Inzwischen habe ich auch die erste deutsche Übersetzung von Maria Lazar durch, die 1928 im "Verlag von Th. Knaur Nachf." in Berlin W 50 erschien und für 1 Mark zu kaufen war.
Insgesamt gesehen ist diese Übersetzung nicht besser als die von 1953 und zeigt manchmal gewisse Schwierigkeiten der Übersetzerin entweder mit dem englischen Original oder der deutschen Wiedergabe. Sie benutzt an zwei Stellen Fußnoten, um englische Begriffe zu erklären, statt wie Schürenberg eine deutsche Übersetzung zu suchen: am Anfang des 4. Kapitels erklärt sie "Bootlegger" (ML:87) mit "Amerikanische Bezeichnung für den seit der Prohibition einträglichen Beruf des geheimen Alkoholhandels." und gegen Ende des 5. Kapitels "Drugstores" (ML:154) mit "Drugstore = eine Art Drogerie, in der neben medizinischen Waren auch alkoholische Getränke (neuerdings nur heimlich), Benzin usw. verkauft werden." Auch das Längenmaß "Yard" lässt sie einmal unübersetzt, wo Schürenberg ein "Meter" daraus macht (Angang 2. Kapitel, ML:37 bzw. WS:28), ein anderes Mal übersetzt sie "Elle", bei den Augen von Doctor T. J. Eckleburg:
FSF:29 - "their retinas are one yard high"
ML:35 - "ihre Netzhaut allein ist eine Elle lang"
WS:27: - "allein ihre Pupillen haben einen Meter Durchmesser"
Oft bleibt sie enger am Original, wie eben - richtigerweise - mit der Netzhaut, oder: die "ashheaps" (FSF:30) sind "Aschehaufen" (ML:37), nicht die "Schutthalde" (WS:28) von Schürenberg; und immer wieder etwas schief und steif (obwohl Schürenberg hier auch nicht viel besser ist):
FSF:31- "when the proprietor himself appeared in the door of an office, wiping his hands on a piece of waste. He was a blond, spiritless man, anemic, and faintly handsome."
ML:38 - "da erschien der Eigentümer des Geschäfts selbst in der Tür eines Nebenraumes und wischte sich eben die Hände an irgendeinem Fetzen ab. Er war ein blonder, anämischer, unlebendiger Mensch, kaum hübsch zu nennen."
WS:29 - "Da erschien, seine Hände an einem Lappen abwischend, der Eigentümer selbst in der Tür seines Büros, ein leidlich gut aussehender blonder, energieloser Mann, der offenbar an Blutarmut litt."
Besser an der Erstübersetzung finde ich, dass man ihr ihr Alter ansieht, Lazar benutzt heute "veraltete" Ausdrücke: damals war eine "pneumatic mattress" (FSF:167) eben noch keine Luftmatratze, sondern eine "pneumatische Matratze" (ML:226), oder als im 5. Kapitel Gatsby kurz einen Telefonanruf beantwort und dann auflegt: "He rang off" (FSF:101), was damals vielleicht wirklich so hieß: "Er läutete ab" (ML:133). Und in der Telefonvermittlung saßen noch "Beamte". Andererseits bedeutete "jemanden anrufen" damals nicht automatisch "antelefonieren":
FSF:27 - "I decided to call him." (Als Nick abends von seinem Haus aus das erstemal Gatsby sah)
ML:34 - "Ich beschloß, ihn anzurufen."
WS:26 - "Ich entschloß mich, ihn anzusprechen."
An wenigstens einer Stelle aber blitzt bei Lazar ein ungleich besseres Sprachgefühl durch als bei Schürenberg: s. Materialordner, 5. Kapitel:
FSF:94 - "Amid the welcome confusion of cups and cakes"
Die vielen K-Laute, die beiden knackigen Einsilber hinter dem u-betonten, weich verschliffenen "confusion" und dem schwungvoll vornbetonten "welcome", sind kaum zu übersetzen. Schürenberg schlägt mit der Brechstange zu und hinterlässt den Trümmerhaufen des "willkommenen Durcheinander mit den Teetassen und den Kuchenstücken" (WS:91), während Lazar immerhin sich etwas löst vom Wort hin zum Laut des "willkommenen Wirrwarr von Tassen und Kuchen" (ML:123). Sie traut sich zwar nicht das freier übersetzte "Kaffee und Kuchen" zu, wählt aber das viel besser passende Wirrwarr. "Chaos" ist vielleicht zu stark, aber "das willkomene Chaos von Kaffee und Kuchen" käme wenigstens lautlich etwas näher an die viele K's und den Originalrhythmus heran ...
Bei Gelegenheit lese ich auch noch die neue Übersetzung von 2006. Vorher aber sehe ich mir den Film an, und zwar erst die Fassung von 1949 auf Englisch, die ich kürzlich auftat (pando.com machts möglich), dann die von 1974 auf Deutsch. Aber damit lasse ich mir noch ein paar Wochen Zeit.