachsen bin. Und ich erkenne jetzt, daß das alles eigentlich eine Geschichte aus dem Westen gewesen ist, daß nach alledem Tom, Gatsby, Daisy, Jordan und ich doch alle Menschen aus dem Westen waren und daß wir alle vielleicht eine gemeinsame Unfähigkeit besaßen, uns dem Leben im Osten anzupassen.
    WS:182 Wenn wir dann in den Winterabend hinausfuhren, die trüben Lichter kleiner Wisconsin-Bahnhöfe an uns vorbeisausten und der wirkliche Schnee, unser heimatlicher Schnee, sich zu beiden Seiten auf den Feldern hinbreitete und in Flocken am Coupéfenster glitzerte, dann spürte man plötzlich ein scharfes wildes Ziehen in der Luft. Wir atmeten sie in tiefen Zügen, wenn wir vom Speisewagen über die offenen Plattformen zu unserem Abteil zurückgingen. Das war die Stunde, in der uns das Gefühl unsäglichen Einsseins mit diesem Lande seltsam überkam, ehe wir dann wiederum unauffällig mit ihm verschmolzen.
    Das ist mein Mittelwesten - nicht die Weizenfelder, die Prärien oder die verstreuten Schwedenstädtchen, sondern die erregenden Heimkehrzüge meiner Jugend, die Straßenlaternen und Schlittenglöckchen in der frostigen Dunkelheit und die Schatten der Weihnachtskränze vor den erleuchteten Fenstern im Schnee. Mit alledem fühlte ich mich verbunden; außerdem halte ich mir auf die langen strengen Winter etwas zugute und auch darauf, daß ich im Carraway-Haus aufgewachsen bin, in einer Stadt, wo die Häuser noch nach Jahrzehnten den Namen einer Familie tragen. Und jetzt sehe ich auch, daß ich im Grunde eine Geschichte aus dem Westen erzählt habe, denn schließlich stammen wir alle - Tom und Gatsby, Daisy, Jordan und ich - aus dem Westen und hatten wahrscheinlich einen gewissen Defekt miteinander gemein, der uns, genaugenommen, für das Leben im Osten untauglich machte.
    [hr] [hr]
    FSF:186 They were careless people, Tom and Daisy - they smashed up things and creatures and then retreated back into their money or their vast carelessness, or whatever it was that kept them together, and let other people clean up the mess they had made ...
    ML:252f Tom und Daisy, sie waren ja im Grunde genommen so gleichgültig - sie griffen nach Dingen und Menschen und zogen sich dann wieder in ihr Geld oder ihre unendliche Gleichgültigkeit oder was sonst sie zusammenhalten mochte, zurück und ließen andere Leute in der Unordnung, die sie verschuldet hatten, aufräumen ...
    WS:185 Sie waren eben leichtfertige Menschen, Tom und Daisy - sie zerschlugen gedankenlos, was ihnen unter die Finger kam, totes und lebendiges Inventar, und zogen sich dann einfach zurück auf ihren Mammon oder ihre grenzenlose Nonchalance oder was immer das gemeinsame Band sein mochte, das sie so unverbrüchlich zusammenhielt, und überließen es anderen, den Aufwasch zu besorgen ...
    [hr] [hr]
    FSF:187 On my last night, with my trunk packed and my car sold to the grocer, I went over and looked at that huge incoherent failure of a house once more. On the white steps an obscene word, scrawled by some boy with a piece of brick, stood out clearly in the moonlight, and I erased it, drawing my shoe raspingly along the stone. Then I wandered down to the beach and sprawled out on the sand.
    ML:254 In der letzten Nacht, als ich meinen Koffer schon gepackt und mein Auto dem Kaufmann verkauft hatte, ging ich noch einmal hinüber und betrachtete mir das unsinnige und riesige Ungetüm von einem Haus zum letztenmal. Ein schmutziges Wort, das einer der Jungen mit einem Stück Ziegel an die weiße Treppe geschrieben hatte, leuchtete klar im hellen Mondlicht, und ich rieb meinen Schuh so lange daran, bis es verwischt war. Dann ging ich den Strand entlang und legte mich in den Sand.
