Mich hat erstaunt, wie stark der Roman mit klerikalen Themen durchsetzt ist. Meine Kenntnis der spanischen Literatur ist marginal, um es positiv auszudrücken, daher wusste ich nicht, dass da eine gewisse Tradition besteht, danke für den Hinweis auf Eca de Queiroz, der steht auch auf meiner Leseliste.
Natürlich müsste man aus Kenntnis der spanischen Geschichte darauf gefasst sein, dass die katholische Kirche und ihr Wirken auch in der Literatur stärker verarbeitet wird. Meistens finde ich das sehr interessant, nur wenn es allzu sehr in die Einzelheiten geht und auf alle möglichen theologischen Traditionen angespielt wird, geht es mir etwas auf den Geist (wie in der zweiten Hälfte des 12. Kapitels).
Aber der Druck, der insbesondere durch die Kirche in frommen bzw. bigotten Häusern auf die Frauen ausgeübt wurde, wird - glaube ich - durchaus realitätsnah geschildert. Die Ausführungen von Don Robustiano über die Töchter des Hauses Carraspique sind heftig, aber wohl durchaus auf viele Töchter der damaligen Zeit zutreffend. Und das galt ja nicht nur für Spanien, sondern auch für dessen Kolonien: In Peru zum Beispiel habe ich in Arequipa ein Frauenkloster gesehen, das so groß ist wie ein Stadtteil, und in dem die adeligen Mädchen und Frauen bis zu ihrem Lebensende weggeschlossen wurden.
Die Geschichte von den Carrespique-Töchtern hat mich ziemlich entsetzt. Dass die katholische Kirche nicht gerade zimperlich war, ist schon klar, aber dass hier ein Priester so einfach das Mädchen zum Tode verurteilt, obwohl sie vielleicht noch gerettet werden könnte, ist schon heftig. Er opfert alles den Interessen der Kirche... Und die Eltern vertrauen ihm blind...
Ein Beichtvater scheint damals bei den Frauen der oberen Schichten schon fast so etwas wie ein Psychotherapeut gewesen zu sein. Endlich beschäftigt sich mal jemand mit ihnen und ihren Gedanken und Problemchen. Wenn der Priester aber sehr berechnend ist, wie Don Fermín, dann ist das schon richtig heftig. Er kann ganze Teile der Gesellschaft manipulieren.
Der Bischof hat mir dagegen ganz gut gefallen. Im Gegensatz zu Don Fermín jemand, der seinen Glauben lebt und ihn weitergeben möchte, statt Macht anzustreben. Dafür wird er dann aber auch nicht ernst genommen.
Momentan bin ich mitten im 12. Kapitel, das sich etwas zieht für meinen Begriff. Ich kann nicht sagen, ob ich während der Woche viel zum Lesen komme. Es kann also noch etwas dauern, bis ich zu Don Fermíns Kindheit komme.