Juni 2008 - Karl Gutzkow: Die Ritter vom Geiste

  • Hallo Bigben,


    ja, der Überfall auf Pauline zeigt Egons energische Hand, die sich auch später erweist, was auch immer man davon hält. Seine Adlaten dagegen ergehen sich auch jetzt noch im Wesentlichen in in langen Reden und zaudern sowohl beim politischen Handeln als auch in der Liebe. Etwas mehr Entschlusskraft hätte den Roman sicherlich gestrafft! :zwinker:


    HG
    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Hallo zusammen,


    nun bin ich in VII, 12 angelangt und lege erst mal eine Pause ein, da ich an der Conrad-Leserunde teilnehme. Die Erzählung ist nicht lang, so dass ich hoffe, Mitte nächster Woche meine Gutzkow-Lektüre fortsetzen zu können.


    Zunächst zum zuletzt Gelesenen: Im VII. Buch klären sich viele Dinge: Wer sind und welche Rollen spielen Murray und Ackermann? Pauline von Harder wird nach ihrer Beichte in V nun von anderen Seiten beleuchtet. Auch die Taten der Zeck- Geschwister kommen ans Licht.
    Eine Nachbemerkung zu Fürst Egons Politkarriere: Eine derart rasante Karriere eines politisch völlig Ungebildeten und Unerfahrenen ist selbst in der Mitte des 19. Jahrhunderts kaum denkbar.
    Ansonsten greift Gutzkow mit Egons ministerpräsenditenzialen Handlungen zum Teil Bismarcks späteren Aktionen voraus, vor allem was die selbstherrliche Behandlung des Parlamentes betrifft.


    Nun noch etwas zum Anmerkungsteil der Zweitausendeins-Ausgabe: Den finde ich z.g.T. obsolet, denn er enthält im Wesentlichen
    mit dem Computer herausgesuchte Fremd- und Namenwörter, die oft weitschweifig und mit geringem Bezug zum Text erklärt werden, oft sogar mit überflüssigen Literaturangaben. Dagegen werden heute nicht mehr verständliche Anspielung auf historische Ereignisse und im Textzusammenhang nicht unmittelbar einleuchtende deutsche Wendungen höchst selten erklärt.
    Dies ist aber viel wichtiger, als einem wohl doch bildungsmäßig vorbelasteten Leser, der sich bemüßigt fühlt, einen Dreieinhalbtausendseiten-Roman aus dem 19.Jh. zu lesen, lang und breit zu erklären, wer Cäsar war oder wo genau ein Egmont-Zitat steht.


    Bis bald


    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

    Einmal editiert, zuletzt von finsbury ()


  • Nun noch etwas zum Anmerkungsteil der Zweitausendeins-Ausgabe: Den finde ich z.g.T. obsolet, denn er enthält im Wesentlichen
    mit dem Computer herausgesuchte Fremd- und Namenwörter, die oft weitschweifig und mit geringem Bezug zum Text erklärt werden, oft sogar mit überflüssigen Literaturangaben. Dagegen werden heute nicht mehr verständliche Anspielung auf historische Ereignisse und im Textzusammenhang nicht unmittelbar einleuchtende deutsche Wendungen höchst selten erklärt.
    Dies ist aber viel wichtiger, als einem wohl doch bildungsmäßig vorbelasteten Leser, der sich bemüßigt fühlt, einen Dreieinhalbtausendseiten-Roman aus dem 19.Jh. zu lesen, lang und breit zu erklären, wer Cäsar war oder wo genau ein Egmont-Zitat steht.


    Ja, anfangs habe ich auch noch regelmäßig zum Kommentar gegriffen. Aber jetzt hole ich mir aller paar hundert Seiten nur noch einen überblick.

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym (2001)

  • Hallo,


    das siebte Buch war doch am Ende noch so spannend und brachte die Handlung voran, dass ich es nicht lassen konnte und nun bei VIII, 1 in der Lesepause verharre. Ich freue mich tatsächlich schon, wenn ich nach der kurzen anderen Leserunde hier weitermachen kann. Inzwischen sind mir die Personen doch vertraut geworden und ich will trotz aller Längen wissen, wie es weitergeht.


    Euch ein schönes Wochenende und viel Spaß mit unserem Schinken!