    WS:186 In der letzten Nacht, als ich meine Koffer gepackt und mein Auto an den Gemischtwarenhändler im Ort verkauft hatte, ging ich noch einmal hinüber und warf einen letzten Blick auf diese gewaltige, sinnlose Mißgeburt von einem Haus. Auf den weißen Stufen stand, im Mondschein deutlich zu lesen, ein unanständiges Wort, das irgendein Junge mit einem Stück Ziegel geschrieben hatte. Ich scheuerte mit meinem Schuh so lange darüber, bis es ausgelöscht war. Dann ging ich hinunter an der Strand und streckte mich im Sande aus.

    Aus dem sechsten Kapitel:


    [hr] [hr]
    FSF:112f 'I'd a little rather not be the polo player,' said Tom pleasantly, 'I'd rather look at all these famous people in - in oblivion.'
    Daisy and Gatsby danced. I remember being surprised by his graceful, conservative fox-trot - I had never seen him dance before. Then they sauntered over to my house and sat on the steps for half an hour, while at her request I remained watchfully in the garden. 'In case there's a fire or a flood,' she explained, 'or any act of God.'
    Tom appeared from his oblivion as we were sitting down to supper together. 'Do you mind if I eat with some people over here?' he said. 'A fellow's getting off some funny stuff.'
    'Go ahead,' answered Daisy genially, 'and if you want to take down any addresses here's my little gold pencil.' ... She looked around after a moment and told me the girl was 'common but pretty', and I knew that except for the half-hour she'd been alone with Gatsby she wasn't having a good time.
    ML:149f "Ich möchte eigentlich doch lieber nicht auf die Dauer den berühmten Polospieler vorstellen", sagte Tom scherzend, "ich möchte alle diese berühmten Leute viel lieber aus meinem Inkognito heraus betrachten."
    Daisy und Gatsby tanzten. Ich erinnere mich noch, wie sehr sein anmutiger und etwas altmodisher Foxtrott mich überraschte - ich hatte ihn nämlich noch nie vorher tanzen sehen. Dann schlenderten sie zu meinem Haus hinüber, wo sie eine halbe Stunde lang auf der Treppe saßen, während ich auf ihr Ersuchen hin im Garten Wache hielt. "Falls es eine Feuersbrunst oder eine Überschwemmung geben sollte," setzte sie hinzu, "oder sonst irgendeine Gottesstrafe."
    Als wir eben miteinander beim Essen saßen, tauchte Tom plötzlich aus seinem Inkognito auf. "Ihr seid doch nicht böse, wenn ich mit ein paar Leuten dort drüben esse?" sagte er. "Ein Bursche erzählt gerade ein paar so nette Witze."
    "Geh nur," sagte Dausy vergnügt, "und wenn du dir ein paar Adressen aufschreiben möchtest, hier hast du meinen goldenen Bleistift ..." Einen Augenblick später schaute sie sich um und sagte mir, daß das Mädchen "hübsch und gewöhnlich" sei, und ich spürte, daß sie sich, mit Ausnahme der halben Stunde, die sie mit Gatsby zusammen war, auch nicht ein bißchen wohlgefühlt hatte.
    WS:109f "Ich möchte doch lieber nicht als 'der Polospieler' vorgestellt werden", sagte Tom gutmütig, "sondern alle diese berühmten Leute nur so ansehen - nur so, ohne daß man von mir Notiz nimmt."
    Daisy und Gatsby tanzten miteinander. Ich weiß noch, wie sehr mich sein anmutiger, etwas altmodischer Foxtrott überraschte. Ich hatte ihn bis dahin noch nie tanzen sehen. Dann stahlen sie sich zu meinem Haus hinüber und saßen dort eine halbe Stunde lang auf der Türschwelle, während ich auf ihre Bitte im Garten Wache hielt. "Falls es eine Feuersbrunst oder eine Überschwemmung geben sollte oder sonst ein Gottesgericht", erläuterte Daisy.
    Tom tauchte aus seiner Vergessenheit auf, als wir uns gerade zum Souper niederließen. "Hast du etwas dagegen, wenn ich mich drüben zu den Leuten setze?" fragte er. "Da ist einer, der das tollste Zeug erzählt."
    "Geh nur hin", antwortete Daisy freundlich, "und wenn du dir eine Adresse notieren willst - hier ist mein kleiner goldener Bleistift."
    Nach einer Weile hielt sie Ausschau und sagte mir, das Mädchen sei "etwas gewöhnlich, aber hübsch"; da wußte ich, daß ihr, abgesehen von der halben Stunde mit Gatsby allein, nicht wohl zumute war.
    [hr] [hr]
    FSF:114 She was appalled by West Egg, this unprecedented 'place' that Broadway had begotten upon a Long Island fishing village - appalled by its raw vigour that chafed under the old euphemisms and by the too obstrusive fate that herded its inhabitants along a short-cut from nothing to nothing. She saw something awful in the very simplicity she failed to understand.
    ML:152 Sie war entsetzt über West Egg, über diesen "unmöglichen Ort", wo man einen neuen Broadway in ein Fischerdorf auf Long Island verlegt hatte - sie war entsetzt über die rohen Triebe, die hier unter den altgewohnten schönen Redensarten sich austobten, über das grausame Schicksal, das die Bewohner dieses Orts immer wieder für eine kurze Weile von nichts zu nichts trieb. Sie sah in der absoluten Primitivität, die sie nicht verstehen konnte, etwas ganz Fürchterliches.
    WS:111f Sie war entsetzt über West Egg, diesen unerhörten 'Treffpunkt der großen Welt', den der Broadway in diesem harmlosen Fischerdörfchen auf Long Island ins Leben gerufen hatte; entsetzt über die Roheit und Gier, die unter den verschlissenen schönen Phrasen zum Vorschein kam, und entsetzt über die fatale Zwangsläufigkeit, mit der seine Bewohner auf kürzestem Wege von einem Nichts ins nächste Nichts getrieben wurden. Diese Beschränktheit flößte ihr Angst ein und machte sie ratlos.
    [hr] [hr]
    FSF:118 Through all he said, even through his appalling sentimentality, I was reminded of something - an elusive rhythm, a fragment of lost words, that I had heard somewhere a long time ago. For a moment a phrase tried to take shape in my mouth and my lips parted like a dumb man's, as though there was more struggling upon them than a wisp of startled air. But they made no sound, and what I had almost remembered was uncommunicable forever.
    ML:157f Bei allem, was er sagte, und mochte es noch so entsetzlich sentimental sein, mußte ich immer nur an eines denken - an eine entschwundene Melodie, ein paar verlorene Worte, die ich einmal vor langer Zeit irgendwo gehört hatte. Einen Augenblick lang bildete sich schon ein Satz in meinem Munde, meine Lippen öffneten sich wie bei einem Taubstummen, als ob noch mehr als der bloße Lufthauch auf ihnen läge. Aber mein Mund blieb lautlos, und für immer entschwand, was die Schwelle meines Bewußtseins beinahe schon überschritten hatte.
    WS:116 Alles, was er sagte, auch noch seine erschreckende Sentimentalität, rührte etwas in mir auf - einen unfaßlichen Rhythmus, Bruchstücke längst vergessener Worte, die ich irgendwo vor langer Zeit gehört hatte. Einen Augenblick wollte ein Satz in meinem Munde Gestalt annehmen, und meine Lippen öffneten sich wie bei einem Taubstummen, als sei es nicht nur der gestauchte Lufthauch, mit dem ich zu ringen habe. Aber die Worte wurden nicht zum Klang, und was in mir an die Grenze des Erinnerns gelangte, blieb unsagbar in alle Ewigkeit.