    HG
    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Ich bin jetzt in VI.5. Die Lobgesänge Dankmars auf Egons politische Arbeit gehen mir mächtig auf den Senkel. :grmpf:
    Das Buch zieht sich zur Zeit wie Gummi. Sehnsüchtig schiele ich immer mal wieder auf die Bücher, die ich als nächstes gern lesen würde.

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym (2001)

  • Hallo zusammen,



    Das Buch zieht sich zur Zeit wie Gummi. Sehnsüchtig schiele ich immer mal wieder auf die Bücher, die ich als nächstes gern lesen würde.


    So unterschiedlich kann das Empfinden sein. Ich kehre gerne von einer Kongoreise mit einem der ganz großen englischen Autoren zurück ins überschaubare Preußen unseres zweitklassigen Autors, der aber den Vorteil hat, dass man nicht jede Zeile interpretieren muss.
    Bin nun in VIII, 3. Nachdem es am Anfang des achten Buchs um Hackert ging, spinnt nun Pauline von Harder wieder in altgewohnter Weise ihre Fäden.


    Schönen Sonntag


    HG
    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • In VI.6 bin ich über einen Fehler Gutzkows gestolpert (jedenfalls denke ich, daß das falsch ist). Er schreibt, das die Templer sich in Deutschland am längsten gehalten hätten. Soweit ich weiß, waren die letzten Templer-Enklaven aber in Spanien.

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym (2001)


  • Nun noch etwas zum Anmerkungsteil der Zweitausendeins-Ausgabe: Den finde ich z.g.T. obsolet


    Zu Seite 839 den Unterschied zwichen links und linkisch zu erklären, statt die Herkunft dieser politischen Seiteneinteilung, ist wirklich unbefriedigend.


    Oder zu Seite 945

    Zitat

    [Der Tag] wiegt schwerer als seit lange einer, und doch gehört er zu denen, die ich in anderem Sinne als Kaiser Titus einen verlorenen nenne!

    nur zu kommentieren, dass Kaiser Titus mit Vornamen Flavius hieß, statt zu erklären, was es mit dessen verlorenem Tag auf sich hat, ist ärgerlich.


    Aber zu Seite 799

    Zitat

    Auf einem Sockel von grauem Marmor stand in einer Ecke eine Copie der mediceischen Venus von Alabaster.

    anzumerken, dass hier wahrscheinlich die "Venus von Urbino" von Tizian oder die "Geburt der Venus" von Botticelli gemeint sei, ist sicherlich zur Hälfte falsch. Während die Venus bei ihrer Geburt unschwer auf einen Sockel zu stehen kommen mag, ist die lasziv-unartig, geradezu lacerten-artig auf einem an den Wänden der Uffizien des mediceischen Florenz hängenden Canapé hingebettete Venus von Urbino nur schwerlich auf einem Sockel stehend vorstellbar.


    Mehr als ein Buch pro Monat scheine ich nicht zu schaffen - bei den neun Büchern eine schwere Geburt ...

  • Hallo,


    ja ja die Anmerkungen! Danke, enigma für diese Blütensammlung. Bei Gelegenheit ergänze ich vielleicht!


    Bin nun in VIII, 9 und lerne Otto von Dystra, einen Weltenbummler und Humoristen näher kennen. Obwohl von Gutzkows Andeutungen her eher dem demokratischen Spektrum zuzuordnen, behandelt er seine beiden farbigen Lakaien nur wie halbe Menschen, dirigiert sie mit Zischlauten, die der Peitsche ihrer ehemaligen Eigentümer nachempfunden sind und kleidet sie wie Zirkusaffen. Bei aller demokratischen Einstellung des Autors und vieler seiner Hauptfiguren scheint diese im Europa der Mitte des 19. Jahrhunderts nicht allen Menschen gegönnt zu werden. Auch sonst huldigt Gutzkow immer wieder durchaus auch hierarchischen Prinzipien.


    Übrigens ein nettes geografisches Kuddelmuddel. Laut Anmerkungen und auch nach meinen (oberflächlichen) Recherchen scheint das Angora, aus dem Dystras oben erwähnte Bedienstete stammen, tatsächlich dem heutigen Ankara zu entsprechen. Dort leben also nach Gutzkow afrikanische Stämme, deren Häuptlinge ihre Lakaienkinder nach Amerika verhökerten?! Hmmm ...


    Ansonsten zog es sich im letzten Kapitel mal wieder wie Kaugummi, weil die "Ritter" zusammentrafen und blubberten.
    Manchmal frage ich mich, ob "Die Ritter vom Geiste" ohne die Ritter nicht besser geworden wären . :zwinker:


    HG
    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Auch sonst huldigt Gutzkow immer wieder durchaus auch hierarchischen Prinzipien.


    Gutzkow? Oder seine Figuren?


    Laut Anmerkungen und auch nach meinen (oberflächlichen) Recherchen scheint das Angora, aus dem Dystras oben erwähnte Bedienstete stammen, tatsächlich dem heutigen Ankara zu entsprechen.


    Tatsächlich? Ich hatte schlicht und simpel "Angola" darunter vermutet. Was ja dann soweit stimmen würde ...


    Ansonsten zog es sich im letzten Kapitel mal wieder wie Kaugummi, weil die "Ritter" zusammentrafen und blubberten.
    Manchmal frage ich mich, ob "Die Ritter vom Geiste" ohne die Ritter nicht besser geworden wären . :zwinker:


    Du sprichst ein wahres Wort gelassen aus ... :winken:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Ich bin jetzt bei VI.12 angekommen.
    VI.9 hat mal wieder einen echten Lesegenuß geboten. Wie Hackert Schmelzing von der Spitzelei über dem Rathauskeller immer wieder ablenkte, das hatte mal was richtig schön unterhaltendes. Leider wurde das Ganze dann wieder durch die Weiherede unterbrochen.
    Ich habe meiner Frau mal so ein Stück aus dem Ratskeller vorgelesen. Sie fragte daraufhin, ob ich alte Ausgaben des Neuen Deutschland lese. :sauer:

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym (2001)

  • Hallo zusammen,



    Ich habe meiner Frau mal so ein Stück aus dem Ratskeller vorgelesen. Sie fragte daraufhin, ob ich alte Ausgaben des Neuen Deutschland lese. :sauer:


    Schade, dass Gutzkow das - mit dem entsprechenden geschichtlichen Hintergrund - nicht mehr lesen konnte :breitgrins:!


    Zitat

    Tatsächlich? Ich hatte schlicht und simpel "Angola" darunter vermutet. Was ja dann soweit stimmen würde ...


    Genau das dachte ich zuerst auch, aber google mal ...


    Bin in VIII, 11 und muss sagen , genau wie BigBen mit Hackert beim Horchen, habe ich jetzt Spaß mit der karikierenden Darstellung des Ritters Rochus vom Westen und Generals Volands von der Hahnenfeder. Schon die Namen sind eine Schau und ..das kann Gutzkow: gesellschaftliche Strömungen seiner Zeit in einzelnen Personen fokussieren und karikieren. Aber jetzt fangen sie wieder an, über Geheimbünde zu faseln ... :schnarch:


    HG
    finsbury

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    Einmal editiert, zuletzt von finsbury ()

  • Ein kleiner Hinweis vom Nachbarroman:


    Zitat

    Am 12. Oktober 2007 diskutierten auf der Frankfurter Buchmesse am Stand der Buchwissenschaft Prof. Dr. Jan Philipp Reemtsma und Dr. Jan Süselbeck, moderiert von Stephan Landshuter, über den soeben neu herausgegebenen Roman „Der Zauberer von Rom“ (1858–61), der im Werk Karl Gutzkows (1811–1878) neben seinem anderen Riesenroman „Die Ritter vom Geiste“ (1850–51) eine zentrale Stellung einnimmt. Reemtsma und Süselbeck zeigten sich dabei durchweg begeistert von dem immensen erzählerischen Atem Gutzkows; beide bestätigten und belegten an einigen Beispielen, dass Arno Schmidts emphatischer Einsatz für diesen exzentrischen Roman völlig angebracht gewesen sei. Reemtsma las sogar die erste Seite des Romans vor und warb in seinem Schlusssatz für eine Lektüre dieses Romans mit einem emphatischen „Gönnen Sie sich das Vergnügen!“.
    (Karl Gutzkow: Der Zauberer von Rom. Roman in neun Büchern. 3 Bde. mit Anhang. Hrsg. v. Kurt Jauslin, Stephan Landshuter und Wolfgang Rasch. 2920 Seiten. Münster: Oktober Verlag, 2007. 79 EUR)
    http://www.buchwissenschaft.un…ssf07_zaub/index.html#top


    Vielleicht lese ich ja dóch noch mal weiter.

  • Ich habe es jetzt bis VII.4 geschafft. Die Lebensbeschreibung Murrays in den ersten Kapiteln des siebenten Buches war sehr fesselnd. Ich denke, die Beschreibung ungewöhnlicher Biographien und die Vernetzung der Personen darin ist eine der Stärken Gutzkows.



    Vielleicht lese ich ja dóch noch mal weiter.


    Da könnten ja auch eine Leserunde daraus werden. Nur nicht mehr dieses Jahr und nächstes Jahr nicht gleich (für mich jedenfalls). :winken:

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym (2001)

  • Hallo zusammen,


    bin in IX, 5 angelangt. Langsam lösen sich alle Rätsel und Geheimnisse, was zusammen gehört oder auch nicht, das findet sich. Wie sandhofer schon schrieb, Gutzkow räumt sauber auf. Es fehlen noch die Konfrontationen zwischen Ackermann / Rodewald und Egon bzw. Pauline v. Harder; Zumindest müssten diese Begegnungen romantechnisch gesehen eigentlich noch stattfinden.
    Es ist wirklich symptomatisch: Sobald es um die Ritter geht, wird der Roman verquast und der Inhalt teilweise sogar lächerlich - ich habe selten ein so nebulös-verzopftes Konzept gelesen. Ansonsten gibt es auch im neunten Buch einige gute Szenen, z.B. die Tierwelt und der Besuch des Hofes in Tempelheide beim alten Gerichtspräsidenten.
    Auch Otto von Dystra ist - solange er sich nicht über seine "Angora"-Lakaien auslässt - immer wieder erfrischend.
    Die beiden Mädels für die Wildungen-Brüder sind dagegen nicht wirklich lebendig gezeichnet, Selma ist zu gut und zu blass, Olga zu exaltiert.
    BigBen, auch ich finde, dass Murray eine besonders gelungene Gestalt ist: Er verknüpft viele Handlungsfäden und ist außerdem ein interessant gebrochener Charakter.
    sandhofer,
    zu den hierarchischen Prinzipien, von denen sich auch Gutzkow nicht ganz trennen kann: Z.B. der Besuch Dankmars und Louis Armands bei Otto von Dystra in VIII, 11: Wieso hat Armand solche Skrupel, als einfacher Handwerker im Kreise von Generälen und Diplomaten zu weilen und weshalb findet selbst Dankmar das peinlich? Dankmar, so denke ich, ist doch am ehesten das Sprachrohr Gutzkows?!


    Euch allen ein weiterhin schönes Wochenende


    HG
    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • zu den hierarchischen Prinzipien, von denen sich auch Gutzkow nicht ganz trennen kann: Z.B. der Besuch Dankmars und Louis Armands bei Otto von Dystra in VIII, 11: Wieso hat Armand solche Skrupel, als einfacher Handwerker im Kreise von Generälen und Diplomaten zu weilen und weshalb findet selbst Dankmar das peinlich? Dankmar, so denke ich, ist doch am ehesten das Sprachrohr Gutzkows?!


    Ich weiss nicht. Ich habe gelernt, dass die Meinung von Romanfiguren mit der des Autors nicht unbedingt identisch sein muss. Kann ja, muss nein. Und von daher bin ich immer sehr zurückhaltend. Wenn Gutzkow hätte seine eigene Meinung direkt kundtun wollen, hätte er vielleicht eine andere Wahl getroffen als einen Riesenroman zu schreiben. Vielleicht. Diese Skrupel z.B.: Wie weit waren sie damals wirklich in "einfacheren Kreisen" anzutreffen? Ich weiss es nicht ... :winken:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen. ;-) Bin jetzt bis VII.10 vorgedrungen. Die Story um die Zecks scheint mir etwas sehr in die Länge gezogen. Ich finde es aber angenehm, das die Politik auf die Erwähnung von Zeitungsartikeln beschränkt ist. In diesem Stile wäre es für den ganzen Roman wünschenswert gewesen. Das enthält die wichtigsten Infos und ist nicht aufdringlich.

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym (2001)